Freitag, 26. April 2024

Attacken auf den Atomausstieg: Kanzlerkandidat im Visier

Robert Habeck wusste von nichts, aber heute darf man im dankbar sein: Das atomgläubige Frankreich stöhnt unter explodierenden Strompreisen, in Deutschland wird alles immer billiger.

Oft ist es peinlich, wenn der Chef nicht weiß, was seine Mitarbeiter treiben. Manchmal führt das sogar dazu, dass Menschen das Vertrauen verlieren und am Format der Führungsfigur zweifeln. Diesmal aber hat Robert Habeck Glück: Er selbst ist es, den seine ehemals engsten Mitarbeiter ebenso hinters Licht geführt haben wie seine Ministerinnenkollegin Steffi Lemke. 

Wie die vom Magazin "Cicero" im Stil der RKI-Files mit klarer Zielrichtung der Verwendung als Munition für Regierungskritik freigeklagten Atomakten aus dem Bundesumweltwirtschaftsministerium zeigen, verbargen hochrangige Vertreter der zweiten Ebene in den beiden von den Grünen geführten Ministerien in den Tagen der finalen Entscheidung über den deutschen Atomausstieg wichtige Fakten und Tatsachen vor ihrem Minister und ihrer Ministerin. 

Robert Habeck als Hauptverantwortlicher sah sich später gezwungen, die Dokumente, die den Verdacht erhärten, "dass Deutschlands endgültiger Ausstieg aus der Atomkraft weniger auf den Einschätzungen von Fachleuten beruht, sondern das Produkt radikaler grüner Ideologen ist", aus Gründen der Staatsräson zurückzuhalten. Eine Offenlegung drohte Zweifel auszulösen, Verunsicherung zu schüren und das Handeln der Bundesregierung als getrieben von Wünsche und Illusionen zu diskreditieren.

Wieder keine Staatsaffäre

Was klingt wie eine Staatsaffäre, ist aber gerade deshalb gerade keine. Robert Habeck wusste von nichts, konnte den Gang der Dinge also auch nicht unzulässig oder aus ideologischen Gründen beeinflussen. Nicht zuletzt hierin dürfte der Grund dafür liegen, dass weder ARD noch ZDF das allenfalls lokal oder womöglich regional bedeutsame Ereignis zu einem Skandal aufbauschten, den mehrere privatkapitalistische Medienheuschrecken erkannt zu haben glaubten. 

Die ARD konzentriert sich richtigerweise auf die 50-prozentige Erhöhung der deutschen Wachstumsprognose. Das ZDF stellt Habecks bedeutsamen neuen Kanal beim spionageverdächtigen chinesischen Webportal TikTok vor. Die abendliche "Tagesschau" fiel diesmal besonders kurz aus: Nach 20 Minuten Schnellgericht im Bundestag wegen der AfD-Chinaspione, einem Stück zu einer Frauenhaus-Initiative der geschrumpften Linksgruppe (Original), einer fünfminüten Feierstunde für den neuen Bundeswehr-Veteranentag und die unumgängliche Rückkehr der Wehrpflicht war auch schon Zeit für das Wetter.

Sachlich betrachtet gibt es für demonstrative Aufregung aber auch keinen Grund. Patrick Graichen, der auch hinter dem Heizungsgesetz und dem Beschluss zum Rückbau der deutschen Gasnetze steckende Strippenzieher im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), ist bereits vor einem Jahr wegen "eines Fehlers zu viel" (Habeck) in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Auch von anderen Beteiligten an den Atomabsprachen per Mail, die darauf zielten, Zweifel an Sinn und Durchführbarkeit des Atomausstieges gar nicht erst aufkommen zu lassen, ist seitdem kaum etwas zu hören oder zu sehen gewesen. Niemand kennt diese Leute. Niemand hat je von ihnen gehört.

Habeck wusste nichts

Fakt ist: Robert Habeck wusste von nichts, er ahnte nicht, was vorging, er wurde von Leuten getäuscht, denen er vertraute. Dass der beliebte Grüne, dessen Buch "Die Flut - Tod am Deich" gerade als packender Thriller Furore in der ARD macht, trotzdem im Zentrum der Kritik steht, dürfte weniger mit seiner Rolle bei der Entscheidungsfindung über die Zukunft der Kernkraft weltweit zu tun haben als mit den in den vergangenen Tagen auf vielerlei Kanälen unumwunden angemeldeten Ansprüchen auf die kommende grüne Kanzlerkandidatur. 

Das gefällt vor allem den Rechten, Rechtsradikalen und Rechtsextremisten nicht, die ihre Felle davonschwimmen sehen und deshalb jetzt mit der durchsichtigen Kampagne gegen den kommenden Kanzlerkandidaten: Habeck soll entweder etwas gewusst haben und deshalb verantwortlich sein. Oder er habe nichts gewusst, also seinen Laden nicht im Griff gehabt. Gehen müsse er in beiden Fällen, so heißt es einmal mehr.

Routinierte Schubumkehr

Freilich sind die Grünen derartige Angriffe gewohnt. Fast schon routiniert lassen sie die Attacken ins Leere laufen. Habeck sei selbst "von seinen eigenen Leuten getäuscht" worden, ob Habeck oder Umweltministerin Steffi Lemke die Empfehlung von Fachleuten, die Laufzeit der Atomkraftwerke zu verlängern, jemals erhalten hätten, sei offen und auch bereits vom Ministerium dementiert worden

Länger schon steht ohnehin fest, dass alles supergut ausgegangen ist. Mag da auch getrickst worden sein, mögen Bürgerinnen und Bürger, ja, selbst hellwache Medienarbeiter und Koalitionspartner mit gefälschten Fakten und frei erfundenen Fachgutachten hinter die Fichte geführt worden sein. Es war zu ihrer aller Bestem. Und letztlich ein Wagnis mit großem Erfolg: Während der Strompreis zuletzt in Frankreich, das wider besseren Wissen und trotz aller Warnungen aus Berlin an der Atomkraft festhält, auf durchschnittlich 23 Cent pro Kilowattstunde explodiert ist, profitieren deutsche Stromkunden weiterhin von einem günstigen Durchschnittspreis von 41 Cent.

Wohl kaum ein Grund, dem dafür verantwortlichen Minister, der zudem lange vergeblich für einen Industriestrompreis gekämpft hat, um klimaschädliche Schwerindustrie im Land zu halten, gleich einen Rücktritt nahezulegen.

So lange Habeck keine pfiffigen Einkaufswagenchips auf Ministerschreibpapier bewirbt, ist alles in Ordnung.


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