Freitag, 19. April 2024

Bürgerrat gegen Billigstrom: Steigender Sinkflug

Eingelöste Wahlversprechen: Mit dem richtigen Zeitausschnitt gelang es dem ZDF zuletzt, einen drastischen Rückgang bei den Strompreisen nachzuweisen.

Man weiß es nicht genau. Ist teuer gut? Oder wäre billiger besser? Zum Jahrestag des deutschen Atomausstieges ist ein Streit zwischen den Fachpolitiker der Bundesregierung, den Redaktionen des Gemeinsinnfunks und oppositionellen Kritikern etwa aus dem Sachverständigenrat und Wirtschaftsverbänden. Die Gesellschaft zeigt sich ein weiteres Mal gespalten, in den Jubel über Robert Habecks Erfolgsmeldung, dass der "Strompreis auch nach dem Atomausstieg gefallen" sei, wollen nicht alle einstimmen. Stattdessen werden Zweifel daran geschürt, dass Wind und Sonne keine Rechnung schicken.

Gefühlter Sinkflug

Während das ZDF "Strompreise im Sinkflug - trotz Atomausstieges" ermitteln konnte und die gelernte Sozialarbeiterin Britta Haßelmann mit grüner Expertise errechnete, dass die Bilanz ein Jahr nach dem Atomausstieg "klar positiv" sei, weil "alle Zahlen zeigen: Die Strompreise sind gesunken und die Versorgung sicher und verlässlich", quengeln andere über eine "Tendenz nach oben", Belastungen für arme Haushalte und absehbar noch weiter steigende Preise. Nur weil Strom immer noch so teuer ist wie kaum irgendwo sonst auf der Welt und der Industriestrompreis weiterhin ein Versprechen, von dem so wenig die Rede ist wie vom Klimageld für die Bürgerinnen und Bürger, seien Zweifel am richtigen Kurs nicht angebracht.
 
Betrachte man nur den Zeitraum vom Höhepunkt der Energiekrise bis heute und nur den Preis für neu abgeschlossene Verträge, dann gebe es keine hohen Preise. "Auf dem Höhepunkt der Energiekrise im Herbst 2022 lag dieser Preis bei bis zu 70 Cent pro Kilowattstunde", hat die ZDF-Meisterwerkstatt für mediale Manipulation ermittelt. Derzeit seien es "im Schnitt 26,1 Cent beim günstigsten Anbieter".

Mehr als nur ein kleines Wunder

Das ist der Preis, den die Deutschen im Durchschnitt vor zwölf Jahren bezahlten - also mehr als nur ein kleines Wunder. Schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, dem deutschen Ausstieg aus russischem Erdgas und Kernenergie und dem Beginn der Transformation des Landeds zu einer rundum elektrisch angetriebenen Volkswirtschaft hatten die Preise für Elektroenergie bei über 29 Cent pro kWh gelegen, damals nach Berechnungen der Süddeutschen Zeitung "ein Rekordhoch". 
 
Mittlerweile zahlen Haushalte, die weniger als 2.500 Kilowattstunden verbrauchen, im Durchschnitt 45,36 Cent pro Kilowattstunde - deshalb dürfen nach einem Beschluss des Wächterrats Medienfreiheit beim Bundesblogampelamt (BBAA) im mecklenburgischen Warin werden aktuell bei Siegesmeldungen über hohe Preise ausschließlich Neukundenverträge betrachtet.

Wächterrat Medienfreiheit

Was aber ist dieser Wächterrat Medienfreiheit, abgekürzt WRM, eigentlich genau? Nun, dabei handelt es sich vereinfacht gesagt um einen der neuen Bürgerräte, die als Ergänzung und Erweiterung des umfangreichen Bundesbeauftragtenwesens (BBW) für ein sicheres Strompreiserlebnis ohne "Debatten ohne Schaum vor dem Mund" sorgen sollen, wie es Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, formuliert hat. Im WRM sind zufällig ausgewählte Menschen versammelt, die ihre Erlebnisse schildern, keinen Hehl aus ihrer Zufriedenheit mit den erreichten Fortschritten machen und zudem frei heraus Empfehlungen für eine klimaneutrale Zukunft aussprechen sollen.
 
Eine der ersten war der Vorschlag, Strom günstig zu machen, ohne ihn billig zu verramschen. Zu geringe Energiepreise, wie sie sich die USA, China oder Kanada leisten, aber auch die anderen EU-Mitgliedsstaaten, die im Durchschnitt bei knapp 32 Cent pro Kilowattstunde liegen, gefährdeten das Klima, weil sie zum Überverbrauch einlüden. Wie die Bundesregierung setzt auch der WRM nicht auf ein ausgeweitetes Angebot, um die Preise zu drücken, auf den Wegfall von Steuern und Abgaben, die den Großteil der Energiepreise ausmachen, oder auf die Fortführung der Preisbremsen. Sondern auf Gewöhnungseffekte in der Bevölkerung, flankiert mit tröstendem Zuspruch.
 
Die Nachricht, dass das Vergleichsportal Verivox ermittelt habe, dass der Strompreis heute "fast acht Cent" niedriger liege "als noch vor genau einem Jahr", helfe den Menschen, indem es all denen Erleichterung verspreche, die bereit seien, sich klaglos mit dem neuen Preisniveau abzufinden. Zudem helfe es, die Akzeptanz für die anstehenden unerlässlichen Investitionen in den Rückbau der fossilen Infrastruktur und den Aufbau neuer, zukunftszugewandten Netze zu erhöhen.



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