Früher konnte man bei "Führung" bestellen, heute schickt sich Olaf Scholz an, als Prügelknabe der Fortschrittskoalition vom Hof gejagt zu werden. Abb: Kümram, Kohlestift auf Büttenpapier |
Er sei selbst beim Zögern noch zu zögerlich. Wage er endlich einmal eine klare Ansage, sei danach meist alles noch viel unklarer. Bei allen seinen übrigen Entscheidungen rotiere er zudem in höchster Geschwindigkeit um einen unsichtbaren Mittelpunkt, den außer ihm niemand kenne. Nein, dieser Olaf Scholz sein kein Umfaller, sondern ein Nebelmann, den niemand greifen kann. Heute hüh und morgen hott. Europas "stärkste Stimme", wie ihn seine Partei gerade noch genannt hat. Angestrengt schweigend, hingebungsvoll geradezu.
Ein Mann wie Angela Merkel
Eine neue Angela Merkel, die allerdings selbst das bisschen an Erklärung vermeidet, dass sich die ewige Kanzlerin auferlegte, wenn die Jacke brannte, der Boden bebte und die geliebte Macht zwischen den Fingern zu zerrinnen schien. Merkels Büro rief dann bei Anne Will an. Auf dem kleinen Dienstweg lud sich die mächtigste Frau der Welt in den unabhängigsten Fernsehsender derselben ein. Bei einer Audienz zu Gast bei Freunden rückte sie die Dinge gerade. Alles wurde richtig gemacht. Wir sind auf einem guten Weg wie immer. Wir schaffen das. Sie kennen mich. Haben Sie Vertrauen. Jemanden Besseres als mich finden Sie da draußen sowieso nicht.
16 bleierne Jahre kam Angela Merkel damit durch. Sie moderierte Krisen weg, schüttete Geld auf die regelmäßig ausbrechenden Krisen, plante Großes und setzte nichts davon um. Die Infrastruktur verkam, aber die Medien feierten sie für ihren "klaren Kurs", der alles "vom Ende her dachte". Als Merkel aus dem Amt schied, eilte ihr allgemeines Bedauern nach. So eine würde Deutschland nie mehr bekommen.
Im Stil der Vorgängerin
Olaf Scholz hat sich zumindest bemüht. Von Anfang an pflegte der Sozialdemokrat den Stil seiner Vorgängerin. Machen, nicht viel Palavern. Und das Madchen am besten hinter einem konzentrierten Zuschauen verbergen. Scholz spielte diese Rolle gut. Dass ihm die Schuhe zu groß sind, in denen er nach seinem überraschenden Sieg über den watteweichen Gegenspieler Armin Laschet zu gehen gezwungen war, merkte kaum jemand.
Scholz, Wahlsieger, weil der stets traurig wirkende CDU-Konkurrent für seinen einen Versuch fröhlich zu sein, die falsche Gelegenheit gewählt hatte, hatte einen Plan mitgebracht, der nicht schiefgehen konnte. Und in seinem Kabinett aus Glaubenskriegern, Halbwüchsigen und Übereifrigen wirkte der gebürtige Niedersachse schließlich immer noch wie der einzige Erwachsene.
Der Steuermann
Und doch ist es nun der Anführer, der Steuermann, der schweigende Stern der deutschen Sozialdemokratie, auf den sich nach dem Wahldebakel bei EU- und Kommunalwahl nicht mehr ausgewiesen rechte Publizisten eingeschossen haben. Nein, ein wahres Trommelfeuer kommt von der Opposition, der demokratischen wie der, die von Demokraten missbraucht wird. Die Fortschrittskoalitionspartner machen mit, aber auch die eigene Partei. Olaf Scholz ist zurZielscheibe von Hohn und Spott geworden.
Der Mann, der neuerdings samt seiner Aktentasche auch auf TikTok vertreten ist, um Bürger*innennähe zu zeigen, wird fortgesetzt Zielscheibe von ungerechten Angriffen. Obwohl die meisten seiner Ministerinnen und Minister Bilanzen vorzuweisen haben, die weit enttäuschender ausfallen als die desBundeskanzlers, konzentriert sich alle Kritik auf ihn, den Anführer, Vordenker und Mannschaftskapitän. selbst Kevin Kühnert, der Scholz lange unter sich geduldet hat, ist nach dem vergeblichen Versuch, die Grünen und die FDP per "Kontaktschande" für die eigene Unbeliebtheit verantwortlich zu mahcen, umgeschwenkt. Jetzt soll der Kanzler die Last schultern und die Verantwortung übernehmen.
Der passende Sündenbock für alles
Warum aber eigentlich? Weshalb haben mit einem Schlag alle Olaf Scholz als Sündenbock aus erkoren? Weswegen steht ausgerechnet der Mann, von dem die meisten Menschen nie etwas hören oder sehen, außer er steigt vor einer internationalen Kongresshalle aus einem dunklen Auto, um einem anderen Führer der Welt freundlich die Hand zu schütteln, nun als Verantwortlicher für eine verfehlte Politik da, die doch noch vor einer Woche als segensreiche Gemeinschaftsarbeit von drei Parteizentralen, drei Fraktionsführungen und knapp zwei Dutzend nimmermüden Ministernden galt?
Nun, es sind die faulen Früchte einer tiefsitzenden großen Enttäuschung, für die Scholz diese hohe Rechnung bezahlen muss. Weil er ohnehin unbeliebter ist als jemals ein Kanzler vor ihm, zugleich aber die Politik, die er machen wollte, in sämtlichen Belangen als gescheitert gelten muss, ist der frühere Hamburger Bürgermeister die logische Wahl als Prügelknabe und Sündenbock. Die EU sieht das so. Die heimischen Parteien. Die Wahlkampfstrategen.
Verantwortlicher für Imageschaden
So wie bei Angela Merkels großem Stillstandswerk niemand mitmachte, kein anderer Politiker, keine Partei und kein Medienhaus, erklärt sich die verfehlte Politik der Bundesregierung auch allein aus Scholzens Willen. Er war es, der die AfD hat groß werden lassen. Er hat den "Imageschaden" (Annalena Baerbock) der Ampel zu verantworten. Er war es, der Europa geschwächt hat. Er hat das Klima zu verantworten, vom Hitzesommer bis zum nassen, kalten Jahr 2024, das dennoch viel zu warm war.
Für Scholzens Gegner und Feinde ist der Sozialdemokrat, den seine Partei vor Jahren nicht als Vorsitzenden haben wollte, ein ideales Ziel. Der knurrige, wortkarge Mann, dem Kollegen eine leichte Form von Autismus nachsagen, war 2021 mit ganz anderen Erwartungen ins Amt gescheitert. Ein achtjähriger Spaziergang hatte es werden sollen, vier Jahre würde man nutzen, um mit der von der Vorgängerregierung hinterlassenen Krisenkasse die Basis zu legen für ein neues Deutschland, das transformiert, nachhaltig, grün und schön sein würde.
Die zweiten vier Jahre wären dann der Ernte gewidmet, man würde die Früchte einsammeln und für den Nachfolger, der natürlich auch wieder ein Sozialdemokrat sein würde, vielleicht sogar noch mal man selbst, ein feingemachtes Bett hinterlassen, in das in die Wählerinnen und Wähler nur noch legen müssten. Was sie dann zweifellos auch wollen würden.
Ohne die störende Wirklichkeit
Die Rechnung hatten sie vorsichtshalber ohne störende Wirklichkeitsfaktoren gemacht. Dass selbst die Schwarze Klima-Kasse aus Merkelzeiten nicht reichen würde, die viertgrößte Industrienation der Welt durchzuökologisieren, wusste jeder. 60 Milliarden Euro, umgerechnet also ein Drittel des jährlichen Sozialhaushaltes oder ein kompletter Wiederaufbau der Ukraine, sind wenig Geld, die physikalischen Gesetze ein harter Gegner. Selbst wenn die Technologie für eine Umstellung des gesamten Landes auf Elektroantrieb in Kürze erfunden würde, sprechen die Beispiele von sehr viel kleineren Großbaustellen dagegen, dass es noch helfen könnte, die sogenannten Klimaziele zu erreichen.
Wer nach Stuttgart schaut oder zum kleinen "Großflughafen" nach Berlin, der sieht, dass Deutschland-Tempo kein Gaspedal hat, aber viele, viele Bremsen. Alle Schwüre, jetzt aber wirklich schneller zu machen, verhallen: Die große Intel-Chipfabrik bei Magdeburg liegt schon vor der Bauplanung ein Jahr im Hintertreffen. Auch der Baufortschritt beim "Zukunftszentrum" in Halle stockt, noch ehe überhaupt ein Architekt einen Entwurf präsentiert hat.
Schuld ist Scholz
Schuld ist Scholz, denn Scholz wäre leichter ersetzbar als die großen Visionen vom Deutschland-Tempo, Wumms, Doppel-Wumms, Transformation und Dämmrevolution, von sinkenden Strompreisen, Elektrifizierung aus der Kaffeekasse, die nie ein Plan waren, sondern eine Mission mit religiösem Anspruch. Glaube, und es wird werden. Zweifle, und du wirst bereuen.
Die Überzeugung, dass Deutschland vorangehen würde, vorangehen wie so oft, aber diesmal alle anderen folgen, ungeachtet aller Sachgründe, Statistiken und wissenschaftlichen Berechnungen, die dagegen sprechen, ist so stark, dass selbst Olaf Scholz, der Kanzler, bei man früher "Führung" bestellen konnte, geopfert werden würde, glaubten seine Genossen, dass es helfen würde, das große Experiment zur Renaturierung der zweitgrößte Exportnation der Welt fortzusetzen.
2 Kommentare:
Der Traum der unabhängigen, freien Presse vom grünen Kanzler ist noch nicht ausgeträumt. Baerbock? Habeck? Baerbock wäre auch meine Wunschkandidatin, weil da geht nichts mehr drunter.
>> Baerbock wäre auch meine Wunschkandidatin, weil da geht nichts mehr drunter.
Das dachte man bei Merkel auch. Doch dann kam Scholz.
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