Dienstag, 22. August 2023

Am schlimmsten betroffenes Gebiet: Die Religion der Angst

Deutschland gilt traditionell als am schlimmstes betroffenes Gebiet.


Gerade erst wurde die Angst vor den Atomkraftwerken abgeschaltet. Ein Moment, der unmittelbar auf das Ende der Angst vor Corona und den Mutanten folgte. Doch schon ist Ersatz verfügbar: Der Dritte Weltkrieg. Die De-Industrialisierung. Die Lichter werden ausgehen, die Preise bis zum Mond steigen. Heizen unbezahlbar. Essen desgleichen. Deutschland als traditionell am schlimmsten betroffenes Gebiet ersetzt eine Urangst schneller durch die nächste als die Apokalypsen wahr werden können.

Im mentalen Ausnahmezustand

E-Roller auf Gehwegen, von SUVs beiseitegewischte Radler. Messer in Verbotszonen. Islamisten im Supermarkt. Nachrichtenseiten und Fernsehen, aber auch Literaten und Regisseure inszenieren die ganze Welt als Abfolge von Katastrophen, Skandal und unerwarteten Zusammenbrüchen. Sie haben die Macht, Menschen, die selbst nicht betroffen sind, in einen mentalen Zustand zu versetzen, in denen die Erwartung, demnächst schon betroffen zu sein, den Blick auf die Welt bestimmt. Ist es in Deutschland mal nicht zu warm, wie im Frühjahr, dann findet sich ein anderer Ort, an dem es sicherlich noch viel zu wärmer ist. Fehlt es an Wasser, kündigt sich die schon von der Bibel vorhergesagte unendliche Dürre an. Ist es nicht diese Plage, dann fehlt es sicher an Trockenheit und geklagt werden kann über viel zu viel Regen.

Nicht das Sein, sondern Bilder prägen das Bewusstsein. Irgendwo ist immer etwas, das sich fürchten lässt. Die Gemeinschaft der Mediennutzer lechzt nach Informationen über den jeweils aktuellen Untergang. Allerdings ist ihre Aufmerksamkeitsspanne so schmal, dass die Nachrichten über das Entsetzen von gestern schon keine Chance mehr haben, wenn neuer Schrecken verkündet werden kann. Syrien verschwand, als der Ukrainekrieg begann. Der Hunger in Afrika, die Erdbeben in Nepal und in der Türkei, die Rodungen im Regenwald, die Menschenrechte in Katar - was eben noch das gesamte Interesse aller fordert, weil die gemeinsame Zukunft aller Menschen der demokratischen Gesellschaften davon abhängt, ist Augenblicke später nur noch eine Fußnote für Leute mit ganz speziellen Interessen.

In keinen Schuhkarton 

Das erste Gesetz der Mediendynamik bestimmt knallhart, dass die Welt in keinen Schuhkarton passt, unweigerlich aber in 15 Minuten Tagesschau. Das zweite Gesetz der Mediendynamik hingegen besagt, dass Großereignisse nie gleichzeitig stattfinden, sondern immer fein säuberlich hintereinander, als plane eine große göttliche Regie den Ablauf von Flugzeugabstürzen, Prominentenhochzeiten, Sportevents und Skandalen mit traumwandlerischer Sicherheit.

Nur selten werden Löcher zugelassen, nur selten kommt Luft an die Wirklichkeit so wie in dieser Sommerwoche. Private wie staatliche Fernsehsender müssen Wetter und Ölleck zu einem dünnen Brei aufkochen, um die Massen satt zubekommen. Autounfälle schaffen es in die Tagesschau, sogar der Atomstreit bekam wieder einige Minuten Sendezeit, ohne dass noch jemand vor den Empfängern gewusst hätte, worum es dabei ging, als es noch wichtig war.

Liebgewordene Marionetten

All die liebgewordenen Marionetten der täglichen Presseschau, sie sind im Zwangsurlaub. Greta ist weg, Luisa, Putin, Orban und Johnson, wer war noch gleich dieser Borsalino aus Brasilien, der unseren Regenwald angezündet hat? Und überhaupt Australien, brennt es noch oder bereut es schon? Kaeser? Siemens? Nuhr? Was ist mit Steimle? Tellkamp? Den Koboldbatterien? Den geplanten Strafen für Klimaleugner? Kramp-Karrenbauers Syrieneinsatz? Oder war es Libyen? Oder war Libyen Merkels Friedensplan? Halten sich denn auch alle dran? Was macht Kühnerts Sozialismus? Die Mietbremse? Was machen die palästinensischen Tage des Zorn? Selbst Trump ist auf einmal verschwunden.

Eine wichtige Rolle spielt dabei die naturgegebene Aufmerksamkeitsspanne der Öffentlichkeit, die einerseits nie peripher, sondern immer zentral ausgerichtet ist, andererseits aber zeitlich enge Grenzen habe. Aus der Historie der begleitenden Entrophieforschung ist bekannt, dass ein nicht unmittelbar betroffenes Publikum zwei, allerhöchstens drei Jahre bereit ist, einer spezifischen Problemlage zu folgen. So war es in der Finanzkrise von 2008 bis 2010, beim Zusammenbruch Griechenlands von 2012 bis 2015, auch die erste Ukrainekrise währet nur von 2014 bis 2016, denn dann kam schon die Flüchtlingskrise von 2015 bis 2017. Nach Ablauf einer Zeitspanne von bis zu 24 Monaten läuft sich "jedes Thema tot, es langweilt, selbst wenn es sich um die angebliche „Dauersorge um den Euro" handelt.

Gerade noch Hasswochen

Waren gerade noch Hasswochen, nach dem Doppelmordanschlag auf einen Fußballfan und eine Autogrammsammlerin in Halle, ruft es aus allen Ecken des politischen Überbaus schon wegen anderer Problemlagen wütend und zornig nach härteren Strafen, früherer Vorsorge, besser Bildung, einem aus gespeicherten Vorratsdaten gebauten Panzer gegen den Hass, nach Aufklärung, Hassaussteigerprogrammen und frühkindlicher Überwachung. Auf dass die Mörder von morgen schon erkannt werden können, ehe sie noch ihr erstes Nutzerprofil in einem anonymen Forum angelegt und das erste Waffenteil aus dem heimischen 3D-Drucker gezogen haben.

Klima ist haltbar, aber inzwischen auch rum, abgetaucht seit den Todesschüssen auf eine Synagoge. Selbst der Untergang der Linkspartei, der eine kurze Greta-Sendepause füllte, als die damals noch heiß als Anwärterin auf den Friedensnobelpreis gehandelte Schwedin auf hoher See gen Amerika schipperte, scheint vorerst abgesagt. Die Rettung der EU durch von der Leyen, der gemeinsame EU-Etat, die europaweite Flüchtlingsverteilung, die in 14 Tagen stehen soll, der Fall Sachsens an die Feinde der Demokratie, Trumps zigste Amtsenthebung, der Bruder- und Schwesterkampf um den SPD-Vorsitz und Putins Versuch, die Ukraine zu übernehmen - kein Thema, nirgends.

Wie der Streit in der Koalition um die Grundrente, das Tempolimit und die Torwartfrage beim DFB kommt für den Moment nichts gegen die Einmann-Welle aus rechtsextremistischer Mordlust an, die nicht abzusehen war, ehe sie geschah. Hernach aber in Nullkommanichts zu einem nur logischen Symbol einer allgemeinen gesellschaftlichen Verrohung erklärt werden konnte, für die die sich seit Luckes Zeiten quasi tagtäglich weiter nach rechts außen radikalisierende AfD die sofortige und vollkommene Verantwortung zu übernehmen habe. Wer sonst?

Immer bleiben die Krisen ungelöst

Das Publikum, leidensfähig, aber schnell gelangweilt, sieht sich einem Bombardement ausgesetzt, das es von einer Hilflosigkeit in die nächste stürzt. Immer ist jetzt der Moment, in dem etwas getan werden müsste. Immer ist es morgen schon längst zu spät. Immer blieben die Krisen ungelöst, ein Notverband aus niedrigen oder hohen Zinsen, aus Versprechen und Plänen muss reichen. Immer kommt die Rettung allein aus der Ablenkung durch das nächste Drama, die nächste Tragödie. "Man lernt, sich hilflos zu fühlen, wenn man andere beobachtet, die unkontrollierbaren Ereignissen, etwa Naturkatastrophen, ausgesetzt sind", hat der Medienwissenschaftler Norbert Bolz einmal geschrieben. Eine Chance zum Genuss: Glücklich ist der, der seine eigene Situation mit der jener vergleichen kann, die es wirklich erwischt hat.

Wie der Reiche, der Wohlhabende, der, der ein wenig gespart hat mehr unter dem drohenden Verlust des Zusammengerafften leidet als der, der nichts zu verlieren hat, genießt der Deutsche die nie endende Aussicht auf schlechte Zeiten durch imaginierte Betroffenheit. Es gehört zur korrekten Haltung, anzunehmen, dass der Klimawandel natürlich hierzulande am schlimmsten wüten wird. Es gehört zum Selbstbild, anzunehmen, dass die eigene Art der Heizung ein globaler Kipppunkt ist.

Eine Droge für alle

Die anstehenden Katastrophen werden konsumiert wie eine Droge, mit der eine ganze Angstindustrie handelt. Je röter die Wetterkarten, desto wärmer wird es. Je hektischer die Themenwechsel, desto atemloser die Angst. Je unsichtbarer die Bedrohung, desto überzeugender das Argument, die Apokalypse werde eher morgen als übermorgen eintreten, wenn nicht sofort gehandelt werden. In welcher Weise auch immer.

Die Verkünder der schlechten Botschaften sind dabei längst Opfer der eigenen Parolen geworden. Jetzt länger sie denselben Vers predigen, desto überzeugter sind sie davon, dass er stimmen muss. Je weniger die Wirkung verfängt, desto sicherer scheint ihnen der Fakt, dass es noch nicht genug ist, noch nicht reicht, dass die Rettung der Welt nur gelingen kann, wenn die Angst noch größer wird und die Bereitschaft, die Apokalypse als unabwendbar anzuerkennen, schwerer wiegt als das Bedürfnis, einfach so weiterleben zu können. 

Querdies und Leugnerdas

Die moralische Unterstellung, jeder, der das wolle, versündige sich an allen anderen, hat etwas religiöses. Wer so denkt und so handelt, der gilt als Zyniker, als Neoliberaler, als Querdies und Leugnerdas. Unempfänglich für die Heilsversprechen, die den Ängstlichen gemacht werden - Erlösung durch Solar, Erlösung durch Wärmepumpen, Erlösung durch ein Tempolimit - tritt er aus der Gemeinschaft der Gläubigen aus. Ein Verweigerer der Verheißung, die Menschheit mit der Kraft der Änderungen des eigenen Verhaltens retten zu können, genau jetzt, genau nun, als teil einer erwählten Generation, der es gegeben ist, in den paar wenigen Jahren ihrer Anwesenheit auf diesem Planeten alle Weichen für immer zu stellen.

Anderenorts ist dieser Glaube denkbar schwach. Der Ägypter, der Japaner, die Türken, selbst Verbündete wie Dänemark, Schweden oder Portugal haben zumeist noch nicht einmal Kenntnis genommen von den vielen Formen der anstehenden Apokalypse, die auf dem deutschen "Markt der Gefühle" (Norbert Bolz) zum Tageskurs angeboten werden. Unvergessen die Jahre, als mit kleiner Münze auf das Angstkonto eingezahlt wurde: Radioaktivität im Trinkwasser war damals ein Klassiker, der "Supergau im Wasserglas", der sich seitdem irgendwie weggestrahlt zu haben scheint. Es kam bessere Ware rein, frischer, schlimmer, wertiger sogar als "radioaktives Uran", der deutschen  Angstreligion so lange treu diente.

Wie lange ist es noch fünf vor 12?

Statt der sieben Plagen gibt es unendlich viele Bedrohungslagen. Was, wenn? Wie lange noch ist es fünf vor 12? Statt "Was darf ich hoffen?", frage die neue, grüne Religiosität: "Was muss ich fürchten?", hat Bolz vor 15 Jahren analysiert, als die die Katastrophenrhetorik noch am Anfang stand, als nur systemrelevante Banken gerettet werden mussten und nicht ganz Gesellschaften vor sich selbst. Seitdem hat die "Industrie der Angst" (Bolz) Wachstumsraten erwirtschaftet, die in der Zulieferindustrie des Stichwortgewerbes ganze Divisionen von Gefälligkeitswissenschaftlern ernährt, eine Landschaft aus Beobachtungsbehörden, eine Politikergeneration am Rande des Nervenzusammenbruchs und eine kindliche Protestbewegung mit totalitärem Machtanspruch über die Mehrheit hat heranwachsen lassen. 

Die Welt, wird da geglaubt oder wenigstens gepredigt, sei noch zu retten, wenn nur ja alle am Gottesdienst der Vorsorge und Sicherheit teilnehmen, "Umweltbewusstsein" zeigen, "nachhaltig" leben, flach atmen, das ökologische Gleichgewicht wertschätzen und sorgsam horchen, was die Hohepriester der Natur an Botschaften ablauschen, die zur Richtschnur unseres Handelns werden müssen. Nicht bewegen. Schluss mit Wachstum. Einrichten im Heute für alle Zeiten. Wozu noch neue Technik, wenn dei EU verfügen kann, dass die alte repariert werden muss?


9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sagen wir so: Die Deindustrialisierung Morgenthau 2.0 ist durchaus sehr real.

Anonym hat gesagt…

...steht die Politik vor einem Scherbenhaufen aus jahrzehntelangen Fehlentwicklungen und verpenntem Entgegenwirken ...

Mit Verlaub, @Alex Cryso von PIPI, Sie sind ein A...

Jodel hat gesagt…

Zum einen muss man feststellen, dass sich bei all den Apokalypsen die Schlagzahl ständig erhöht. Waren im guten alten Mittelalter noch Pausen zwischen Ereignissen bei denen die Bevölkerung komplett durchdrehte von hundert Jahren keine Seltenheit, steigerte sich die Abfolge beständig. Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts reichte den Leuten noch eine Krise alle zehn Jahre. Heute reiht sich nahtlos die Verkündigung einer Katastrophe an die nächste.
Das lustige dabei ist ja, dass bis auf tatsächliche Naturkatastrophen, die Weltuntergänge nie eintreten. Hinzu kommt noch, dass die echten Katastrophen nachrichtentechnisch weit unterhalb der herbei fantasierten laufen. Man vergleiche nur einmal das Ahrtal mit der aktuellen Hitze-Dürre-Brand-Katastrophe.

Zum anderen ist es faszinierend, dass es noch immer funktioniert. Trotz Dauerbeschallung rund um die Uhr und dem niemals nicht Einhalten aller Vorhersagen, werden die Leute dem nie überdrüssig. Wer die Mehrzahl der Medien in der Hand hat, dem wird geglaubt, egal was die Realität sagt. Der Prozentsatz der Leutchen, die einmal einen Blick hinter den Vorhang wagen, bzw. das gesendete mit dem selbst erlebten wirklich abgleichen, steigt nur so langsam an, dass es fast nicht zum aushalten ist. Der drohende Ausschluss aus dem Rudel ist eine seit Jahrtausenden wirkende effektive Abschreckung. Die wird man trotz aller Bildung, Informationsmöglichkeiten und Aufklärung offensichtlich nur sehr schwer los.

Anonym hat gesagt…

Je mehr Mehrwert geschaffen wird, desto umfangreicher wird die Priesterkaste und desto fetter werden die Priester. Nomadische Völker konnten sich vielleicht einen Schamanen pro Siedlung leisten, spätestens seit Göbleki Tepe gab es Völker mit genügend ungenutzten Ressourcen, um ein Heer von Spinnern und Wichtigtuern mit durchzufüttern. Das ufert entsprechend bei uns aus. Das könnte sich doch mal ein Soziologe oder so angucken, statt sich Entschuldigungen für jede Entscheidung der Regierung auszudenken.

Anonym hat gesagt…

Wenn ich solchen Dreck lese ...

heinz weiss 22. August 2023 Beim 12:29

bürgerkrieg-t… wieder alles in die hand
afd und alles ist ok…..wird zeit – höchste zeit. mal sehen ob man später auch so eingestellt wsie gegen adolfo hirteler … der ein volk zerstörte…

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Er hat ja belgischen Kindern die Hände abgehackt, Zeitzünderbomben schmeißen lassen, und die Frauenkirche in Grund und Boden gebombt.
So ward dat nix, Kinnings.

Anonym hat gesagt…

Schulligung, das musste noch:

matu 22. August 2023 Beim 12:32

Ihr wollt es einfach nicht begreifen, diese Typen sind Austausch bar. Aber das es vielleicht doch am System Ligen-könnte ist ja unmöglich in euerer wahren Demokratie Vorstellung.Ihr seid wie ein Hamster der läuft,und glaubt, wenn er nur lange genug laufen tut, kommt er an das Ende, er begreift nicht das es ein Kreis ist, so wie das GG im dem ihr alle laufen tut, selbst wenn euere demokratichen Politiker Daran-herummurksen ...
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Was gab es früher noch so, außer dem Spanischen Rohr? Einen Eselskopf tragen, auf Erbsen knien?

Anonym hat gesagt…

DFens 22. August 2023 at 13:29

hans 22. August 2023 at 12:10

Vielen Dank für die wichtigen Anmerkungen, die leider nicht zum Allgemeinwissen gehören. Grund: Linke Manipulation, Lügen und Geschichtsklitterung. Weil wir schon mal bei der SPD sind: Ich nehme mal die Gallionsfigur und das Denkmal Otto Wels ...
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Galloppi, gallopi!

Anonym hat gesagt…

Zurückhaltung ich gelobe. Standart, Apartheit, seid/seit, das/dass, Wiederstand - sollnse doch. Auf Tod/tot, Progrom und Ursupator beschränken ich mich werde.
Meister Yoda

Anonym hat gesagt…

staatsfeind sagt:
23. August 2023 um 22:52 Uhr

hat die Wagner-Group die unbeliebte Führung selbst entsorgt…Wagner ist tod, es lebe der Wagner ???
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Nicht angefangen ich habe! Tot den Legasnickern!