Mittwoch, 19. Juni 2024

Erfolgreichstes Auswärtstrikot: Ganz in Weiß

Auf den Rängen im Stadion beim Spiel gegen Schottland war der Erfolg des Trikots in shocking pink kaum zu erahnen.

Es war eine gezielte Provokation, ein Tabubruch, eine Regenbogenbinde für den ganzen Oberkörper. Als der DFB pünktlich zum Verkaufsstart des Merchandising-Angebotes vor der Fußball-Europameisterschaft ein pinkfarbenes Trikot vorstellte, war der Aufschrei gewaltig. Traditionalisten verfluchten das Leibchen als lila Lappen, Modernisten feierten es als Zeichen von Diversität, Nachhaltigkeit, Vielfalt und Fröhlichkeit. Entlang der gesellschaftlichen Frontstellungen gruben sich die Widersacher ein: Robert Habeck trat demonstrativ pretty in pink auf. Annalena Baerbock dagegen schlug sich auf die andere Seite und trug unschuldiges Weiß.

Kulturkampf in Pink

Ein Kulturkampf, den der vom DFB zugunsten des US-Konzerns Nike vor die Tür gesetzte Hersteller Adidas nun als vom Guten gewonnen abgerechnet hat. Das lila Leibchen, mit dem die deutsche Nationalmannschaft heute gegen Ungarn bei der EM auflaufen wird, sei das "erfolgreichste Auswärtstrikot der Geschichte". 

Ein Riesenerfolg, der eine Umfrage Lügen straft, nach 68 Prozent der 64.000 Befragten angaben, dass das rosa Trikot aus ihrer Sicht völlig misslungen oder gerade noch erträglich sei. Überraschung: Nach Angaben von DFB und Ausrüster hat das "Shocking Pink"-Design dafür beim verbliebenen knappen Drittel "einen Nerv getroffen" (Der Westen). Die Fans würden dem Ausrüster "die Bude einrennen". Der optische Angriff auf die Augen sei ein "Verkaufsschlager" (Sport1). Fast schön würden die grellen Hemden "knapp" (SZ).

Manipulation statt Information

Allerdings: Wie immer, wenn es Nachrichten an absoluten Zahlen fehlt, ist die Absicht nicht Information, sondern Manipulation. Wer mit der Wahrheit lügen will, dem rät das Lehrbuch des klassischen Demagogiefaches "Lügen mit der Wahrheit" (Mastodon-Verlag), Prozentangaben ohne Zahlenbezug zu benutzen oder noch besser gleich ganz auf jede konkrete Mengen- oder Zahlenangabe zu verzichten. 

Daran haben sich der DFB und sein Ausstatter strikt gehalten: Die Meldungen vom "sensationellen Verkaufsrekord" werden von keiner Verkaufszahl gestützt, es gibt keine Hinweise darauf, wie viele Trikots in welcher Farbe verkauft worden sind und ob die Bezeichnung "Millionenseller" die Menge der abgesetzten Nationalmannschaftsdresse oder den Umsatz in Euro meint. Der Erfolg in pink ist reine Behauptung, zudem eine, die in keinem Verhältnis zu irgendetwas steht. Es wurden mehr Trikots in Pink verkauft als früher in Grün und - kurzzeitig - in Rot. Aber was bedeutet mehr? Und wie als viel weniger wirkt sich das bei Weiß aus?

Ganz in Weiß: Die DFB-Fans.

Alle diese Zahlen liegen vor, alle diese Angaben sind verfügbar. Der DFB-Fanshop bietet zwar bis heute ausschließlich Bekleidung für zwei Geschlechter an, doch dank der unterschiedlichen Schlüsselnummern von weißem und pinkem Trikot lässt sich in Echtzeit nicht nur abrufen, welchen Anteil welches Geschlecht an den Verkäufen hat, sondern auch, welche Farbe wie viel Prozent des Absatzes ausmacht. Selbst nach den allgemein befolgten Regeln der medialen Manipulation wäre es unschädlich, entsprechende Prozentangaben zu machen, da sich aus ihnen keinerlei Rückschlüsse auf die absoluten Zahlen ziehen lassen. Dennoch unterbleibt die Angabe, selbst die Leitmedien unterlassen entsprechende Nachfragen oder bekommen keine Auskunft.

Ein Blick auf die Tribünen

Der Blick auf die Tribünen beim ersten Auftritt der ehemaligen "Mannschaft" aber hilft, die tatsächliche Dimension des vermeintlichen Phänomens in Pink zu ergründen: In der Münchener Allianz-Arena trug fotoforensischen Untersuchungen nach, die vom An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung durchgeführt wurden, etwa ein Prozent der als deutsche Fans lesbaren Zuschauer ein lila Trikot. 99 Prozent hingegen bevorzugten störrisch das klassische Weiß, dem der DFB das im Zuge des zuletzt von der Bundesregierung wieder verstärkten Kampfes gegen Preußen die allzu sehr an die preußischen Farben erinnernden schwarzen Hosen gestrichen hat.


1 Kommentar:

irgendwer hat gesagt…

Aufgrund empirischer Erhebungen während der lokal kleinräumigen "öffentlichen Leichenschau" kann als gesichert gelten, dass "Shocking Pink" bevorzugt von der Generation getragen wird, die 2014 noch nicht bzw. nicht bewusst Fußball konsumierte.
In dieser Kohorte ist ca. ein 50-%-Anteil des gewagten Designs zu verzeichnen.
Auch unter Berücksichtigung heteronormativer Zuschreibung ergibt sich ein ausgewogenes Bild der Verteilung.

In allen älteren Kohorten erkennt man dagegen einen signifikanten Unterschied. Das klassische Grün ist nur vereinzelt als exzentrischer Exzess in der Masse der weißen Trikots zu erkennen. Ebenso an der unteren Schwelle der Wahrnehmung liegt in dieser Kohorte das aktuelle Auswärtstrikot.

Insofern darf alles in allem durchaus über einen Verkaufsschlager gesprochen werden - für ein Auswärtstrikot.

PS: Wohl dem Prozess gegen den Putsch-Prinzen Reuss und seine senilen Spießgesellen geschuldet, sind die Farben des Hauses Reuss wiederum deutlich häufiger in den Auslagen der Geschäfte zu sehen als auf der Straße. Auch in der Bekleidung der am Fussballspielgemeinschaftsempfang nicht uniformiert Teilnehmenden zeigt sich dieser Trend. Neben den vielfältigen Farben des Alltags wird dort weit überwiegend Schwarz getragen. Ob aus ironisierend zur Schau getragener vorweggenomme er Trauer oder in reaktionärer Anlehnung auf die Grundfarben der als "Nationalmannschaft" geschmähten deutschen Bundes-Vereinsauswahl (Schwarz-Weiß-Rot) muss allerdings gesondert erhoben werden.