In den Jahrzehnten seit seinem letzten verlorenen Krieg hat der Westdeutsche sich bequem eingerichtet in seinen gut gekehrten Fußgängerzone. Nur was er denkt, wusste bisher niemand. |
Kaum etwas, das mehr als 30 Jahre nach dem Beitritt der mitteldeutschen Ostgebiete zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht bekannt ist. Der Ossi, er fremdelt demonstrativ mit der Demokratie und wünscht sich den Führer zurück, er mag Döner, aber auch Ressentiments, der Ali vom "Späti" ist sein Kumpel, aber auch ausländerfeindliche Aussagen werden akzeptiert, ebenso Verbrenner, der Glaube an zwei Geschlechter und einen einzigen Fußballverein fürs Leben. Sture Ablehnung herrscht hier gegenüber Fremden, die etwa als Manager vor vielen Jahren kamen, um die Reste der Ruinen der ostdeutschen Wirtschaft zu retten. Ihnen wirft der Volksglaube der ehemals sozialisierten Stämme der Thüringer, Sachsen, Brandenburger und Mecklenburger bis heute vor, dass sie es gewesen seien, die alles kaputtgemacht zu hätten, nicht die kommunistischen Kollektivierer mit ihrer Idee von einer umfassenden Planwirtschaft.
Angereiste Völkerkundler
Von weither angereiste Volkskundler haben all das immer wieder zu Protokoll genommen und besorgt angeprangert. Sie berichteten vom "ausgeprägten Wunsch nach einer autoritären Herrschaft", von einer großen Empfänglichkeit für ausländerfeindliche und nationalistische Parolen, von alten weißen Männern, die von einer Volksgemeinschaft träumen und die gelebte pluralistischer Interessensvielfalt vehement ablehnen. Am liebsten spürten diese Menschen die Knute, am sehnlichsten wünschen sie sich eine Diktatur, die sie drückt und beutelt und ihnen umstandslos den freien Willen nimmt.
Fakten, mit denen die aufgeklärte Öffentlichkeit arbeiten kann. Doch wie steht es eigentlich um den Gemütszustand, um Glauben, Überzeugungen und Ansichten der Bewohner der Regionen, die heute noch auf dem Gebiet der alten Bonner Bundesrepublik liegen? Was träumen sie, was wünschen und was fürchten sei? Hans Achtelbuscher, einer der führendsten Medien-und Sozialwissenschaftler der Republik, hat sich in den zurückliegenden Monaten keiner anderen Frage intensiver gewidmet. "Gemeinsam mit meinen Mitarbeiternden habe ich mich gefragt, warum wir so wenig wissen über das Verhältnis der Schonlängerhierlebenden zur Demokratie, über ihre inneren Positionen zum Thema starke Partei, Vergemeinschaftung, Enteignung und autoritäre Staatlichkeit."
Beim Bionadespießertum
Jenes Bionadespießertum empfindet das Festhalten vieler Ostdeutscher an
Dingen dem, was sie vor erst 30 Jahren errungen haben, als Provokation:
Wollen Freiburger Lehrer, Stuttgarter Grünen-Mitarbeiter und Angestellte
der Pressestellen der Stadt Köln Nation und Heimat, Grenzen und
Traditionen möglichst schnell überwinden, kollidiert das "mit dem Wunsch
der Ostdeutschen nach einem einigen und demokratischen Deutschland",
wie Mai analysiert. Für die Menschen im Osten sei die Wiedervereinigung
eine Heimkehr gewesen, ein Wechsel aus einem Land, das zwangsläufig nur
ideologisch Heimat sein konnte, in eines, das die Seinen nach Herkunft
sortierte.
Der Traum der Bionadespießer vom Aufgehen der Bundesrepublik in der EU,
von einem Europa, in dem sich Deutschland auflöst, das es verdünnt und
schließlich verschwinden lässt, kommt östlich der Elbe an wie ein
Angebot, sich doch wieder als Bürger des Warschauer Paktes zu sehen -
dem russischen Proletarier qua Überzeugung näher als dem Nachbarn aus
Brandenburg. Der Ostdeutsche dagegen besteht auf der Existenz Deutschlands, dem er ja noch nicht so lange angehört. Er
empfindet sich als Deutscher wie der Franzose als Franzose, der
Italiener als Italiener und der Portugiese als Portugiese. Es kommt ihm
noch immer nicht in den Sinn, Deutschland aufzugeben, hat er doch im Gegensatz zum
Westdeutschen gerade in einer räumlichen Abtrennung für diese
Vergangenheit gebüßt.
Störrischer Osten
Diese Einstellung macht Ostdeutsche so störrisch, ihr aus Unbildung
resultierendes Unbehagen an einer Welt, die sich schneller verändert
als es der Flinkeste es schafft, sich zu integrieren, äußert sich dann
in Widerworten, Undankbarkeit und wirren Versuchen, die eigene Minderheitsansicht zum Maßstab für allgemeine Entscheidungen zu erklären.
Das unbelehrbare "Wir sind das Volk" steht im Grunde in einer Traditionslinie mit Luthers
"Hier stehe ich und kann nicht anders", schreibt der Schriftsteller Klaus-Rüdiger Mai einmal geschrieben. Eine Sache des
Prinzips, wie sogar die FAZ erkennt, die in allen ostdeutschen
Sympathien für Wladimir Putin "vor allem eine innere Auflehnung gegen
einen schier übermächtigen Westen" wittert.
So gibt es zwar keine von 40 Jahren DDR geschaffene ostdeutsche Identität, also kein genuines Ostdeutschsein, sondern allenfalls ganz viele davon. Aber nicht westdeutsch zu sein, weniger Kaufkraft zu haben, weniger Konzernsitze, weniger Tennisplätze und weniger Internetanschlüsse schafft schon ein Gefühl von Gemeinsamkeit: Die Ostdeutschen waren es, die nach 1990 mehr als zwei Drittel der CO2-Einsparungen Deutschlands lieferten, ohne dass das irgendwer im Westen auch nur mitbekam.
Noch heute ist der ökologische Klimaabdruck der Ostdeutschen kleiner,
sie fliegen weniger, haben kleinere Wohnungen und Pkw. Demnächst aber
sind sie wieder dran, wenn Deutschland aus der Braunkohle aussteigt und
die ostdeutschen Kohleregionen plötzlich auf dem Bahnsteig stehen.
Pflegekräfte und Naturforscher, Museumsführer und Fahrradschlosser
sollen sie werden, die Kumpel.
Das rätselhafte Wessi-Wesen
Gerade nach den Erfolgen einer fast vollständig von Westdeutschen geführten teilweise überwiegend des Rechtsextremismus überführten Partei in bundesweiten Umfragen sei es Zeit gewesen, das "rätselhafte Wesen Wessi" zu erforschen, wie Achtelbuscher es etwas flapsig nennt. "Nach der Wahl eines AfD-Mannes, der Anhänger eines früheren westdeutschen Lehrers ist, rätselt doch jeder mehr denn je, was da eigentlich los ist mit den Wählern im Westen." Schon die Bremenwahl, bei der vor allem die grünen Teile der Fortschrittskoalition in Berlin Federn hatten lassen müssen, habe gezeigt, dass der westdeutsche Wählende sehr anspruchsvoll sei. "Er möchte mundgerecht bedient werden, am liebsten mit Versprechen, die ihm gefallen."
Die neue Studie des An-Institutes für angewandte Entropie der Bundeskultur-Hochschule in Warnstedt liefert nun umfangreiche Belege und Zahlen zu den neun Flächenländern westlich der früheren Grenze und den beiden Stadtstaaten. Und die Befunde sind durchweg beunruhigend:Die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft wendet sich nicht nur immer mehr von der Demokratie ab, sondern insbesondere auch von deren engagierten Vorfeldorganisationen. "Man tritt aus, wo man kann", fasst Achtelbuscher zusammen, "und geht nicht mehr hin, wo man nicht muss." Verblüffend sei der vor allem in den norddeutschen Bundesländern zu beobachtende Effekt einer mentalen Trennung von Überzeugung und Handeln. "Die Menschen stehen sehr solidarisch hinter den Kriegsanstrengungen, hinter den Klimabemühungen und zum Verzicht auf Wohlstand." Zugleich gelinge es dem durchschnittlichen Westdeutschen aber auch, geschickt gegen all das zu sein was seine eigene Person betreffe.
Nur Hessen steht fest zur Demokratie
Bemerkenswert auch die Sichtweise auf die Demokratie. Einzig ist Hessen ist eine Mehrheit zu finden, die sich vorbehaltlos zufrieden äußert. Das Saarland und Niedersachsen dagegen sind Sorgenkinder, bei denen trotz vieler Jahrzehnte demokratischer Grundausbildung jederzeit ein Rückfall in als typisch ostdeutsch beschriebene Trotzreaktionen erfolgen kann. Wie schnell das geht, wie tief der Sturz wird - Hans Achtelbuscher vermag es nicht zu sagen. In dieser Beziehung sei die Studie an typisch westdeutschen Verhaltensweisen gescheitert: "Man sprich nicht über Gehalt und man sagt nicht, was man wählt." Ob sich jeder zweite im Westen eine starke Partei wünsche oder jeder vierte mehrere schwache, ob die gemeinsam Grenzen weiter öffnen oder sie nur für Ausgewählte öffnen sollen, bleibe Spekulation. "Es wird viel geschimpft, aber über so viele Zustände in so vielen Lebensbereichen, dass es in der Befragung nicht gelungen ist, Ursachen von Wirkungen zu trennen."
Ein Drittel der Westdeutschen jedenfalls hält die Rücknahme der mitteldeutschen Gebiete samt ihrer Bevölkerung für einen Fehler, der die früher blühenden Landschaften in Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein ausgelaugt habe. Ein Demokratieproblem offenbart sich, wenn die Untersuchung mit dem Titel "Go West - What happened to the native population" zum Schluss kommt, dass sich bedingt durch diese Enttäuschung viele Menschen in den ehemals alten Bundesländern nicht noch mehr demokratische Teilhabe, Regenbögen und staatliche Überwachung zur Einhaltung der Gepflogenheiten beim Umgang mit den demokratischen Grundrechte wünschen, sondern "in Ruhe gelassen". Selbst eine Erhöhung des Rundfunkbeitrages werde von vielen abgelehnt, ohne dass gute Argumente wie das, dass ARD und ZDF die gute Politik der jeweiligen Bundesregierung dann noch besser erklären könnten, daran etwas zu ändern vermögen.
Auf der schrägen Ebene
Der Westen sitzt auf einer ganz schrägen Ebene", fasst Achtelbuscher zusammen. Alles dort könne jeden Moment ins Rutschen kommen, denn die Gesellschaft werde ausschließlich von einem Selbstbild zusammengehalten, dass noch aus den Zeiten des Wirtschaftswunders stamme. Die repräsentative Befragung durch das An-Institut unter gut 3.500 Menschen ergab einen Hang zur Romantisierung jener Jahre: "Die Menschen schwärmen vom Wachstum, höheren Einkommen und der Möglichkeit, sich mehr leisten zu können, selbst wenn ihnen aktuelle Begriffe wie Nachhaltigkeit oder Bruttosozialglück durchaus geläufig sind."
Ausdruck einer Art Verschwörungsmentalität sei es, dass kaum jemand glaube, einen Einfluss auf die Regierung zu haben. Auch die Zufriedenheit mit der Demokratie, wie sie im Alltag funktioniert, ist der Befragung zufolge schwach ausgeprägt. "Wir beobachten also ein wachsendes Fremdeln mit der Demokratie, sie wird von vielen nicht als etwas Eigenes verstanden". Diese Werte seien vor 20 Jahren noch besser gewesen, ebenso die Bereitschaft, für Werte wie den Frieden oder offene Grenzen auf die Straße zu gehen. "Da waren diese Menschen in Wuppertal, Kassel, Wiesbaden, Stuttgart und Bayreuth schon einmal weiter", klagt Hans Achtelbuscher.
Flucht vor dem Fernsehgerät
Heute werde vielmals der Fernseher ausgeschaltet, wenn es um neu entdeckte Formen der Diskriminierung sowie die aktuellsten Strategien und Dynamiken antidemokratisch und autoritär motivierter Bündnisse gehe. Teile der Westdeutschen zeigten eine ausgeprägte Sehnsucht nach den angeblichen guten alten Zeiten, als die Schlote über Rhein und Ruhr noch qualmten, Deutschland sich als Exportweltmeister feierte und der Rundfunkbeitrag bei fünf Mark lag. "Selbst die Sendepause, die es damals ja noch gab, wird von einem Teil der Befragten als eine entspannende Ruhepause verherrlicht."
Insgesamt sei die Identifikation der Westdeutschen als Westdeutsche hoch, man beziehe sich unumwunden und ohne Scheu auf eine gemeinsame Geschichte, an der "die da drüben" in der DDR eben nicht teilgenommen hätten. "Diese Menschen sprechen den früheren Ossis zum Teil sogar das recht ab, richtige Bundesbürger zu sein." Das hängt den Studienautoren zufolge nicht zuletzt mit dem Wunsch zusammen, wieder unter sich zu sein. Eine hohe Zustimmung gab es den Angaben zufolge zur Forderung nach "einer starken Partei, die sich um die wirklichen Probleme der Menschen kümmert". Welche Menschen gemeint seien, sagt Hans Achtelbuscher, "können Sie sich denken."
6 Kommentare:
OT
> Sowas ist menschheitsgeschichtenerfahrungsgemäß selbstverstärkend und aufschaukelnd. Sowas schaukelt sich gern hoch bis zum Lynchmord.
Man sollte sich in der EU ganz schnell etwas einfallen lassen, um das zu verhindern. <
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Was ist der Hadmut zuweilen doch einfältig.
Peinlich, im folgenden Artikel war einer schneller als meinereiner.
Nun ist Hadmut nicht der einzige Einfallspinsel. Neben vielen ist da ein Dr.Roland Ullrich bei EIKE zu erwähnen - "unfähig" wären die Polit(Selbstzensur) - "Fehlentwicklungen" usw.usw.
Sture Ablehnung herrscht hier gegenüber Fremden, die etwa als Manager vor vielen Jahren kamen, um die Reste der Ruinen der ostdeutschen Wirtschaft zu retten.
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Die Kaligrube Merkers - zum Beispiel.
ja, auch dort blanke uneinsichtigkeit
@ Blogwart: Sag' mir, wo du stehst, und welchen Weg du gehst ...
(Das war ein Schärhärz)
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