Propaganda lässt sich wie eine Wagenburg nur im Zusammenhang erkennen, nicht anhand eines einzelnen Wagens. |
Schon wieder eine neue Ära, diesmal eine der Propaganda. Sieben Jahre nach der Erkenntnis, dass das Böse gnadenlos und mit allen Mitteln um die Vorherrschaft kämpft, mit Fake News und Halbwahrheiten, mit Verschweigen und mazedonischem Spam, hat das frühere Nachrichtenmagazin "Spiegel" gerade noch rechtzeitig vor dem heißen Start ins Superwahljahr dies- und jenseits des Atlantik aufgedeckt, dass die Propaganda "zurück" (Spiegel) ist: Was "nach Weimar und Kaltem Krieg" und "nach längst vergangenen Zeiten" klinge, sei tatsächlich Fakt. Propaganda, um das Jahr 1600 im Auftrag von Papst Gregor XV. in Rom erfunden, um den rechten Glauben zu verbreiten, ist wieder da. Schröcklicher denn je.
Propagandageschenke
Ein vollkommen unerwarteter Schock, der "Politik und unsere Gesellschaft verändert", wie das Magazin analysiert. "Höchste Zeit" sei es nun, sich "einzugestehen, dass nichts mehr ist, wie es einmal war". Interviews werden nun nicht mehr geführt, damit Sänger ihre neue CD, Schriftsteller ihr neues Buch oder Politiker neue strenge Maßnahmen in die Kamera halten können. Sondern weil Interviewer wie der amerikanische Talkshow-Papst Tucker Carlson Interviewten wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein "Propagandageschenk" machen wollen. Millionen Empfänger findet diese Art ungefilterte Verbreitung von O-Tönen. In einer zweiten Welle wird dann jeder spitze Satz von Nachrichtenagenturen weiterverbreitet. Und von allen seriösen Abspielstationen übernommen.
Aus Sollen, Wollen und für die Zukunft versprechen werden haltbare Fakten, aus Zungenschlägen, die Wunschcharakter tragen, Mitteilungen mit Informationswert. Ob die Ankündigung der Auszahlung eines "Klimageldes", ein geplantes zweites Wirtschaftswunder, die Einführung eines Industriestrompreises oder eine allgemeine Impfpflicht: In der Propaganda haben stets die großen Verkündigungen den meisten Erfolg. Eine praktische Umsetzung muss genauso wenig stattfinden, wie entscheidungsrelevante Fakten einen Bezug zur Realität aufweisen müssen.
Propagandisten sind rechts
Glücklicherweise beschränkt sich der aktuelle Missbrauch von Propagandatechniken aber auf ein Nutzerspektrum, das nach den Recherchen des "Spiegel" klar umrissen ist. Carlson und Putin, Trump, Höcke und zahllose andere Vertreter rechtsextremistischer Angriffe auf die Demokratie greifen zum Handwerkszeug der Hitlers, Goebbels, Honeckers und Schabowskis. Die andere Seite aber, die sich Wahrheit und Klarheit verpflichtet fühlt, kämpft mit Aufrichtigkeit, Faktenchecks und tiefgründigen Erläuterungen aller tatsächlichen Umstände darum, die Bevölkerung umfassend zu informieren und ihr so die Möglichkeit zu geben, selbst ein Urteil zu fällen.
Die Waffen in dieser Schlacht sind ungleich verteilt. Medien wie der "Spiegel" halten trotzig fest an journalistischen Grundsätzen wie dem, immer auch die andere Seite, zu hören, außer es geht um Diktatoren, Rechtsextreme, Schwurbler, Querdenker oder Rammstein. Sie stehen damit im Kampf gegen einen ganzen "Propagandaapparat mit unzähligen Akteuren auf unterschiedlichen Kontinenten und in unterschiedlichsten Funktionen", der mit Tweets arbeitet, mit TikTok-Videos und Facebook-Memes. Vor aller Augen, schreibt "Spiegel"-Experte Jonas Schaible selbst, "formen sie eine neue Wirklichkeit: die Allgegenwart der Propaganda".
Ein plötzliches Comeback
Ein selbstkritisches Eingeständnis, denn "Propaganda klingt wie ein Wort aus dem Geschichtsbuch, wie ein Phänomen aus einer anderen Epoche". Politische Beeinflussungsversuche waren nach "Spiegel"-Erkenntnissen über Jahre vollkommen aus der Öffentlichkeit verschwunden, nun aber sind sie doch "immer noch da". Selbst in Hamburg "kann man ihnen begegnen, muss man ihnen ausweichen, erliegt man ihnen womöglich".
Auf TikTok sei sie sowieso zu beobachten, viele laufe "gut sichtbar ab", vor aller Augen: "Private Scharniermedien", auch "privatkapitalistische Medienheuschrecken" genannt, schaffen ein "Grundrauschen". Die Behauptung, es gehe um die Herstellung wirklich freier Öffentlichkeit, tarnt die Absicht, die zum Umgang mit der neuen Medienwirklichkeit unfähige demokratische Öffentlichkeit mit Inhalten unterhalb der Strafbarkeitsschwelle zu beeinflussen.
Was gegen diese Propagandaoffensive hilft, ist allerdings ein überaus glücklicher Umstand. Obwohl der "Spiegel" gewohnt kritisch in die Tiefe recherchiert hat, konnten keinerlei Hinweise darauf gefunden werden, dass mehr als eine Seite Werkzeuge aus dem Propaganda-Lehrbuch nutzt. Verschwiegen und gelogen wird ausschließlich von rechts. Im demokratischen Bereich gibt es keine Lügen, Halbwahrheiten, keine geschickten Erzählungen, Zuspitzungen und Vereinfachungen, Formen der Überzeugung, Meinungsmache und gezielte Öffentlichkeitsarbeit mit Hilfe von Bots
und Sockenpuppen.
Sockenpuppen und Bots
So schlimm die Lage ist, so tröstlich ist diese Erkenntnis. Sie vereinfacht das Erkennen von schädlichen Inhalten aus der Propagandaküche beträchtlich und ermöglicht es, "die Mächtigen an ihren Aussagen und ihre Aussagen und Taten an der Wirklichkeit zu messen", indem der Widerspruch von Kritikastern, Quenglern und Quertreibern nach dem Herkunftsprinzip aus der Debatte ausgeschlossen wird. Jemand, der nicht zugeben wolle, dass der politische Gegner recht habe, enttarne sich selbst als Propagandist, wer die Glaubwürdigkeit von Kritik infragestelle, keine Fehler eingestehe, stattdessen alles umdrehe, ablenke und verschleiere, für den gelte dasselbe.
Wenn Propagandisten "mit Kritik konfrontiert werden, streiten sie alles ab", fasst Jonas Schaible zusammen. "Oder sie streiten alles ab und erklären zugleich, dass gar nicht schlimm sei, was man ihnen vorwerfe." Oft gehen sie zum Gegenangriff übe und stellen die Glaubwürdigkeit der Kritik infrage. Propaganda sei hermetisch, eine Gefahr für die Gesellschaft, aber dank aufklärender Beiträge wie dem im "Spiegel" erkenne man sie "nicht in einer einzelnen kommunikativen Handlung", aber im großen Zusammenhang. "So, wie man eine Wagenburg nicht an einem Wagen erkennt, sondern nur im Ganzen."
4 Kommentare:
Schaible:
Buchautor »Demokratie im Feuer. Warum wir die Freiheit nur bewahren, wenn wir das Klima retten – und umgekehrt«
Klimaleugner sind Demokratie- und Freiheitsfeinde? Jawoll!
Schaible:
Aber auch jene, die ab und an lügen oder verschleiern oder rabulistisch um Debattensiege kämpfen, räumen zu anderen Zeitpunkten Verfehlungen ein. Sie zeigen ab und an Unsicherheit. Sie zweifeln. Sie stellen sich infrage und entwickeln sich weiter.
Sie sagen nicht immer, aber manchmal Sätze wie: Das stimmt, was mein Mitbewerber sagt. Das habe ich so nicht gesehen. Da habe ich mich getäuscht. Da habe ich einen Fehler gemacht.
Näher als das kommt Schaible dem Thema Relotius nicht.
>> , das die Propaganda "zurück" (Spiegel ist: Was "nach Weimar und Kaltem Krieg" und "nach längst vergangenen Zeiten" klinge, sei tatsächlich Fakt. Propaganda, um das Jahr 1600 im Auftrag von Papst Gregor XV. in Rom erfunden, um den rechten Glauben zu verbreiten, ist zurück.
Das ist in der Eile des Termindrucks zu gequarktem Deutsch geronnen.
der druckfehlertäufel!
OT
>> Kulturhistoriker 25. März 2024 at 16:09
Waru fällt mir in diesem Zusammenhang das Jahr 1936 ein? <<
Wei du ein Aaschloch bist.
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