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Kaum jemand traut es ihnen zu, aber Lang und Nouripur sind erfahrene Schattenspringer. |
Es hätte eine Generalabrechnung werden können, die die alle Weichen neu stellt. Kein Kompromisslertum mehr, keine Anpasserei an einen unaufhörlich nach rechts rutschenden Zeitgeist, der Nazisprüche wieder sagbar macht, den Klimakampf verunglimpft und Deutschlands Vorreiterrolle als Signalgeber und Zeichensetzer für die unter den Folgen des Klimawandels leidenden Menschen in Sachsen, Schwaben und den beinahe genauso schlimm betroffenen Regionen des globalen Südens infragestellt.
Ampel ohne Geschäftsgrundlage
Der Grünen-Parteitag in Karlsruhe, der Stadt, in der die eine einzelne Kammer eines nach Regeln aus einer längst vergangenen Zeit entscheidenden Gerichtes der Berliner Ampel-Koalition zuletzt die Geschäftsgrundlage entzogen hatte, hätten die Delegierten von Bündnis90/Die Grünen die einmalige Chance gehabt, Moral über Machterhalt zu stellen, die wirkliche Dringlichkeit ihrer Grundanliegen zu unterstreichen und das zuletzt in der grünen Ministerriege immer wieder zu beobachtende Duckmäusertum gegenüber Forderungen nach mehr Härte, mehr sogenannter Ordnung und vermeintlich sozialverträglichen Lösungen bei der großen Transformation zu unterstreichen.
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Svenja Prantl ist enttäuscht.
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Doch die ehemalige Öko-Partei, analysiert
PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl, versagte angesichts der historischen Aufgabe auf ganzer Linie. Statt hart zu bleiben bei Forderungen nach Energieausstieg, Bekämpfung der individuellen Mobilität und rascherem Tempo bei der Umsetzung zukunftsweisender Zielvorgaben etwa an der Dämmfront, beim Heizungsaustausch oder einem gerechten Wohnregiment, entschieden sich die letzten Verteidiger einer glänzenden Klimazukunft, ins Wolfsgeheul der Neidparteien einzustimmen, von den Deutschland nunmehr
ein halbes Dutzend hat.
Sie hatten die Wahl
Sie hätten zweifellos die Wahl gehabt, die Annalena Baerbock, Robert Habeck, Ricarda Land und Ouri Nouripur. Die grüne Jugend, ein kleiner, aber auch heute noch progressiver Verein junger, klimabesorgter Menschen, lieferte der zuletzt so oft bräsig, verwirrt und knieweich wirkenden Führung der Grünen sogar eine Steilvorlage, die nur noch hätte über die Linie geschoben werden müssen. Ein Schuss, der nicht zuletzt für Annalena Baerbock ein Leichtes gewesen wäre. Oft genug hat die frühere Leistungssportlerin gezeigt, dass sie weiß, wo das Tor steht.
Als der grüne Nachwuchs also forderte, endlich Schluss machen mit dem Nachgeben bei Nazi-Forderungen nach immer geschlosseneren Grenzen, radikalem Ausschluss Schutzsuchender vor rechtmäßiger Obhut und der rasenden Fahrt im Rückwärtsgang in die 70er oder 80er Klimajahre, war nur die Frage, ob die grüne Spitze die eigenen Privilegien opfern und sich richtig entscheiden. Oder stattdessen ein weiteres Mal dem nachgeben würde, was SPD und FDP aus Angst vor dem Wahlvolk an rechtspopulistischen Forderungen seit Wochen aus dem Spruchbeutel schütteln. Klare Kante, das war die Hoffnung. Eine Kriegserklärung an den Fortschritt stand nach den drei Parteitagstagen schließlich auf der Quittung.
Kommandos von den Galionsfiguren
Nicht nur, dass sich Baerbock und Habeck, die beiden früher unumstrittenen Galionsfiguren der Grünen, vor einer Abstimmung über ihre eigene fragwürdige Rolle beim Räumen von Grundsatzpositionen etwa in der Friedenspolitik, beim Naturschutz und bei den Grundrechten drückten, indem sie schon vorab erklärten, nicht mehr für den sogenannten Parteirat kandidieren zu wollen. Nein, auch die beiden amtierenden Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripur vermieden es, ihr eigenes Schicksal mit der inhaltlichen Ausrichtung der Partei zu verbinden.
Das nach vier Tagen intensiver Hinterzimmerverhandlungen verabschiedete Wahlprogramm für die EU-Abstimmung im kommenden Jahr trägt nun den Titel "Sicherheit in unsicheren Zeiten", der einer historischen Rede des CDU-Politikers Boris Rhein entstammt. Darin finden sich Kapitel wie "Was Gerechtigkeit schützt", "Was Freiheit schützt" und "Was Wohlstand schützt", allerdings keines mit der Überschrift "Was Klima schützt". Die deutschlandweit nahezu vollkommen unbekannte europäische Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke, die sich nach dem Studium über die Grüne Jugend und einen Job bei einem grünen Bundestagsabgeordneten für die grünen Kandidatenliste für die Wahl zum EU-Parlament im Juni 2014 qualifiziert hatte, kommentierte diesen Totalausfall bei einem Kernthema nicht.
Grüner Sprung über grünen Schatten
Doch er steht zweifellos für einen weiteren grünen Sprung über einen weiteren grünen Schatten. Nach dem Abschied vom schnellen Braunkohleausstieg, der Vertagung der harten Eingriffe in die Heizungskeller der Bürger und einer faktischen Abschaffung des Verbotes des Exports von Rüstungsgütern in Kriegs- und Krisengebiete passen die Grünen nun auch ihre Migrationspolitik an den unseligen Geist des roll backs in die Zeiten an, in denen alte weiße Männer "Wohlstand durch Arbeit" versprachen.
Die Grüne Jugend lief hier brutal gegen eine Wand aus Widerstand gegen jedes bisschen Progressivität, die die Mehrheit der Delegierten auf gebaut hatten. Immerhin: Im Gegenzug zur Zustimmung zu CSU-Formulierungen wie "Steuerung, Ordnung und Rückführung gehören zur Realität eines Einwanderungslandes wie Deutschland dazu" handelte der Parteinachwuchs eine Mehrheit an aussichtsreichen Listenplätzen für Vertreter einer harten Fortschrittslinie aus.
Ein Schwurbeln für die Symbolik
Auch ein paar kleine symbolische Siege versüßten die Niederlage der Moral im Kräftemessen mit der Sehnsucht nach dem Machterhalt. "Wir wollen Kapazitäten ausbauen, die soziale Infrastruktur stärken und tragfähige Strukturen schaffen", schwurbelt es im Wahlprogramm unter Verwendung des Begriffes "Wollen", der als unterste politische Bedingungsstufe gilt. Zudem spreche man sich "für die Förderung der zivilen Seenotrettung durch den deutschen Steuerzahler aus - sich für etwas auszusprechen ist im Berliner Forderungsschachern in der Regel gleichbedeutend mit einer sogenannten "europäischen Lösung". Die wird in der Bundeswunschverwaltung traditionell mit Hilfe des sagenumwobenen Trilogs aus jeweils sieben Zielen, vier Terminen und eingerührten atmenden Deckeln geknüpft.
Menschen, die noch Hoffnungen auf die Grünen als letzte Verteidiger eines EU-Europas mit verbindlichen Standards, fairen Löhne, starke Gewerkschaften, harten Verboten, lückenloser Überwachung von Verstößen und Tempolimit gesetzt hatten, müssen nach den Tagen von Karlsruhe ganz stark sein. Auch bei der unterirdischen Speicherung des Treibhausgiftes Kohlendioxid sind die Grünen im einem lauten Wumms umgefallen.
Rücksichtslos verpressen
CO2 soll nun rücksichtslos in die Erde verpresst werden dürfen, um mörderische fossile Branchen vor dem sozialökologisch notwendigen Umbau, wie es dass Kapitel "Was die Zementindustrie schützt" heißt. Die Grünen stimmen hier nun sogar der FDP zu und biedern sich mit dem Eingeständnis, es werde "auch in Zukunft Emissionen geben, die kaum zu vermeiden seien", bei Verschmutzungslobbyisten von AfD bis Wagenknechtpartei an.
Nicht nur in Deutschland soll die kreuzgefährliche Praxis Alltag werden, sondern in ganz EU-Europa. Die riskante "Einlagerung in geologischen Formationen", bei der "zum Beispiel
Versauerung des Grundwassers oder Auslösung seismischer Aktivitäten" droht (Die Grünen, 2020), verwandelt sich durch Parteitagsbeschluss in eine Zukunftstechnologie. Um alle Mitstaaten in Haftung zu nehmen, solle ein europaweit einheitlicher Regelungsrahmen geschaffen werden, am besten mit "gemeinsamen CO2-Speichern".
Offenbarungseid für Wohlstandsgegner
Ein Offenbarungseid für jeden Wählenden, der geglaubt hatte, wenigstens die Grünen würden der Warnung des Umweltbundesamtes vor "zum Teil unerforschte und unerprobte
CO2-Entnahmetechnologien und anschließender Speicherung" ernst nehmen.
Nicht einmal dem Antrag, als Ausgleichsmaßnahme wenigstens den Begriff "Wohlstand" aus dem Europaprogramm zu streichen, wollte die Mehrheit der Delegierten folgen. Stattdessen tritt die ehemalige Alternative für Deutschland nun auch offen für eine weitere Beibehaltung der "konsumistischen Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen" an.