Sonntag, 28. Januar 2024

AfD-Proteste: Kann Hass die Abtrünnigen zurückgewinnen?

Klare Ansage, klares Feindbild: Aber kann diese subtile Taktik wirklich Abtrünnige zurückholen?

Es waren Hunderttausende oder sogar Millionen, die gegen die Alternative für Deutschland (AfD), gegen Faschismus, Vertreibungspläne und Assimilationsfantasien auf die Straße gingen. Ein Zeichen, das weltweit gehört wurde. Die New York Times etwa berichtete aus dem früheren ökonomischen "Powerhouse", das nun stillstehe. "Die Deutschen wehren sich, während der Einfluss der extremen Rechten wächst" und verzichtete bei der Wortwahl nicht auf den subtilen Hinweis auf die dunkelsten Stunden der Menschheitsgeschichte.  

Aufmärsche einer großen Gemeinschaft

Die "Hessenschau" analysiert die Nazi-Lage.
Ist es schon wieder soweit? Muss die Volksgemeinschaft zusammenstehen gegen die, die ihr nicht zugehören wollen oder sollen? Die Massenaufmärsche überall im Land könnten die letzte Gelegenheit für die Betroffenen sein, noch umzukehren. Kanzler und Vizekanzler, die Außenministerin und ihre Kollegin von Innenressort, sie alle haben die Hände ausgestreckt, bereit, Gutwillige, die nur geirrt haben, wiederaufzunehmen in Kreis der Demokraten. "Selbst in Sachsen" (ZDF-Morgenmagazin), einer Region, die schon seit vielen Jahren kaum mehr demokratisierbar scheint, regte sich der Widerstand und der Ministerpräsident selbst schloss sich bei einer Demo in Görlitz dem Protest gegen rechtsextreme Strömungen an.

Das nährt Hoffnungen, dass der Spuck bald vorüber ist, dass das der Partei den Nährboden entzogen wird und die selbstbewusst bei einem Geheimtreffen vorgetragenen Masterpläne zur Remigration von Millionen der letzte Tropfen waren, der das Fass der der Faszination für die selbsternannte "bürgerliche" Partei zum Überlaufen bringt. 

Seit dem Bekanntwerden und der breiten Ablehnung durch eine plötzlich wieder demonstrationsbereite Bevölkerung wird die AfD in Umfragen durchgereicht. Hatten die Grünen etwa in Thüringen zuletzt bereits auf einen Schlag rund ein Fünftel neue Wähler*innen hinzugewonnen, knickte die Zustimmung zur Rechtsaußenpartei deutlich ein. Keine Gefahr also, dass die vom Recherchekollektiv Correctiv veröffentlichten Pläne zur massenhaften Abschiebung von Migranten die Menschen in Deutschland noch mehr als bisher dazu bewegen könnten, die "Nazi-Partei" (Hendrik Wüst) zu wählen.

Millionen ohne Alternative

Doch reichen die Enthüllungen, reichen die Demonstrationen, die öffentliche Verachtung und die scharfen Bekundungen des Abscheus durch führende Politiker, Kommentatoren und professionelle Demonstranten auch aus, Millionen mutmaßliche Wählerinnen und Wähler der angeblichen Alternative für Deutschland zurückzuholen auf die richtige Seite der Brandmauer? Viel Zeit ist nicht mehr, in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sehen Umfragen die Partei auf dem ersten Platz, ausgerechnet dort stehen demnächst Landtagswahlen an. Die Parteien demokratischen Blocks suchen zudem auch im elften Jahr seit Gründung der AfD nach einer wirksamen Medizin, mit der sie potenzielle AfD-Wähler zurückgewinnen kann.

Ignorieren, ausgrenzen, warnen und bestrafen, alles ist ausprobiert worden. Können nun Massenproteste helfen? Gelingt es, die Menschen, die sich aus der demokratischen Mitte verabschiedet haben, nun mit Botschaften wie "FCK AFD", "ganz Kiel hasst die AfD" oder der Aufforderung "AfDler töten" zurückzugewinnen für das demokratische Gemeinwesen, in dem alle an einem Strang ziehen? Zweifel sind erlaubt, Hoffnung aber auch. 

Die deutsche Geschichte zeigt, dass sich die meisten Parteineugründungen nach einer gewissen Zeit wieder ausgewachsen haben: Die Linke etwa, als Fortsetzung der DDR-SED angetreten, ein erneutes kommunistisches Menschenexperiment anzugehen, fand trotz eines im 19. Jahrhundert verwurzelten Parteiprogramms über mehr als 30 Jahre enorm viele Wählerinnen und Wähler. Letztenendes aber scheiterte die Partei, zerrissen zwischen dem pragmatischen Wunsch, mitregieren zu wollen, und der orthodoxen Ablehnung jeder Einsicht in praktische Erfordernisse der Politik.

Die romantische Systemfrage

Gegendemonstrationen hatte die SED-PDS, später in Linkspartei umgetauft, nie zu befürchten. Ihr Wunsch nach einer grundsätzlichen Veränderung der Gesellschaft, nach Abschaffung von Privateigentum an Produktionsmitteln, nach Vergesellschaftung und Planwirtschaft galt als schick, die Ankündigung, alle Grenzen für alle und immer öffnen zu wollen, wurde als fortschrittlich bewertet und das Stellen der "Systemfrage" (Linkspartei) atmete einen Hauch Revolutionsromantik. 

Diejenigen, die mit der Partei schon länger verbunden waren, würde man nun mit Demonstrationen ohnehin nicht zurückgewinne  können, das war von CDU über SPD und Grüne bis zur FDP klar. Gelegentlich streckten Spitzenpolitiker die Hand aus.  Hass, Abwertung und Ausgrenzung aber zählten nach dem Misslingen der "Rote-Socken"-Kampagne der damals noch weit am rechten Rand fischenden CDU nicht mehr zum Waffenarsenal. Man zählte auf freiwillige Rückkehr. Auf Vernunft und Einsicht.

Keine Zeit für Nachsicht

Bei den AfD-Anhängern wird die Gesellschaft nun aber nicht so viele Jahre Zeit haben. Doch können die Hunderttausenden Menschen, die jetzt gegen die AfD auf die Straße gehen, einen Effekt erzielen bei ihren Nachbarn, Familienmitgliedern, bei Kollegen und Freunden? Ist der harte Kern der Wählerschaft zu überzeugen mit Plakaten, Sprechchören, die die Gefahren für die Demokratie anprangern, und Aufklebern an Laternenpfählen? Und wenn ja, was nützt es, wenn diese Menschen anschließen nicht mehr AfD wählen, weil sie Zuwanderung und eine multikulturelle Gesellschaft ablehnen. Sondern die CDU, die nicht besser ist, wie die "Hessenschau" (oben) herausgearbeitet hat?

Der Politikwissenschaftler und AfD-Experte Kai Arzheimer von der Universität Mainz hat zuletzt überzeugend belegt, dass sich in der Wählerschaft der AfD in Ostdeutschland viele ehemalige NPD-Wähler verstecken, die sich an den rechtsextremen Ansichten der Partei kaum mehr stören als Arzheimer am Umstand, dass die NPD selbst in Ostdeutschland nie "viele" Wähler hatte. 

Was die Schicksalsstunde geschlagen hat

Die, die hinzukamen, wählten früher CDU, SPD, Linkspartei, FDP und Grüne, sie sind bis heute nicht ideologisch gefestigte Nazis und Faschisten, könnten also "durch die Proteste und öffentliche Empörung noch mal zum Nachdenken gebracht werden", wie der Wissenschaftlernde aus Hessen rät. Den Rest müssen die erledigen, die nach den Massendemonstrationen wissen, was die Schicksalsstunde geschlagen hat: Jeder muss nun zur Wahl gehen, jeder muss verantwortlich einsehen, so Kai Arzberger, "dass es um mehr als die Frage geht, wer die bessere Politik für die Bauern macht oder welche Heizung eingebaut wird.

Mag es auch wehtun, für eine der Parteien stimmen zu müssen, die in den zurückliegenden 25 Jahren in ganz unterschiedlichen Koalitionskonstellationen dafür gesorgt haben, dass die Lage ist, wie sie ist. Die Zeit, daran Kritik zu üben, wird sicherlich wiederkommen, sobald sich die Demokratie konsolidiert hat und die Verhältnisse geklärt sind. Bis dahin heißt es zusammenstehen, zusammen demonstrieren gehen. Der Minderheit zeigen, wo die Mehrheit den Most holt. Und durch dieses gute Vorbild in die braune Breite wirken.


3 Kommentare:

Volker hat gesagt…

Strategien gegen Rechts gehört schon lange zu meinen Lieblingsstanzen. Besonders beeindruckt dabei die Gedächtnislosigkeit der Gefolgschaft, der man wirklich jeden Tag den alten Müll als neue Erkenntnis/Bedrohung auftischen kann.
Dabei haben doch die Courageabteilungen schon vor zwei Jahrzehnten Bücher zum Thema geschrieben, hochintelligente Rezepte in die Welt posaunt.
Wenn die ausweislich der Umfrageergebnisse und der x-ten Demo gegen rechts nun so gar nichts zustande gebracht haben, warum wurden die noch nicht wegen Erfolglosigkeit vom Hof geprügelt?

Manchmal fühlt es sich an wie Winston im Jahr 1984:
"War es möglich, daß die Leute das nach nur vierundzwanzig Stunden schlucken würden? Ja, sie schluckten es. Parsons schluckte es mühelos, mit der Dummheit eines Tieres. Das augenlose Geschöpf am Nebentisch schluckte es fanatisch, leidenschaftlich, mit der blindwütigen Sucht, jeden ausfindig zu machen, zu denunzieren und zu vaporisieren, der behaupten wollte, ... . Auch Syme schluckte es – allerdings auf eine komplizierte Art, bei der das Zwiedenken hineinspielte.
Stand er [Winston] demnach allein da, war er der einzige, der ein Gedächtnis hatte?"

Hase, Du bleibst hier... hat gesagt…

Demokratie findet nicht auf der Straße statt, sondern am Wahltag an der Urne. Der politische Wettstreit der Ideen und Konzepte zur Gestaltung des Landes darf um den Wähler werben. Inszenierte Demos der Regierung gegen politische Gegner, plus Medientrommelfeuer mit Hilfe von Zwangsgebühren sind undemokratisch, ja Ausdruck einer Diktatur. Die BTW werden im Westen entschieden. Meine Hoffnung ist, dass die WerteUnion dort richtig abräumt.

Anonym hat gesagt…

Meine Hoffnung ist, dass die ...

Meine ist, dass der Irrsinn an sich selbst eingehen wird, ohne viel tamtam, so, wie der Hexenwahn in der fortgeschrittenen zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Nach und nach jeder, ohne es auszusprechen, sagt sich heimlich für sich, dass das doch alles Kokolores ist ...
Das war ein Schärhärz ...