Dienstag, 9. Januar 2024

Klare Kante gegen die Traktor-Anarchie

 

Sie hatten kaum begonnen mit ihrem Bauernaufstand, da flogen ihnen die Herzen schon zu. Anders als bei den Klimaklebern, deren Blockaden von vielen Bürgern als unnötige Belastung in einer ohnehin angespannten gesellschaftlichen Situation begriffen und von den Medien entsprechend rundheraus verurteilt worden waren, durften die Landwirte auf Verständnis hoffen.  

Dass ausgerechnet sie, Vertreter einer Branche, die noch im Land für das Land produziert, einen Großteil der Rechnung für die Quittung zahlen sollen, die das Bundesverfassungsgericht der Haushaltsführung der Bundesregierung ausgestellt hat, fandengroße Teile der Bevölkerung übergriffig. Und große Medienhäuser bis hin zu ARD und ZDF schlossen sich an: Wie tickt sie eigentlich, diese vielleicht schon letzte Generation deutscher Bauern? Was kann ihr Protest bewirken? Und wieso droht der Staat sofort mit Konsequenzen, wenn es doch nur zeitweise zu Sperrungen kommt und größere Einschränkungen letztlich ausbleiben? Wie sinnvoll ist es überhaupt, sich immer weiter zu radikalisieren, wenn der Aufschrei der Gesellschaft ausbliebt und der Status quo festgebacken im Fossilen?

Von langer Hand geplanter Aufstand

Erst das Festhalten der Landwirte an ihrem von langer Hand geplanten Aufstand auch nach dem ersten Entgegenkommen der Ampelspitzen befeuerte die Wut die Verursacher der drohenden Traktor-Anarchie. Wie die Lokführer, deren Forderungen nach besserer Bezahlung schon früh als unverschämtes Manöver auf dem Buckel von Pendlern, Verfechtern einer beschleunigten Verkehrswende und Bahncard-Besitzern gebrandmarkt wurden, sind  nun auch die anfangs mit so viel Gleichmut und Sympathie aufgenommenen Proteste der Bäuerinnen und Bauern Gegenstand energischer Abrechnungen.  

Beim ostdeutschen MDR etwa wird Klartext in der Causa Straßenkampf gesprochen: Ohne Angst vor dem Zorn der Landbevölkerung zu zeigen, zeichnet der Kommentator dort ein umfassendes Bild der Gesamtsituation. Berthold Brecht habe einmal geschrieben, dass das Recht auf eine Sache abhängig sei von der Arbeit, die jemand dafür geleistet habe. 

Für den Aufbau "in diesem Land haben nun seit mehr als vierzig Jahren Millionen von Menschen hart und ernsthaft gearbeitet, um die Mühen und Früchte ihrer Arbeit gleichermaßen besorgt", heißt es weiter. Und ganz ohne die in solchen Fällen so oft und gern genutzte Strenge wird kein Stab gebrochen: Er zumindest rechne zu den Besorgten, die zumindest ein gewisses Anrecht auf Mitsprache hätten, auch die Mehrheit jener, die der Meinung seien, "sich nur noch auf der Straße Gehör verschaffen zu können.

Missbrauchte Wut

Rechte Unterwanderung hin, von interessierten Kreisen im In- und Ausland aufgeputschte Emotionen her. "Der Mehrheit der Demonstranten soll ja nicht unterstellt werden, sie wollten dieses Land aus den Angeln heben." Doch spricht das die trekkerfahrenden Protestler, diesen "motorisierten Mistgabelmob" (Spiegel), von der Verantwortung für das gesellschaftliche Gesamtgefüge frei? 

Nein, denn alle Beteiligten müssten stets bedenken, "dass es andere gibt, vorzugsweise außerhalb unserer Grenzen, die dafür auch seit vierzig Jahren keine Mühe scheuen", alles zu zerstören - das Urvertrauen zwischen Bevölkerung und Regierung, den Glauben an ein kommendes zweites Wirtschaftswunder und die Überzeugung, dass die da oben schon ganz genau wissen, warum es Mitte Dezember keinen Weg um einen Wegfall der grünen Landwirtschaftskennzeichen gibt, Anfang Januar aber doch. 

Selbstmörderisches Vergessen

"Dies zu vergessen, wäre selbstmörderisch", warnt der Kommentäter, der dann jedoch unumwunden zugesteht, dass es falsch wäre, übersehen zu wollen, was viele in diesem Lande bewegt, deren Sorgen, und Aufregung "geht auf elementare Probleme unseres Lebens zurück" gehen. Hilft es aber, einander mit Drohungen zu überziehen? Helfen Ultimaten wie das der Bauern, erst auf die Höfe und in die Ställe zurückkehren zu wollen, wenn alle geplanten Beiträge der Landwirtschaft zur Behebung der Haushaltsnöte gestrichen und auf andere Bevölkerungsgruppen abgewälzt sind?

Es gehe letztlich um "die Frage, wie wir es mit dieser Gesellschaft künftig handhaben wollen, damit sie jeder als lebenswert und unentbehrlich empfindet". Statt zu verdammen, gelte es nun, die begonnene Aussprache noch tiefgründiger, entschlossener und ergebnisorientierter zu führen, keine Idee beiseitezuschieben, sofern sie "eigenem Kopf und Denken entsprungen ist" und sich nicht den Einflüsterungen bestimmter Kreise verdankt, die ganz anderes im Sinn haben als den Zusammenhalt zwischen Volk und Regierung zu stärken. 

Versuch und Irrtum

Geduld und Verständnis, Versuch und Irrtum, sie sind unerlässliche Helfer auf dem gemeinsamen Weg in eine Zukunft, in der nicht mehr mühsam durch Erproben, durch Verkündend von Maßnahmen, ihre Teilrücknahme und das Nachschieben neuer Belastungen herausgefunden werden muss, womit eine angeschlagene, wackelnde und kippelnde Regierung vielleicht gerade noch durchkommt. 

Beim MDR weist der Kommentäter fraglos zurecht darauf hin, dass sich ein Gespräch darüber "nicht auf der Straße führen lassen wird", wie das renitente Elemente propagieren. Dazu gibt es Bürgerräte, dazu gibt es die Leserbriefspalten der Zeitungen, Facebookgruppen, Telegramkanäle und Hassportale wie TikTok und X.

All diese Türen sind offen, heißt es im Kommentar, und wer nicht hindurchgehe, müsse sich die Frage gefallen lassen, ob er es überhaupt ehrlich meine, "ehrlich mit dieser Gesellschaft, diesem Land, seinen Menschen, ohne die es nicht existieren würde". Ebenso wenig wie ohne seine Regierung, die die zur Transformation notwendigen Prozesse leitet und lenkt, nicht immer fehlerlos, aber immer bereit, dort nachzugeben, wo eine lautstarke Gruppe mit guten Verbindungen zu Medien und Ministerien Druck macht, ihr bestimmte Privilegien und Subventionen weiter zu gewähren.


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Bertold Brecht schrieb einmal 'Wer sozialistische Aphorismen verzapft, braucht nicht zu arbeiten'.

Wie man googeln kann, ist der Herden heute, deutlich aus dem Leim gegangen, beim Augstein Jr. beschäftigt.

Frontbericht bei Spiegel:
Fast scheint es, als wäre der Bauer ein »edler Wilder« – und kein Profiteur der Agrarlobby.

Ich wünschte, die Hamburger würden bei der Migrations- oder Ökostromlobby mal ähnlich mutig Maß nehmen.

Anonym hat gesagt…

"Es gehe letztlich um "die Frage, wie wir es mit dieser Gesellschaft künftig handhaben wollen, damit sie jeder als lebenswert und unentbehrlich empfindet".
Meine Idee wäre: Die Grünen alle in die Ukraine schicken, die sie ja sosehr lieben und mit unserem
Geld verteidigen. Dort können sie sich einbringen und austoben, gern auch im Schützengraben.
Wir hätten dann wieder mehr Ruhe und Verstand im Land.

Volker hat gesagt…

Immer wieder schön zu sehen, wo unsere Journaille abschreibt.

ppq hat gesagt…

das würden sie sich nicht trauen. es ist viel schlimmer: sie kennen das alles nicht und erkennen die muster deshalb nicht wieder. wie frau lang, die neulich wohl staunend erstmals "1984" gelesen hat.

dabei dachten doch viele, das sei teil des grünenprogramms

Anonym hat gesagt…

DIE Sorte l i e s t nur zweierlei: Ihre Kontoauszüge, und sich die Klabusterbeeren ab.