Donnerstag, 25. April 2024

#allesdichtmachen: Der ungeheuerliche Aufstand der Mimen

 

Die Gemeinschaft hatte sie gepäppelt, ihnen Arbeit und Brot gegeben, Preise geschenkt und sie mit Orden behängt. Im Fernsehen war immer ein Platz für ihre Auftritte, die großen Magazine und Tageszeitungen hielten ihnen Spalten frei, wenn sie über ihre neuen großen Werke sprechen wollte. Ja, sie waren die Kulturschaffenden des ganzen Volkes, Frauen, Männer und Binäre aus der Bevölkerung, denen ein besonderes Talent zur Selbstdarstellung eignet. Sie tragen ihre Gefühle auf der Zunge, sie sagen ganze Drehbücher auswendig auf. Sie wissen nach Fernreisen zu exotischen Stätten des Untergangs vom Klima zu berichten. Und sie sitzen in Talkshows, um die letzten Fragen von "Krieg und Frieden" (Lew Tolstoi) zu beantworten.

Aufstand ohne Erlaubnis

Und dann dies, aus einmal. Wie aus heiterem Himmel hatte sich eine ganze Handvoll der besten Künstlerinnen und Künstler miteinander verschworen, um Zweifel zu wecken. Zweifel an der Pandemiestrategie der Regierung. Zweifel an den notwendigen Maßnahmen. Zweifel am Sinn, Zweifel am Zweck. Zweifel an der Richtigkeit. Am Lockdown. An den Heilsversprechen der Virologen. Am Gebet aus den Regierungsbüros, dass Deutschland besser als alle anderen, mindestens.  

#allesdichtmachen #niewiederaufmachen#lockdownfürimmer, solche bewusst provokanten Hashtags nutzten die Initiatoren der von keiner Regierungsinstitution genehmigten Protestkundgebung "Alles dicht machen" vor drei Jahren, um "zynisch Kritik an der deutschen Corona-Politik und den Medien" (Focus) zu üben. Die "verfassungsschutzrelevatne Delegitimierung des Staates" war noch nicht erfunden, wurde es aber in jenen Apriltagen des Jahres 2021, als eine Bande eigentlich als verlässlich geltender öffentlicher Gesichter unverhofft aus der Rolle fiel. 

Angebliche Alternativen

Ist vielleicht doch nicht alles so hervorragend gewesen? Sind die Maßnahmen überzogen, zu spät, womöglich falsch? Gäbe es unter Umständen sogar Alternativen zum Dauerlockdown? Mit Jan Josef Liefers, der in der Vergangenheit schon gelegentlich als Querkopf aufgefallen war, Ulrich Tukur, Volker Bruch, Meret Becker, Ulrike Folkerts, Richy Müller, Heike Makatsch und anderen ist beinahe das gesamte Fernsehballett aufmarschiert, um Bedenken anzumelden. 

Der Sänger und Tatort-Kommissar Liefers etwa meinte bemerkt haben zu müssen, dass Medien über Monate berichtet hätten wie Regierungsorgane. Ulrich Tukur versuchte, die Regierungsmaßnahmen sarkastisch infrage zu stellen. "Schließen Sie ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte und jeden Handelsplatz", forderte er, "nicht nur Theater, Cafés, Schulen, Fabriken, Buchhandlungen, Knopfläden nein, auch alle Lebensmittelläden, Wochenmärkte und vor allem auch all die Supermärkte."

Um Vergebung bitten

zynisch Kritik an der deutschen Corona-Politik und den Medien übe

Zum Glück zeigte sich in der auf diese unsympathische Art angestoßenen Diskussion schnell, wer wessen Geistes Kind war. "Kein Satireliebhaber hat etwas gegen kritische Sketche, sie gehören zu Kultur und Alltag dieser uralten Kunstform", hieß es bei ganz normalen Menschen draußen auf der Straße. Doch hier handelte es sich zweifelsfrei um eine "Verhöhnung der Corona-Toten!" wie das SPD-eigene Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) streng urteilte. Ja, wer hier mitmachte, der war "nicht mehr ganz dicht" (Die Zeit) und musste "zurückrudern" (Tagesspiegel). Buße tun. Sich zu seinem Irrtum bekennen. Und hoffen, dass ihm die Gesellschaft noch einmal vergibt.

Es ist jetzt, 1.000 Tage und eine ganze Aufarbeitungsdiskussion an einem Mittwochvormittag später, kaum noch zu begreifen, die Opfer der Pandemie den wildgewordenen Kunst- und Kulturschaffenden alles durchgehen ließen. Ja, natürlich, die Medien gingen streng mit ihnen ins Gericht. Als eine "Katastrophe für die Solidargemeinschaft" und "Unverschämtheit" brandmarkten ihre Mutigsten den Aufstand der Mimen. Applaus bekam, wer Reue zeigte

Eine namhafte Jury aus Staatskunstschaffenden wie Igor Levit, Jan Böhmermann, Christian Ulmen und Nora Tschirner verteilte Schulnoten: Wer heult gut mit den immer schrilleren Sirenen der Weltuntergangspropheten? Wer bockt und widerspricht? Igor Levit, ein später mit dem Bundesverdienstkreuz geehrter Medienklaviaturspieler, fand die passenden Bezichtigungen: Alles nur "schlechter, bornierter Schrumpfsarkasmus, der letztendlich bloß fader Zynismus ist, der niemandem hilft, nur spaltet".

Hilfreiches Versagen

Doch oh, felix germania! Letztlich war #allesdichtmachen auf diese Weise doch hilfreich. In einer schweren Zeit, in der alle an einem Strang hätten ziehen müssen, trennte sich hier die Spreu vom Weizen. Teilnehmer der Aktion, die stets gut gelebt im geschützten Biotop der Gemeinsinnsender, zeigten ihr wahres Gesicht. Nicht allen war es ein Bedürfnis, sich für jahrelange Gunst und sicheres Einkommen erkenntlich zu zeigen. Lieber schielten sie auf den Applaus deren, die für Unruhe sorgen wollten. Ja, das machte die "bizarre Kampagne gegen Medien und Bundesregierung" deutlich, bis zur Herstellung einer unteilbaren Einheitlichkeit aller Meinungen war noch ein Ende zu gehen.

Heute ist die Gesellschaft auf diesem Weg ein ganzes Stückchen weiter, die Frage nach der politischen Zuverlässigkeit von Beteiligten an allem, sie steht permanent und sie wird unterbrechungsfrei beantwortet. Niemand muss mehr absichtlich aus der Reihe treten, um seinen Unwillen zu demonstrieren, weil die zuständigen Organe bei entsprechenden Hinweisen heute schon lange vor dem Übertreten der Strafbarkeitsgrenze wegen einer Gefährderansprache proaktiv auf ihn zukommen.

Neue Satirerichtlinien, unmittelbar nach der Attacke von Allesdichtmachen beschlossen, verhindern humoresk getarnte Übergriffe. Hohn schließlich, zuletzt immer wieder missbraucht, um staatsfeindliche Kritik zu verbrämen, ist erst jüngst mit dem 12. Maßnahmepaket für die Bedrohung der Demokratie als feindliche Waffe unter Beobachtung gestellt worden.


2 Kommentare:

Arminius hat gesagt…

Warum hat damals eigentlich niemand die Todesstrafe gefordert? In vergleichbaren poltitischen Systemen wäre das doch der adäquate Umgang mit Dissidenten dieses Kalibers gewesen.

Anonym hat gesagt…

#allesmitläufer