Mittwoch, 19. Juni 2024

Chatkontrolle: Im Schatten des Balls

Nun kommt sie doch: Wenn während eines großen Fußball-Turniers niemand hinschaut, schlägt stets die Stunde der ernsten Entscheidungen. Abb: Kümram, Patellfarben auf Glas

Beinahe schien die Welt nicht mehr dieselbe. Die Fußball-Europameisterschaft hatte noch nicht begonnen, das verkündete die EU bereits, dass sie Strafzölle für chinesische Elektro-Autos einführen werde, um die Elektrifizierung Europas zu bremsen. Noch vor dem ersten Anstoß beschloss der Bundestag die erleichterte Anerkennung beruflicher Qualifikationen, ein höheres Bafög und den Kauf von zwei Kriegsschiffen, um wankende deutsche Werften zu retten. Doch keine Spur von einer der üblichen Turnierentscheidungen, die traditionell fallen, wenn das Land im Banne des Balls gefangen ist und niemand mehr schaut, was nachts um halb eins im Hohen Haus beschlossen wird.

In bunter Trikot-Tarnung

SPD und FDP sind dagegen.
Dass die Umsatzsteuer von 16 auf 19 Prozent stieg, ohne dass es das übliche Gezeter gab, war vor zehn Jahren nur möglich, weil Deutschland bei der WM in Brasilien Costa Rica bezwang. 2006 brachte die Reichensteuer, eingeführt im Taumel der Euphorie des Sommermärchens, gleich im ersten Jahr danach 650 Millionen Euro zusätzlich ein. Das seitdem geltende Meldegesetz, zuvor ewig umstritten, passierte den Bundestag, während Deutschland mit Klinsis Kickern auf einen Sieg gegen Italien hoffte.

Bunte Trikot-Tarnung bietet die sichere Gewähr, dass niemand zuschaut und keiner sich aufregt. Auch in Brüssel haben sie das natürlich nicht vergessen. Nach Jahren des Haders und des Streits um die vom Europäischen Amt für einheitliche Ansagen (EAEA) als "Chatkontrolle" gelabelte Komplett-Überwachung der Kommunikation der Europäer schreitet der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs gedeckt vom fröhlichen Kampf um den Ball zur Tat. Der Traum der Vollkontrolle über alles von jedem, der Ursula von der Leyen vor vielen Jahren in ihrem Amt als Familienministerin den Kosenamen "Zensursula" eingebracht hatte, er wird nun wahr. Ohne dass es außerhalb der Echokammern der Netizens jemand wahrnimmt. 

Meisterstück der Nicht-Kommunikation

Ein Meisterstück der politischen Nicht-Kommunikation, der es gelungen ist, die offiziell "Verordnung zur Behinderung und Bekämpfung von Kindesmissbrauch" genannte Aushebelung der Unverletzlichkeit der privaten Kommunikation als einen rein technischen Vorgang darzustellen, der die von Polizei und Geheimdiensten herbeigesehnte Überwachung der bisher von Ende zu Ende verschlüsselten Messenger und E-Mail-Programme weiterhin verschlüsselt lässt. Die Anbieter aber verpflichtet, alle Kommunikationsinhalte ihrer Nutzer automatisiert auf verdächtige Inhalte zu scannen. 

Was genau und wie, wissen nicht einmal die, die bisher im EU-Parlament saßen. Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei, der es nicht wieder nach Straßburg geschafft hat, vermutet, dass  "angepasste Formulierungen" eine Hintertür in die Postfächer der EU-Bürger öffnen sollen. Die Chefin des Messengers Signal hat den Rückzug ihrer Firma aus der EU angedroht, sollte App-Anbieter verpflichtet werden, ihre Apps so umzubauen, dass sie alle Inhalte automatisiert mitlesen. Die Kollegen von Threema nennen die Folgen "verheerend". Der Chaos Computer Club spricht von einem "Kuhhandel", der zu massenhafter anlassloser Überwachung führen werde.

Thema tiefgehängt

Aber es ist Fußball und das Thema schwierig genug, dass die "Tagesschau" gar keinen Anlass sieht, es wenigstens in schwerer Sprache zu erwähnen. Der letzte Beitrag beim ZDF lobt die Idee der Schaffung einer neuen Infrastruktur zur Massenüberwachung: "Könnte die EU künftig selbst automatisch die Chats aller ihrer Bürger durchsuchen, dürfte die Masse an kinderpornografischem Material an die Polizei deutlich ansteigen", heißt es da, "das bedeutet: Mehr Ermittlungsverfahren und voraussichtlich auch mehr Verurteilungen."

Wer wollte da noch dagegen sein? Wer könnte es verantworten, den Wunsch von Polizeibehörden und Geheimdiensten endlich zu erfüllen, auch dort hinzuschauen, wo sie bisher nicht mitlesen können? Was wiegt schon die geschützte Privatsphäre gegen Dunkelziffern, den Schutz von Kindern und den Missbrauch verschlüsselter Kommunikation durch Cyberkriminelle? Der Generalverdacht wäre zudem freiwillig: Nutzerin der EU sollen der Überwachung freiwillig zustimmen, allerdings freiwillig zustimmen müssen. Anderenfalls würde ihnen die Möglichkeit genommen, per Messenger oder E-Mail Bilder und Videos zu versenden.

Deutschlands Medien feiern an diesem Mittwoch den "Cybersicherheitstag". Die Bedrohung aus Russland, so heißt es, sei ungeheuerlich.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Bei Bolschewucken nimmt bekanntlich alles und jedes ständig zu: Die Schärfe der Klassenauseinandersetzungen, das Vertrauen zwischen Volk einerseits und Partei- und Staatsführung andererseits. Nicht zu vergessen, die Produktion und auch die Produktivität.
Warum sollte dann nicht auch Kinderpornoproduktion und pädosexuelle Notzucht ständig zunehmen.

Bevor ich mich weiter in Einzelheiten verliere: Bitte sich einmal schlau zu machen, was beim Ami, jedenfalls in einigen Staaten, Kindesmissbrauch/Sittlichkeitsvergehen/Kinderporno so alles ist - man ist platt wie eine Flunder. Die spinnen, die Amis.

Einen hab ich noch, einen hab ich noch: Man kann jedem Normalverbraucher bei Bedarf den übelsten Kram auf den Rechner packen, doch, das geht.

Fazit: Psychologisch gefickt eingeschädelt.

Anonym hat gesagt…

Spitzenkommentar! Unterschreib ich beidhändig.