Vom Original kaum zu unterscheiden: Eine aufgemalte Fachwerkfassade im friesischen Stil. |
Natürlich haben ich die Klagen mitbekommen. Das Jammern war ja auch kaum zu überhören! Zu teuer, zu schnell, zu viele Wohlstandsverluste. Das Klima rückte tatsächlich in den Hintergrund! Das war zumindest meine erster Eindruck, als die Bundesregierung ihre ehrgeizigen Klimaziele vorlegte und die EU dann auch noch einen draufpackte, damit es schneller geht. wenn wir hier in der Werkstatt saßen, nach Feierabend, wenn wir die Stundenzettel ausfüllen, dann haben wir schon gescherzt über diesen Kleinmut, den es da überall gab. Diese Wohlstandsjüngelchen, die zwar die Welt retten wollen, aber das Portemonnaie nicht öffnen! Die habe ich gefressen, wenn ich ehrlich sein soll.
Der passende Zeitpunkt
Für uns war das im Grunde alles super. Gerade zum jetzigen Zeitpunkt. Ich muss das sicher ein bisschen erklären, denn nicht jeder weiß bestimmt, was wir hier bei Truss Coating & Colors genau machen. Wir sind ein Spezialbetrieb aus Sachsen, gleich an der Grenze zu Brandenburg, und wir beschäftigen uns mit der Fassadengestaltung. Das klingt langweilig, ich weiß, ist aber gar nicht so unspannend. Oft geht es darum, richtig alte Gebäude zu retten, die also zu machen, dass sie, auch wenn sie neu sind, aussehen wie alt, also nicht wie kaputt, aber so wie man sich heute vorstellt , dass es im Mittelalter gewesen ist. Wir sind 17 Leute im Betrieb, überwiegend erfahrene Jungs, zwei Frauen dabei, die auch mit rausfahren auf Baustelle.
So einen Laden hältst Du freilich nicht am Leben, wenn Du nur Großaufträge annimmst. Wir machen deshalb auch viel Re-Design, also sogenannte Rückgestaltung. Das passte gut zwischen die großen Baustellen, und es macht auch echt Spaß. Alte Hütten ganz individuell rückaltern lassen. In historischen Innenstadtkernen mit viel Farbe und ein paar Brettern verhindern, dass das Flair verloren geht, wegen dem die Touristen ja alle kommen. ich liebe das, wir alle lieben das und wir leben dafür.
Ein Glücksfall für die Branche
Ja, gut, ich weiß, die Klimabeschlüsse. Das war also für uns erst mal nichts, was uns interessiert hat. Bis dann ein Kollege, der Werner war das, kam und meinte, wenn da jetzt alles gedämmt werden müsse, dann entstehe ja wohl viel Kosmetikbedarf am surface, das ist, wie wir die Fassade nennen, weil die Kollegen das global so handhaben. Alle haben an ihren Zigaretten gezogen. Einen Schluck Kaffee genommen. Und dann hat der Chef ganz trocken gesagt, dass er das dann mal durchrechnen wird.
Am nächsten Nachmittag, wir schreiben gerade wieder unsere Stundenzettel, platzte die Bombe. Zwei Millionen, sagt der Krüger, also unser Chef. Es gebe zwei Millionen Fachwerkhäuser im Land, alle ungedämmt, alle mit Z-Kältebrückenwert nach EU-Standard. Alle bis in gestern unbedingt dick zu dämmen, weil sonst Abriss angedroht.
Darum heißt es Denkmalschutz
Unter uns Fachleuten ist sofort klar gewesen, was das bedeutet. Fachwerk, das heißt in 70 Prozent der Fälle Denkmalschutz, also nix mit Nagel, Klebepistole und Steinwolle oder Quietschpappe drauf, bis es innen Schimmel schwitzt. Da gehört viel mehr dazu, denn wenn schon der Zustand nicht mehr da ist, muss nach den geltenden Gesetzen eine Zustandssimulation hergestellt werden. Klingt kompliziert, ist aber einfach: Als Besitzer dämmen Sie ihr Haus ganz normal, wie jede schnöde Vorstadtbude. Danach aber rufen Sie uns an und wir malen ihnen auf die neue hintergelüftete Vorhangfassade aus PIR-Platten eine Eins-A-Fachwerkfassade.
Das erkennt keiner, der nicht vom Fach ist. Versprochen. Ob nun ich oder einer meiner Kollegen oder eine von unseren Kolleginnen: Wir malen ihnen die Maserung der alten Eichenbalken und die individuelle Zeichnung jedes einzelnen Backsteins so, dass Sie anschließend selbst keinen Unterschied zu vorher feststellen werden. Das sind Gemälde, die wir schaffen, lebensgroß und behördenecht, wie unser Chef immer sagt: Wenn der Denkmalschutzexperte erscheint, um die Dämmung abzunehmen, soll er im ersten Moment glauben, zu früh dran zu sein. Der soll und am besten fragen, wann es denn losgeht mit der Übermalung.
Die Illusion bleibt
Ich sage jetzt immer. Darum heißt es Denkmalschutz! Weil wir die Illusion draufmalen, dass alles so ist wie all die ahrhunderte vorher. Das Haus ist durch die Steinwolle und das ganze Zeug, was da auf die alten Mauern kommt, natürlich dicker. Das müssen wir beim Bemalen beachten, es kommt also auch darauf an, dass wir die Perspektive ein wenig geradeziehen, wie wir das nennen. Das ist aber kein Problem. Wir haben 6x&-Fotografien aus allen Perspektiven, die werden gemacht, ehe die Dämmung draufkommt. Daraus erstellen wir ein Modell, das es uns erlaubt, auf der Baustelle detail-, aber auch normgerecht zu arbeiten. Die Balkendicke, die Oberflächenstruktur, die nicht immer ganz sauber gearbeiteten Fugen, das alles pinseln wir im Original auf.
Wir sind Handwerker, aber auch Künstler. Das hat seinen Preis, aber welche Alternative gibt es denn? Dass wir das Klima retten müssen, darüber sind wir uns einig, dass es aber auch gilt, unser historisches Erbe zu erhalten und den Millionen von Touristen, die hierher kommen, um das typische Deutschland zu sehen, zu bieten, was die suchen, darüber müssen wir nicht streiten. Für Besitzer von solchen Häusern ist das von Fall zu Fall sicher nicht leicht, denn nicht nur die Wärmepumpe, der Einbau der Fußbodenheizung und die Dämmung kostet, sondern unser Service auch. Für uns als Firma ist das Ganze natürlich super, der Chef sucht jetzt schon händeringend Fachkräfte, die auch mit dem kleinen Pinsel arbeiten können.
Kein Ende abzusehen
Ich sehe das alles deshalb positiv. Von uns Jungs schafft jeder ein halbes durchschnittliches Haus im Monat, Urlaube raussubstrahiert, kriegen wir im Jahr um die hundert Fachwerkhäuschen bemalt, wenn nicht gerade ein altes Rathaus oder ein großes Theater dabei ist. Hier rundrum, in Tagespendelabstand zur Werkstatt, stehen mehr als 100.000 Gebäude, derer wir uns in nächster Zeit werden annehmen müssen. Selbst wenn der Chef noch Verstärkung findet und die neuen Jung sofort einschlagen, ist für die nächsten 500 bis 800 Jahre kein Ende der Nachfrage abzusehen.
2 Kommentare:
Das Verfallsdatum für Häuser ist längst überfällig, so eine Studie des Umweltbundesamtes. Damit umgeht man solche Notlösungen.
P.S. neue Sprachregelung zur sog. Frauen. Kurt Metzger neulich auf Youtube: Statt 'gebärende Person' sollte man 'abtreibende Person' sagen.
Tolles Konzept. Aber für die geforderte Dreifachverglasung gibt es auch schon eine Expertise. 1. Unbedingt die Gebäudeversicherung prüfen, ggfs. erneuern. 2. A?D Wahlplakate von innen in die alten Fenster hängen. 3. Warten.
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