Sonntag, 12. November 2023

Kreditgas statt Schuldenbremse: Doppelt hält besser

Die Sparorgien der zurückliegenden Jahre mit der Schuldenbremse als Grafik: Deutschland muss nun wieder aufs Kreditgas gehen, sagt die SPD.

Wichtig würde sie sein, wichtig und außerordentlich bedeutsam. Ein historischer Moment würde die Einführung werden, denn von diesem Tag an müssten kommende Generationen nicht mehr fürchten, zur Kasse gebeten zu werden für die Sünden von Mutter und Vater, Oma und Opa und weiter nach hinten in der Geschichte. Die Schuldenbremse, sie war seinerzeit nicht einmal umstritten. Von den Parteien des demokratischen Blocks bis zu den Medien der vereinheitlichten Ansicht stießen alle ins gleiche Horn: Wie hatte man nur bisher leben können mit den endlosen Schuldenmacherei? Warum war niemals jemand jemandem deshalb in die Parade gefahren?

Nie umgesetztes Großprojekt

Die Schuldenbremse, vor knapp 15 Jahren eines der ersten Großprojekte, bei denen die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) auch öffentlich Regie führte, galt allen als eine so wegweisende Erfindung wie Rad und Radio.  Einfach unumgänglich, um einen Kollaps der Finanzplanung zu verhindern. Ein Schritt, um ein Schonvermögen für kommende Generationen zu schaffen. Und zugleich auch der erste Versuch, aus Verzweiflung über die eigene Unfähigkeit, das Leben der Bürger im Hier und Jetzt zu verbessern, einfach eine weit entfernte Zukunft zu regieren. 

Dazu gehört immer eine lange Übergangszeit, so dass die, die es gewesen waren, schon nicht mehr greifbar sind, wenn es soweit ist. 2009 beschlossen, sollte die Schuldenbremse ab 2020 auf die Eisen drücken. Keine neuen Schulden mehr. Und verbunden damit zum ersten Mal ein "verbindlicher Rückzahlungsplan" (Der Spiegel). Oh, wie war das schön! So lange das alles Zukunftsmusik war. Dann kam die Finanzkrise, da ließ sich nichts machen. Schließlich der notwendige Wiederaufbau, eine Situation, in dem der Staat noch mal Geld in die Hand nehmen musste. Ehe dann unglücklicherweise die Pandemie begann, die ihn zum Schuldenmachen zwang. Ebenso wie der Krieg danach.

Verdopplung seit Einführung

Nun ist es, wie es ist. Seit Einführung der Schuldenbremse haben sich die Staatsschulden verdoppelt. Kommende Generationen, erst recht, wenn sie die letzten wären, tragen nicht mehr nur knapp unter zwei Billionen Euro offizielle Verbindlichkeiten in die Zukunft. Sondern knappe drei, zuzüglich allerlei mehr oder weniger gut versteckter Schattenhaushalte und Sondervermögen und verlorener Darlehen an das Euro-System. Das alles gibt es auch nicht mehr zum Nullzinstarif. Schon im letzten Jahr verfünffachten sich die Zinszahlungen allein auf der Bundesebene auf mehr als 15 Milliarden Euro. In diesem Jahr werden sie am Ende bei 40 Milliarden liegen. Im kommenden dann mit mehr als 50 Milliarden ein halbes Bundeswehrsondervermögen erreichen.

Auch im vergangenen Jahr ging das Schuldenfestival ungebremst weiter. Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Deutschland hat sich erneut deutlich verschlechtert. Die komplette Schuldenlast aller Staatsebenen inklusive staatlicher Zahlungsverpflichtungen gegenüber Bürgern und Senioren stieg auf 447,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Fast fünf Jahre müssten die Deutschen nach Berechnungen der Stiftung Marktwirtschaft und des Forschungszentrums Generationenverträge der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg nun schon ausschließlich für die Rückzahlung der öffentlichen Schulden arbeiten. 

Noch ein Schnaps obendrauf

Das geht natürlich nicht. Was die Leute in der Zwischenzeit essen, was anziehen, wie in den Urlaub fahren und womit das alte Häuschen klimagerecht und EU-konform polstern? Angeführt von der deutschen Sozialdemokratie kämpft deshalb eine große Koalition der Kreditsüchtigen um eine Abschaffung der ehemals vom SPD-Finanzminister Peer Steinbrück eingeführten neuen Ewigkeitsregel. Weg mit der Sparsamkeit, die es ohnehin nie gab. In vollen Zügen genießen, was noch geht. Und draufsatteln auf die Verpflichtungslast für Kinder und Kindeskinder, damit die heutigen Wahlberechtigten noch eine Weile stille sind und die führendsten Genossen machen lassen.

So gut, wichtig, unumgänglich und historisch bedeutsam die Einführung der Schuldenbremse war, so schön die Jahre, in denen sie galt, aber nicht eingehalten wurde, so unumgänglich ist nun die natürlich "Änderung" genannte Abschaffung. Kein Mensch braucht solide Finanzen, wenn die keine Wählerstimmen bringen, weil da draußen sowieso niemand versteht, was Schulden sind und was sie bedeuten. Ist das Geld erstmal ausgegeben, ist es ja nicht weg, es muss nur ein anderer zurückzahlen. Die Generation Klingbeil, aufgewachsen in Parteibüros und genährt am Busen einer parallelen Realität, weiß nicht viel vom wirklichen Leben. Aber dass nicht sie es ist, die zur Kasse gebeten wird, das ist sicher.

Alles ist richtig

Argumente finden diese Opportunisten immer. Andere Staaten sind ja nicht schlimmer dran, noch mehr Verbindlichkeiten und doch noch mehr Lust auf mehr. Obendrein ist das alles immer noch nicht viel, wenn es mit den 400.000 zuwandernden Fachkräftinnen pro Jahr klappt. In 100 Jahren hätte Deutschland dann schon 120 Millionen Einwohner, dann verteilt sich die Schuldenlast ganz anders. 

Wie stets stehen auch die Medien begeistert Spalier: Dort, wo die Einführung der Schuldenbremse  mit Kommentarchampagner und Leitartikellachs als großes Glück und fantastisches Vorbild für die Welt gefeiert wurde,  ist ihre Aufhebung nun genau so richtig. Man dürfe nicht "die Fehler der Einheit  wiederholen" und "Sparen zur falschen Zeit", schreibt der "Spiegel", der seine Anklagebank für die Verletzer der Bremse in den Keller geräumt hat, um Platz für die finanzpolitischen Büttenreden der Gewerkschaften zu machen.

Das "Sparen zur falschen Zeit", das das ehemalige Nachrichtenmagazin als "Fehler der Einheit" beklagt, sah in zahlen übrigens so aus: 1989 noch hatte Deutschland 475 Milliarden Euro Schulden. nach der Spiegel-Sparorgie war die Summe 1995 auf mehr als eine Billion Euro gestiegen.


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