So lecker sehen die neuen EU-Nahrungsergänzungsmittel im saftigen Frischzuchtzustand aus. |
Sie können unglaublich lecker sein, leiden aber immer noch unter ihrem schlechten Ruf. Über Jahrhunderte gelang es der mächtigen Agrarlobby, den Verzehr von Insekten in Misskredit zu bringen. Obwohl das Preisleistungsverhältnis der kleinen Krabbler verglichen mit einer Kuh oder einem Schwein unschlagbar ist, scheuten auch Behörden und Medien, für Fruchtfliegen, Mehlwürmer, Getreideschimmelkäfer und Grillen als Nahrungsersatz zu werben.
Konzept Kerbtier
Andere Völker sind da längst weiter, in Asien, Afrika und Teilen Südamerikas gelten Kerbtiere, auch Kerfe genannt, als Delikatesse die nicht nur überaus bekömmlich und nahrhaft ist, sondern sich über smarte Rezepte auch so spannend würzen lässt, dass sie auf den unvoreingenommenen Esser ähnlich wie vegane Wurst kaum von richtigem Essen zu unterscheiden ist. Selbst die neue Deutschland-Diät von Nationalkoch Cem Özdemir verweigert Hautschrecken, Stabflüglern und den besonders kohlenhydratarmen Ameisen die Anerkennung: Özemirs nationaler Zukunftsspeisekarte hebt sogar ausdrücklich auf den Rückbau tierischer Nahrung ab.
So musste erst die EU kommen, um mit der wegweisenden Durchführungsverordnung (EU) 2023/5 Angehörige der artenreichsten Klasse der Gliederfüßer (Arthropoda) als teilweise entfettetes Pulver als nahrhafte Beimischung für den Speiseplan der 440 Millionen EU-Europäer zu etablieren. Die ersten drei Insektenarten dürfen bereits als Lebensmittel verkauft werden, nun geht es nach dem Beschluss des Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCOPAFF), gemeinsam getroffen mit der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, kurz EFSA), vor allem noch darum, über den eigenen, oft noch historisch falschen Vorbehalten zu verdankenden Schatten zu springen, um auch mal Grille, Made oder gefriergetrocknete Schimmelkäfer auf den Tisch zu bringen.
Der erste Gliederfüßler-Snack
Der erste Gliederfüßler-Snack ist natürlich immer der schwerste. So proteinreiche und klimaschonend die Grille als Speisetier ist, so hoch sind die Hürden, die nach alter Art sozialisierte Mitteleuropäer überspringen müssen, um sich die kleinen Tiere munden zu lassen. Die EU sieht deshalb ausdrücklich eine unauffällige Beimischung von gemahlenen Kleinsttieren in altbekannten Lebensmitteln vor. Auf diese Art, so hat die Kommission errechnen lassen, werden auch Bürgerinnen und Bürger zum Konsum bewegt werden können, die aus einem überkommenen kulturellen Widerwillen freiwillig nicht zu purer Insektennahrung greifen würden.
Für alle anderen empfiehlt sich die direkte Konfrontation mit der neuen Chance, etwa den Mehlwurm (Tenebrio molitor) als Sättigungsbeilage zu probieren. Wie der Name schon sagt, wird der Käfer aus der Familie der Schwarzkäfer (Tenebrionidae) nicht in seinem Endstadium als zehn bis 18 Millimeter langes Insekt, sondern in der wurmartigen Larvenphase genossen. Jetzt ist das kleine Tier noch wässrig-weich, es lässt sich unmittelbar zubereiten, kann aber auch trocken verarbeitet werden. Wie der Name schon sagt, verwandelt sich der Mehlwurm leicht in Mehl, das unter Zugabe von Salz, Sägespänen und getrockneten Algen in brotartige Fladen backen lässt. Mit Zucker verfeinert und zu Gemüsestippe gereicht, sättigt das nach EU-Definition "neuartige Lebensmittel" schnell und ohne Nebenwirkungen.
Kaum Schwund im Mund
Der Vorratsschädling ist in diesem Lebensabschnitt besonders für den menschlichen Verzehr geeignet, weshalb die europäische Novel-Food-Regelung seinen hohen ernährungsphysiologischen Wert durch hohen Eiweißgehalt und überzeugenden Vitamin- und Nährstoffreichtum bereits hier abgreift: Durch ihren kurzen Entwicklungszyklus, ein Käferweibchen legt bis zu 600 Eier, die sich über die Dauer von zwei bis vier Monaten in goldbraune Köstlichkeiten verwandeln, wird eine hohe Umwandlungsrate von Futtermittel in Körpergewicht erreicht, so dass sehr wenige ausreichend große Wurmfarmen perspektivisch ganz Europa ernähren könnten.
67 Gramm Protein auf 100 Gramm Wurmgewicht sind normal, gewissenhaft zubereitet, lässt sich der Wurmbrei komplikationsfrei sowohl in eine Art Kartoffelbrei als auch auch in einen Gemüsersatz verwandeln. Beim Zubereiten kommt es vor allem darauf an, angesichts der in beinahe ganz EU-Europa verbreiteten Vorbehalte gegenüber insektizider Nahrung jeden Anschein von Insektenähnlichkeit des fertigen Gerichts zu vermeiden. "Warum also nicht mal Grillen als Proteineinlage in leckeren mexikanischen Tacos versuchen?", wie das SPD-Kochsupplement RND fragt?
Unter klassischem Pizza-Topping verstecken
Ja, warum denn nicht? Gerade wenn Gäste erwartet werden, bietet sich der Lackmustest an: Der Novel-Food-Koch mischt Öl mit einem Esslöffel Cumin, einem Esslöffel Paprikapulver, einem Esslöffel Knoblauchpulver, dem Saft einer Limette, schmeckt mit Salz und Pfeffer und gibt den Saft zusammen mit einem Topf frischer Grillen oder vier Handvoll gut durchgemengter Mehlwurm-Paste auf ein Backblech. Je nach Oberhitze ist der Nahrungsersatz bereits nach einer Viertelstunde soweit. Nun kann der angeröstete Fladen unter Guacamole, einem klassischen Pizzatopping oder auch Kräuerquark versteckt werden.
Der Eigengeschmack von Kerbtieren ist eher staubig, Grillenfleisch hat eine knackige Konsistenz. Zusammen serviert, erinnert die knusprige Mahlzeit aus dem Reich der bisher nur als Futterinsekten zugelassenen Kleinsttiere an vegane Bratlinge oder Algenwurst. Spannend für Koch und Gastgeben sind sind die Momente des Verzehrs: Werden die Gäste die Lefzen heben? Werden sie direkt bemerken, dass sie die Zukunft schmausen? Und nicht zuletzt: Sind Allergiker anwesend, die auf das Fleisch des gelben Mehlwurms ähnlich empfindlich reagieren wie Menschen, die gegen Krebstiere und Staubmilben-Snacks allergisch sind?
Überraschung am Ende
Zumeist wird das nicht der Fall sein. Je nach Würzmischung wird es mehr oder weniger schmecken oder auch gar nicht, doch nach einem aktuellen Beschluss der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) führt ohnehin kein Weg um eine Umstellung der menschlichen Ernährung herum. Insekten werden dabei eine zentrale Rolle spielen, denn sie ersetzen tierisches Eiweiß zu geringen Kosten, verhindern damit Engpässe bei der Lebensmittelversorgung, verringern Umwelt- und Klimabelastungen und befriedigen die durch permanentes Bevölkerungswachstum beständig steigende Nachfrage nach Eiweiß in der weltweit wachsenden Mittelschicht.
Das Überwinden einer falschen Scheu vor dem Essen von Insekten ist damit beileibe keine Geschmackssache, sondern ein Beitrag zur Erhaltung der menschlichen Art: Wenn empörte Gäste an der gemeinsamen Tafel erfahren, was sie gegessene haben und geleitet von Vorurteilen und im Elternhaus anerzogenen Ekelreflexen empört reagieren, reicht oft ein Hinweis darauf, dass Insekten nur für weniger als ein Prozent des CO2-Fußabdrucks aller Nutztiere weltweit verantwortlich sind, in ausreichend großem Maßstab gezüchtet und als Grundnahrungsmittel anstelle von Brot, Nudeln, Wurst, Obst und Gemüse aber entscheidend zu einer gesünderen Umwelt und zur Sicherung der Klimazukunft beitragen können.
9 Kommentare:
Das schöne an der neuen EU-Verordnung: Lebensmittel müssen nach einem Madenbefall nicht mehr fachgerecht entsorgt werden. Zur Not genügt zukünftig ein Anruf bei der Ortsgruppe der Letzten Generation, um diese EU-konform versorgen zu können.
Literaturempfehlung: Kannibalen und Könige, und dann noch besser - Wohlgeschmack und Widerwillen - von Marvin Harris - dtv. Facit: It's the economy, Dummerle.
Je nach den konkreten Umständen waren Heuschrecke naturell oder geröstet, oder Knäblein aus der Nachbarsiedlung gegrillt oder gedünstet, völlig normale Speise.
Warum die Jodler und die Fahrradständer das Schwein nicht mögen, und die Brahmaschlümpfe das Rind nicht zur Speise - mit gewissen Ausnahmen, wird nachvollziehbar dargelegt. Immer nur eitel wirtschaftliche Ursachen.
Wie Glutentod, Laktosewahn und Veganzeug wird auch das mit einem begeistertem 'Hurra!' von denen beantwortet, die schon immer leicht zu begeistern waren.
Man kann auch in vorgeklärtem Abwasser Wasserflöhe züchten.Die sind auch sehr nahrhaft, da kann man jeden Fisch fragen. Im Prinzip auch nicht viel anders als Shrimps. Der Endpunkt ist dann Soylent Grün.
Wie Glutentod --- sprich nicht so - ich habe Gluten! Ich meide es nicht peinlich, muß aber aufpassen, und ggf. was zum Stopfen nehmen. Laktose dagegen ist überhaupt kein Ei - Blutgruppe A wie Arier ...
Da gabs schon vor 10 Jahren eine Empfehlung
>ich habe Gluten!
Manchen haben es, die wissen es weil sie es merken. Die durchschnittlichen Torben und Maria würden es nicht merken, meiden es aber, weil einer was im Nachmittagsprogramm erzählt hat. Meines Wissens hat keiner im Nachmittagsprogramm erzählt, dass Körnerschalen Allergene enthalten, und womöglich manches eingebildete Glutenopfer bloß aufhören sollte, ständig Vollkorn zu fressen.
Vor ca. 25 Jahren war auch mal Allergie auf Erdbeerfarbstoff in den Medien. Seit das Thema vergessen wurde, leiden deutlich weniger daran.
Für mich sind diese Kerbtiere nix. Ich mag lieber Hühnchen und zwar nur die, die bei -20 Grad gekühlt werden. Denn: „Wenn Produzenten von minus 22 Grad in Zukunft dann auf minus 20 Grad runterkühlen, dann ist das Hühnchen immer noch kalt“.
Als ehemaliger zweitklassiger Kraft- und drittklassiger Kampfsportler, der seit dreißig Jahren mit der Wampe bzw. Gewichtsklasse kämpft, und noch als Onkel Doktor unterwegs ist: Ich habe Gluten. Auch ganz ohne Vollkornzeugs. Malte-Torben und Lea-Sophie - geht klar.
Laktoseunverträglichkeit, die ich als Arier nicht habe, gibt es in drei Schweregraden: Der schwerste, der auch die lächerlich kleinen Mengen in Tabletten nicht abkann, ist extrem selten. Nützt aber nichts - was der mündige Bürger zu wissen glaubt, das glaubt er halt.
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