Mittwoch, 13. März 2024

Einheitswippe auf der Kippe: Liegender Leuchturm

Eines Tages wird keine Klassenfahrt mehr an der Wippe vorbeikommen.

Im sächsischen Leipzig bauen sie eine eher gestreckte Variante, die Freiheit und Einheit zugleich ehren soll. Im nahegelegenen Halle wird mit dem Zukunftszentrum Deutsche Einheit und europäische Transformation ein nach oben ausgestreckter Elfenbeinturm errichtet, der künftig Millionen Besucher anziehen wird. Doch das wahre deutsche Mahnmal für den Anschluss der Ostgebiete an das Vaterland kann nur in Berlin stehen, der nur knapp zur Hauptstadt gewählten Mauermetropole, die wie keine andere Stadt weltweit bis heute geteilt ist: Im Westteil haben die Demokraten die Oberhoheit. Im Osten aber ist etwas im Rutschen.

Langfristiges Leuchtturmprojekt

Ein Leuchtturmprojekt wie das vor 20 Jahren erstmals angedachte Einheitsdenkmal vor dem Berliner Stadtschloss könnte hier heilen, alte und neue, unsichtbare Gräben zuschütten und ein Zeichen setzen für die "Bevölkerung", der im Deutschen Bundestag nur mit einem Mahnmal im Innenhof gedacht wird. 2007 beschloss der Bundestag den Bau in feierlicher Atmosphäre. Die sagenhafte friedliche Revolution und der Zusammenbruch der tragenden Mauer des kalten Krieges würde mit einem Monument gewürdigt werden, das nur zehn Millionen Euro kosten würde, zahllose kommende Generationen aber dennoch daran erinnern würde, dass die Einheit so teuer erkauft war, dass SPD und Grüne ihren von Ostdeutschen und Konservativen lautstark geforderten Vollzug mit Rücksicht auf die Haushaltslage energisch ablehnten.

Nicht einmal die große "amerikanische" (Peer Steinbrück) Finanzkrise, die vor allem deutsche Staatsbanken reihenweise umkippen ließ, konnte die Baumeister irritieren. 2009 lobte die damalige Bundesregierung einen internationalen Wettbewerb aus, der Kulturschaffende in aller Welt aufforderte, den Zusammenbruch des Kommunismus im Osten, das Verlangen der Ostdeutschen nach Marktwirtschaft, Freizügigkeit und Wohlstand und das dann doch noch erreichte Einlenken der deutschen Sozialdemokratie als monumentales Werk zu gestalten. Eine Fachjury sichtete mehr als 500 Vorschläge, ohne sich auf eine Entscheidung einigen zu können.

Erster Anlauf ergebnislos

Das Verfahren endet ergebnislos. Doch schon vier Monate später - es sind verrückte Zeiten, in denen Verwaltungsentscheidungen rasend schnell vonstattengehen - startet der nächste Wettbewerb. Diesmal kommen nur noch 386 Entwürfe, aus denen die Jury zweieinhalb Dutzend als womöglich brauchbar auswählt. Ein Zuschlag fällt nicht, dafür aber gibt es drei Preise und zwei Anerkennungen, nur verbessern müssen alle Preisträger ihre Entwürfe noch. 

Vier Jahre nach dem historischen Bundestagsbeschluss, es ist 2011, das Jahr von Arabischem Frühling, Fukushima und der Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland, votiert das Bundeskabinett für eine Skulptur des Büros Milla und Partner. Deren 50 Meter lange Halbschale aus Klimametall sollen Berliner und ihre Gäste bald zu Fuß erobern dürfen. Ein begehbares Objekt, das keine Schulklasse auf Klassenfahrt auslassen wird.

Kraft des Volkes

Die Kraft des Volkes, das das Gleichgewicht in der Gesellschaft immer wieder neu aushandelt, gegossen in ein Bildnis, das Deutschlands neuer Größe angemessen scheint. Es beginnt nun die Phase der Umsetzung des Monumentalwerks, wenn auch nicht unverzüglich und sofort. Kritik kommt auf, Bedenken und Angst: Ist es sicher. Kann etwas ins Rutschen kommen? 

Der Denkmal- und Unfallschutz sind ein Thema und als Ersatz für einen Neubau bringen  Verfechter des Historischen das Brandenburger Tor ins Spiel, das letztlich ja bereits genug Symbol sei für alles. 2015 ergeht dennoch die Baugenehmigung, allerdings hat sich der kalkulierte Baupreis nun auf 17 Millionen Euro um 70 Prozent erhöht. Verglichen mit anderen Projekten in der Stadt, die einst "Welthauptstadt" werden sollte, ist das Kleingeld. 

Hürden für die Wippe

Als wahre Hürde entpuppen sich nun auch Denkmal- und Naturschutz. Fledermäuse tauchen am Bauplatz auf und mit ihnen die Furcht, sie könnten von der fertigen Wippe vertrieben werden. Im Bundestag, es ist derzeit der dritte damit befasste, bleibt der Wille dennoch stark: Geld wird noch nicht zur Verfügung gestellt. Aber die vierte mit dem Bau befasste Regierung schreibt die Wippe in ihrem Koalitionsvertrag fest. Hat aber nicht mit den Altlasten gerechnet. Kostbare Bodenmosaike an der Baustelle drohen zum Opfer des Gedenkens an die Heldentaten der Ostdeutschen zu werden.  Der Regisseur Christoph Lauenstein nutzt die Gelegenheit, um Urheberrechtsansprüche anzumelden: Schon  1989 habe er eine Wippe in einem Kurzfilm gezeigt. 

Das wirkt: Die erfolgreich umgesiedelten Fledermäuse haben die Verzögerung genutzt, um zurückzukehren. Die Stadt Berlin, ohnehin schlechtgelaunt, weil sie inzwischen der Ansicht ist, dem Bund das Baugrundstück zu günstig überlassen zu haben, erlässt strenge Natur- und Artenschutzauflagen, die nicht unmöglich einzuhalten sind, aber nur mit Hilfe von viel mehr Geld.  2019 erhebt der Naturschutzbund Klage. Erst 13 Jahre nach dem Baubeschluss entsteht westdeutschen Stemwede die Stahlkonstruktion für die Ostwippe, an der der Osten nicht einmal wie sonst als verlängerte Werkbank mitwirken darf.

Am Ende ein unglücklicher Zufall

2021 meldet die Baufirma die Fertigstellung des Sockels. Fest steht damit, dass in zwei Jahren, zum 16. Jahrestag des Baubeschlusses, alles fertig sein wird. Ganz knapp geht das dann doch daneben. Dafür aber wird es noch mal teurer. Corona. Lieferketten. Inflation. Fachkräftemangel. Irgendwas mit 20 Millionen könnte aber reichen, wäre nicht nun auch noch das Stahlbauunternehmen Heinrich Rohlfing in die Insolvenz gerutscht - ein unglücklicher Zufall nach 92 Jahren Firmengeschichte, in der das Unternehmen einen Krieg und etliche Krisen überstanden hatte, ohne das Stahlbauen einzustellen.  

Dieses Jahr wird es nun nichts mehr, vielleicht aber kommendes. Das nächste runde Jubiläum, bei dem gewippt werden muss, ist erfreulicherweise erst 2029. Reichlich Luft für das berühmte Deutschlandtempo.



1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Emil Nolde: "Ick will di man seggen, wat dat is, min Jung. Dat is Schiet!"