Sonntag, 19. Mai 2024

Der Spalter: Klingbeil im Klassenkampf

Hinter vorgehaltener Hand nennt das politische Berlin ihn auch "Die Axt": Jetzt hat Lars Klingbeil mit einem Satz klargemacht, für wessen Grundrechte der Staat künftig noch eintreten wird - und für wessen nicht. Abb: Kaltnadelradierung auf Sperrholz, Kümran

Er ist einer der Jungen, einer aus der berühmten Generation Parteiarbeiter der deutschen Sozialdemokratie. Nie hat Lars Klingbeil etwas anderes getan, als sich im Parteiapparat nach oben zu arbeiten, dorthin, wo die dicken Trauben hängen und an den großen Rädern gedreht wird. Knapp 20 Jahre nach seinem Bundestagseinzug als Ersatzkandidat, Klingbeil hatte sich damals schon durch treuer Dienste in einem Abgeordnetenbüro und diversen Parteiformationen bewährt, ist er ganz oben angelangt.  

Kanzler für Morgen

Als einer von zwei Parteivorsitzenden hat der Mann aus Soltau den Marschallstab für ein künftige Kanzlerkandidatur im Tornister. Er ist der junge Mann neben der als zickig und kantig geltenden Saskia Esken. Er ist der sympathische und dynamische Part im Doppel, ein zu groß gewachsener Junge mit dem Lächeln eines Kleinkindes, dem ein Stapel Teller "Mama, ganz von alleine!" herunterfallen ist.

Seinem Namen Klingbeil - von Skeptikern in der Partei auch viel weniger verschwiemelt "die Axt"  genannt - hat der 46-jährige Funktionär jetzt aber unversehens mit einem Satz Ehre gemacht, den er in einer Aktuellen Stunde des Bundestags aussprach, offenbar, ohne vorher groß nachzudenken. "Niemand, der sich in unserem Land für die Demokratie engagiert, darf Angst um seine eigene Sicherheit haben", formulierte Lars Klingbeil am Rednerpult, wie mit offenem Hemdkragen und ohne Binder als echter Vertreter einer Arbeiterpartei verkleidet. 

Die Axt am Gemeinwesen

Auch Ricarda Lang fordert geteilte Rechte.
Eine Aussage, mit der der frühere Jungsozialist, schon mit Anfang 20 als Parteireferent mit ersten Funktionärserfahrungen, im Wortsinne die Axt an das Gemeinwesen legte: Wenn nur die, die "sich in unserem Land für die Demokratie engagieren" keine "Angst um ihre eigene Sicherheit haben" dürfen, was haben dann die zu befürchten, die dieses Engagement nicht oder nicht ausreichend nachweisen können? Sind Menschen, die einfach nur ihr privates Leben führen wollen, Freiwild für alle, die vorhaben, sie zu bedrohen, zu bedrängen, verbal oder sogar körperlich anzugreifen? Grünen-Chefin Ricarda Lang sprang ihm beherzt beiseite. "Schutz und Sicherheit für queere Menschen sind nicht verhandelbar", argumentiert sie. Die für alle anderen augenscheinlich aber schon.

Bis eben noch hatte das Grundgesetz die "Würde des Menschen" für unverletzlich erklärt und dabei keinen Unterschied gemacht zwischen Menschen, die "sich engagieren", und denen, die es nicht tun. Doch was genau das Grundgesetz meint, ändert sich häufig. Mal stört dies, mal muss das weg, mal wird hier etwas umformuliert.  

Hatte das Original noch 146 Artikel auf 47 Seiten mit 12.216 Wörtern, ist die Version von heute zwar einen Artikel kürzer, doch Dutzende von Änderungen des ursprünglichen Textes haben das ehemals kompakte Papier zu einem Regelwerk aufgebläht, das auf 86 Seiten 23.231 Wörter braucht, um alles Grundlegende festzuschreiben.

Mehr Änderungen als Originaltext

Nach 75 Jahren besteht die deutsche Verfassung damit aus beinahe mehr Änderungen als Originaltext - und selbst dessen verbliebene Reste unterliegen beständigen Interpretationsveränderungen, wie die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt deutlich gemacht hat. "Die Würde des Menschen ist unantastbar", schrieb sie bei X, "so steht’s im Grundgesetz." 

Gemeint sei "die Würde eines jeden Menschen, egal wen man liebt, egal wie man lebt, egal woher man kommt" (im Original ohne Kommata). Und das schließe zumindest seit geraumer Zeit auch die Rechte von Schwulen ein, von Frauen, Alleinerziehenden und anderen Gruppen, die zuvor jahrelang vom gleiche Grundgesetz verfassungsgemäß ausgegrenzt, marginalisiert und unterdrückt worden waren.

Für Lars Klingbeil eine Selbstverständlichkeit, dass jede Gesellschaft aus wenigstens zwei Klassen besteht, die - so sagen es die Lehren des Marxismus - miteinander im Kampf um die Herrschaft über die Produktionsmittel in der Gesellschaft ringen und dabei keine Gefangenen machen. 

Spalten, Teilen, Herrschen

"Wer nicht für uns ist, ist gegen uns", der erst von der SED, dann von US-Präsident George W. Bush verwendete Satz aus dem Lukas-Evangelium ("Denn wer nicht ist gegen uns, für uns ist.") wird bei Klingbeil zu einer Erwägung über den einen Typ Bürgerin und Bürger, "der sich in unserem Land für die Demokratie engagiert" und deshalb davor geschützt werden muss, "Angst um seine eigene Sicherheit zu haben". Und jene andere Sorte, die diesen Schutz nicht verdient hat, Grundgesetz, Grundrechte und  Verpflichtungen des Staates hin oder her.

Selten nur hat ein führender Politiker so tief in sein Staats- und Gesellschaftsverständnis schauen lassen wie Lars Klingbeil. "Die Axt" tut nicht einmal mehr so, als seien ihr gleiche Rechte für alle Bürgerinnen und Bürger wichtig. Klingbeil inszeniert sich lieber als großer Spalter, ein Mann, der beim Zerstören des gesellschaftlichen Zusammenhalts auf Taschenkeil und Fällhebel zurückgreift, die Säge an die Grundrechte legt und die verfassungsmäßigen Schutzpflichten des Staates für jeden Bürger jeder Gewalt gegenüber nur noch denen in Aussicht stellt, die "sich in unserem Land für die Demokratie engagieren".


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Kappler war aus Soltau und Klingbeil ist aus Soltau. Ist das nur Zufall?

ppq hat gesagt…

es gibt keine zufälle

Anonym hat gesagt…

Lukas 19.27