Sonntag, 2. Juni 2024

"Döp Dö Dö Döp": Die neue deutsche Lust am Liedersingen

Überall in Deutschland wird gesungen, Gigi D'Agostinos Hit "L'Amour toujours" hat Alten und Jungen offenbar Selbstbewusstsein gegeben, es auch selbst mal zu versuchen.

Plötzlich sind sie ganz anders, die Deutschen. Gefürchtet als penible Muffel, pünktlich und grantig, zeigen sie auf einmal ein ganz anderes Gesicht. Kurz vor Europawahl und Europameisterschaft, zwei Höhepunkte, auf die in vielen Familien eher mit Bangen geschaut wird, pfeift das Land und es singt, fröhlich wird getanzt und gesungen. Gigi D'Agostinos Hit "L'Amour toujours" steht in den Schlagzeilen, seit ein kurzes Video von sich begeistert Feiernden auf Sylt in Umlauf geriet. Immer wieder versuchen junge und ältere Menschen seitdem, den populären Song für ihre Zwecke zu nutzen, damit Spaß zu haben und zu provozieren.

Emanzipationsakt für jedes Alter

Experten sprechen von der "Fischer-Chor"-Strategie, einer Idee, mit der musikalische Autodidakt Gotthilf Fischer die von ihrer Kriegsschuld gebeugte alte Bundesrepublik in einen lustigen Gesangsverein hatte verwandeln wollen. Fischer scheiterte, seine Chöre hatten nie mehr als ein paar tausend Mitglieder. Erst die ohne jede Rücksicht auf tonale Vorgaben krähende Gruppe junger Reichbürger auf der Terrasse des "Pony"-Clubs, die immer wieder den Slogan "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" skandiert, scheint das jetzt ändern zu können: Singen gilt mit einem Mal als cool, als rebellisch, als Emanzipationsakt für jedes Alter. Und der tumbe Diskostampfer "L’Amour toujours" als härter und gefährlicher als jede Punk-Bombe.

Städte haben das Lied verboten, Veranstalter aus Angst vor singenden Besuchern einen Bann verhängt. Eine unwirkliche Angst vor beliebten Klängen ist zu spüren, die alte Furcht der deutschen Obrigkeiten vor "Hottentottenmusik" und langen Haaren, die zu Metalriffs geschüttelt werden, ist zurück. Doch immerhin: Kulturstaatsministerin Claudia Roth wie ein Mann vor die Freiheit der Kunst gestellt und betont, dass weder Lieder noch Sänger schuld sind. Was drinnen ist im Menschen, das muss raus. Und das beste Ventil ist immer noch die Stimme, das weiß die frühere Managerin der "gegen die Bullen, gegen die Banken, gegen das Kapital" (Rio Reiser) angetretenen Band Ton Steine Scherben.

Wie die Stimme funktioniert

Doch wie singen? Wenn es nun doch erlaubt ist? Damit die Stimme funktionieren kann, braucht sie vor allem Übung, Zutrauen und ein wenig Feuchtigkeit. Häufig werden alkoholische Getränke empfohlen, weil sie gleich in mehrfacher Hinsicht wirken: Schnaps und Bier erhöhen das Selbstvertrauen, zugleich ölen sie die Stimme und sie verstärken die Selbstwahrnehmung des Sängers dahingehend, dass er sich sicher ist, die erforderlichen Töne nicht nur anzuvisieren, sondern auch zu treffen. Allerdings ist zu beachten, dass sich die Stimme so nur in dem Maß aufbauen lässt, wie auf eine Überdosierung verzichtet wird. Wer statt ausreichend zu viel trinkt, verliert die Kontrolle über die äußere Kehlkopfmuskulatur und ist hinter einem kritischen Punkt dann auch für sich selbst nicht mehr angenehm anzuhören.

Übung macht natürlich den Meister und die Meisterin. Doch was, wenn die Tage im Chor als Kind waren und der Musikunterricht in der Schule nur alptraumhafte Erinnerungen hervorruft? Nun, obwohl Sängerinnen und Sänger am sichersten agieren, wenn sie von Kindheit an singen, können auch Menschen, die sich erst jetzt durch Gigi D'Agostinos "L'Amour toujours"  zum Singen berufen fühlen, schnell auf ein Leistungsniveau kommen, dass es ihnen erlaubt, einfachste Tonfolgen je nach eigenem Stimmstatus mitzugrölen. 

Der Fall "Döp Dö Dö Döp"

Wichtig ist dabei vor allem der Kehlkopf: Er ist nicht nur die Verbindung zwischen Rachen und Luftröhre, sondern auch zwischen Innenleben und Außenwahrnehmung. Über Stimmlippen, Stimmbänder und die Kehlkopfmuskeln teilen sich  -moduliert von den Bewegungen von Zunge und Lippen - der Öffentlichkeit die musikalischen Botschaften mit, die die Sängerin oder der Sänger verbreiten wollen. Im Fall von "Döp Dö Dö Döp", wie der Sommerhit 2024 mit Kosenamen genannt wird, ist keine besondere Leistungsfähigkeit der Stimme gefordert. Das Lied ist simpel, volkstümlich und es verzichtet auch auf jede Art von komplexem Text. Jeder Stimmenbenutzer, der das möchte, kann es umstandslos mitkrähen.

Genauso leicht fällt das Erlernen des typischen "Döp Dö Dö Döp"-Tanzes. Der besteht aus einer Art relaxtem Schunkeln, bei dem an bestimmten Stellen der Musik sogenannter Störschall gerufen wird, während der sogenannte kleine oder sogar der große Gruß angedeutet werden. Eine Überanstrengung der Kehlkopf- oder Oberschenkelmuskeln droht auch Ungeübten kaum. Darin liegt vielleicht eines der Geheimnisse der schnellen viralen Verbreitung der Musik/Tanzschritt-Kombination, wie sie eine Karte des öffentlich-rechtlichen Angebotes "Funk" nachweisen konnte. Spätere Probleme haben ihre Ursache meist in ablehnenden Reaktionen der Mehrheitsgesellschaft und Urteilen, hier seien Stimmen falsch genutzt worden. Bei einigen Sylt-Sängern kamen als Spätfolgen ihres Clubbesuchs Jobverlust und bürgerlicher Tod hinzu.


6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich habe nur 6 Vorfälle im Osten gezählt. Werden wir schon wieder diskriminiert?

Arminius hat gesagt…

Nein. Die werden nicht diskriminiert. Die sind nur nicht so blöd, sich dabei filmen zu lassen.

Volker hat gesagt…

Da müssen wir differenzieren. In diesem Fall zwischen positiven und negativen Fallkarten.

"Sylt ist überall" gehört zweifellos in die erste Kategorie.
Zum einen, weil es hier um staatswohlgefährdende, verfassungsfeindliche Naziirgendwas geht. Und auch um die Diskussion zu versachlichen und eine Begründung für die nächste Finanzierungsrunde für den Krampf gegen Rechts zu stärken.

Es gibt aber auch andere Fälle. Zum Beispiel die Einzelfallkarte.
Die lehnen wir ab. Zum einen, weil die Aufzählung von Bagatellfällen (Morde, Messerangriffe, Vergewaltigungen u.a. Ordnungswidrigkeiten) eine angebl. "Ausländerkriminalität" suggeriert, die es gar nicht gibt. Und auch, weil so eine unsachliche Diskussion keine Begründung für die nächste Finanzierungsrunde für den Krampf gegen Rechts liefert.

Anonym hat gesagt…

Die Roth spielt also Verteidigerin der Kunstfreiheit, indem sie ein Verbot ablehnt, das ohnehin nicht durchzusetzen wäre. Billig wie immer.

Die Anmerkung hat gesagt…

Am Samstagabend (01.06.) sang eine Gruppe feiernder und offenbar alkoholisierter Erwachsener in Coesfeld ausländerfeindliche Parolen zur Melodie eines bekannten Liedes.

Dieser Text basiert auf einer offiziellen Behörden-Information und wurde mit Hilfe von KI erstellt.

Volker hat gesagt…

Es gibt sie noch, die guten Nachrichten.

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