Freitag, 19. Januar 2024

Allzeit aufgeregt: Großes Theater auf der Staatsbühne

Kurz vor dem zehnjährigen Jubiläum der Lagerforderung steht fest: An den EU-Außengrenzen werden mindestens große Lager oder gar Gefängnisse gebaut werden, um die Menschen unterzubringen (Tagesschau).


Es war alles noch viel schlimmer, viel viel schlimmer. Verstörende Filmaufnahmen, zeigen eine Tür, einen Tisch, einen Mann im Treppenhaus. Draußen ankert das Saunaschiff, reserviert für das geheime Investigativkommando. Drinnen wird mit einer Uhr aufgezeichnet, was der welt auf alle Zeit verborgen blieben sollte. Parolen, "Assimilationsfantasien" (Olaf Scholz). Überlegungen und Zwischenrufe. Rechtes Gedankengut. Und Bitten um Kaffee.

Auf der richtigen Linie

Das Berliner Ensemble, in früheren Zeiten ein Ort von  Kunst und Kultur, aber auch strikter Verteidigung der richtigen Linien, die leicht auch einmal wechseln konnten, hat den Skandal des jungen Jahres recht abrupt auf die Bühne gebracht. "Geheimtreffen", "Masterplan", Umsturzstrategie, Deportation. Was in der "Villa am Wannsee", "nur acht Kilometer entfernt" von der anderen Villa am Wannsee vor sich ging, als sich die dritte und vierte Reihe des deutschen Faschismus zu 20-zigs zusammenrottete, wird in den anderthalb Stunden nicht ganz klar, aber zunehmend unklarer. Haben sie den Endsieg geplant? Zu Hitler gebetet? Sich von einem Österreicher eine neue Kolonie in Afrika einreden lassen?

Der Größe und Menge der Schlagzeilen nach, den der "Geheimplan gegen Deutschland" (Correctiv) gemacht hat, kann es viel weniger nicht gewesen sein. Selbst der Umsturz der Getreuen des Fürsten von Reuss hat Deutschland weniger erregt, erschüttert und erschreckt als der Stammtisch der Abschiebestrategen, die nicht einmal versuchten, ihre Absichten hinter einer Tarnbezeichnung wie "Rückführungsverbesserungsgesetz" (BWHF) zu verstecken. 

Selbstbewusst und sicher, dass der Rechtsstaat sie gewähren lassen würde, weil der Bundesverfassungsschutz auch diesmal nichts vom rechten Treiben mitbekommen wird, steckten "hochrangige AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer" im "hell erleuchteten Speisesaal" die "Köpfe zusammen", um " nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland" zu planen.

Zahnarzt, Kreischef, rechte Hand

Dank der "szenischen Aufbereitung" der Ereignisse im BE darf nun dabei sein, bei dem, was beim "Treffen rechter Ideologen" geschah. Ein Zahnarzt ist zugegen, eine Bundestagsabgeordnete der AfD aus Braunschweig (!), eine "rechte Hand" (!) der Parteichefin, ein Kreisvorsitzender, ein verurteilter Gewalttäter, ein ehemaliger einer Stiftung und Sprachbewahrer nebst zweier Werteunionmitglieder. Dazu ein Heilpraktiker, ein Neurochirurg (aus Österreich) und ein  "IT-Unternehmer und Blut-und-Boden-Nazi". Dass einmal ein so bunter, schräger Haufen älterer Damen und Herren und jüngerer Dropouts Gegendemonstrationen Zehntausender auslösen würde. Nein, noch vor zwei, drei Jahren hätte niemand darauf einen Cent gesetzt.

Und nun ist es sogar Staatstheater, live gestreamt beim  Marktführer, wenn auch, man weiß nicht weshalb, vom Volkstheater Wien. Keine Geheimnisse mehr. Jetzt kommt alles auf den Tisch. Samt dem "Masterplan", von dem dann aber nicht die Rede ist. Wo ist er hin? Wer hat ihn vom Tisch genommen? In der verharmlosenden Theaterdarstellung wirkt es fast, als habe der eigens zur Masterplanung angereiste "rechtsextreme Aktivist aus Österreich" es dabei belassen, mit dem Wissen seines Philosophie-Bachelors ein paar Sätze über seine Vorstellungen von Bevölkerungsgruppen zu sagen, die EU-Vorstellungen über künftige Lager in Nordafrika  zu einem neuen EU-Überseegebiet zu erweitern und mit Ausflügen in die Abstammungs- und Leitkulturtheorien zu unterfüttern.

Gesagt, gemeint oder nicht

Hat er aber? Oder hat er sollen? Das Theaterstück ist der Erkenntnis hier eher hinderlich: Manchmal ist das, was gesagt wird, das, was gesagt wurde. Heißt es. Dann wieder, das, was gemeint worden ist. Schließlich aber vor allem etwas, was nun gesagt werden muss, um die Öffentlichkeit aufzurütteln.

Es ist ein großes Glück für Ensemble, Drehbuchautoren und Regisseur, dass bei Youtube kaum jemand sehen will, wie das ehrwürdige Theater in der trüben See zwischen Kabarett, Politklamauk, Bekenntnispropaganda und dokumentarischer Farce Schiffbruch erleidet. Die "angeblichen Geschehnisse von Potsdam", wie die Taz die Darstellung mit spitzen Fingern nennt, wegen der Kunstfreiheit vorgeführt in Kellnerkluft, verheddert sich beim Versuch, "mehr Fakten" auf den Tisch zu legen, im Kleinklein von Behauptungen, ihrer Rücknahme und der umgehenden Rücknahme der Rücknahme.

Vom Volkszorn profitieren

Der böse Geist des Abends, ein in Deutschland nicht assimilierter Ausländer, findet sich als Vordenker eines "Jahrzehnteprojekts" gegen nicht assimilierte Ausländer dargestellt, das nicht aus Irrwitz, Unsinn und Anmaßung besteht und keiner kruden Stammtischrunde, sondern einem mächtigen Kreis von Großkopferten vorgestellt wird. Die Überhöhung übertrifft alles, was außerhalb der Kunst bisher vorstellbar war. Die Partei des "Konsequent abschieben"-Abschieben-Kanzlers ruft im wettbewerb mit der demokratischen Konkurrenz um die besten Abschiebeideen zum letzten Gefecht, zu einem "Jahr des Kampfes", weil die Verschwörer von Potsdam "das Land kaputtmachen wollen". 

Dieselbe Partei beschließt im selben Augenblick ein "Rückführungsverbesserungsgesetz" (BWHF) nach dem Vorbild des "Gute-Kita-Gesetzes", um selbst vom Volkszorn zu profitieren.  Denn wer, wenn nicht die SPD hat denn in 20 der zurückliegenden 24 Jahren regiert und mitregiert? Und damit die weichen gestellt für das, was der frühere SPD-Parteichef Walter Borjans knapp als "kaputte Straßen, marode Schulen und verwahrloste öffentliche Räume" zusammenfasst. 

Klassenkampf gegen Millionen 

Wie eminent wichtig es ist, nicht weiter darüber zu reden, zeigen die Wahlumfragen. Der Zorn der Bauern, die Wut der Spediteure, die anlaufende Entlassungswelle in der Industrie, die unter einem beständig wachsenden Berg von Vorschriften erstickt und dank hoher Energie- und Transformationskosten kaum mehr Luft bekommt, sie dürfen in den kommenden Monaten bis zu den ersten Landtagswahlen nicht die Debatte bestimmen.  Gegen nichts weniger "Rechte, die drohen die Macht zu ergreifen" (Taz) geht es. Zeit für ein "Deutschland erwache" (TAZ).

Dass die AfD nie eine Partei aus sich selbst heraus war, die mit originellen Ideen und verblüffend einleuchtenden Vorschlägen den Weg zu mehr Wohlstand, Gerechtigkeit und Freiheit für alle zeigt, ändert nichts daran, dass sie bis zum Herbst ihre größte Rolle spielen soll: Noch in der Macht, aber an allem schuld. Ein Phänomen, das sich mit eine Änderung der eigenen Politik in kurzer oder nur etwas längerer Zeit auf den berühmten Müllhaufen der Geschichte befördern ließe. Lieber aber führt man Klassenkampf, in diesem Fall gegen 15 oder 20 Millionen.Als würde nicht inzwischen jede wie automatisiert verbreitete Aufregung, jeder Aufruf, jede Alarmmeldung, ja, jede Erwähnung der fürchterlichen Gefahr, in der alle Menschen schweben, zum genauen Gegenteil des Beabsichtigten führen.


10 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

>> wegen der Kunstfreiheit vorgeführt in Kellnerkluft

Um das grundgesetzliche Privileg der Kunstfreiheit in Anspruch nehmen zu können, sollte es zuerst mal Kunst sein. Alles andere kann weg.

Anonym hat gesagt…

Taz-Schlagzeile: Deutschland wacht auf

Jawoll! Unter dem Größte Sozialisten aller Zeiten war die Formulierung ein wenig anders, aber die Aussage gleich. Ich schlage einen Umzug der Redaktion an den Adolf-Hitler-Platz vor (Umbenennung 1947).

https://taz.de/AfD-Verbot-und-Hoecke-Petition/!5986524/

ppq hat gesagt…

du bist zu spät. die erste variante war "deutschland erwacht"

aber dann kam wohl die angst

ppq hat gesagt…

@anmerkung: wenn du dich verkleidest, kannst du aber argumentieren, dass es kunst gewesen sein muss, egal, ob es welche war

Anonym hat gesagt…

keine Lager ? gut - dann eben eine Einrichtung mit Wachschutz und NULL - Ausgang für Asylforderer ohne Papiere . ist legal und machbar

Handystörsender aufbauen , Sichtschutz

regelmäßige Durchsuchung der Weltmitbürger bei Gefahr in Verzug . Rückreise nach Ruanda ( Anglomodell

Anonym hat gesagt…

In Braunschweig (!) wurde schon 1932 Adolf Hitler eingebürgert. Damit schließt sich der Kreis und der Beweis ist geführt. Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.

Anonym hat gesagt…

Was in der "Villa am Wannsee" ... ... ... vor sich ging ...

...ist nicht unumstritten. Aus naheliegenden Gründen aber darf man weder Literaturempfehlungen geben, noch auf gewisse Seltsamkeiten oder Widersprüche aufmerksam machen.

ppq hat gesagt…

die schöne geschichte mit der hitler-einbürgerung aufgrund des großzügigen braunschweigischen staatsbürgerschaftsrechts wollte ich beinahe erwähnen, man hätte da schön sehen können, wie dem braunen reich immer wieder von westdeutschen der weg geebnet wurde.

aber hier hieß es dann, das sei rassistisch und wecke zweifel, ob nicht dieser m.s. die neuen möglichkeiten ausznutzen könnte

Sabine Reifschneider hat gesagt…

Noch NICHT an der Macht, aber an allem schuld - muss es doch wohl im letzten Absatz heißen.

Anonym hat gesagt…

Rückreise nach Ruanda ( Anglomodell ...

Wenn DAS in nennenswertem Maßstab stattfinden sollte, ja, was - dann spende ich fünftausend Bernanke-Schekel an die Deutsche Umwelthilfe!

(P.S. Die sollte man gründlich stäupen und dann an einem recht warmen Spätsommertag nackedei neben einem Waldteich fixieren - im "Einklang mit der Natur".)