Montag, 30. Januar 2023

Urnengang in Berlin: Schicksalswahl in der Schnullerrepublik

Die Faust aus dem Schnuller: Die Grünen verlieren die Kontrolle über die Geister, die sie gerufen haben.

Ein bisschen hat man sich entzweit zuletzt. Geradezu unerlaubt brutal schob sich die Realität zwischen Blütenträume und Weltrettungsstrategien. Der Krieg. Die Sanktionen. Das Klima. Das unstillbare Bedürfnis Ewiggestriger, dennoch weiterheizen, weiter reisen und weiteressen zu wollen. Und dann auch noch die junge Jugend, Maschinenstürmer, denen kein Ausstieg schnell genug geht, kein Einschnitt ausreichend tief und kein Weltrettungsversprechen zu weit. Die frischen Helden von 2021, grüne Sagengestalten, denen die Gemeinde der Gläubigen zugetraut hatte, Wohlstand und Entsagung, Verzicht und Wonnebäder zu versöhnen, sie verwandelten sich beinahe über Nacht in Verräter. Verräter an dem, was in Deutschland traditionell "Die Bewegung" genannt wird.  

Betteln bei der Bewegung

Die ist, was nach Abzug der Einsicht in die Notwendigkeit übrig bleibt von einer gefühlten Realität, in der alles geht, was nur gewollt werden kann. So lange keine Wahl vor der Tür steht, ist der Liebesentzug aus der eigenen Fankurve für jeden Politiker leicht zu verschmerzen. Kommt Zeit, kommt Rat, kommen Einsicht und Reue und seliges Vergessen. Dann landet das Kreuzchen doch wieder dort, wo es den wenigsten Schaden am eigenen Weltbild anzurichten verspricht. Robert Habeck hat das während der Gefechte um das globale Klimasymbol Lützerath deutlich zu erkennen gegeben: Mögen auch die Aktivisti ungehalten darüber sein, dass eine Bundesregierung nicht einem ganzen Land schlagartig den Saft abdrehen kann, ohne schon am nächsten Morgen keine Bundesregierung mehr zu sein, ein Bundesminister, auch ein grüner, muss zumindest Teile der garstigen Wirklichkeit anerkennen. 

Kniefälle vor Menschenrechtsverletzern und die Verteidigung eines zu großen Teilen in öffentlichem Besitz befindlichen Konzerns wie RWE sind dann unumgänglich, denn Machterhalt ist für den Mächtigen stets wichtiger als die Prinzipien, an die unverbrüchlich und kompromisslos zu glauben ihm zur Macht verholfen hat. Der Riss, der sich zwischen radikaler Klimajugend, hauptberuflichen Aktivisten und grünen Funktionsträgern aufgetan hat, bringt allerdings aktuelle Wahlkämpfer wie die Bettina Jarasch in das, was der Deutsche früher Schwulitäten nannte, weil schwul im Niederdeutschen noch "drückend heiß" hieß und Ängstlichkeit angesichts einer unbeherrschbaren Situation häufig zu Hitzewallungen führt.

Frust bei den Wunschkindern

Wallungen, wie sie die grünen Spitzenkandidatin zur überraschend angesetzten Berliner Wiederholungswahl offenbar deutlich fühlt. Obschon Berlin nicht nur als deutsche, sondern auch als Hauptstadt der Klimabewegung gilt, fürchtet Jarasch Abstrafung durch die radikalisierten Teile der Klimakämpfer. Wenn eine grüne NRW-Wirtschafts- und Klimaschutzministerin die Vernichtung der globalen CO2-Senke Lützerath verteidigt und ein grüner Polizeipräsident die Räumung der Verteidiger und die Zerstörung ihrer Baumhäuser und Bunker billigt, dann führt das zu Frust und Unzufriedenheit bei Angehörigen einer Generation, die es gewohnt ist, stets zu bekommen, was sie sich wünscht.

Jarasch warb also unumwunden um Unterstützung für ihre grüne Partei das kleine Übel. "Wir haben die Chance, die nächste Regierung anzuführen", lockte sie die vergnatzte Basiss. Das sei "auch eine Chance für Berlin und für den Klimaschutz", denn die Klimabewegung habe es in der Hand, "ob Berlin in Zukunft von einer konservativen CDU regiert" werde oder von ihrer Partei, die ein klimaneutrales Berlin wolle und dazu umgehend auf allen Berliner Straßen Tempo 30 einführen werde. Das Land werde überdies Milliarden investieren, damit die Berliner "ihre Wärme aus dem Berliner Boden, aus der Berliner Luft, von Berliner Dächern und nicht mehr von Putin" bekommen. Zugleich sollten Mieter vor steigenden Mieten geschützt werden, indem Dämmung nichts mehr kosten darf. Der Staat übernimmt die Kosten für den Heizungstausch, er wird den Verkehr häufiger kontrollieren und Geothermie eigenhändig aus dem Boden bohren.

Boosterversprechen für die neuen Sansculotten

Doch ob der "Booster für die Energiewende" (Jarasch) die locken wird, die nicht langsamen Verkehr wollen, sondern gar keinen, und die nicht billiger zu wohnen wünschen, sondern kostenfrei, ist ungewiss. Die Grünen stehen vor ihrem klimabewegten Gefolge wie die Robespierre und Danton vor den Sansculotten und dem von ihnen selbst gegründeten Wohlfahrtsausschuss: Egal, was sie ihm geben, es ist nie genug, egal, welche Forderungen sie erfüllen, es wird nicht reichen, Ruhe zu schaffen, bis all die großen Wenden und Ausstiege erledigt sind.

Die grüne Revolution frisst ihre Mütter und Väter, die "schmerzhaften Kompromisse" (Jarasch) helfen auf Sicht zu wirtschaften, aber sie befriedigen das Gefolge der Aktivisten und Aktivistinnen nicht, denen schnell zu langsam und langsam immer noch zu schnell ist, die frustriert sind, weil nicht alles gleich geschieht wie am Handy und vieles für ihren Geschmack für viel lange hin versprochen wird. Bettina Jaraschs Kniefall vor den Klimaaktivisten, die den Braunkohle-Abbau verhindern wollen, ohne eine Alternative nennen zu können, hat bundesweite Symbolkraft. So wie 2038 zu spät war für das Ende der Kohleära, ist nun 2030 zu spät. Auch 2028 oder 2025 oder nächstes Jahr wäre nicht hinnehmbar, wie überhaupt kein Kompromiss Gnade fände, wäre er nicht total und endgültig.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Berliner (ich war selber einer mehrere Jahrzehnte) tun mir leid: was genau sollen sie tun im Wahllokal???

Anonym hat gesagt…

Ich werde der Versuchung, irgendeine Juxpartei zu wählen, oder gar die blaue Pseudoopposition, die da im Bimbestag dem (((Pimmelpianisten))) applaudiert hat, zu wählen. Hallo @ Kreuzweis!
In gut zwei Wochen muss man diese Galgenfressen, die da an allen Laternen, leider nur in effigie, herumhängen, zuzüglich dieser infantilen Parolen, nicht mehr erdulden.