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Will auch nach dem Eintritt ins gesetzliche Rentenalter noch einmal Verantwortung schultern: Ursula von der Leyen. Abb.: Kümram, Buntstift auf Buntpapier |
Sie haben es ja so gewollt. Mit ihrem beinahe geschlossenen Votum für ein "Weiterso", wie es die Europäische Volkspartei im Wahlkampf versprochen hatte, setzten die Wählerinnen und Wähler der 27 Mitgliedsstaaten der EU Anfang des Monats ein deutliches Zeichen: Ja, auch wenn Ursula von der Leyen nicht kandidiert hatte. Und ja, auch wenn die Bilanz der EU in den letzten 25 Jahren längst noch nicht alle Skeptiker und Kritiker überzeugt. Und ja, obwohl die 66-Jährige so unbeliebt ist, dass sie im Wahlkampf alle Marktplätze mied und sich nicht plakatieren ließ. Sie steht bereit. Und die Menschen wollen sie.
Die Eiserne Lady
Es bleibt dabei: Ursula von der Leyen, die vor neun Monaten das gesetzliche Rentenalter erreicht hat, soll auch weiterhin an der Spitze der Brüsseler Kommission stehen und dort für die Durchsetzung von Green Deal, Chips Act, Fit for 55, Renew EU, KI-Act und all den anderen hochfliegenden Plänen sorgen, die bisher nicht schneller vorankommen als die legendäre "Lissabon-Strategie", mit der ihr Vorvorvorgänger Manuel Barolo einst am Vorhaben scheiterte, Europa zum "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt" zu machen.
Die Wahlen haben gezeigt: Das Volk steht hinter der Frau aus Niedersachsen, deren Parteienfamilie erneut besser abschnitt als jede andere. Die Personaldecke in EU-Europa ist überdies denkbar dünn: Schon die Besetzung des Chefpostens bei der Nato, der stets einem Europäer zufällt, weil die Amerikaner das Militärbündnis bereits befehligen müssen, ließ sich nur stemmen, weil der niederländische Langzeit-Premierminister Mark Rutte von seinen Wählerinnen und Wählern un- und glücklicherweise gerade den Suhl vor die Tür gestellt bekommen hatte.
Alternativlos als ihre eigene Nachfolgerin
Ähnlich wie der Niederländer ist von der Leyen alternativlos als ihre eigene Nachfolgerin. Noch lange ist die Frau aus Niedersachsen mit Europa nicht fertig, zu viel ist in ihrer ersten Amtszeit unvollendet liegengeblieben. Vom Projekt Hera, mit dem sie die EU pandemieresilient machen wollte, war lange nichts mehr zu hören. Der mittlerweile schon um anderthalb Jahre verspätete Bau der Intel-Fabriken beim Magdeburg wartet weiterhin auf grünes Licht der Kommission für die benötigten zehn Subventionsmilliarden. Aus Angst vor den Landwirten räumte die EU im Wahlkampf die geplanten ehrgeizigen Umweltziele ab. Die Einführung einer gemeinsamen EU-Zeit, noch vom greisen Vorgänger Jean Claude Juncker versprochen, wurde ganz aufgegeben.
Eine Bilanz, die den Staats- und Regierungschefs bei ihrem Hinterzimmertreffen vor dem entscheidenden EU-Gipfel gar keine andere Wahl ließ, als auf den Ruf der Menschen draußen in den Mitgliedstaaten zu hören und der ehemaligen deutschen Familienministerin, die bis heute den Weltrekord für die meisten Ministerposten in den meisten Ressorts hält, den Weg zur zweiten Amtszeit zu ebnen. Ein "Machtpoker" (Spiegel), der auch als "wahre EU-Wahl" bezeichnet wird.
Keine Chance für den Mann mit der Brille
Wahlberechtigt sind 27 Staats- und Regierungschefs, sie haben die freie Auswahl aus genau einer Kandidatin. Sie müssen keine Rücksicht auf den"Spitzenkandidaten" der Sozialdemokraten und Sozialisten nehmen. Der Brillenträger Nicolas Schmit ist seit dem Wahltag ebenso komplett abgetaucht wie nach der letzten Wahl der aussortierte bärtige Wahlsieger Manfred Weber. Es fällt nicht auf, denn wieder sind Bart und Brille nicht Volkes Wille.
Die Bürgerinnen wie die Bürger wollen Ursula von der Leyen, streng, aber gerecht, eine Politikerin, die Europa per SMS regiert. Verglichen mit dem männlichen Mitbewerber aus Luxemburg ist wenigstens halbwegs bekannt. Verglichen mit den Anführern anderer Weltreiche blutjung. Und verglichen mit ihrem Vorgänger immer noch gut zu Fuß.
Doch obwohl jeder der Partner aus den zur Mehrheit notwendigen drei Blocks ein Stück vom Kuchen bekommt, ist der Ausgang der Abstimmung Ende Juli offen. 400 der inzwischen wieder auf 720 angewachsenen Zahl der Abgeordneten im größten teildemokratisch gewählten Parlament der Welt gehören zur Leyen-Allianz aus Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen. Mehr als 39 von ihnen dürfen sich nicht entscheiden, den Ruf der Völker zu ignorieren.