Mittwoch, 19. Juli 2023

EU-Außengrenze in Afrika: Sondervermögen für Punien

Artikel 23 Grundgesetz Beitritt Tunesiens
Die führendsten Vertreter*innen der EU-Bürokratie reisten selbst nach Tunis, um die Behörden des halbdemokratisch regierten Landes als neue Grenzwächter zu dingen.

Geplant war alles anders, durchgreifender und endgültiger. Als der gebürtige Sachse Ralph Haberstroh vor zwölf Jahren gemeinsam mit dem tunesischen Studentenführer Ali Kamal vorpreschte, glaubten die beiden studierten Politikwissenschaftler an eine schnelle Lösung. Diktiert von brutalen Sachzwängen, aber zum Vorteil beider Seiten, so ihre Idee, würden sich die Bundesregierung in Berlin und die Regierung in Tunis angesichts der beiderseitigen Notlage schnell einig werden: Deutschland leidet unter Überalterung und Fachkräftemangel, unter fehlenden Flächen für den notwendigen Ausbau der Erneuerbaren und zu wenig Sonne für einen kräftigen Aufwuchs von Solarparks. Tunesien dagegen stöhnt unter hoher Arbeitslosigkeit, niedrigen Löhnen und einer unten immer breiter werdenden Alterspyramide.  

Die Probleme Tunesiens seien komplementär zu denen Deutschlands, formulierten Haberstroh und Kamal in einem 233-seitigen Thesenpapier, das sie dem Bundestag zukommen ließen. Zwei anders Schwache, die zusammen allemal stärker sind als allein, so dass ein Beitritt des 64 Saarländer großen Wüstenstaates zum Geltungsbereich des Grundgesetzes ein Win-Win-Spiel historischen Ausmaßes wäre. "Deutschland bekommt seine Fachkräfte und kann endlich wieder sagen ,Wir haben Platz'", sagte Ralph Haberstroh, "und Tunesien bekommt endlich eine demokratische Perspektive." Für Deutschland ein kleiner Schritt in die Zukunft, für die nur zehn Millionen Tunesierinnen und Tunesier ein großer Sprung vom immer noch mittelalterliche geprägten Land am Rand Afrikas zum ersten Vorposten der EU auf einem anderen Kontinent - von den spanischen, französischen und niederländischen Kolonialgebieten abgesehen.

Willkommenskultur ist kaputt.

Zögern in Berlin und Brüssel

Allerdings war es dann in Berlin und Brüssel wie so oft. Die Bundesregierung zögerte, der Bundestag beriet lange und viel zu lange darüber, wie sich der nach 1990 aus dem Grundgesetz getilgte Beitrittsartikel 23 so unauffällig wieder in die Verfassung aufnehmen ließe, dass die EU-Partner nicht unruhig werden. Nicht zuletzt war das die EU-Kommission, die monatelang nicht erkennen ließ, ob sie einen entsprechenden Deal genehmigen oder aber eine Rückgängigmachung des Beitritts verlangen würde. Zwölf Jahre stockten die Beitrittsverhandlungen, zwölf Jahre dominierten Zögern und falsche Rücksichten die bilateralen Gespräche. Das übertrifft rein zeitlich sogar die Dauer der Gespräche zwischen Schweiz und EU über das sogenannte Rahmenabkommen, die beide Seiten ohne Abschlussabsicht führen, weil sie so lange behaupten könne, dass es die Chance auf einen Kompromiss gibt.

Diesmal aber steht am Ende doch wieder nur das kleine Karo wie beim Wiederaufbau Europas, beim Asylkompromiss und bei der Naturschutzsanierungsrichtlinie. Statt der großen Wiedervereinigung mit dem Bundesland Punien - geschichtlich gesehen hat beinahe jeder Tunesier einen der im 5. Jahrhundert aus Germanien gekommenen Vandalen als Vorfahren im Stammbaum, so dass die heutige Wohnbevölkerung ohnehin deutscher Abstammung im Sinne des Grundgesetzes ist - führten die Verhandlungen letztlich bloß zu einem halbgaren Migrationsdeal mit Tunesien. Das von Präsident Kais Saied seit einem Putsch mit Hilfe von Notstandsparagrafen regierte Land verdingt sich als "Europas Türsteher in Afrika" (Taz). Und kassiert für die Dienstleistung, aus dem Süden Afrikas anströmende Migranten aufzuhalten und zurückzutreiben, eine Belohnung von 900 Millionen Euro.

Sondervermögen für Punien

Ein Sondervermögen, das als  "Finanzhilfe" bezeichnet und erst später abgeschrieben werden. Acht Jahre nach der Ankündigung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, nun aber richtig konzentriert die sogenannten Fluchtursachen zu bekämpfen, nimmt das Vorhaben Fahrt auf. Zwar verspricht die neue Idee der Auslagerung des europäischen Grenzschutzes an den 30. Breitengrad - nur noch knapp 3.300 Kilometer entfernt vom Äquator - keine grundsätzliche Reform der bisherigen Begrenzung Europas auf den alten Kontinent. Doch in Zusammenarbeit mit dem "korrupten System" (Kais Saied) in Tunis könnte eine Entwicklung gestoppt werden, die wie vor 1989 im Osten Deutschlands dazu führt, dass vor allem junge Menschen das Land verlassen.

Mit solchen massenhaften Fluchtbewegungen sei niemandem geholfen, weder den ehemaligen Puniern noch den Deutschen, beklagt Ralph Haberstroh, der vom Bundestag ein Signal erwartet, dass die Zeichen der Zeit verstanden worden sind. Statt zu jammern, sei es Zeit, die Bedrohung als Chance zu begreifen, formuliert der 42-Jährige. Hier habe man es mit einer schleichenden Überalterung zu tun, dort hingegen mit einer sogenannten "Youth Bulge" (Gunnar Heihnson), also einem Überschießen der jugendlichen Bevölkerung, das zu Perspektivlosigkeit und gesellschaftlicher Unruhe führe. Ein Ausgleich durch eine Wiedervereinigung könne bilateral erfolgen wie damals, als Helmut Kohl 16 Millionen Ostdeutschen einlud, im Tausch gegen ihre Kaufkraft und Konsumwilligkeit am Aufbau der entwickelten kapitalistischen Gesellschaft teilzunehmen. 

Kleiner Brocken, großer Sprung

Tunesien hat zehn Millionen Einwohner, das ist ein kleiner Brocken", sagt Haberstroh, dem ein Beitritt des Landes, das 1943 bereits einmal kurzzeitig in deutscher Hand war, nach Paragraph 23 Grundgesetz vorschwebt. Der sei zwar zur Zeit im Grundgesetz nicht mehr enthalten, könne aber jederzeit wieder hineingeschrieben werden. Da die meisten Tunesier auch nach der erneuten Wiedervereinigung in Nordafrika wohnhaft bleiben würden, so wie die Sachsen nach dem Ende der DDR zumeist in Sachsen geblieben seien, profitiere Deutschland auf jeden Fall. Deutschland bekomme endlich freien Zugang zum Mittelmeer, die tunesischen Wüstengebiete könnten zur Aufstellung gigantischer Solarparks genutzt werden und mit den Ruinen von Karthago sei ein guter Ersatz für den vor Jahren weggefallenen Welterbetitel Dresdens gefunden. Tunesien erhalte dafür mit dem Euro und dem System der Jobcenter Zugang zu moderner Schuldenakrobatik und High-Tech-Verwaltung. 

Bedrohung als Chance

Statt zu jammern, sei es Zeit, die Bedrohung als Chance zu begreifen, formuliert der 42-Jährige in seinem Thesenpapier, das er gemeinsam mit dem tunesischen Studentenführer Ali Kamal verfasst hat. "Nordafrika reicht uns hier einen Rettungsring", ist er überzeugt. Die Probleme Tunesiens, das in deutschen Nachrichtensendungen kaum auftauche, seien lösbar, indem Tunesien Deutschlands Probleme löse. Hier die schleichende Überalterung, dort hingegen eine sogenannten "Youth Bulge" (Gunnar Heihnson), also einem Überschießen der jugendlichen Bevölkerung, das zu Perpektivlosigkeit und gesellschaftlicher Unruhe führe.

Das Rezept der beiden multilateralen Initiatoren, die von einem Kreis internationaler Denker unterstützt werden, sieht nun vor, die Schwäche des einen Staates durch die Schwäche des anderen auszugleichen: So, wie es Helmut Kohl 1990 mit der DDR getan habe, als er 16 Millionen Ostdeutschen im Tausch gegen ihre Kaufkraft und Konsumwilligkeit gestattete, am Aufbau der entwickelten kapitalistischen Gesellschaft teilzunehmen. "Tunesien hat zehn Millionen Einwohner, das ist ein kleiner Brocken", sagt Haberstroh, dem ein Beitritt des Landes, das 1943 bereits einmal kurzzeitig in deutscher Hand war, nach Paragraph 23 Grundgesetz vorschwebt. Der sei zwar zur Zeit im Grundgesetz nicht mehr enthalten, könne aber jederzeit wieder hineingeschrieben werden. 

Neues Überseegebiet

Demografisch ist die Idee ohnehin bestechend. Das neue Überseegebiet hat erst 2005 die Schwelle von 10 Millionen Einwohnern überschritten und seine Bevölkerung damit seit Beginn der 1970er Jahre verdoppelt. "Das passt", freut sich Ali Kamal, "denn gerade in dem Bereich hat Deutschland ja arge Probleme." Verwaltungstechnisch könne das neue Bundesland wie alle anderen mit voller Autonomie vor allem in der Bildungspolitik rechnen. Der Bund übernehme die Verteidigung und in Teilen die Kosten für Hortbetreuung. Als Landesvater komme bis zu einer Wahl, die parallel zu den nächsten Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg stattfinden könnten, der derzeitige Diktator Kais Saeid infrage. Saied habe studiert und oftmals erklärt, dass er für harte Reformen eintrete. "Ich bin fest überzeugt", sagt Ralph Haberstroh, dass wir gemeinsam immer noch Geschichte schreiben können."

Enttäuscht ist der Vereinigungsaktivist vom Kurs der Brüsseler EU-Kommission. Die hatte als Ziel ausgegeben, einen Handel mit Tunesien „als Blaupause für ähnliche Partnerschaften in der Zukunft“ zu nutzen. Dabei zielt Brüssel allerdings nur auf „neue umfassende Partnerschaften mit Drittländern“, nicht auf unmittelbare Beitrittsverhandlungen, wie sie Haberstroh vorschweben. Die „kleine Lösung“, wie er es nennt, biete keine Gewähr für eine langfristig erfolgreiche Intergration in die Gemeinschaft, die ein Anschluss garantiere. Zwar sehe er auch, dass der Einigungsprozess mit Ostdeutschland am Ende viel länger brauche als ursprünglich eingeplant worden war. „Aber wenn wir heute nach Ostdeutschland kommen, dann sehen wir zumindest im Frühjahr ja wirklich die beschworenen blühenden Landschaften“.

Windige Partnerschaft

Die große Lösung könne deshalb nicht in windigen Partnerschaften bestehen. „Wir müssen den Kurs auf eine wirkliche Vereinigung konsequent fortsetzen“, sagt Haberstroh und er verahrt sich strikt einer höflichen Geste, die die Bedeutung der Unterzeichnung des Post-Cotonou-Abkommens zwischen Tunis und Brüssel überbetont. „Das mag ein umfassender rechtsverbindlicher Rahmen sein“, sagt er, „aber er taugt eben nur für die Zusammenarbeit zwischen Partnerländern, nicht für eine Vereinigung auf Augenhöhe.“ Auch im Bereich Migration könne damit nicht gepunktet werden. „Wir werden in den kommenden Monaten sehen, dass die EU-Migrationspolitik sich falsche Hoffnung macht, dass eines der Hauptthemen, die die Bürger und Verwaltungen beschäftigen, damit abgeräumt wird, dass die Staats- und Regierungschefs der Union versuchen, Fremdstaaten in Mithaftung für ihre Einwanderungs- und Asylvorschriften zu nehmen.“

Während eines Besuchs in Tunis im vergangenen Monat hatte Ursula von der Leyen noch genau diese Hoffnung geäußert. Nachem die EU Tunesien ein 900-Millionen-Euro-Paket zur Unterstützung der Wirtschaft angeboten habe, werde, das Land sich befleißigen, die Erwartungen des großen nördlichen Partners zu erfüllen. Ralph Haberstroh hält das für eine Illusion. „Niemals“, schüttelt er besorgt den Kopf.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

es sind nicht 9, sondern 0,009 Sondervermögen

ppq hat gesagt…

du hast vollkommen recht. diese vielen nullen überfordern den hausverstand