Mittwoch, 5. Juli 2023

Urbane Übervölkerung: Buschprämie für Neusiedler

Verwunschene Katen im Outback könnten mit Hilfe staatlicher Umsiedlungsprämien längst Druck von den Metropolen nehmen.

Die urbanen Zentren stöhnen unter Menschenmengen, die auch in den Metropolen leben wollen. Junge Frauen und junge Männer zieht es in die Großstädte, Nochnichtsolangehierlebende wollen in der Nähe von Verwandten leben und angesichts der drohenden Fahrverbote für Pendler versuchen viele, auf Nummer sicher zu gehen und sich dort anzusiedeln, wo U-, S- und Straßenbahn oder wenigstens Busse die Chance versprechen, auch künftig noch von A nach B zu kommen, wenn es denn wirklich sein muss.

Ausreden lassen sich die Massen die Sehnsucht nach der großen Stadt nicht. Weltweit hält der Trend zur Urbanisierung seit Jahrzehnten an: Das flache Land verödet, etwa in Ostdeutschland. In den Ballungszentren aber steigen die Mieten, drängen sich die Menschen, verzehrt notwendiger Wohnungsneubau immer mehr unwiederbringliche Ressourcen. Als Bundesbauministerin Klara Geywitz im Frühjahr vorschlug, die überzähligen Wohnungssuchenden aus der Stadt aufs Land umzusiedeln, wo Immobilien in sämtlichen Erhaltungs- und Zerfallszuständen leer stehen, wurde die Sozialdemokratin nicht ernstgenommen. 

Nach wenigen Tagen schon versandete ihre Initiative, die Immobilienpreise in Großstädten durch gezielte Abwanderung zu senken, indem Umzugswilligen Landprämien angeboten werden. Für den Wohnpsychologen Taddeus Ponkt ein Kardinalfehler bei der Weichenstellung auf ein klimaneutrales Deutschlanderlebnis. 

Ponkt, der an der Denkfabrik Sparfuchs, einer Ausgründung aus dem bundesweit bekannten Climate Watch Institut (CLW) im sächsischen Grimma, zu Ursachen und Folgen zivilisatorischer Aufbrüche forscht, sieht im inzwischen vergessenen Geywitz-Appell einen Kipppunkt in der Debatte um die drohende Übervölkerung der urbanen Regionen. Im PPQ-Interview rät er dringend ab vom Fokus auf Neubauten, der im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde. Ebenso aber warnt der Experte vor einer ständigen Erneuerung ehrgeiziger Wohnungsbauziele. 

PPQ: Herr Ponkt, Sie sind als Wohnspsychologe auf der Spur der Siedlungswünsche, die viele Bürgerinnen und Bürger in die Großstädte treiben. Können Sie denn schon sagen, womit dieser Trend zu tun hat?

Ponkt: Es hat ursächlich sicher mit dem Wunsch der meisten Menschen zu tun, unter Menschen zu sein. Einsamkeit oder Abgeschiedenheit, die für manchen ein Lebenstraum ist, gilt vielen anderen als abschreckend. Es macht diese sehr, sehr große Gruppe in der Gesellschaft ängstlich, dort wohnen zu müssen, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen. Die Leere wirft, sagen wir in der Wohnpsychologie, die Betroffenen auf ihre innere Lehre zurück. Und diese doppelt empfundene Leere lässt sie letztlich am gesamten Leben verzweifeln.

PPQ: Dennoch waren Sie Anfang des Jahres begeistert von der Idee der Bundesbauministerin, Umzugsprämien an die zu zahlen, die das Wagnis eingehen, aus den gut erschlossenen Städten mit mit ihrer halbwegs funktionierenden Infrastruktur hinaus zu ziehen in die Einöde des flachen Landes.

Ponkt: Ich gebe zu, das war vor allem von der Hoffnung geprägt, einen Trend umzukehren, wenn man richtig Geld in die Hand nimmt. Schon lange gibt es ja da draußen jede Menge Platz für Neusiedler, billige Immobilienpreise und teilweise sogar Internet. Dennoch scheinen nach wie vor kaum relevante Teile der Bevölkerung bereit, die sichere Zuflucht in unseren großen Städten aufzugeben und auf der eigenen weit abgelegenen Scholle in Brandenburg, Mecklenburg, Sachsen, der Börde oder Vorpommern einen Neuanfang zu wagen. Ich habe deshalb gesagt, nur mit Appellen wird es nicht gelingen, Menschen zum Umzug aufs Land zu bewegen. Lasst uns Prämien zahlen, um den Ängstlichen das Ganze schmackhafter zu machen.

PPQ: Kaum ausgesprochen, war die Idee aber bereits wieder vom Tisch?

Ponkt: Leider war das so. Mag sein, es war der falsche Moment, mag sein, es wurde die Tragweite nicht überall erkannt. Mag auch sein, dass die globale Ablehnung und Abwertung des Landlebens, die wir aus den Medien kennen, hier einmal mehr verhängnisvoll wirken konnte. Fakt ist: Auf dem Land gibt es viel Leerstand. Die Preise sind niedrig. Das Wetter wird besser. Aber der Ruf eben nicht! Statt sich am Angebot zu orientieren, wird nach dem Bedarf geschaut. 

PPQ: Sie prangern Fehlallokationen an. Wo sehen Sie die?

Ponkt: 1,7 Millionen Wohnungen in Deutschland stehen leer. Leider aber an den falschen Stellen. Wir haben da draußen im Land Bauernhöfe, Gründerzeithäuser, Wohnblocks und kleine Hütten, für jedes Bedürfnis wäre etwas Passendes dabei. Nur leider gibt es nicht nur die angeregten Umzugsprämien bis heute nicht, sondern nicht einmal ein digitales Bundeswohnregister, wo Interessierte oder auch von den Großstädten Enttäuschte nachschauen könnten, was ihnen in der vielgeschmähten Pampa so geboten wird.

PPQ: Wie viele von diesen leerstehenden Behausungen sind denn ihrer Überzeugung nach nicht nur frei, sondern wirklich bewohnbar?

Ponkt: Das weiß offen gestanden niemand. Die Gesamtzahl der leerstehenden Wohnungen schwankt über die Jahrzehnte und es ist sehr schwierig zu beurteilen, welche nun bezugsfertig sind und welche nicht, was mittlerweile eingefallen ist und wo noch etwas gerichtet werden könnte. Selbst wir Wohnforscher  sind uns bei den amtlichen Schätzungen keineswegs einig. Aber das spielt auch keine Rolle. Fakt ist, es geht um viele Wohnungen, um Hunderttausende, die zu erschließen ein Bundesprämienprogramm zweifellos helfen würde.

PPQ: Landen wir denn aber nicht sofort wieder in den Bereich, in dem renaturierte Landschaften erneut zersiedelt werden?

PPQ: Ja freilich ist das ein Problem. Wo immer der Mensch ansässig wird, macht er viel kaputt. Aber mit den richtigen Lockprogrammen kann der Schaden minimiert werden, der zweifellos entsteht, wenn Millionen plötzlich raus aufs Land ziehen und leerstehende alte Häuser neu beleben. Angedacht war ja, dass der Bund für solche Selbstexperimente sechs Jahre lang jeden Monat Geld zahlt - statt zu mieten, bekommt man fürs Wohnen Gehalt! Das würde aus der Sicht der Wohnpsychologie viele reizen - so sehr sogar, das wissen wir aus Umfragen, dass es möglich wäre, im Zuge dieses Fördermodells auch Auflagen auszurollen. 

PPQ: Umweltschonende Vorschriften für Neusiedler?

Ponkt: So in der Art. Verzicht auf Internet, übertriebene Verkehrsanbindung, Lastenradpflicht. Eine Umkehr zur Bescheidenheit, wie so früher für das Landleben so typisch war. In vielen Bereichen könnten die Neusiedler sicherlich auch zu Alteingesessenen dazustoßen. Beispielsweise, wenn eine ältere Person allein in einem Haus lebt, weil die Kinder ausgezogen sind oder der Partner gestorben ist. Dann übernehmen die Zuzügler einen Teil des alten Vierseitenhofes, packen mit an bei der Ernte und  wiederbeleben die ausgestorbenen Orte. 

PPQ: Ist das nicht illusorisch?

Ponkt: Wieso? In 30 deutschen Städten gibt es diese "Wohnen für Hilfe"-Programme schon: Wer jung ist oder arm, der zieht zu Leuten, die alt sind oder sich die Unterstützung von Siedlern leisten können. Aus Berlin, das ja besonders unter  zu wenigen und viel zu teuren Wohnungen leidet, könnten rechnerisch Jahr für Jahr 5.000 bis 10.000 Menschen aufs Land aussiedeln. Und ich denke, das würden sie auch tun, hätte Frau Gleywitz ihre Idee vom Buschgeld für einen Neustart draußen in der Wildnis nicht vorschnell wieder aufgegeben. Ich sage Ihnen, wer konsequent versprechen würde, eine Ansiedlung im Harz oder der Uckermark über acht oder zehn oder 15 Jahre mit einem lukrativen Zuschuss zu fördern, der müsste heute schon nicht mehr über schrumpfende Region und überstrapazierte Zentren jammern, sondern hätte einen Zuzug, den wir wohl schon wieder bremsen müssten.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wer entsinnt sich noch des Kommunistischen Manifestes?
Das Landleben wird abgeschafft, weil es verblödend wirkt. Die notwendigen landwirtschaftlichen Arbeiten werden von - alle drei Monate wechselnden - eigens dazu abkommandierte Arbeitstrupps ausgeführt.
War wohl noch ein wenig unausgegoren ...

Anonym hat gesagt…

Bernd wird sich einen Vielseitenhof mit 88ha Land kaufen und dort Zopfmädchen in völkischen Röcken politisch unterrichten . Irgendwann kommt dann die Machtergreifung .

Anonym hat gesagt…

mit 88ha Land kaufen ...

Name? Von hier? - Ihr Nachbar, Herr Rittmeister. Drei Brüder, sechs Morgen. (Volk ohne Raum)- Hol dir Land! Im Osten gibt's Land! --------- Junge, wie man uns beschissen hat!

Aus: Die Abenteuer des Chaim Noll