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Der ESC 2024 hat gezeigt, wie groß die Verachtung für Musik geworden ist. |
Ursprünglich soll es einmal um Musik gegangen sein bei diesem größten Sängertreffen der Welt. Frauen und Männer aus allerlei Ländern traten an, sich in Melodien zu messen, in Rhythmen und Takten und Versen und Reimen. Es regierte stets die leichte Muse, schlagerhafte Gassenhauer, heute über alle Kanäle gesendet, morgen schon in Rinnstein verendet. Dass beim European Song Contest, ehemals Grand Prix Eurovision de la Chanson genannt, wirkliche Stars das Licht der Welt erblickten, war selten. Dass die, denen es gelang, das Sprungbrett einer Millionenöffentlichkeit zu nutzen, aus ihrem kurzen Ruhm eine lange Karriere bastelten, die absolute Abbausnahme.
Der Tag, als die Musik starb
"The day the music died" (Don Mclean), an dem sich das Wettsingen von Liedern ohne jeden Belang in einen Wettbewerb zwischen professionell designten Weltanschauungskriegern verwandelte, ist in keinem Geschichtsbuch vermerkt.
Jüngere, die die trockenen und sachlichen Finalvorstellungen der Grand-Prix-Jahre nicht selbst erlebt haben, glauben heute vermutlich, der ESC sei schon immer ein Käfig voller Narren auf Klassenfahrt gewesen. Ältere, die aus Gründen des schlechten Geschmacks schon länger dabei sind, haben den Prozess der Verwandlung eines zur Sportveranstaltung verkrüppelten Schlagersingens so schleichend vonstattengehen sehen, dass ihnen der Augenblick nicht im Gedächtnis geblieben ist, als die - traditionell dürftige - Musik zur unerheblichen Nebensache wurde. Und ihre erschreckende Dumpfheit ganz hinter Klamauk, Kostüme und den übergrellen Glanz totpolierter TV-Theaterdarbietungen zurücktrat.
Die Klangkatastrophe
Fakt ist, dass der sogenannte "Eurovision Song Contest", eine Klangkatastrophe, die sich selbst als "größter Musikwettbewerb der Welt" bezeichnet, als prallbunte Hinrichtung von Stil, Geschmack und aller rebellischen Reste daherkommt, die noch irgendwo in der Popkultur schlummern könnten. Wer hier teilnimmt, gibt sein künstlerisches Gewissen bei den Blockwarten einer Stimmungsmusik ab, die allein aus Oberfläche und Inszenierung besteht. Während es bis heute als undurchführbar gilt, Architektur zu tanzen, tritt der ESC Jahr für Jahr den Beweis an, dass Musik auf Musik verzichten kann.
So wenig das bombastisch aufpolierte Pop-Spektakel mit Musik zu tun hat, so wenig hängt das Abschneiden der emsig um Diversität, richtige Botschaften und anerkannte "Zeichen". Getarnt als Geschmacksabstimmung wird nur vermeintlich über traurige Lieder, dem Klimaschutz hohnsprechende Kostüme und eifrige junge Leute geurteilt, die bereit sind, alles für ihre 15 Minuten Ruhm zu tun. Wo man so singt, da lässt sich freiwllig nur der Lobotomierte nieder.
A Place like home
Für deutsche Teilnehmer ist das A Place like home. Jahr für Jahr glänzen die Abgesandten der Marschpop-Nation noch schriller als der spiegelglatte Boden, den eifrige Minderlöhner zwischen allen Acts neu wienern müssen. Alle Versuche, nun auch noch im Schlechtsein besser sein wollen als der Rest der Welt, um sich dafür als leuchtendes Vorbild feiern lassen, führen zum Gegenteil, allen gesetzten Zeichen, ausgesendeten Signalen und geschwenkten Regenbogen-Fahnen zum Trotz.
Ob Deutschland mit einer Band kommt, die klingt wie eine Parodie, oder eine Sängerin entsendet, die nicht merkt, wie sie veräppelt wird. Es ist jedes Mal, als komme ein Nazi-Onkel zu Besuch, der stolz seine Piercings präsentiert, darauf verweist, dass er vorhabe, sich nach und nach am ganzen Körper schwarz tätowieren zu lassen und Bilder von der OP herumzeigt, bei der er sich seinen Penis hat abnehmen lassen, um nicht mehr nur als Onkel gelesen zu werden.
ESC ist, wenn alles doch so kommt wie immer. Singe, wem Gesang gegeben. Aber stimme, wie es im Ausweis steht. Beliebte Nationen fangen Votes mit Sympathie, nicht mit Noten. Unbeliebte können sich am Mikrofon krümmen wie sie wollen. Zero Points ist ihnen sicher. Deutschland landet dadurch immer ganz hinten, große, alte Popmusiknationen wie Spanien, Moldawien, Serbien und Griechenland, die den Blues erfunden und ein gewichtiges Wort bei seiner Weiterentwicklung zur Coldplay-Klangtapete gesprochen haben, ganz vorn.
Schämen muss sich niemand, der aus Deutschland kommt. Verglichen mit früheren Zeiten, als im Ausland selbst deutsche Militärkapellen kaum Begeisterung hervorriefen, geht es heute mit der offenen Ablehnung. Noch niemals hat das Publikum mit Eiern und faulen Äpfeln geworfen, wenn ein deutscher Act anhub zu singen. Immerhin. Wo 90 Prozent der künstlerischen Leistung Oberfläche,
Kostüme, Licht und Hinterteile, kommt es nicht auf Melodien und schon
gar nicht auf Originalität an. Wichtig ist die Klangtapete, meist aus
dem Coldplay-Soundbaukasten entliehen. Und die Solidarität der
Nachbarstaaten, auch bekannt als Zärtlichkeit der Völker.
Bundesamtliche Bedeutungshuberei
Das Datum liegt irgendwann in den zurückliegenden zehn Jahren. Immer mehr Bombast und immer mehr Pracht verbrüderten sich mit immer mehr bundesamtlicher Bedeutungshuberei, nationalistischen Träumen von der Rückkehr der Pop-Weltmacht Deutschland und Tsunamiwellen aus Krodokilstränen nach jeder neuen Schlappe vor Ohren und Augen der Welt. Der Mai mit dem Musikwettbewerb wurde zum Stolzmonat der gesamten Nation. Gebührenmillionen wurden in Siegchancen investiert. Sogar Zweifel an den europäischen Nachbarn, der Voten in der Regel als unfreundlicher Akt gewertet wurde, waren für eine Nacht gestattet.
Doch erst der spektakuläre ESC-Abend 2024 hat in aller Deutlichkeit gezeigt, wie groß die Verachtung für Musik, ja, für Kunst und Kultur insgesamt geworden ist, der der frühere "Songwettbewerb" eine Bühne gibt. 68 Jahre nach der Premiere, die Lys Assia aus der Schweiz mit dem unaufgeregten Lied "Refrain" gewann, ist nicht einmal mehr unter der gewienerten Oberfläche Platz für Lieder oder Musik. Nein, es geht um alles, nur nicht mehr um das, um das es ursprünglich gehen sollte. Und das gilt für die handelsübliche ESC-Ware aus Pathos, Peinlichkeit und geklauten Zitaten ebenso wie für originelle Ausbrüche aus dem normierten Humtatata des Fließband-Pop, wie sie in der Historie des ESC gelegentlich vorkamen.
Originell, grell und schrill
Mittlerweile aber ist alles nur noch originell, grell und schrill. Der "Eurovision Song Contest" ist in einen Laufsteg für Verhaltensauffällige verwandelt worden, die ihre aufgeschminkte Individualität zu Markte tragen. Der eine ist dies, die andere das, jeder ist ganz, ganz anders als alle und nur darauf kommt es noch an. Ein Einheitsbrei aus lauter traurigen kleinen Erbsen, die sich mit Hilfe eines Heeres aus Visagisten, Stilberatern und Kostümschneidern als Wunderblumen verkleiden.
Singen müsste hier niemand mehr, die industriell angefertigten Bühnenfiguren würde auch ohne einen Ton durchaus bewertbare Langeweile verbreiten. Denn keine der Schöpfungen von Managementfirmen, Songschreiberkollektiven und Produktionsprofis kommt einfach als Sängerin oder Sänger daher. Jeder wird vorher aufgeladen als Repräsentant: Für Queerness, Schwulness, Israel, Gaza, Frieden, Krieg, Liebe, Einheit, Klimaprotest und einen Globus aus Regenbogen.
Sammelsurium aus Symbolgestalten
Ein kunterbuntes Sammelsurium aus Symbolgestalten, denen eingeredet worden ist, dass ihnen das Vorzeigen ihrer Vorlieben, Defizite und Gebrechen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können, dient dem ESC-Publikum als Folie, auf der nicht mehr um das schönste Lied, sondern die mächtigste Ideologie gestritten wird. Sie demonstrieren und boykottieren, beschimpfen und bezichtigen sich, "Hass-Schreie, Pfiffe und Buhrufe" (DPA) ertönen im Saal.
Ein Tiefpunkt europäischer Gemeinsamkeit, der im Kreml für strahlende Gesichter sorgen wird. Ereignisse wie der ESC "sind Waffen zur Politisierung der Kunst", hat
der Bildhauer Wolf Vostell schon 1970 gewarntt, vier Jahre, ehe ABBA den Eurovision Song Contest gewann, der damals noch Grand Prix Eurovision
De La Chanson hieß und ein schweres Geschütz im kalten Krieg war, mit
dem der Westen auf die popkulturell öden Weiten des kommunistischen Osteuropas schoss.
Die eine Künstlerin wirft der anderen vor, Reklame für einen Genozid zu machen. Sie zeigt "auffälliges Gähnen, Schnarchgeräusche, rollende Augen". Vor der Tür hat die ikonische Lichtgestalt der ohne öffentliches Begräbnis verscharrten Klimabewegung Thema, Kostüm und Metier gewechselt. Greta Thunberg ist nun nicht mehr Pythia des Weltuntergangs, sondern antisemitische Mahnerin. Um den Hals trägt sie demonstrativ den Shemagh der Mörder vom 7. Oktober. Auch drinnen bekennt sich jeder mit dieser oder jener Flagge zu diesem oder jenem Land oder zu einer speziellen oder noch spezielleren Lebensart.
Verachtung für die Musik
Das Eigentliche, die Musik, erfährt nur noch Verachtung. Natürlich war der Eurovision Song Contest noch nie ein Ort, an dem es um bedeutungsvolle Kompositionen oder ernsthafte Songs ging. Künstler, die sich selbst für den neuen Bob Dylan, den nächsten Bono, für die Zukunft des Rock'n'Roll nach Bruce Springsteen oder auch nur für ernsthafte Anwärter auf die Nachfolge von Lindenberg, Grönemeyer oder Sven Regener halten, mieden jede Nähe zum Gipfeltreffen der Plastikpopper. Die vorgeführten Lieder ihrerseits waren außen immer glatt und innen vollkommen hohl. Jeder ernsthafte Künstler, der sich hier vorgestellt hätte, wäre beim sektseligen, fähnchenschwenkenden Fanvolk unweigerlich durchgefallen.
Nein, der millionenteuere, klimabelastende ESC-Wanderzirkus war - abgesehen von wenigen Ausnahmen - nie ein Ort für Lieder, die mehr als nur die Woche danach überstehen. Doch der zuletzt schon mit Botschaften und Parolen aufgeladene Wettbewerb zeigte sich 2024 erstmals bis in die allerletzte Faser durchpolitisiert. Singen auf einem ideologischen Schlachtfeld, auf dem nicht einmal mehr jemand mehr so tut, als gehe es um Musik, um Melodien oder stimmige Kompositionen. "Gevotet" wird strikt nach weltanschaulicher Nähe, der Sieger ist kein Sänger, sondern ein Zeichen. Zweifellos hätten die Juroren und das Publikum bei der Punktevergabe genauso viel Spaß, Wut und Protestlust entwickelt, wäre es um die Abstimmung über den am buntesten gezüchteten Papagei, den wolligsten Hasen oder den zahnlosesten Hund gegangen.
6 Kommentare:
Unsereiner hat ja keine Vorurteile, absolut null, und denkt sich '(Nendest) narkootikumidest ei tea me (küll) midagi' könnte man doch mal auf Youtube ansehen.
Genauso schockierend wie der Billigbeat sind die euphorischen Kommentare unter dem Video. Das reicht wieder für ein paar Jahre.
Einfach einmal die ach so gefälschten Protokolle lesen - und mit der schnöden Wirklichkeit abgleichen.
Wichtige mir noch unklare Frage. Wie groß ist der Pullermann von Teemu Keisteri?
Wer kann helfen?
Musste ich erst gurgeln, aber die Frage, wie groß sein Schniedel wäre, dünkt mich eher unwichtig.
Wichtiger hingegen die Frage, was einen - zwar im Rahmen seiner Möglichkeiten - durchaus nicht unbegabten Geist wie Hadmut dazu treibt, den lächerlichen Mulm zu 9/11 als gegeben anzunehmen.
Ich höre immer Genozid und Völkermord, aber betreffendes Volk wird immer mehr statt weniger. Muss inverse Logik sein.
@ vorletzter Anonym
Es gibt Wissensgebiete, auf denen Hadmut weit überdurchschnittlich begabt und gebildet ist, und es gibt solche, auf denen er keine, bei Gott: überhaupt keine Ahnung hat. Unabhängig davon ist er eine integre Persönlichkeit und mutig obendrein. Hätten wir nur mehr von solchen wertvollen Menschen!
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