Das Selbstbestimmungsgesetz schafft im verengten Erziehungsraum für Eltern und andere Aufziehende neue Möglichkeiten. |
Es ist wie eine Seuche, eine schleichende Krankheit, die sich durch die Gesellschaft frisst, ohne dass die Opfer wie Grippefälle oder Straftäter ohne deutschen Pass erfasst werden. Immer mehr Eltern weigern sich mittlerweile, ihre Kinder überhaupt noch zu erziehen – zu wenige Möglichkeiten, Forderungen durchzusetzen, seien verblieben, klagen sie.
War es erst nur das Verbot der Ausübungen körperlicher Gewalt etwa des sogenannten "Hosenbodenstrammziehens" mit Handfeger oder Teppichklopfer, rutschte vor Jahren auch die sanfte Schelle mit der flachen Hand hinter Brandmauer der häuslichen Kriminalität. Unmittelbar darauf folgten auch Maßnahmen wie In-der-Ecke-Stehen oder das von Generationen gefürchtete Aufstehen-erst-nach-Aufessenund und der als "Kein runter, kein fern" bekannte Hausarrest mit Fernsehverbot.
Weitgehend ungestraft können Heranwachsende seitdem Eltern terrorisieren, denen kaum eine Handhabe bleibt. ihren Erziehungswillen gegen einen strafunmündigen Nachwuchs durchzusetzen, der seine rechtliche Stellung genau kennt und ihn nutzt, um sich vor jeder Verantwortung und Anstrengung zu drücken. Das Ergebnis sind "Tyrannenkinder" (Die Welt), die ihre Eltern an guten Tagen wie Kumpel behandeln und an schlechten wie Haussklaven.
Hart erziehende Mitte
Erwachsene, fest im Leben stehende Angehörige der hart arbeitenden Mitte verzweifeln in einer Situation, in der sie sich selbst als hilflos empfinden, alleingelassen von einem Staat, der ihnen das Heranziehen künftiger Steuerzahler überlässt, ihnen aber die Möglichkeit nimmt, die eigene Brut den eigenen Vorstellungen gemäß heranzuzüchten. Millionen stiller Hilferufe aber bleiben eben doch nicht ungehört bei einer Bundesregierung, die sich schon lange vorgenommen hat, besser hinzuhören und dorthin zu gehen, wo die Menschen hart daran zweifeln, dass "das alles gut ausgeht für sie - ob wir das hinkriegen mit dieser wohl größten industriellen Modernisierung seit mehr als 100 Jahren".
Nicht alles geht gleich, manches geht gar nicht, anderes nicht schnell genug voran oder komplett nach hinten los - doch mit dem großen Gleichstellungsgesetz, das am Freitag im Bundestag beschlossen worden ist, liefert die Ampel-Koalition Eltern und anderen Erziehungsberechtigten nun ein Handwerkszeug, mit dem sich viele Zwistigkeiten beheben lassen, die entstehen, wenn ein Kind zum Objekt elterlicher Erwartungen, Wünsche, Ziele, Vorstellungen oder Maßnahmen gemacht wird.
Das zarte Band des
Vertrauens
Statt durch Forderungen, Bitten und angedrohte Maßnahmen bei Zuwiderhandlungen das zarte Band des Vertrauens und der Verbundenheit zwischen Nachwuchs und Altvorderen zu riskieren, das offiziell und ein wenig sperrig als "Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag" (SBGG) bezeichnete neue Regelwerk sehr subtile Möglichkeiten, auf die Willensbildung Nachwachsender wirksam Einfluss zu nehmen, wie der Gesellschaftspsychologe Rüdiger Meierwald sagt.
Meierwald, studierte Anthropologiker und klinischer Sozialist, arbeitet bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) in Salzburg an der Entwicklung einer freiheitsgarantierender Würdewahrung in der Kindererziehung, die bei der GFF allerdings als "Willensweisung" bezeichnet wird. Als Mitentwickler dieses Konzept des sanften Drucks hat Rüdiger Meierwald stets die Botschaft an die politisch Verantwortlichen gesendet, dass eine Weigerung von Eltern, ihre Kinder zu erziehen, nicht der Weisheit letzter Schluss sein könne, weil auch die Schulen sich ja bereits weitgehend aus der Erziehung zurückgezogen hätten.
Smarte Zwangsmittel
"Wir als GFF haben deshalb schon immer gesagt, es braucht neue, aber vor allem smarte Zwangsmittel, um Kinder wieder im klassischen Sinne lenken und leiten zu können." Beziehungen auf Augenhöhe zwischen ungefestigten Heranwachsenden und völlig verunsicherten jungen Eltern hätten, das zeigten die Erfahrungen, die traditionelle Erziehung nicht ersetzen können. "Jeder macht dann nur, was er will, und keiner macht mit."
Umso höher schätzt Rüdiger Meierwald den Wert des neuen Selbstbestimmungsgesetzes auch über die Community der Transpersonen hinaus an. "Dass die Abgeordneten endlich grünes Licht für die unkomplizierte Änderung des Geschlechtseintrages gegeben haben, freut uns besonders, denn das war eine unserer zentralen Forderungen."
Wegfall der Begutachtung
Mit dem Wegfall der bisher unnötig kompliziert gestalteten Regelungen, nach denen sogar eine Begutachtung vorgeschrieben war, ehe das Geschlecht gewechselt werden konnte - eine Verwandlung, die die Pantoffelschnecke völlig unbürokratisch vollzieht, sobald ein männliches Exemplar von einem anderen männlichen Exemplar berührt wurde - bekämen Eltern nun eine Waffe in die Hand, die in der häuslichen Erziehung Wunder wirken könne.
"Bei allen unter 14 Jahren können Eltern die eine für den Geschlechtswechsel nötige Erklärung ja beim Standesamt einreichen." Für das Inkrafttreten der Änderung des Geschlechtseintrags gilt dann eine Drei-Monats-Frist. "Danach muss der kleine Noah Sport bei den Mädchen mitmachen und die kleine Emma schläft bei der Klassenfahrt in einem Jungszimmer."
Gegen Scham und Unsicherheit
Meierbach, selbst Vater von vier Jugendlichen, hält die Androhung, "Kinder, wenn das nicht aufhört, lassen wir euch transen" gerade in den formativen Jahren der früheren Teenagerzeit für hochwirksam. "Erfahrungsgemäß sind Kinder in diesen Jahren hochempfindlich, voller Scham und Unsicherheit, sie haben Angst vor dem anderen Geschlecht, wollen aber meist überhaupt nicht darüber sprechen." Innerfamiliäre Konflikte über die Einhaltung von Regeln, die in dieser Zeit des Zusammenlebens von Erwachsenen mit Jugendlichen oder sogar Unter-14-Jährigen immer wieder aufbrechen, könnten mit diesem einfachen Satz befriedet werden.
Und das immer wieder, wie Rüdiger Meierwald sagt: "Eine zahlenmäßige Begrenzung der Umwandlungsvorgänge ist nicht vorgesehen." Zwar solle es eine Sperrfrist von einem Jahr geben, erst danach wäre eine erneute Änderung im Sinne einer Rückkehr zum alten Geschlecht oder der Wechsel in ein drittes neues möglich.
Aufhebung des Übereilungsschutzes
"Aber dieser sogenannte Übereilungsschutz, den der Gesetzgeber vorgesehen hat, um eine vermeintliche Ernsthaftigkeit des Änderungswunsches sicherzustellen, ist bei Teenagern kaum bekannt und bei Kindern gar nicht." Eltern und andere Erziehungspersön*innen dürften also damit rechnen, dass die Eröffnung, dem Kind werde dessen selbstgefühlte Geschlechtszuordnung durch den berühmten Spechakt beim Standesamt entzogen, "einen nicht ungewissen erzieherischen Wert hat".
Für die Ausweitung der Möglichkeiten von Eltern und anderen Erzieungsberechtigten markiere das Selbstbestimmungsgesetz "einen Erfolg nach einem jahrzehntelangen Kampf für mehr Rechte", sagt Rüdiger Meierwald. Das Engagement gegen die Diskriminierung Erziehender müsse aber nun ohne Pause weitergehen, denn nun stehe die Aufgabe, die aufgeheizte Stimmung in der Gesellschaft wieder zu beruhigen. "Bestimmte Kreise haben in der zurückliegenden Debatte über das Gesetz gezielt gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geschürt", urteilt der Anthropolgiker. Es sei nun am Bundestag, durch weitergehende Verbesserungen im parlamentarischen Verfahren noch bestehende Hürden wie den Übereilungsschutz abzubauen.
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