Da war die Welt noch in Ordnung: Zuverlässig aller paar Jahre beruhigte die EU-Kommission die aufgeregte Debatte um den Zustrom mit einem Zehn-Punkte-Plan. |
Früher waren Zehn-Punkte-Pläne das probate Mittel jedes anständigen Politiker, um drängende Probleme auf die lange Bank zu schieben. Neuerdings aber hagelt es 12, 13-, 14- und 26-Punkte-Pläne. Es ist Anarchie ausgebrochen. Können sie in Berlin nicht mehr rechnen oder wissen sie nicht mehr, was zählt? Eine Spurensuche am Totenbett einer beliebten Tradition.
Da kommt was ins Rutschen, da gerät etwas aus der Bahn. Über viele Jahre galt der "Zehn-Punkte-Plan“ als letzter Rettungsstrohhalm in Augenblicken großer Anspannung in der Politik. Wenn führende und führendste Politiktreibende nicht mehr weiter wussten, griffen sie beherzt zu dieser scharfen, endgültigen Waffe: Ein Zehn-Punkte-Plan für dieses oder gegen jenes wurde ausgerufen, im Politikdeutsch "vorgestellt". Die vorgeladenen Medien regieren in der Regel hellauf begeistert. Anschließend dann ist das Thema unmittelbar vom Tisch. Die besten Zehn-Punkte-Pläne haben das Vermögen, radikal aufzuräumen mit Problemen, ohne dass irgendetwas anderes geschehen muss als die Planarbeit.
Ein magisches Mittel
Nun aber scheint das "magisches Mittel für und gegen alles", dessen Wirkungsmacht der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl nur 19 Tage nach dem Mauerfall entdeckte, als er seinen Zehn-Punkte-Plan zur Wiedervereinigung vorlegte, seinen Zauber zu verlieren. Nicht nur ein Stück politische Kultur, sondern auch ein wichtiges Erziehungs- und Befriedungsmittel droht verloren zu gehen, zerrieben von Nichtachtung, mangelndem Respekt vor Traditionen und dem offenkundigen Bedürfnis, bewährtes über Bord zu werfen, um sich Liebkind zu machen bei einer Blase aus Denkmalstürmern, Delegitimierern der bewährten Ordnung und Menschen, die als selbstbewusst als Staatsverhöhner auftreten.
Nichts ist mehr genug, es braucht immer mehr, mehr und noch mehr, so zumindest sieht es die amtierende Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die Sozialdemokratin, nach ihrer Wahlniederlage in Hessen ohne Aussicht auf eine Anschlussverwendung nach 2025, wäre als Verfassungsministerin eigentlich verpflichtet, Grundregeln des politischen Nahkampfes einzuhalten.
Absetzbewegungen von Faeser
Dennoch trat die 55-jährige gelernte Juristin jetzt mit einem sogenannten "13-Punkte-Plan" gegen Rechts vor die Öffentlichkeit - eine demonstrative Abkehr von den guten politischen Sitten, bezog sich doch Faeser ausdrücklich auf einen Plan aus ihrem eigenen Haus vom November vergangenen Jahres, der damals noch rechtskonform als "Zehn-Punkte-Plan" gegen die immer noch größte Bedrohung der Allgemeinheit Front machte, den nach dem Hamas-Überfall auf Israel grassierenden Rechtsextremismus.
Keine zehn Punkte, sondern 13, damit stellt sich Nancy Faeser demonstrativ auch gegen die Europäische Gemeinschaft. Deren Vorsitzende Ursula von der Leyen hatte zuletzt mit Nachdruck signalisiert, dass sie den guten alten Zehn-Punkte-Plan noch immer jeder aktiven Politik vorzieht. Im herbst erst hatte die EU ihren "Zehn-Punkte-Plan zur Migration" von 2015, den sie 2017 als "Zehn-Punkte-Plan für die Eindämmung der Migration" noch einmal vorgestellt hatte, als funkelnagelneuen "Zehn-Punkte-Plan gegen illegale Migration" neu vorgelegt - eine grandiose Idee, die so erfolgreich war, dass die Migrationsfrage seitdem kaum mehr eine Rolle in der öffentlichen Debatte spielt.
Zahlen aus den Fugen
Doch ungeachtet dieses imponierenden Beispiels für die ungebrochene Funktionsfähigkeit des Zehn-Punkte-Konzepts geht die tatsächliche Zahl der Zehn-Punkte-Pläne bereits seit längerer Zeit zurück. Die Welt, sie gerät auch diesbezüglich aus den Fugen. Es regieren Willkür und Beliebigkeit, Voluntarismus und eine Verachtung der Wissenschaft, die immer wieder bestätigt hat, dass ein Zehn-Punkte-Plan das Optimum an Wirkung aus öffentlich bekundeten Absichten herauszuholen verspricht, selbst wenn nie eine Absicht besteht, auch nur einen einzigen Punkt umzusetzen.
Die großen Tage der Zehn-Punkte-Pläne
Vorbei die Tage, als ein Zehn-Punkte-Plan gegen Crystal in Sachsen parallel zum Zehn-Punkte-Plan der CDU "für den Wachstumsmotor", Sigmar Gabriels Zehn-Punkte-Plan für die Energiewende, dem Zehn-Punkte-Plan gegen sexuellen Missbrauch, einem zur Antibiotikareduktion, einem anderen gegen Fluglärm, einem weiteren - von Bund und Ländern gemeinsam getragen - gegen Pferdefleisch-Betrug zusammen den Zehn-Punkte-Plan der EU zur Abmilderung der Folgen der Wirtschaftskrise flankierten. Während die Familienministerin mit einem Zehn-Punkte-Plan zum Kita-Ausbau Furore machte und die Bundesnetzagentur einen Zehn-Punkte-Plan gegen steigende Strompreise verabschiedete, der damals Teil eines großen "Maßnahmepakets" (®© BWHF 1995) des unvergessenen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück war.
Als würden nicht all diese erfolgreichen Zehn-Punkte-Pläne bis hin zu dem gegen Rassismus von 2012 und dem zur Energiewende, den der so erfolgreich agierende Bundesumweltminister Peter Altmaier hatte verkünden lassen, für sich die Gestaltungsmacht sprechen, die Zehn-Punkte-Plänen von jeher innewohnt, wendet sich das politische Berlin ab von der Erfolgsformel, die Deutschland groß und zur führendsten Signalfabrik der Welt gemacht hat.
SPD als Abrissbirne
Gerade die deutsche Sozialdemokratie spielt dabei die unrühmliche Rolle der Abrissbirne: Vor fünf Jahren buhlte die damals noch von der glücklosen Andreas Nahles geführte Partei mit einem Zwölf-Punkte-Plan unter dem Titel "Jetzt ist unsere Zeit: Aufarbeitung, Anerkennung und Aufbruch" um Wähler in Ostdeutschland - ein bewusster Bruch mit der Zehn-Punkte-Tradition wie schon zuvor der Fünf-Punkte-Plan zur Beendigung der Zustromkrise von 2018. Beide Versuche, planmäßig von Problemen abzulenken, scheiterten.
Aber das learning im politischen Berlin und insbesondere in der deutschen Sozialdemokratie ist dünn. Bereits im September letzten Jahres hatte die SPD Bauministerin Klara Geywitz einen umfassenden "14-Punkte-Plan" für den Wohnungsbau, die Baubranche und die Immobilienwirtschaft entwickelt, im Oktober dann folgte die CDU mit einem "26-Punkte-Plan" zur Migrationsfrage, nachgekartet wurde im - Februar mit einem "Zwölf-Punkte-Plan", diesmal zur Stärkung des Wachstums und zuletzt griff die Anarchie mit ihren kalten Fingern nach ganz Europa und der französische Wirtschaftsminister Bruno LeMaire schockte Freund und Feind mit der Ankündigung eines 14-Punkte-Planes zu einem Vereinfachungsentwurf.
14 Punkte, zwölf Punkte, 13 Punkte oder gar 26 Punkte. Vor allem älteren und nicht so gut gebildeten Menschen fällt es zunehmend schwer, das alles noch zu verstehen. Statt die Bürgerinnen und Bürger dort abzuholen, wo sie aus alter Gewohnheit stehen, und auf Zehn-Punkte-Pläne warten, gefällt es Politikerinnen wie Faeser, Geywitz, Merz und Scholz, sie gezielt mit Zahlensalat zu brüskieren, um aus der Verwirrung politischen Profit zu schlagen.
3 Kommentare:
Analog dem WirtschaftsChancenGesetz hat die Ampel auch noch das LottoChancenGesetz in der Pipeline. "Mehr Lotto vom Brutto", so lautet der Claim der Bundesregierung. Konkret können pauschal 100 EUR für Lottogebühren pro Haushalt in der Steuererklärung geltend gemacht werden. Und wer kein Glück hat ? Alles, aber auch wirklich alles wurde getan, um dem Bürger ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen.
Hass und Hohn sind ja jetzt verboten. Wie ist es eigentlich mit Verachtung, ist die noch erlaubt?
Gegen Rächts hilft nur ein 18 Punkte Plan.
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