Noch bevor der erste Ton beim ersten Konzert in der Heimat gespielt war, hatte es Till Lindemann geschafft. Against all odds und gegen jede Wahrscheinlichkeit war es dem Sänger der Popgruppe Rammstein gelungen, den großen Krieg im Osten hinter sich zu lassen. Google Trends, der unbestechliche Gradmesser des öffentlichen Interesses, zeigt den 60-jährigen Musiker ganz vorn: Die Menschen in Deutschland, sie interessiert weit mehr, was dran ist an den Vorwürfen über neue Vorwürfe gegen den ältesten weltweit erfolgreichen Sachsen als wie es um die Frühjahrsoffensive und den gesprengten Staudamm steht. selbst der Heizungshammer und die Ampelquerelen, die angedachten neuen EU-Regeln zur Effizienzpflicht beim Wohnen und der Kirchentag, ein anderes großes Treffen von Fans einer populären Institution, die seit Menschengedenken mit dem Verdacht auf systematisierten Missbrauch zu kämpfen hat, fallen deutlich ab.
Klimabewegung bezwungen
Rammstein bestimmt die Agenda, Till Lindemann, bisher schon recht bekannt, schickt sich an, bekannter zu sein als der Papst, Olaf Scholz, Trump und Joe Biden. Gegen die Klicks, die der frühere Leistungssportler generiert, erscheinen alle anderen Weltprobleme nichtig und klein. Den Klimawandel hat Lindemann binnen Stunden förmlich in den Staub getreten, die rabiaten Klimaretter von der Letzten Generation werden ihre Strategie überdenken müssen, die stets darauf zielte, mit nur wenigen Aktiven so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu generieren. Wenn ein Mann ohne Klebstoff, ohne Manifest, nur mit einem alten Pornofilm und ein paar unbelegten Vermutungen über Drogenmissbrauch und Sexpraktiken im Backstagebereich so ungleich viel mehr vom Kuchen der Medienkonsums abbekommt, steht eine Neuausrichtung der gesamten Aussterbebewegung an.
Für Hans Achtelbuscher, der am An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung an Phänomenen wie dem Themensterben in den deutschen Medien, Sprachregelungsmechanismen und dem Einfluss subkutaner Wünsche auf die berichterstattete Realität forscht, ist das freilich keine Überraschung. "Wir wissen aus der Geschichte der Skandalisierung, dass es weniger auf die objektive Bedeutung bestimmter Vorfälle ankommt als vielmehr auf die kompakte Konsumierbarkeit." Nicht-professionelle Adressaten der Tageswahrheit nähmen Studien zufolge nur etwa fünf bis elf Prozent der Nachrichtenmenge wahr, die Funk- und Medienhäuser tagtäglich feilböten. "Der große Teil des Restes erscheint ihnen im Vorbeigehen zu schwierig entschlüsselbar und die Mühe nicht wert, sich einzuarbeiten."
Personalisiert wie das Bobby Car
Personalisierte Skandalgeschichten wie zuletzt die um den grünen Clan im Klimaministerium oder ein handfester Streit mehrerer Minister um Heizvorschriften seien deshalb so erfolgreich, weil sie verständlich seien, auch ohne dass sie inhaltlich verstanden werden müssten. "Denken wir an den Altbundespräsidenten Christin Wulff", beschreibt Achtelbuscher, "niemand kann heute mehr sagen, worum es eigentlich ging, aber das berühmte Bobby-Car ist jedem ein Begriff." Werde eine prominente Person mit einem leicht fassbaren Vorwurf verknüpft, funktioniere das eigentlich immer. "Ältere erinnern sich an Michael Jackson und das Baby auf dem Balkon, als wie aus dem Nichts eine Welle an Aufregung um die gesamte Welt rollte, die nicht hätte größer sein können, wäre das Kind tatsächlich heruntergefallen."
Für die Medienwissenschaft ist das einer Binse. "Nicht die Fallhöhe entscheidet, sondern immer die Fantasie", sagt Achtelbuscher. Lindemann sei so gesehen ein Traum von einem Skandal, angesiedelt in einer verschwiegenen Branche, von deren Funktionieren ganz normale Menschen kaum eine Vorstellung haben, gestrickt um einen Mann, den selbst progressive Medien achtungsvoll als "schillerndsten deutschen Rockstar der Gegenwart" (RND) lobten, auch, weil seine Poeme die "Freiheit der Kunst verteidigen" (Spiegel) sollten. Diese Kunstfigur nun, von der niemand zu sagen weiß, wie sie ihre Tage oder Nächte verbringt, bekommt es mit dem Vorwurf zu tun, er führe ein Leben wie ein Rockstar, mit Mädchen, die so willig sind, sich zu ihm führen zu lassen wie einst die Groupies der Stones.
Unwiderstehlicher Antiheld
Das ist eine ideale Kombination, weil sie überaus leicht zu verstehen ist." Vor allem, wenn man im Vergleich dazu betrachte, wie komplex weltgeschichtlich durchaus bedeutsamere Ereignisse wie die Sprengung von Nordstream, des Kachowka-Damms oder die gerade von der EU-Kommission gestellte Frage der armutsgefährdeten Immobilienbesitzer in Deutschland seien. "All diesen Geschichten fehlt es aber an einem gängigen spin, wie der Engländer sagt, an einer namhaften Besetzung und an einer bequem handhabbaren Rollenverteilung auch für Menschen, die das alles nur als news to go konsumieren." Till Lindemann verdanke seinen aktuellen Erfolg einem Ruf als unwiderstehlicher Antiheld. "Solche Typen faszinieren, solche Typen sind Marken, die auf Medien magisch wirken."
8 Kommentare:
Immer wenn man Philipp Ruch, bekannt dafür, noch jeden noch so sinnlosen Scheiß durchzuziehen, braucht, ist er abgetaucht.
Ich dächte, er organisiert für die hunderten Fans (Spiegel), die ihre Eintrittskarten zurückgeben, eine Kartenverbrennung, aber nix da.
Dabei böte sich Berlin (auch drei Konzerte) geradezu an. Auf dem August-Bebel-Platz kann man so Zeichen setzen, besser noch vor dem Nazi-Stadion im Westen Berlins, in dem geplant ist, riefensteinische Symbolik (De Lapuente) zu bejubeln.
Leider ist es so, jetzt wo man Eintrittskarten öffentlich verscheiterhaufen müßte, fehlt der sonst rußverschmierte Ruch des Guten.
Wie nett, dass die Presse auch meine Aufmerksamkeit auf den bekanntesten sächsischen Musiker seit Richard Wagner lenkt. Eher auf die Person als auf die Groupievögelei, denn Damen mit entsprechendem Mindset sind schon bei Paganini oder Farinelli in Hitze geraten, bei letzterem allerdings ohne Möglichkeit eines natürlichen Abschlusses.
Wiki:
... während der Jugend-Schwimm-EM in Italien unerlaubt aus dem Hotel entfernt und sich von Kollegen aus Westdeutschland im Mannschaftsbus „klassenfeindliche“ Aufkleber besorgt hatte.
Schon damals ein Früchtchen.
Was mit der Presse los ist, kann man nur mutmaßen. Es läuft eine selbstverstärkende Rückkopplungsschleife, die eine Weile schwingt und mangels Input wieder abklingen wird.
Wenn nicht noch ein reales Dirndlgate aufgewirbelt wird, bleibt nur kostenlose Band-PR im Wert vieler Millionen übrig.
Es gibt wieder einen Unterschied zwischen der früheren DDR und dem heutigen, modernen Deutschland: Während in der DDR die Musik verboten war, konnte die After-Show-Party ungehemmt stattfinden. Im modernen Deutschland darf dagegen die Musik gespielt werden, aber die After-Show-Party ist verboten.
Ansonsten geht meine Wahrnehmung dahin, dass das ganze Drama, welches die versammelte Medienlandschaft jetzt als Skandal verkauft, durch Rammstein selbst inszeniert ist. Eine Band wie Rammstein tritt nicht leise ab, die braucht einen Knall, welcher einen Mythos um das Ende der Band Rammstein befördert.
Rammstein brauchen längst keine After-Show-Party mehr hinter der Bühne. Die sitzen längst in ihren Weinkellern oder Landsitzen in Brandenburg und lachen sich ins Fäustchen darüber, wie die versammelte Medienlandschaft über das Stöckchen gesprungen ist, was ihnen hingehalten worden ist. Nützliche Idiotinnen dafür, gibt es genug.
@Carl Gustaf
"Die sitzen längst in ihren Weinkellern oder Landsitzen in Brandenburg und lachen sich ins Fäustchen"
Eher nicht. Sowas geht nicht spurlos an einer Firma vorbei.
Fillip Ruch wird sich bei den Rammsteinenden kaum blicken lassen wegen Aufsmaulgefahr doch eher akut
Den CD Verkäufen und Videoclics wird es nicht schaden, die werden massiv steigen. Konzertkarten
kann man mit Gewinn weiterverkaufen. So blöd sie zu verbrennen sind nicht mal Gutmenschen.
In 2 Wochen ist der ganze Quatsch sowieso vergessen.
Personalisierte Eintrittskarten für Rammstahl-Auftritte, die man nicht nutzen möchte, kann man gefahrlos verbrennen.
Bei Eventim storniert man das Ticket und gibt es für Fansale frei, ohne Gewinnmöglichkeit. der nächste Käufer dankt mit dem Kauf für die Selbstkosten, die man auch hatte.
Kollektives Besäufnis im Sudetengau noch immer alles Roger. Was bin ich blau, djekuiemie.
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