Mittwoch, 22. März 2023

Abschaffung der Direktmandate: Oben ohne

Beim nächsten Mal reicht weniger klimaschädliches Papier.

Es steht schlimm nicht nur um eine Partei, sondern gleich um mehrere. Doch ausgerechnet der seit mehr als einem Jahrzehnt geführte Kampf um einen immer kleineren Bundestag könnte nun einen überraschenden Ausweg aus einer Bredouille bieten, in denen auch eine endlich zunehmend konsequent und streng geführte Klimaschutzpolitik Deutschland zu manövrieren droht. Statt dankbar zu sein, drohen vor allem die vielen älteren und noch relativ wohlhabenden Wählerinnen und Wählern mit Protesten an der Urne. Das Bundesland Thüringen mahnt als fürchterliches Beispiel: Seit der Rückabwicklung der letzten Landtagswahl kann das "grüne Herz" aus Furcht vor Rot und Blau keine neue Wahl mehr wagen.

Schrumpfen wagen

Um ähnliche Verhältnisse im Bund zu vermeiden, kommt die gerade erst beschlossene Änderung des Wahlrechts zur Verringerung der Größe des Bundestages gerade recht. Künftig soll die Höchstanzahl an Mandaten festgeschrieben werden wie bisher auch schon. Um sie aber einzuhalten, fällt der atmende Deckel weg, der bisher nach dem Vorbild der EU-Regeln zur Höhe zulässiger Schulden eine nach oben offene Besetzung erlaubte. Streng soll die Zahl der vergebenen Mandate eingehalten werden, zwar nicht mehr bei 500 oder unter 600 wie erst geplant, nun aber bei unter 650. Ein harter Einschnitt. 

PPQ hat mit dem Verfassungsforscher und Medienpathologen Hans Achtelbuscher über die beschlossene Abschaffung der Grundmandatsklausel, die Umbenennung der Erststimme in Auchnochstimme und die Erklärung der Parteilisten zum Nonplusultra einer von den Parteien gelenkten Demokratur gesprochen.

PPQ: Herr Achtelbuscher, Deutschland wächst, Deutschland gedeiht, es leben so viele im Land wie noch nie. Wieso ist der Bundestag auf einmal zu groß?

Achtelbuscher: Das müssten Sie das Bundesverfassungsgericht fragen. Das hatte ja behauptet, dass die einzelnen Ausschüsse des Parlaments so groß geworden sind, dass dort nicht mehr regulär gearbeitet werden kann. Für Praktiker ist das natürlich ein Humbug. Wenn ein solcher Ausschuss ab einer gewissen Mitgliederzahl nicht mehr effektiv arbeiten, man aber andererseits  für jeden Abgeordneten irgendeine Ausschussarbeit finden muss, weil sonst die Ausrede nicht zieht, dass das Bundestagsplenum immer so leer ist, weil alle gerade fleißig in einem Ausschuss arbeiten, dann muss man eben neue Ausschüsse gründen.

PPQ: Wenn doch aber nicht genügend Aufgabengebiete zur Verfügung stehen?

Achtelbuscher: Unsinn. Die EU zeigt doch, wie das geht. Dort gibt es 27 Kommissare mit Fantasieaufgaben wie "Werte und Transparenz", "Europäische Lebensweise", "Vorausschau" und "Kohäsion". Bis Großbritannien ausschied waren es 28, wenn irgendwann neue Staaten dazukommen, werden es 30, 35 oder 70m sein. Wenn man mit 50 Leuten schlechter diskutieren und gemeinsam Gesetze schreiben kann als mit 20, dann muss man eben aus 30 Ausschüssen 60 oder 100 machen. Fertig.

PPQ: Man hat sich anders entschieden. Vielleicht auch, weil die Verkleinerung des Bundestages in den vergangenen Jahren zu einer prinzipiellen Frage geworden ist: Die Frösche wollen nachweisen, dass sie einen Sumpf trockenlegen können, sagt man in Berlin.

Achtelbuscher: Ja, das könnte man so sehen. Viele im politischen Berlin sind wirklich stolz, da so eine Sache übers Knie gebrochen zu haben, die ja auch erstmal gelten wird, weil die Bundesverfassungsrichter aller Erfahrung nach erst weit jenseits des nächsten Wahltages irgendetwas sagen werden, was dann zur nächsten Reform führen wird, die womöglich am Tag der Klimaneutralität Deutschlands Wirklichkeit wird. Das ist eine große Leistung, bei der man sich einerseits erhofft, dass die Bürgerinnen und Bürger das gut finden. Und andererseits weiß, dass das entweder verfassungswidrig ist oder auch nur zu einem Teil gegen die Idee einer gleichen, geheimen und gerechten Wahl verstößt. Wofür man selbst aber nie den Kopf wird hinhalten müssen.

PPQ: Vor allem die Ränder links und rechts empören sich. was ist davon zu halten?

Achtelbuscher: Ja, da findet ein Hufeisen zusammen. Nun, die Linke ist sowieso erledigt, da muss man kein Wahrsager sein. Es wird sie nach der nächsten Bundestagswahl nicht mehr geben. Für die CSU ist das neue Wahlrecht in seinem Kern ein zerstörerischer Angriff, der auch diese Partei vernichten kann. Aber wäre das nicht nur gerecht? Über Jahrzehnte hat die CSU von Regelungen profitiert, die es künftig nicht mehr gibt. Wenn die CSU deshalb von der Landkarte verschwindet, dann müssen wir diesen Preis eben zahlen.

PPQ: Und das tut ihnen nicht leid? Dass so viele Wählerinnen und Wähler aus Bayern nicht mehr repräsentiert sein könnten?

Achtelbuscher: Das muss ja nicht so kommen. Würden die Betreffenden eine andere Partei wählen, wäre die Gefahr schon viel geringer. Durch die Abschaffung der Grundmandatsklausel, mit der sich die Linke zuletzt ins Parlament geschlichen hat, ist die Reform natürlich nicht mehr völlig neutral gegenüber den Erfolgschancen der Parteien, die jetzt im Bundestag sitzen. Aber so lange mehr Beteiligte profitieren, ist das nur für weniger Betroffene schmerzhaft. 

PPQ: Bisher aber galt die Erststimme schon dem Namen nach als die wichtige Stimme, künftig soll es vor allem nach der Zweitstimme gehen, die von den Parteien direkt zusammengestellt werden?

Achtelbuscher: Das ist eine Konsequenz einer Entwicklung, die wir seit Jahren sehen. Waren die Parteien früher Formationen, die an der politischen Willensbildung mitwirken sollten, sind sie jetzt nach eigener Wahrnehmung viel mehr als das. Aus ihrer Sicht sind sie der Staat, sie sind die Politik, sie sind Lehrer und Wegweiser und Erzieher und Personalbüro der Demokratie. Damit hat das Reformvorhaben insgesamt eine neue Qualität, denn es gibt dem Parteienstaat direkten Zugriff auf den Wähler, der nun eigentlich im Block abstimmt. 

PPQ: Trotzdem entsteht doch der Eindruck, die Regierung wolle gleich zwei Oppositionsparteien auf einmal absägen. Wäre das denn erlaubt?

Achtelbuscher: Verfassungsrechtlich ist das nicht geregelt. Man darf das so beschließen, wenn man die entsprechende Mehrheit hat. Und die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) hat eindeutig gesagt, dass eine Umbenennung der Erststimme in Auchstimme und die Erklärung der Parteienstimme zur Hauptstimme Signalcharakter haben sollte. Auch wenn im Grundgesetz steht, das das direkte Mandat wichtig ist, hätte doch auch eine Liste regionale Aspekte. Der Gesetzgeber gibt diese föderative Repräsentation mit der Wahl nach Landeslisten selbst vor, die kann man dann ablehnen oder sein Kreuz dort machen. Was braucht es da noch regionale Parteien wie die CSU oder die Linkspartei? 

PPQ: Mit dem neuen Wahlrecht könnte die CSU bei unter fünf Prozent mit keinem einzigen Abgeordneten ins Parlament kommen, auch wenn sie fast alle bayerischen Wahlkreise gewinnt. Das wird doch niemand mehr verstehen?

Achtelbuscher: Möglich. dann muss man das noch besser erklären. Wenn eine Mehrheit auf die  Zweitstimme setzt, dann wäre das Ergebnis doch kein Verlust an Demokratie, sondern ein Gewinn an Mehrheit, wenn auch vielleicht ohne die CSU. Dass dort aufgeschrien wird, ist nachvollziehbar. Aber rundherum ist es doch ruhig geblieben. Sich vor Ort zu engagieren, ist weiterhin möglich, man darf auch Stimmen gewinnen kann, egal ob Erst- oder Zweitstimmen. Wenn Wahlkreiskandidaten durchfallen, weil es für ihre Partei am Ende nicht reicht, ist das der Preis dafür, dass wird uns nur noch ein kleines Parlament leisten wollen. Die große Stärke des deutschen Systems ist doch aber, dass auch dieses kleinere Parlament am Ende nicht einen Cent billiger werden wird.


7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das ist noch zu kompliziert und damit undemokratisch. Mehr als eine allgemeine Zustimmung zur Einheitswahlliste der Nationalen Front sollte den Wählenden nicht zugemutet werden.

Jodel hat gesagt…

Man stelle sich nur einmal vor, Herr Orban, Herr Netanjahu, Frau Meloni oder der polnische Oberhäuptling, dessen Name sowieso keiner weiß, oder ein sonstiger Halbnazi würde so etwas in ihren Ländern durchziehen. Durch eine Wahlrechtsreform gleich zwei Konkurrenten aus dem Parlament kicken. Uiuiui, das wäre der ganz heiße Scheiß.

Der Aufschrei unserer erzdemokratischen Medien und Politiker würde bis in den letzten Winkel der Galaxis dröhnen. Die Einführung der Tyrannei wäre für jeden aufrechten Menschen sofort zu erkennen. Die Edelfedern würden sich die Finger wund schreiben, um dieses perfide Spiel offenzulegen. Die Straßen wären voll von Regenbogenmenschen die in Berlin die Demokratie in Ungarn, Israel, Italien und Polen retten müssten.

Wenn das aber unsere obersten Grundrechtsschützer beschließen, wird das schon ok sein. Da muss man nicht so genau hinsehen, sind doch alles Ehrenmänner. Genauso wie Herr Macron, der nicht einem mehr sein Parlament fragen muss, um eine Rentenreform durchzuziehen. Bravo muss man da sagen. Dankbarkeit macht sich breit, dass wenigsten einmal etwas vorwärts geht und nicht wie immer in ewigen Verhandlungen zerredet wird.

Selbst wenn diese Wahlrechtsreform, wie so viele andere geniale Gesetze vor ihr, in irgendeiner Zukunft vom Bundesverfassungsgericht als grundrechtswidrig gekippt werden sollte, geht die Bedrohung unserer Grundrechte selbstverständlich weiterhin nur von genau einer Schwefelpartei aus. Da die Nominierung der Richter seit einigen Jahren aber von unseren Parteien weitaus sorgsamer vorgenommen werden als früher, würde ich auf eine Chance von fifty-fifty rechnen.

Es zeigt sich wieder einmal mehr, dass es überhaupt keine Rolle mehr spielt, was einer tut, sondern es immer nur noch darauf ankommt, wer etwas tut. Die einen machen immer alles richtig, egal was sie auch tun, die anderen machen immer alles komplett falsch.
Und wenn die Guten morgen das genaue Gegenteil von der heutigen Entscheidung beschließen werden, wird das gut, gerecht, wohldurchdacht und einfach perfekt sein.

ppq hat gesagt…

sehr gut beschrieben

Anonym hat gesagt…

OT
Es heißt, dass der so jung Abgeschiedene da auf der Kirmes einen Streit schlichten wollte(?) -
Genesis 19.7: "Oh, meine Brüder, tut doch nicht so übel!"
Wenn dem so war: Was willste da noch saren.


Der lachende Mann hat gesagt…

Angesichts des Umstands, daß der Täter Kasache, das Opfer wieder einmal Deutscher war, ein erschreckend geschmackloser Kommentar.

Die Anmerkung hat gesagt…

Die Herkunft oder Daseinsform des Stechers ist nachrangig oder sogra bedeutungslos. Jemand, der es wissen muß, erklärt, wie man sich bei einer Messerattacke verhält.
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Navy shows knife defense move

https://www.youtube.com/watch?v=kvlrnc7hlQI

Anonym hat gesagt…

Navy shows knife defense move ---

Genau so, herrlich! Als ich mich vor so dreißig bis fünfzehn Jahren mit der Kunst der körperlichen Konfrontation näher beschäftigte, wurde das wiederholt herausgearbeitet: Geht einer mit so etwas auf einen los, und man hat keinen Teilchenbeschleuniger zur Hand, ist flinkefüßeflinkefüße die Nummer Eins.
Geht das absolut nicht, und ist auch kein Stuhl zur Hand, geht nur noch ein möchlichst langer ßaidkick, wobei man riskiert, einen Fitsch in eine dicke Arterie zu bekommen.
Aber, wie gesagt, galoppi, galoppi ist das eheste.