Dienstag, 31. Januar 2023

Reinigung der Reihen der Partei: Endgegner Maaßen

Ein ungleiches Duell: Um seine Ansprüche auf die Leitlinienkompetenz in der CDU zu unterstreichen, hat sich Friedrich Merz (l.) den konservativen Abweichler Hans-Georg Maaßen als Endgegner vorgenommen.

Es war der dritte Anlauf, aber dem ewig an den Rand gedrängten, ausgegrenzten und von der früheren Parteiführung exkommunizierten Friedrich Merz gelang dann doch noch mit Bravour der Sprung an die Spitze der deutschen Christdemokratie. 95 Prozent der Genossen gaben der "Zukunft der CDU" (Deutschlandfunk) ihre Stimme, überzeugt, dass der Finanzmanager und konservative Knochen der beste Mann sei, die in den Jahren unter Angela Merkel müde, alt und links gewordene Partei zu erwecken und zu neuen, alten Ufern zu führen.

Ein junger Mann aus dem Sauerland

Friedrich Merz, im Alter von 66 Jahren international gesehen ein junger Hüpfer und als Sauerländer Angehöriger einer Minderheit, hat die überbordenden Erwartungen nicht enttäuscht. Die CDU ist wieder wer, mit 28 Prozent der Stimmen in den Umfragen der politischen Konkurrenz weit enteilt. Viele Wählerinnen und Wähler sind nach ihrem Ausflug zu Rot und Grün zurückgekehrt an den heimischen Herd, wo Merz wieder Hausmannskost zu kochen verspricht. Kleine Experimente! Merz ist wie Scholz, nur mehr wie Merkel ohne Schulz. Das kommt an. Keiner kann dem ehemaligen Blackrock-Manager das Wasser reichen. Merz ist dafür und dagegen, was den Krieg betrifft sowieso, bei allem anderen aber mit großem Nachdruck.

Wäre damals nicht dieser Wahltag ausgerechnet in die falsche Zeit gefallen, mit dem falschen Kandidaten an der Spitze, Friedrich Merz führte heute schon erfolgreich eine schwarz-grüne Koalition und das Land wäre aller Sorgen ledig. So aber hat er auszubaden, was Merkel und Laschet angerichtet haben: Nicht Weichen sind neu zu stellen, die damals auf höchsten Ratsschluss hin stillgelegt wurden, weil die Kanzlerin alles vom Ende her dachte und wusste, dass ein One-Way-Ticket den Siegeswillen stärkt. 

Grüner Konservatismus

Nein, Merz muss mühevoll neue Schienen legen, zurück dorthin, wo einst das konservative Lager stand, als Konservatismus noch erlaubt war. Denen, die ihm folgen wollen, aber zugleich signalisieren, dass Christdemokratie heute grün ist, nachhaltig, divers, weltoffen, jung, resilient, metanational und vielgeschlechtlich. Die gläserne Decke bei 30 Prozent der Stimmen, so haben es die Strategen in der Parteizentrale ermittelt, lässt sich nur wegsprengen, wenn die CDU künftig alles ist, eine Einheitspartei für Grüne, Graue, Arbeiter, Handwerker und Fans entsagender Schrumpfung. Aber wie soll das gehen? Ein aus Sicht von Klimakindern und Partypeople uralter weißer Mann ruft zum Kampf um die Zukunft, gegen kleine Paschas, aber auch gegen eine zu eilige Deindustrialisierung, gegen ein Tempolimit, aber auch gegen eine Haustierbremse. Und so weiter.

Klares Profil, so haben die Experten geraten, Herz Merz, was Sie brauchen, ist ein klares Profil. Traditionell wird ein solches in der Politik nicht erfolgreich geschärft durch mit Nachdruck vertretene eigene Positionen, die das Publikum nur langweilen. Sondern durch den zu Fanfaren und Trompeten ausgerufenen Kampf gegen die innerparteilichen Gegner: Die frühe SPD hatte ihren Karl Kautsky, Stalin profilierte sich im Krieg gegen Verräter wie Trotzki, Bucharin und Sinowjew, Helmut Kohl schließlich wurde erst zur ganz großen Kanzlerfigur, als er von einer Nierenentzündung geplagt eine Hofrevolte der Parteilinken um Heiner Geißler niederschlug.

Ein Endgegner aus dem Parteiprekariat

Die Wahl des Friedrich Merz ist auf einen Gegner gefallen, mit dem viele Beobachter vor  drei, vier Jahren nicht gerechnet hätten. Hans-Georg Maaßen, bis vor vier Jahren noch hochrangiger Staatsfunktionär, Geheimnisträger und anerkannter Demokrat, gehört innerhalb der CDU zum Parteiprekariat: Der 60-Jährige hat keine Wahlfunktion innerhalb der Union, bis auf eine gescheiterte Bundestagskandidatur im demokratisch nicht legitimierten Thüringen kann er nur auf den Vorsitz des obskuren Vereins "Werteunion" verweisen, dessen angeblich rund 4.000 Mitglieder etwa ein Prozent der Mitgliedschaft der Union ausmachen.

Ein Endgegner, bei dem Friedrich Merz auf die Mithilfe der Medien angewiesen ist, um ihn triumphal genug besiegen zu können, dass die Machtverhältnisse in der Restpartei wieder so streng geordnet sind wie in den 568 Merkel-Jahren. Maaßen, ein einfaches Parteimitglied wie seinerzeit Rudolf Bahro in der SED oder der aus Frust über die Merkellinie in die private Wirtschaft gewechselte ehemalige Unionsfraktionschef Friedrich Merz, wirkt in der Totalen wie die Karikatur eines innerparteilichen Feindes: Ausgerechnet dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten werden Verharmlosung der rechten Gefahr, Antisemitismus und die Verbreitung von Verschwörungstheorien vorgeworfen, als sei es tatsächlich denkbar, dass ein über Jahrzehnte an der Brust staatlicher Institutionen genährter und als kundiger Verfassungsrechtler gelobter Angehöriger des Kerns der westdeutschen Eliten plötzlich vom Glauben abfällt und die Hand beißt, die ihn noch stets gefüttert hat.

Eine Machtdemonstration

So unwahrscheinlich das Szenario so wirksam dürfte es sein. Denn es ist auch eine Demonstration, wie sie alle großen Herrscher zuweilen zelebrierten: Zwar geht es normalerweise bei einer rituellen Reinigung der Reihen einer Partei darum, den Führer einer konkurrierenden Gruppe innerhalb der Spitze zu isolieren, um ihn anschließend samt seiner Anhänger eliminieren zu können. Je nach gerade angesagtem Zeitgeist erfolgt das rein moralisch oder aber auch physisch. 

Aber die Regel, dass der auserkorene Endgegner möglichst mächtig sein muss, um mit einem furiosen Sieg über ihn zu verdeutlichen, dass jeder weitere Widerstand zwecklos ist, gilt nicht mehr. Zu groß wäre die Gefahr, bei einem Duell auf Augenhöhe zu unterliegen. Zudem bietet sich in der gesamten Union keine Führungspersönlichkeit an, die bereit wäre, für einen konservativen Kurs zu streiten und so das Wohlwollen der Partei zu riskieren.

So wenig Macht hat Merz

Obwohl Kenner der Geschichte von Säuberungswellen in politischen Formationen anfangs warnten, dass ein Niederwerfen der kleinen, für die Union völlig unbedeutenden Maaßen-Gruppe eher zeigen könne, wie wenig Macht Friedrich Merz hat, fiel die Wahl der Feindfindungskommission schließlich auf den Mönchengladbacher. Ihm traut der innere Kreis um Merz am ehesten zu, so öffentlichkeitswirksam zu fallen, dass die unentdeckt gebliebenen Reste seiner Anhängerschaft wissen, dass ihnen keine Wahl bleibt, als sich still unterzuordnen.

Mit dem selbstironischen Satz "das Maß ist voll" hat Friedrich Merz die Schlacht eröffnet. Das Angebot steht, Hans-Georg Maaßen darf sich in den kommenden Tagen und Stunden zum freiwilligen Rückzug aus der CDU entschließen. Danach wird kein Pardon mehr gegeben werden, das schwere Geschütz des Parteiausschlussverfahren wird in Stellung gebracht und so Gott will muss Maaßen damit rechnen, seinen Mitgliedsausweis noch vor dem Tag zu verlieren, an dem Deutschland sein letzten Braunkohlekraftwerk herunterfährt und beginnt, von Luft und Sonnenlicht zu leben.



Grundsteuer: Ein Ding, sie zu knechten

Keinen Cent mehr müssen die Menschen bezahlen, die künftig mehr bezahlen müssen.
Den ersten Termin verpassten sogar die ganz Eifrigen, die aus Angst vor staatlicher Verfolgung sofort nach den ersten Aufforderungen begonnen hatten, in den behördlichen Datenbanken nach allen zu suchen, was Vater Staat an Angaben über sie gesammelt hat. Nur reichte es nicht. Die Meldesysteme brachen zusammen, für Teile der Bevölkerung stellten sich die Formulare als zu komplex heraus. Vor die Wahl gestellt, sein größtes und am längsten vorbereitetes Projekt zur Transformation der Demokratie in eine gerechte Steuergesellschaft aufzugeben oder mit Gewalt durchzusetzen, entschied die Bundesregierung sich für eine Fristverlängerung.  

Ein paar Wochen sind Zeit genug

Die lange Bank, Deutschlands Hauptereignisschauplatz, sollte es der noch fehlenden Hälfte der Bürgerinnen und Bürger ermöglichen, ihre Grundsteuererklärung doch noch fristgerecht abzugeben. Zeit genug war gewesen: 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht die alte Regelung für verfassungswidrig erklärt, 2019 hatte der Bundestag einer Neuregelung zugestimmt, zwei Jahre nahm sich die Verwaltung dann Zeit, die Umstellung zu organisieren. Für die Immobilienhaie im Land blieben dann noch in paar Monate, sicherzustellen, dass den Behörden ausreichend genaue Angaben vorliegen, um auch wenigstens mit den bisher eingenommenen 14,7 Milliarden Euro planen zu können.

Es war als Kraftprobe geplant. Würden die Menschen,. Millionen kleiner Häuslebauer und Selbstbewohner kleiner ererbter Katen im Brandenburger Outback, sich wirklich zwingen lassen, die Arbeit des Staates zu erledigen? Würden wirklich alle die komplizierte, zeitaufwändige und eigentlich komplett unnötige Datenzusammenstellung absolvieren, klagend, murrend, aber ohne aufzumucken? Würde der Souverän sich dazu bewegen lassen, sich mit der ohne weitere sachliche Begründung eingeforderten Grundsteuererklärung selbst am Versuch zu beteiligen, ihm künftig für jeden Meter noch tiefer in die Tasche zu greifen? Die Grundsteuererklärung, sie war in Fortsetzung der Pandemiemaßnahmen angelegt als Ding, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.

Nur ein Drittel pariert sofort

Doch es zeigte sich hier einmal mehr die Teilung der Gesellschaft, wie sie auch in anderen Bereichen immer wieder zu bemerken ist. Etwa ein Drittel der Menschen parierte umgehend. Sie klickten sich durch die brüchigen Datenspeicher der Ämter, riefen verzweifelt bei ARD-Ratgebersendungen um Hilfe, bezahlten sogar Steuerberater dafür, keine Steuern zu sparen. 70 Prozent aber übten anfangs hinhaltenden Widerstand. Als ginge es sie alles gar nichts an, schienen diese Klassen und Schichten in der Bevölkerung demonstrieren zu wollen, dass der Staat gar nichts gegen seine Untertanen unternehmen kann, wenn nur recht viele von ihnen im Widerstand sind. 

Angesichts einer Welle an Verweigerung, wie sie die altbundesdeutsche Demokratie zuletzt bei den Volkszählungsversuchen in den 80er Jahren erlebt hatte, knickte die Bundesregierung ein. Die Abgabefrist wurde verlängert, um den säumigen zwei Dritteln die Chance zu geben rechtstreu weiterzuleben. Die Werbekampagne wurde ausgebaut, Ratgebersendungen, Bundeshandreichungen und Nachhilfekurse im Gemeinsinnfunk nahmen Zögerliche bei der Hand. Wer sich jetzt nicht stellt, darf nicht auf Gnade hoffen, hieß es überall. Von Strafgebühren, Verzugszinsen und Enteignungen war die Rede. Das in Berlin häufig als "Reichsnachrichtendienst" verspottete SPD-Organ RND verhöhnt die Opfer sogar noch und erklärt ihnen "Warum Wut und Trotz nicht helfen".

Das dreckige Drittel

Ein Kräftemessen. Wenige Tage vor dem Ablauf des Ultimatums fehlten immer noch 30 bis 40 Prozent der Anträge auf höhere Besteuerung. Ein Drittel der Bevölkerung verweigert sich offenkundig wissentlich, ein Drittel der Menschen glauben, Schabernack mit ihrem Staat spielen zu können. Die ersten Ministerpräsidenten zeigten Nerven, die ersten Ratgeber rieten zu Einsprüchen. Die ersten Rathausschefs ließen durchrechnen, wie viel mehr sie ab 2025 aus ihren "Einwohnenden" (Köln)  herauspressen können. Der Bund selbst verkündete zwar, er werde den Abgabetermin nicht einhalten können, trotz der "schnellen, unkomplizierten und kostenlosen Abgabemöglichkeiten" (Finanzministerium).  Tut uns leid, zu viel Besitz, zu wenig Leute, zu schlecht die Internetanbindung und die eigene Übersicht. 

Aber bis auf einen Rest von etwa der Hälfte bis zu einem Drittel der Abgabeberechtigten haben sich die Menschen gebeugt wie geplant: Was Kritiker als "Elend der öffentlichen Verwaltung" sehen, markiert in Wirklichkeit einen Meilenstein beim Ausbau des fürsorglichen Staates. Die Parteien, längst aus der ihnen ursprünglich vom Grundgesetz zugewiesenen Rolle,  bei der politischen Willensbildung des Volkes nur mitzuwirken, denken sich fortwährend neue Regeln aus. Gerichte, von den Parteiführungen handverlesen besetzt, segnen sie ab. Verwaltungen nutzen sie, um sich beständig zu vergrößern. Medien, von privaten Heuschrecken bis hin zum Gemeinsinnfunk, mahnen im Chor, das alles als gut und richtig zu empfinden. Es gehe nun mal nicht anders. Und wer das nicht könne, steht außerhalb der großen Gemeinschaft der Gleichgesinnten.

Den Fuß in den Nacken

Es muss nicht im Einzelfall funktionieren. Es muss nur Möglichkeiten schaffen, willkürliches Verwaltungshandeln zu legitimieren. Nun, wo eine gesellschaftliche Spaltung deutlich wird zwischen denen, die sich wenigstens nach Kräften mühen, den Launen des Staates folgsam nachzukommen, und denen, die meinen, das verweigern zu können, liegt der Ball bei der Politik. Sie kann nach gusto entscheiden, ob sie noch einmal nachgibt, Fehler einräumt und gesteht, dass es unangemessen und frech war, Bürgerinnen und Bürgern, oft alt und mit geringer Digitalkompetenz, nur ein paar Monate für ihre Grundsteuererklärung einzuräumen, der eigenen Finanzverwaltung dann aber zwei Jahre für die Bearbeitung. Oder ob sie durchzieht, den Fuß all denen in den Nacken drückt, die sich einem "effektiven und effizienten Gesamtprozess mit digitalen Mitteln" (Key Pousttchi) hinhaltend in den Weg zu stellen versuchen. Auf Willkür wächst Allmacht am besten. Unberechenbarkeit ist der Humus, auf dem Angst gedeiht.

Alles kann, muss aber nicht. Vielleicht wird die Politik beschließen, gar nichts zu tun wie damals, als Glücksspiel in Deutschland noch schwer gesundheitsschädlich und absolut illegal war. Vielleicht wird sie die Frist noch einmal verlängern. Vielleicht wird sie aber auch erneut zu mehr Digitalisierung rufen und eine umfassende neue Bürokratie aufbauen, damit bei der nächsten Grundsteuerreform alle 36 Millionen Grundstücke in Deutschland gleich per Behördenmausklick höher bewertet werden können. Und vielleicht wird auch ein Exempel statuiert, wahrscheinlich in Mecklenburg-Vorpommern, wo erst ganze 40 Prozent der Besitzer der meist wertlosen Immobilien in Pasewalk, Friedland und Löcknitz ihre Bekennerschreiben beim Finanzamt abgegeben haben. Für jeden angefangenen Monat der Verspätung darf der Staat mindestens 25 Euro Verspätungszuschlag kassieren. Für einen Großteil der strandfernen Immobilien im bettelarmen Bundesland im Norden bedeutet das eine komplette Verstaatlichung binnen weniger Jahre.

Montag, 30. Januar 2023

Auf dem letzten Loch: Die Zerstörung des HFC

Es fing schon schlecht an, wurde dann aber immer nur noch übler. Selten die Momente, in denen die Zeugen der von Anfang an als Tragödie angelegten Geschehnisse sich den Eindruck  einreden konnten, es würde noch gelingen, die Kurve zu bekommen. Eine kleine Serie starten. Daraus eine größere machen, länger und nicht mehr nur vom Glück getrieben wie die wenigen Lichtblicke, die es im Verlauf einer Saison zu bestaunen gab, die, Stand Ende Januar 2023, nicht nur zu den schlimmsten, schlechtesten und erschreckensten gehört, die die an schlimmen, schlechten und erschreckenden wahrlich nicht arme Tradition des Fußballklubs Hallescher FC zu bieten hat.  

Hoffen auf mehrere Fußballwunder

Es ist jedes Mal schiefgegangen. Aus der Hoffnung, die überwiegend aus unteren Ligen verpflichteten Neuzugänge könnten am neuen Arbeitsort wie von Zauberhand und gegen alle Wahrscheinlichkeit allesamt eine Leistungsexplosion erleben, die brauchbare Regionalligakicker eine Liga höher in Leistungsträger verwandelt, wurde noch im Sommer Ernüchterung. Aus der Absicht, mit einem Laptop-Taktik des brutalen Pressens Gegner zu überrumpeln, die das brutale Pressen schon lange auf den Müllhaufen der Fußballgeschichte geworfen haben, wurden bittere Niederlagen. Die Ansage, lieber 4:3 zu gewinnen als schöne 1:0, schlug ins Gegenteil um. Es wurde nicht 4:3, aber auch nicht 1:0. Sondern 3:4 und 0:1.

Im Oktober schon, die Sonne stand noch hoch und PPQ hatte seine HFC-Berichterstattung angesichts einer zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit unübersehbaren Kluft nach mehr als zehn Jahren aufgegeben, halfen nur noch Durchhalteparolen. Man müsse sich weiter einspielen. Man dürfe den Mut nicht sinken lassen. Man sehe gute Ansätze. Die Mannschaft sei quicklebendig. Es fehle nur ein Quäntchen dies und auch mal eine Prise das.

Festhalten am gescheiterten Plan

Der Libero wechselte in den Sturm, ein Verteidiger zeitweise in die Mitte, die meisten der Neuzugänge verschwanden auf immer auf der Bank und in den Katakomben. Der Präsidnet stärkte dem Sportdirektor demonstrativ den Rücken. Der Sportdirektor stellte sich demonstrativ hinter den Trainer. Der Trainer lobte seine Wunschspieler, merkte aber in Nebensätzen an, dass er auch gern den einen oder anderen anderen gehabt hätte. Nur das Geld sei eben nicht dagewesen. Was man habe, reiche allerdings in jedem Fall, um die Klasse zu halten.

Die Kurve ging nach unten. In keinem einzige Spiel überzeugte eine Elf, die in keinem einzigen Spiel zusammengesetzt war wie in dem vorher. Kurz vor Toresschluss, längst waren die Personalplanungen, akribisch vorbereitet in Monaten detaillierter Marktbeobachtung, erklärtermaßen abgeschlossen, kamen noch zwei Spieler, die seitdem immer spielen, Glücksgriffe aus der Lostrommel, die aber auch nicht verhindern konnten, dass das Tabellenende immer näher kam. 

Die Sturmhoffnung, die die Netze kaputtschießen sollte, landete auf dem Flügel, weil der Libero ja nun den Mittelstürmer gab. Der ursprünglich mit viel Vorschusslorbeeren verpflichtete Mittelstürmer, eigentlich eher ein offensiver Mittelfeldmann, aber jeder kann in Halle immer alles, war schon verschwunden, sein pfeilschneller Ersatzmann kam manchmal in der 79. Minute. 

Diesmal hilft kein Beten

Dann war Winterpause und die Vögel, die wegen des Klimawandels auf eine Reise in den Spüden verzichtet hatten, pfiffen es von den Dächern. Das geht schief. Diesmal hilft kein Beten und kein herbeigewürgter Sieg im letzten Spiel bei einem längst abgestiegnen Konkurrenten. Diesmal geht es sauber runter, weil ein Punkteschnitt von unter eins sicherer in den Keller führt als die Aufbewahrung der toten Lieblingskatze in deren Lieblingskatzensessel zu strengem Geruch in der Wohnung.

Die längste Winterpause der Fußballgeschichte brach an. Und hektische Aktivitäten brachen aus. Unsichtbar wurde an einem Plan B geschmiedet, der über zweieinhalb Monate geheim gehalten werden konnte. Was wäre, wenn der dringend nötige Ersatzmann für den vorn benötigten Abwehrchef erst wenige Tage vor der Saisonfortsetzung verpflichtet würde? So dass vor dem ersten Spiel keine Zeit bleibt, gemeinsam zu trainieren? Und der ersehnte Knipser? Könnte der nicht erst sogar danach, so wenige Stunden kurz vor knapp, dass er das wichtige Endspiel gegen den Erzrivalen aus Sachsen nicht mitspielen kann? Und wie wäre es, wenn man statt des gesuchten Mittelstürmers, den man gerade noch weggeschickt hatte, diesmal einen Rechtsaußen holt, der schon gezeigt hat, dass er.

Parallel bot es sich an, dass der Sportdirektor seinen Abschied verkündet, aber nicht gleich, sondern wenn einem Nachfolger kaum noch Zeit bleibt, Einfluss auf das aktuelle Elend zu nehmen? Sahnehaube obendrauf: Auch der ehrfurchtsvoll "Präsident" genannte Vereinsvorsitzende verkündete seinen Entschlss, dass genug getan und genug erreicht worden sei. Höchste Zeit, zu gehen, zumal kein Nachfolger in Sicht ist.

Immer wieder alles oder nichts

Jedes Spiel glich nun schon längst dem zuvor, das wiederum dem zuvor glich. Apathische Ratlosigkeit statt brutalem Pressing, hintenrum und quer, dan hohe Bälle über den ganzen Platz und zwischendrin Gegentore wie aus dem Musterkoffer der Abwehrvermeidung. Ab der 70., das Team stand zu dieser Zeit regelmäßig mit dem Rücken zur Wand, warf die sportliche Leitung jeweils alles in die Schlacht, was lange Socken trug. Alles oder nichts. 

Doch so oft die aufgebotenen Aktiven auch wechselten, gegen Ende eines Spiels in der Regel mit einer gewissen Hektik, so ähnlich waren die Szenen. Manchmal war das Aufbäumen sehenswert. Meistens nütze es nichts mehr. Im Anschluss an den neuen Nackenschlag stand der Trainer dann jeweils mannhaft vor der Kamera und wiederholte die Sätze vom letzten Mal. Ganz am Ende sei alles sehr ermutigend gewesen. Man müsse jetzt stoisch weiter arbeiten. Man dürfe den Mut nicht sinken lassen. Man sehe gute Ansätze. Die Mannschaft sei quicklebendig. Es fehle nur ein Quäntchen dies und auch mal eine Prise das, und genau das werde jetzt im Training hinzugefügt werden.

Jeder Spieler nur ein Rädchen

Aus dem großen Plan, wie die Nationalmannschaft zu spielen, jeder Spieler ein Rädchen mit genau umrissener Funktion, der nur genau das tut, was die technisch-taktische Abteilung ihm aufgetragen hat, wurde genau das: Fußball wie der der Nationalmannschaft. Bemüht, aber blutleer. Leidenschaftslos, aber beim Zuschauer zuverlässig schwere Leiden auslösend. Ein Tanz auf den Trümmern von Taktik und Spielkultur. "Harmlos, ideenlos, katastrophal", wie ein Fan kommentiert hat. 

Das geplanten  Fußballmärchen ist abgesagt, das Drehbuch "junger Trainer feiert mit junger Mannschaft und mutiger Philiosophie einen kometenhaften Aufstieg" in der Grabbelkiste gelandet. Nur für die sportliche Leitung überraschend haben sich die verpflichteten Regionalligaspieler als nicht ligatauglich herausgestellt. Von den - gefühlt - drei Dutzend hoffnungsvollen jungen, aber auch spätberufenen Kickern läuft nur ein kleiner Teil halbwegs rund mit, der Rest ist überfordert, noch mit der Anpassung beschäftigt oder aussortiert. Die Pressingtaktik bleibt immer in der Kabine. Die panischen Neuverpflichtungen, die die nun wenigstens die Klasse halten sollen, sind im reifen Fußballalter, Haudegen aus der Söldnerabteilung. 

Klaglos akzeptierter Niedergang

Bemerkenswert ist nicht der Niedergang, der sich in den zurückliegenden Jahren bereits angedeutet hatte. Seit dem Abschied von Trainer Torsten Ziegner hat sich der Hallesche FC auch nachhaltig von allen Ambitionen verabschiedet. Aus einem Klub, der überzeugt war, auf Dauer in der 3. Liga nicht überleben zu können, wurde ein Verein, dessen einziges Ziel es war, wenigstens in dieser Liga zu bleiben. Das Umfeld scheint nach den Corona-Jahren mit Überlebensfußball der Marke Atalan und Schnorrenberg bereit, alles klaglos hinzunehmen: Wie katatonisch bestaunen die Fans den unfassbaren Absturz des Dinos der 3. Liga. Der aktuelle Punkteschnitt von 0,85 liegt sogar noch unter dem früherer Katastrophenjahre. Aber die allgemeine Akzeptanz des anstehenden Unheils ist deutlich größer.

Die Zerstörung die Halleschen FC, sie entspringt eine r Mischung aus Hybris und Ignoranz. Niklas Kreuzer, ein Überlebender aus besseren HFC-Zeiten, der im aktuellen Mannschaftsgefüge zuweilen wie ein irrtümlich auf dem Platz eines Amateurvereins gelandeter Profi wirkt, ist es in einem Moment der inneren Empörung aus dem Mund gerutscht. "Ich höre seit Monaten immer nur, wir haben mehr Talent als die anderen, aber das musst du auch mit Ergebnissen belegen." 

Fußball für die B-Note

Es gibt im Fußball keine B-Note, keine Punkte, die herbeigeredet oder am Laptop bestellt werden können. Es gibt nicht einmal die eine oder andere Saison, in der sich alles trainieren lässt. Es gibt allerdings jedes Jahr für für drei Vereine die Saison, in der die Menge der Fehler, der Fehleinschätzungen und der zu lange festgehaltenen Hoffnungen dazu führt, dass die Reise auf der Rasierklinge so tief im Tabellenkeller endet, dass der nächste Neuaufbau auf einer ganz anderen Basis stattfinden muss. 

Chemnitz, Jena, Erfurt, Cottbus, etliche frühere Liga-Konkurrenten können ein Lied davon singen, wohin es führt, wenn weder die Abwehr funktioniert noch eher zufällig ins Team geratene Einzelkönner wie Terrence Boyd oder Elias Huth dafür sorgen, dass sich der Verein am Tag der Endabrechnung doch noch über der Todeslinie festgekrallt hat. Die halbe Saison ist rum, der HFC steht dort, wo er seinen Leistungen nach hingehört. Die Bilanz ist auf allen Zeitebenen negativ, die Tendenz eindeutig: Ein seit Jahren schleichender Verfall führt geradewegs dorthin, wo der kleine, nie von Umfeld, Fans, Geldgebern oder Medien verwöhnte Verein damals herkam. Die Regionalliga, das Massengrab der ostdeutschen Traditionsvereine.

Urnengang in Berlin: Schicksalswahl in der Schnullerrepublik

Die Faust aus dem Schnuller: Die Grünen verlieren die Kontrolle über die Geister, die sie gerufen haben.

Ein bisschen hat man sich entzweit zuletzt. Geradezu unerlaubt brutal schob sich die Realität zwischen Blütenträume und Weltrettungsstrategien. Der Krieg. Die Sanktionen. Das Klima. Das unstillbare Bedürfnis Ewiggestriger, dennoch weiterheizen, weiter reisen und weiteressen zu wollen. Und dann auch noch die junge Jugend, Maschinenstürmer, denen kein Ausstieg schnell genug geht, kein Einschnitt ausreichend tief und kein Weltrettungsversprechen zu weit. Die frischen Helden von 2021, grüne Sagengestalten, denen die Gemeinde der Gläubigen zugetraut hatte, Wohlstand und Entsagung, Verzicht und Wonnebäder zu versöhnen, sie verwandelten sich beinahe über Nacht in Verräter. Verräter an dem, was in Deutschland traditionell "Die Bewegung" genannt wird.  

Betteln bei der Bewegung

Die ist, was nach Abzug der Einsicht in die Notwendigkeit übrig bleibt von einer gefühlten Realität, in der alles geht, was nur gewollt werden kann. So lange keine Wahl vor der Tür steht, ist der Liebesentzug aus der eigenen Fankurve für jeden Politiker leicht zu verschmerzen. Kommt Zeit, kommt Rat, kommen Einsicht und Reue und seliges Vergessen. Dann landet das Kreuzchen doch wieder dort, wo es den wenigsten Schaden am eigenen Weltbild anzurichten verspricht. Robert Habeck hat das während der Gefechte um das globale Klimasymbol Lützerath deutlich zu erkennen gegeben: Mögen auch die Aktivisti ungehalten darüber sein, dass eine Bundesregierung nicht einem ganzen Land schlagartig den Saft abdrehen kann, ohne schon am nächsten Morgen keine Bundesregierung mehr zu sein, ein Bundesminister, auch ein grüner, muss zumindest Teile der garstigen Wirklichkeit anerkennen. 

Kniefälle vor Menschenrechtsverletzern und die Verteidigung eines zu großen Teilen in öffentlichem Besitz befindlichen Konzerns wie RWE sind dann unumgänglich, denn Machterhalt ist für den Mächtigen stets wichtiger als die Prinzipien, an die unverbrüchlich und kompromisslos zu glauben ihm zur Macht verholfen hat. Der Riss, der sich zwischen radikaler Klimajugend, hauptberuflichen Aktivisten und grünen Funktionsträgern aufgetan hat, bringt allerdings aktuelle Wahlkämpfer wie die Bettina Jarasch in das, was der Deutsche früher Schwulitäten nannte, weil schwul im Niederdeutschen noch "drückend heiß" hieß und Ängstlichkeit angesichts einer unbeherrschbaren Situation häufig zu Hitzewallungen führt.

Frust bei den Wunschkindern

Wallungen, wie sie die grünen Spitzenkandidatin zur überraschend angesetzten Berliner Wiederholungswahl offenbar deutlich fühlt. Obschon Berlin nicht nur als deutsche, sondern auch als Hauptstadt der Klimabewegung gilt, fürchtet Jarasch Abstrafung durch die radikalisierten Teile der Klimakämpfer. Wenn eine grüne NRW-Wirtschafts- und Klimaschutzministerin die Vernichtung der globalen CO2-Senke Lützerath verteidigt und ein grüner Polizeipräsident die Räumung der Verteidiger und die Zerstörung ihrer Baumhäuser und Bunker billigt, dann führt das zu Frust und Unzufriedenheit bei Angehörigen einer Generation, die es gewohnt ist, stets zu bekommen, was sie sich wünscht.

Jarasch warb also unumwunden um Unterstützung für ihre grüne Partei das kleine Übel. "Wir haben die Chance, die nächste Regierung anzuführen", lockte sie die vergnatzte Basiss. Das sei "auch eine Chance für Berlin und für den Klimaschutz", denn die Klimabewegung habe es in der Hand, "ob Berlin in Zukunft von einer konservativen CDU regiert" werde oder von ihrer Partei, die ein klimaneutrales Berlin wolle und dazu umgehend auf allen Berliner Straßen Tempo 30 einführen werde. Das Land werde überdies Milliarden investieren, damit die Berliner "ihre Wärme aus dem Berliner Boden, aus der Berliner Luft, von Berliner Dächern und nicht mehr von Putin" bekommen. Zugleich sollten Mieter vor steigenden Mieten geschützt werden, indem Dämmung nichts mehr kosten darf. Der Staat übernimmt die Kosten für den Heizungstausch, er wird den Verkehr häufiger kontrollieren und Geothermie eigenhändig aus dem Boden bohren.

Boosterversprechen für die neuen Sansculotten

Doch ob der "Booster für die Energiewende" (Jarasch) die locken wird, die nicht langsamen Verkehr wollen, sondern gar keinen, und die nicht billiger zu wohnen wünschen, sondern kostenfrei, ist ungewiss. Die Grünen stehen vor ihrem klimabewegten Gefolge wie die Robespierre und Danton vor den Sansculotten und dem von ihnen selbst gegründeten Wohlfahrtsausschuss: Egal, was sie ihm geben, es ist nie genug, egal, welche Forderungen sie erfüllen, es wird nicht reichen, Ruhe zu schaffen, bis all die großen Wenden und Ausstiege erledigt sind.

Die grüne Revolution frisst ihre Mütter und Väter, die "schmerzhaften Kompromisse" (Jarasch) helfen auf Sicht zu wirtschaften, aber sie befriedigen das Gefolge der Aktivisten und Aktivistinnen nicht, denen schnell zu langsam und langsam immer noch zu schnell ist, die frustriert sind, weil nicht alles gleich geschieht wie am Handy und vieles für ihren Geschmack für viel lange hin versprochen wird. Bettina Jaraschs Kniefall vor den Klimaaktivisten, die den Braunkohle-Abbau verhindern wollen, ohne eine Alternative nennen zu können, hat bundesweite Symbolkraft. So wie 2038 zu spät war für das Ende der Kohleära, ist nun 2030 zu spät. Auch 2028 oder 2025 oder nächstes Jahr wäre nicht hinnehmbar, wie überhaupt kein Kompromiss Gnade fände, wäre er nicht total und endgültig.

Sonntag, 29. Januar 2023

Gehackte Grille: Mein erster Mehlwurm

Mehlwaurm larve
So lecker sehen die neuen EU-Nahrungsergänzungsmittel im saftigen Frischzuchtzustand aus.

Sie können unglaublich lecker sein, leiden aber immer noch unter ihrem schlechten Ruf. Über Jahrhunderte gelang es der mächtigen Agrarlobby, den Verzehr von Insekten in Misskredit zu bringen. Obwohl das Preisleistungsverhältnis der kleinen Krabbler verglichen mit einer Kuh oder einem Schwein unschlagbar ist, scheuten auch Behörden und Medien, für Fruchtfliegen, Mehlwürmer, Getreideschimmelkäfer und Grillen als Nahrungsersatz zu werben.  

Konzept Kerbtier

Andere Völker sind da längst weiter, in Asien, Afrika und Teilen Südamerikas gelten Kerbtiere, auch Kerfe genannt, als Delikatesse die nicht  nur überaus bekömmlich und nahrhaft ist, sondern sich über smarte Rezepte auch so spannend würzen lässt, dass sie auf den unvoreingenommenen Esser ähnlich wie vegane Wurst kaum von richtigem Essen zu unterscheiden ist. Selbst die neue Deutschland-Diät von Nationalkoch Cem Özdemir verweigert Hautschrecken, Stabflüglern und den besonders kohlenhydratarmen Ameisen die Anerkennung: Özemirs nationaler Zukunftsspeisekarte hebt sogar ausdrücklich auf den Rückbau tierischer Nahrung ab.

So musste erst die EU kommen, um mit der wegweisenden Durchführungsverordnung (EU) 2023/5 Angehörige der artenreichsten Klasse der Gliederfüßer (Arthropoda) als teilweise entfettetes Pulver als nahrhafte Beimischung für den Speiseplan der 440 Millionen EU-Europäer zu etablieren. Die ersten drei Insektenarten dürfen bereits als Lebensmittel verkauft werden, nun geht es nach dem Beschluss des Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCOPAFF), gemeinsam getroffen mit der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, kurz EFSA), vor allem noch darum, über den eigenen, oft noch historisch falschen Vorbehalten zu verdankenden Schatten zu springen, um auch mal Grille, Made oder gefriergetrocknete Schimmelkäfer auf den Tisch zu bringen.

Der erste Gliederfüßler-Snack

Der erste Gliederfüßler-Snack ist natürlich immer der schwerste. So proteinreiche und klimaschonend die Grille als Speisetier ist, so hoch sind die Hürden, die nach alter Art sozialisierte Mitteleuropäer überspringen müssen, um sich die kleinen Tiere munden zu lassen. Die EU sieht deshalb ausdrücklich eine unauffällige Beimischung von gemahlenen Kleinsttieren in altbekannten Lebensmitteln vor. Auf diese Art, so hat die Kommission errechnen lassen, werden auch Bürgerinnen und Bürger zum Konsum bewegt werden können, die aus einem überkommenen kulturellen Widerwillen freiwillig nicht zu purer Insektennahrung greifen würden.

Für alle anderen empfiehlt sich die direkte Konfrontation mit der neuen Chance, etwa den Mehlwurm (Tenebrio molitor) als Sättigungsbeilage zu probieren. Wie der Name schon sagt, wird der Käfer aus der Familie der Schwarzkäfer (Tenebrionidae) nicht in seinem Endstadium als zehn bis 18 Millimeter langes Insekt, sondern in der wurmartigen Larvenphase genossen. Jetzt ist das kleine Tier noch wässrig-weich, es lässt sich unmittelbar zubereiten, kann aber auch trocken verarbeitet werden. Wie der Name schon sagt, verwandelt sich der Mehlwurm leicht in Mehl, das unter Zugabe von Salz, Sägespänen und getrockneten Algen in brotartige Fladen backen lässt. Mit Zucker verfeinert und zu Gemüsestippe gereicht, sättigt das nach EU-Definition "neuartige Lebensmittel" schnell und ohne Nebenwirkungen.

Kaum Schwund im Mund

Der Vorratsschädling ist in diesem Lebensabschnitt besonders für den menschlichen Verzehr geeignet, weshalb die europäische Novel-Food-Regelung seinen hohen ernährungsphysiologischen Wert durch hohen Eiweißgehalt und überzeugenden Vitamin- und Nährstoffreichtum bereits hier abgreift: Durch ihren kurzen Entwicklungszyklus, ein Käferweibchen legt bis zu 600 Eier, die sich über die Dauer von zwei bis vier Monaten in goldbraune Köstlichkeiten verwandeln, wird eine hohe Umwandlungsrate von Futtermittel in Körpergewicht erreicht, so dass sehr wenige ausreichend große Wurmfarmen perspektivisch ganz Europa ernähren könnten.

67 Gramm Protein auf 100 Gramm Wurmgewicht sind normal, gewissenhaft zubereitet, lässt sich der Wurmbrei komplikationsfrei sowohl in eine Art Kartoffelbrei als auch auch in einen Gemüsersatz verwandeln. Beim Zubereiten kommt es vor allem darauf an, angesichts der in beinahe ganz EU-Europa verbreiteten Vorbehalte gegenüber insektizider Nahrung jeden Anschein von Insektenähnlichkeit des fertigen Gerichts zu vermeiden. "Warum also nicht mal Grillen als Proteineinlage in leckeren mexikanischen Tacos versuchen?", wie das SPD-Kochsupplement RND fragt?

Unter klassischem Pizza-Topping verstecken

Ja, warum denn nicht? Gerade wenn Gäste erwartet werden, bietet sich der Lackmustest an: Der Novel-Food-Koch mischt Öl mit einem Esslöffel Cumin, einem Esslöffel Paprikapulver, einem Esslöffel Knoblauchpulver, dem Saft einer Limette, schmeckt mit Salz und Pfeffer und gibt den Saft zusammen mit einem Topf frischer Grillen oder vier Handvoll gut durchgemengter Mehlwurm-Paste auf ein Backblech. Je nach Oberhitze ist der Nahrungsersatz bereits nach einer Viertelstunde soweit. Nun kann der angeröstete Fladen unter Guacamole, einem klassischen Pizzatopping oder auch Kräuerquark versteckt werden. 

Der Eigengeschmack von Kerbtieren ist eher staubig, Grillenfleisch hat eine knackige Konsistenz. Zusammen serviert, erinnert die knusprige Mahlzeit aus dem Reich der bisher nur als Futterinsekten zugelassenen Kleinsttiere an vegane Bratlinge oder Algenwurst. Spannend für Koch und Gastgeben sind sind die Momente des Verzehrs: Werden die Gäste die Lefzen heben? Werden  sie direkt bemerken, dass sie die Zukunft schmausen? Und nicht zuletzt: Sind Allergiker anwesend, die auf das Fleisch des gelben Mehlwurms ähnlich empfindlich reagieren wie Menschen, die gegen Krebstiere und Staubmilben-Snacks allergisch sind?

Überraschung am Ende

Zumeist wird das nicht der Fall sein. Je nach Würzmischung wird es mehr oder weniger schmecken oder auch gar nicht, doch nach einem aktuellen Beschluss der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) führt ohnehin kein Weg um eine Umstellung der menschlichen Ernährung herum. Insekten werden dabei eine zentrale Rolle spielen, denn sie ersetzen tierisches Eiweiß zu geringen Kosten, verhindern damit Engpässe bei der Lebensmittelversorgung, verringern Umwelt- und Klimabelastungen und befriedigen die durch permanentes Bevölkerungswachstum beständig steigende Nachfrage nach Eiweiß in der weltweit wachsenden Mittelschicht. 

Das Überwinden einer falschen Scheu vor dem Essen von Insekten ist damit beileibe keine Geschmackssache, sondern ein Beitrag zur Erhaltung der menschlichen Art: Wenn empörte Gäste an der gemeinsamen Tafel erfahren, was sie gegessene haben und geleitet von Vorurteilen und im Elternhaus anerzogenen Ekelreflexen empört reagieren, reicht oft ein Hinweis darauf, dass Insekten nur für weniger als ein Prozent des CO2-Fußabdrucks aller Nutztiere weltweit verantwortlich sind, in ausreichend großem Maßstab gezüchtet und als Grundnahrungsmittel anstelle von Brot, Nudeln, Wurst, Obst und Gemüse aber entscheidend zu einer gesünderen Umwelt und zur Sicherung der Klimazukunft beitragen können.

Baerbocks Bock: Feministische Kriegserklärung

„Gemeinsam stehen sie auf Friedenswacht“. Auszug aus dem Lesebuch für die ersten Klassen des nächsten Schuljahres.

In Russland ist es bereits seit fast einem Jahr streng verboten, in Deutschland aber unterliegt es immer noch und trotz mehrfach nachgeschärfter Meinungsfreiheitsschutzvorschriften immer noch der Unterscheidung einzelner Debattenteilnehmer, ob das verbotene russische Wort война (Voyna) als deutscher "Krieg" oder gar als englischer "War" verwendet wird, wie es Bundesaußenministerin Annalena Baerbock jetzt im vertraulichen Zwiegespräch mit den Verbündeten im Europarat tat.

Jetzt gehehts lohoos

Deutschlands oberste Diplomatin sprach Klartext. Nichts von militärischem "Sondereinsatz", nichts von Hilfe durch bloße Waffenhilfe, nichts von Panzerpaket, Wirtschaftskrieg und kalten Sanktionsgefechten. "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland", verdeutlichte die einstige grüne Kanzlerkandidatin der Ernst der Lage der Nation. Krieg gegen Russland? Selbst die Leitmedien waren für einen Moment aufgeschreckt und spürbar beunruhigt. War das eine Kriegserklärung? Oder die Erklärung, dass der Krieg ohne Erklärung ausgebrochen war? Wann? Und warum hatte das niemand mitbekommen?

Stunden der stillen Panik. Stunden, in denen die Propagandisten Moskaus die Lage auszunutzen versuchten. Das russische Staatsfernsehen sprach von einer Kriegserklärung, die Bundesregierung schwieg.  Haben wir richtig gehört? Wir sind im Krieg gegen Russland? War das etwa eine deutsche Kriegserklärung an Putin? Diese "Wortfetzen" (Berliner Zeitung)? Oder nur ein Verhaspler, ein Versprecher, ein echter Bärbock, geschossen aus der Hüfte und dann falsch übersetzt, denn im Krieg sein will Deutschland ja nun doch nicht. 

Gegenangriff der Völkerrechtler

Das teilstaatliche Portal T-Online ruft zu den Waffen.
Eine Division an Völkerrechtlern, Sprachschatzdeutern,  Parteifreunden und Einordnern der Kriegserklärung der früheren Grünen-Chefin wurde in Marsch gesetzt. Ein Gegenangriff in Form eines Umfassungsmanövers im Sinne von Clausewitz' klassischer Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht: Vereinigte Waffen im idealen Terrain, verschanzte Stellungen und das entscheidende moralische Gewicht. Das Kreigsgericht kam umgehend zu einen amtlichen Urteil: Von  einer deutschen Kriegserklärung an Russland könne nicht die Rede sein, denn die müsse wie im Kriegsvölkerrecht vorgesehen durch ein Telegramm des Reichsaußenministers an den deutschen Botschafter in Moskau übermittelt werden, per Einschreiben und Rückschein. 

Alles andere gültet nicht, zerstört auch Matthias Herdegen von der Universität Bonn, einer der weltweit renommiertesten Völkerrechtler in Deutschland, jede Hoffnung von Kriegstreibern und Rüstungsfirmen auf einen schnellen direkten Kriegseintritt der Bundeswehr. Baerbock hätte das, was sie vermutlich habe sagen wollen, "vielleicht alles etwas anders ausdrücken können", analysiert der Experte. Aber bei dem Satz zur Situation, wie Deutschlands Außenministerin sie sieht, handele es sich um "eine Erklärung nach innen, im Kreis der befreundeten Mitglieder des Europarates, und keine Botschaft nach außen an den Kreml". 

Baerbock habe ihre Kriegserklärung nicht böse gemeint, auch sei sie durch den aktuellen desolaten Zustand der Bundeswehr faktisch nicht sachlich zu untersetzen. Es handele sich um eine ähnlich engagierte Wortmeldung wie die der EU-Kommissionspräsidentin, die angekündigt hatte, dass die EU  Russland nach ihrem Sieg über die Invasionstruppen für die in der Ukraine begangenen Verbrechen zur Kasse bitten werde.

Kommando gespaltene Zunge

Aus diesem Phänomen der sogenannten "gespaltenen Zunge" - übersetzt ins Diplomatische die "split tongue" - könne der Kreml Deutschland keinen Strick drehen. Dem stehe schon allein der Umstand entgegen, dass beide Staaten keine gemeinsame Grenze hätten. "Und in Polen hat sich Moskau ja bereits einmal eine blutige Nase geholt", erinnert der im sächsischen Auerbach lebende  Historiker Walter Kabelsack an Josef Stalin peinliche Niederlage gegen die Truppen von General Józef Piłsudski. "Die Chance, dass die Russen es diesmal bis zum Rhein schaffen, sehe ich bei unter 30 Prozent", sagt der ehemalige NVA-Offizier, der die russischen Streitkräfte über Jahrzehnten in gemeinsamen Manövern erleben durfte.

Angst sei nicht angebracht, Respekt aber schon. "Gebiete, in die sie einfahren, können schon durch die häufig undichten Ölwannen ihrer Panzerlawinen große Umweltschäden erleiden." Annalena Baerbocks  politischer Aufruf zu mehr Zusammenhalt im demokratischen Europa sei vor diesem Hintergrund ähnlich wie das Geständnis des neuen Bundesverteidigungsministers Boris Pistorius, der von einer indirekten Beteiligung Deutschlands am Krieg gesprochen hatte, eher Teil einer Strategie der inneren Standhaftmachung der panzerbegeisterten Bevölkerung als schon das direkte Signal für den Kriegseintritt.

Samstag, 28. Januar 2023

Zitate zur Zeit: Alle Sünden offen

Heute steht jeder auf der Weide.

S
ie sind übrigens auf dem Holzweg. Mit dem, was Sie über Privatsphäre gesagt haben. Die Menschen wollen keine Privatsphäre mehr. Privatsphäre ist passé. Die Privatsphäre ist ein Gefängnis. Die Menschen können es gar nicht abwarten, sie loszuwerden, wenn Sie es genau wissen wollen. 

Fakt ist, die Menschen sind so unglaublich einsam - damit kennen Sie sich ja ein klein wenig aus, dass sie ihre Privatsphäre mit Handkuss aufgeben, bei der erstbesten Gelegenheit. Und wissen Sie auch, warum? 

Ich sage es Ihnen. Weil sie nämlich danach lechzen, bekannt zu sein, nicht unbekannt... danach, transparent zu sein, beobachtet zu werden ob sie wichtig seien, als Beleg dafür, dass sie jemand sind... so als ob sie wichtig seien. 

Ihre Geheimnisse für jedermann einsehbar, ihre Sünden offengelegt, ja lauthals hinausposaunt. Nichts bleibt verborgen. Sie wollen es so. Und wieso? Soll ich Ihnen sagen, wieso? Weil beobachtet zu werden... das fühlt sich ein klein wenig so an wie geliebt zu werden. 

Cy Baxter in Anthony McCartens "Going Zero"

Hass auf Herkunft: Stimmungsmache gegen Sündenböcke

Der neue Maskulinismus bedroht Deutschland ganz akut.

Nach dem umstrittenen Angriff auf Zugfahrende in Brokstedt hat sich Deutschland einmal mehr ohne Zögern in eine Zeitschleife gestürzt. Die Öffentlichkeit gibt sich entsetzt, die Innenministerin lässt alte Bestände von früheren Ich-bin-in-Gedanken-bei-den-Opfern-Tweets verbreiten und die Medien schreien nach sofortigen Konsequenzen für Täter, Haftrichter, das deutsche Rechtssystem und die EU-Regeln zur Ausweisung von Geflüchteten, die nach langen Jahren des Aufenthaltes mit "Fiktionspapieren" zurechtkommen müssen, statt als das versprochene Menschengeschenk daran mitzuarbeiten, die Renten der abgängigen Babyboomer zu erarbeiten.  

Deutschland Ruf wird leiden

Eine fatale Situation, die droht, Deutschlands durch das große Panzerpaket eben erst aufpoliertes Restansehen im Ausland, vor allem in der muslimischen Welt und erst recht in Palästina zu beschädigen, schreibt PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl in ihrer harschen Abrechnung mit einer Affäre, in der es nur wenigen gelang, sich treu zu bleiben und vom Täter nicht auf die Tat zu schließen, damit die Gewalt in einem - einzigen! - Regionalzug in Schleswig-Holstein von Rechten, Rechtsradikalen und Rechtsextremen nicht für Hetze genutzt werden kann.

Nötig wäre eine Debatte, die ohne die gezielte Ausgrenzung Kranker, ohne vorschnelle Beschuldigungen und die pauschale Bezichtigung von Bürger*innen befreundeter Staaten als Täter*innen auskommt, wie sie selbst große, von den Bürgerinnen und Bürger finanzierte Medienhäuser reflexhaft betreiben. Wenn ein teilstaatliches Portal fragt, ob "die Herkunft eines Täters etwas mit der Tat" zu tun habe, wie das die zum Bundesbesitz zählende Newsseite T-Online tut, dann werden gezielt andere Fälle verschwiegen und kleingeredet, in denen diese Frage wie selbstverständlich nicht gestellt wird. Herkunft macht keine Täter, ein Messer macht keine Täter, niemand wird als Straftäter geboren, kein Pass verpflichtet seine*n Besitzer*in dazu, gewalttätig zu werden und friedliche Passagiere eines Zuges anzugreifen. Die eigentlich Frage ist doch: Was steckt hinter den tödlichen Messerattacken auf Fahrgäste? Und "wann wird aus einem Mann, der am Rande der Gesellschaft lebt, eine tickende Zeitbombe?", wie die amtlicher Danachrichtenagentur DPA fragt.

Gewalt nur im Kollektiv

Das war einst allgemeines Grundwissen in einem Land, dessen Bevölkerung gewohnt war, Gewalt gegen Mitbürger erst nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Regierung, dann aber kollektiv auszuüben. Dieser alte Brauch aber scheint offensichtlich verlorengegangen zu sein in einer Gesellschaft, in der die rechten Populisten immer wieder neue, schreckliche Anlässe finden, weil es dem Staat nicht gelingt, furchtbare Taten gegen das Leben, wie es Staatsanwälte nennen, nicht zu verhüten. 

Dabei geht es nicht um einen Generalverdacht nach Herkunft, sondern um gezielte Einzelfälle, die vorbeugend erkannt und verhindert werden müssen. Mag es auch einen betroffenen Eindruck machen, wenn die scheidende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gemeinsam mit dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten  zur Unglücksstelle eilt, um Blumen abzulegen. Viel wichtiger wäre doch, dass sie gemeinsam versuchen, erneute Integrationsdebatte am falschen Platz und zum falschen Zeitpunkt zu verhindern. 

Akute Lage klug abmoderieren

Dass das möglich ist, hat der Umgang mit den Silvesterunruhen von Berlin gezeigt: Die von Populisten, Internethetzern und einem "liberal-konservativen Milieu" (Berliner Zeitung) ausgelöste rassistische Hetzkampagne gegen Paschas, Böller und Berliner Jungs befriedete die Bundesregierung, indem sie die Erstellung eines "Lagebildes" in Aussicht stellte. Auch der Fall Illerkirchberg, Ältere erinnern sich, wies nach, dass ein verantwortungsvolles Krisenmanagement akute Lagen abschließend abmoderieren kann, ohne dass mit nachfolgenden Berichterstattungsproblemen gerechnet werden muss.

Mit Blick auf Brokstedt muss die Diskussion auf den Umstand fokussiert werden, dass der Täter wieder ein Mann ist, dass er wieder auf Bahngelände zuschlug, wieder an einem Wochentag, der mit dem Buchstaben M beginnt und wieder in einem Ort, der einen überaus typischen deutschen Namen trägt  wie meistens bei Verbrechen hierzulande. Dennoch schiebt die Gesellschaft auf der Suche nach einem Sündenbock all diese auffälligen Gemeinsamkeiten beiseite, um ungestört über Integrationsprobleme klagen und nach Abschiebungen rufen zu können. 

Wurzellos und missachtet

Das fällt hier leicht, weil der mutmaßlich Tatausführende ein staatenloser Palästinenser ist, der eben erst aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, weil sie schon länger andauerte als die für seine letzte Gewalttat in Aussicht stehende Haftstrafe. Wo aber soll so jemand hin, in einem fremden Land mit einer fremden Sprache, das einen nie hat ankommen lassen und scheel schaut wegen kleinerer Körperverletzungsdelikte und kürzerer Gefängnisaufenthalte? Menschen wie dieser wurzellose, einsame und von der Mehrheitsgesellschaft missachtete junge Mann landen dann dort, wo die einsamen und gebrochenen Herzen schon immer Zuhause waren: Auf den Bahnhöfen, die von anderen Orten erzählen, an denen alles besser ist. In der Nähe der Gleise, die fortführen von den Städten und Stätten des eigenen Unglücks. Und in den Zügen, die versprechen, einen nach Hause zu bringen.

Doch die "unverantwortliche Stimmungsmache" (FR), die den Ausraster eines Einzelnen angesichts seiner sicherlich verzweifelten Situation als Mann, der sich nicht angenommen fühlen durfte, nutzt, um Wut auf Migranten und Migrantinnen, auf Flüchtlinge, Geflüchtete und Zufluchtsuchende schürt, macht sich selbst zum Werkzeug von Hass und Gewalt. Laute Stimmen wie die des  Fernsehmoderators Markus Lanz bestimmen den Ton: Sie ignorieren die Fakten, nach denen es auch schon lange vor 2015 immer wieder zu Unglücksfällen bei der Deutschen Bahn kam, bei denen Menschenopfer zu beklagen waren. Denn ihr Ziel ist es allein, der Gesellschaft eine Migrationsdebatte aufzuzwingen.

Warum kein Generalverdacht gegen Messer

Die Fakten, die eine klare Sprache sprechen, sind dabei vollkommen egal. Greift ein Mann Personen mit einem Messer in einem Zug an, dann könnte die Ursachensuche beim toxischen Maskulinismus ansetzen, bei den bekanntermaßen oft chaotischen Zuständen bei der Bahn oder rund um die benutzte Waffe ließe sich ein Generalverdacht gegen Messer aufbauen. Stattdessen aber zuckt der alte deutsche Reflex gegen das Fremde, gegen den Besucher ohne deutschen Pass, den sicherlich aus sehr guten Gründen geduldeten Mitmenschen, mit dem wir angesichts der Unmöglichkeit, einen Staatenlosen abzuschieben, lieber besprechen sollten, wie seine Integration uns doch noch gelingen kann als darüber, warum sie uns, den Wohlstandsgesättigten und Festverwurzelten, bisher nicht gelungen ist, obwohl sich das rechtskonservative deutsche Lager und konservative Migranten zum Beispiel vollkommen darin einig sind, dass eine Gesellschaft am besten von älteren Männern geführt werden sollte.

Freitag, 27. Januar 2023

Der Spiegel: Selbstzerstörung eine Nachrichtenmagazins

Die Idee entstand auf dem Höhepunkt der Hasswelle gegen den Tesla- und neuen Twitterchef. Warum nicht mal ganz aus der Ferne zusammenschreiben, was über Elon Musk bekannt ist, was sich an Negativem finden lässt und alles zusammenstricken zu einem "Psychogramm eines Unternehmergenies auf Selbstzerstörungskurs"? Bebildert mit einem Titelfoto im Frauke Petry-Stil, also im Stil des Augsburger Meisters Hein Neuner, versprach die Tesla-Ausgabe dem  ehemaligen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" einen Ritt ganz oben auf der Welle an Widerstand, die Musks Plan entgegenschlug,  Twitter zu befreien und eine Art Meinungsfreiheit einzuführen, die das vielbemühte "wir" der deutschen Debattengesellschaft keinesfalls tolerieren darf. 

Ein Nachruf würde es werden, ein Nachruf auf die "größte Unternehmerhoffnung seiner Generation" (Spiegel), die Musk im Text natürlich nur sein kann, weil zum Absturz die Beschreibung möglichst großer Fallhöhe gehört. Hatten selbst deutsche Reporter lange geglaubt, der gebürtige Afrikaner werde mit seinen Plänen von der Elektromobilität, mit seiner Giga Factory in Brandenburg und neuen Nahverkehrskonzepten wie dem Hyper Loop fleißig mitarbeiten an einer Zukunft, wie sich in deutschen Koalitionsrunden geplant wird, hatte der 51-Jährige sich mit seiner "desaströsen Twitter-Übernahme" (Spiegel) auf die falsche Seite der Geschichte gestellt. Entlassungen gehen gar nicht, erst recht nicht aus finanziellen Gründen und insbesondere nicht bei einer Art Medienunternehmen.  Als Twitter-Besitzer, so der Spiegel, drohe Musk "nun sein eigenes Denkmal einzureißen".

Todesstoß für den Twitterräuber

Bald pleite, ohne Freunde auf der richtigen Seite. "Was bleibt vom Genie, wenn der Wahnsinn überhandnimmt?" fragte sich die Spiegel-Titelstory halb besorgt, halb klammheimlich erfreut wie einst der Göttinger Mescalero über die Ermordung des damaligen Generalbundesanwaltes Siegfried Buback durch die RAF. Es steht zu vermuten, dass die immer noch mächtigste Magazinredaktion des Landes die große Hoffnung hegte, die bereits leicht abebbende Aufregung über das unsägliche neue Twitter voll eingebildetem Hass und Redefreiheit für die Falschen nutzen zu können, um den Todesstoß gegen den Milliardär zu führen, der mit seinen Tesla-Anteilen rund 200 Milliarden Buchwert und damit auch den Titel als reichster Mann der Welt verloren hatte.

Völlig zu Recht natürlich. Wer vielfach mehr besitzt als der "Spiegel" wert ist, der darf im Land des "Neidweltmeisters" (Die Welt) nicht auf Gnade hoffen. Erst recht nicht, wenn er den Eindruck macht, dass er gar nicht auf Gnade hofft, sondern lächelnd ein Waschbecken in sein neues Unternehmen trägt und umgehend beginnt, mit allerlei neuen Regeln, neuen Funktionen und Algorithmen zu experimentieren. Die wirklich tapferen Kämpfer gegen den Usurpator gingen, mutige Männer, Frauen und Sozialdemokraten, die es nicht mehr aushielten an der Meinungsfront und sich für ein einsames Leben im Zeichen des Mastodons entschieden. Der "Spiegel" blieb, aber eben nur, um im Herzland des Feindes weiter Widerstand zu leisten . mit Tweet über Panzer, Promis und rote Lippenstifte. 

Weiße Männer als Wirtschaftsarzt

Auch die große Enthüllung über Musks "Wahnsinn", diagnostiziert durchgehend weißen und männlichen Reporterkompanie aus acht Wirtschaftsärzten, Gesundheitsexperten und Kennern des Ex-Genies, wurde bei Twitter gereichweitet, obwohl weil Musks sogenannte Fanboys darauf sofort steil gingen. Aber das Timing stimmte: Die klassische Relotiusade vom unaufhaltsamen Niedergang hielt immerhin fast fünf ganze Tage. Dann meldete Musk für Tesla einen neuen Quartalsrekord bei Absatz, Umsatz und Gewinn: 24,3 Milliarden US-Dollar Umsatz, das ist ein Plus von 37 Prozent, 59 Prozent mehr der Nettogewinn, wiederum überwiegend mit der Elektroautosparte, der Verkauf von Steuergutschriften spielt nur noch eine nachgeordnete Rolle. Dem "Spiegel" blieb nur, im Bild vom Wahnsinn zu bleiben: Das sei ja nun eine "irre Bilanz".

Seit dem Höhepunkt der Hasswelle, die zugleich ein Tiefpunkt des deutschen Journalismus war, hat die Tesla-Aktie rund 50 Prozent zugelegt. Wer Anfang Januar sechs Tesla-Aktien gekauft hätte, könnte sein Spiegel-Jahresabo aus den Gewinnen der letzten vier Wochen zahlen. Aber warum sollte das jemand tun, der kein Abo hat? Und die eins haben, sind bestimmt nicht auf die Idee gekommen.

Klimatod durch Kleingetier: Studie empfiehlt Hundebremse statt Tempolimit

Pferde werden in Deutschland meist aus Gründen ohne Zweck gezüchtet. Wie Hunde verursachen die Spaßtiere unabsehbar große Klimaschäden.

Geht es um die Einführung eines Tempolimits in Deutschland, gegen die Schlagzeilen sofort steil. Eine verbindliche Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen rette das Weltklima, behauptet die eines Seite. Dagegen versichert die andere, dass ein solches Verbot, schneller als 130 zu fahren, den CO₂-Ausstoß kaum senke, weil der Großteil der Fahrzeugführer auf Autobahnen ohnehin nicht mehr als 140 oder 150 fahre. Diese Weigerung vieler Autofahrer, die heute bereits existierende Richtgeschwindigkeit von 130 km/h um 40 oder 80 km/h zu überschreiten, verhindere, dass ein Tempolimit sich das Klima deutlich stärker schützen könne bisher angenommen.

Autos sparen weniger als Hunde

Eine neue Studie des Umweltbundesamtes (UBA) im ostdeutschen Dessau zeigt nun, dass eine andere Maßnahme deutlich klimawirksamer werden könne als das vieldiskutierte Tempolimits. Die Modellierungen der Arithmetiker, Klimaforschenden und Berlinpendler zeigen, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen selbst unter Idealbedingungen deutlich weniger klimaschädliches Kohlendioxid einsparen würde als ein Hundehaltungsverbot. Noch deutlich klimawirksamer wäre danach sogar ein umfassendes Haustierhaltungsverbot für private Haushalte, die Hunde, Katzen, Pferde, Vögel, Kaninchen, Fische und zahlreiche andere Tiere bis hin zu Exoten aus reinem Vergnügen halten.

Bereits früher hatten Untersuchungen in Sachsen beheimateten Klimawatch-Institut (CLW) ergeben, dass eine konsequente Umsetzung der sogenannten "Hundebremse" es Deutschland binnen weniger Wochen ermöglichen würde, alle seine Klimapläne zu erreichen. Zusätzlich würden weitere sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalent über das Soll hinaus eingespart. Eine komplette Haustierbremse, wie sie der Migrationssoziologe und Klimabewegungsforscher Heiko Hassknecht, Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte an der Hochschule Vividrina ins Spiel brachte, würde mit Einsparungen von beinahe 18 Millionen Tonnen CO2 sogar dafür sorgen, dass Deutschland seine Verpflichtungen aus den Pariser Klimaverträgen übererfüllen würde, ohne dass es weitergehender Maßnahmen wie Tempolimit, Braunkohleausstieg oder Fleischverzicht bedürfe. 

Tempolimit ist gut nutzbar

Das Umweltbundesamt hatte sich bisher dennoch geweigert, selbst Untersuchungen zu den Effekten einer solchen Maßnahme anzustellen. Im politischen Raum gilt ein Tempolimit für Autobahnen als medial gut nutzbar, hier kochen schnell die Gemüter über, die ideologischen Frontlinien aber sind tief in die Landschaft gefräst: Großstädter, Lastenradfahrer, Bionadeadlige und Hochgebildete mit einer Vorliebe für Fernreisen sind dafür. Pendler, Naherholer und ewiggestrige Anhänger der PS-Vergötterung der Vergangenheit dagegen. Ungleich schwieriger erscheint allen Parteien der propagandistische Umgang mit einer Hundebremse. Bis in die Chefetagen der internationalen Klimabewegung zieht sich die Vorliebe für die Qualhaltung von Hunden. Selbst die engagiertesten CO2-Sparer verlieren die Kontrolle über ihre private CO2-Rechnung, wenn es um die "kleinen Lieblinge" geht

Nachdem die Ampelkoalition eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen erneut abgelehnt hatte, bekamen Grüne, SPD und FDP Unterstützung vom Bundesverfassungsgericht. Es sei nicht ausreichend erwiesen, dass ein Tempolimit für das Erreichen der Klimaschutzziele notwendig sei, hieß es in Karlsruhe. Eine neue Studie des Umweltbundesamts (UBA) bestätigt nun, dass der Nutzen eines Haustier- oder wenigstens Hundeverbote den eines Tempolimits weit übertreffen würde. 

Schwache Ergebnisse trotz spitzer Feder

Die Modellierungen zeigen, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen pro Jahr mit spitzer Feder gerechnet 6,7 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente einsparen könnte - ein Hundeverbot aber hätte laut einer Rechnung in der vielbeachteten Studie "Effects of everyday life on energy consumption" allein in Deutschland eine Einsparung von 18 bis 40 Millionen Tonnen CO2 zur Folge. Weltweit wären bis zu einer Milliarde Tonnen CO2-Einsparung möglich, würde der geschätzte weltweite Bestand von 500 Millionen Hunden im Zuge eines Haustierausstieges konsequent auf die unbedingt notwendige Anzahl an Blinden-und Drogenschnüffelhunden zurückgefahren.

Laut der aktuellen UBA-Studie sinken die CO2-Emissionen im Straßenverkehr durch ein mögliches hartes Tempolimit auf nur noch 120 km/h dagegen um gerade mal 4,2 Prozent. Kaum wahrnehmbar, verglichen mit eine Hundeverbot,  das allein schon eine Einsparung von etwa sechs bis acht Prozent mit sich brächte. Umfassend erweitert auf ein allgemeines Verbot der Haltung von Haustieren ohne sogenannten Nutzzweck sehen die Forschenden sogar eine Einsparung von 13 bis 17 Prozent an CO2 als möglich an. Die hohe Fehlertoleranz ist dabei zum Teil Folge der Berechnungsmethodik, zum Teil aber auch Ergebnis von Forderungen aus dem politischen Berlin. Je nach dem Anforderungsprofil dort werden im Sinne des gewünschten Ergebnisses jeweils andere Emissionsfaktoren verwendet.

Klimatödliches Kleingetier

Als schwierig gilt eine realistische Einschätzung besonders im Umgang mit den Klimalasten, die aus der Zwangshaltung von Hunden, Katzen und anderem Kleingetier entstehen. Die Haustierlobby im Land wird von allen Parteien als überaus mächtig eingeschätzt, sie könne Karrieren machen, aber auch beenden, heißt es. Zum guten Ton in der Spitzenpolitik gehört es traditionell, sich mit Hunden und Katzen zu zeigen, um den Millionen Hunde- und Katzenhaltern die eigene "Tierliebe" zu demonstrieren. Entsprechend inszeniert, zählen hunderte Bundestagsabgeordnete, Minister und Landespolitiker selbst zur Haustierlobby, zu deren Verhaltensmustern eine stillschweigende Ignoranz gegenüber allen Klimabelastungen gehört, die die milliardenschwere Haustierindustrie und die zu einem Leben in Gefangenschaft gezwungenen Tiere selbst verursachen.

Die Diskussion um ein Tempolimit erfüllte so seit Jahren auch eine Ablenkungsfunktion. So gehen die UBA-Forscher von einer Abnahme der Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs einer Diskussion um Zweck, Nutzen, Sinn und Klimalast der Haustiernutzung von 92,7 Prozent während bei heißen Phasen einer Debatte um ein Tempolimit aus. Politisch ist das Vorhaben bisher immer wieder gescheitert, so dass nach einer Limitdiskussion stets vor der nächsten ist, ohne dass Gefahr besteht, aus dem Verkehrssektor auf andere gesellschaftliche Bereiche schauen zu müssen. Im Unterschied zum Tempolimit, das sowohl die SPD als auch Grüne ebenso wie die Rückzahlung der neuen CO2-Steuer als "Klimageld" im Wahlprogramm verankert hatten, spielt die Haustierbremse im politischen Geschäft trotz der neuen Studie keinerlei Rolle. Selbst die FDP, die sich schon beim Tempolimit querstellte, lehnt ein Hundeverbot ab. Offenbar aus Eigeninteresse.

Donnerstag, 26. Januar 2023

Messerattacke: Nun droht ein Regionalzugverbot

Entsetzen, Erschütterung, Ratlosigkeit. Nach dem furchtbaren Vorfall in einem norddeutschen Regionalzug ist Deutschland auf der Suche nach Erklärungen, Ausreden und symbolischen Handlungsandeutungen. Ein Mann tötet zwei Menschen und verletzt sieben weitere, Dutzende Überlebende werden Zeugen des Verbrechens, sie stehen unter Schock. Andere beteiligen sich aktiv am Geschehen - sie ignorieren das Gewaltmonopol des Staates und gehen auf eigene Faust gegen einen jungen Menschen vor, den sie verdächtigen, der mutmaßliche Urheber eines Geschehens zu sein, dessen Hintergründe bisher noch weitgehend im Dunkeln liegen.  

Motiv Ausländerfeindlichkeit?

War Ausländerfeindlichkeit das Motiv des Übergriffs? Ein rassistischer Rausch, der in einer langen deutschen Tradition steht? Mangelnder Respekt vor den zuständigen Organen, genährt auch durch die Bilder hilfloser Beamter in Lützerath, bei den Straßenblockaden der Letzten Generation und der Razzia gegen den Vorsitzenden des Reusschen Rat, bei dem der greise Vorsitzende der Staatsfeinde von drei Beamten abgeführt werden musste?

Rechte Hetzer freuen sich über Wasser auf ihre Mühlen, schließlich ist der Urheber des Einzelfalls diesmal kein Reichsbürger, sondern ein durch die israelische Politik entwurzelter Mann mit arabischen Wurzeln. Der "Pressekodex", der zwingend vorschreibt, dass Religionszugehörigkeit oder Nationalität von Straftätern nur genannt werden darf, wird ignoriert und der Tatverdächtige in rechten Blättern bereits als "Ibrahim A." beschuldigt. Der linke Widerstand, lange Zeit ein verlässlicher Verbündeter der wirklichen Wahrheit,  scheint erlahmt und ermattet, selbst seine verbeamteten Vorkämpfer wagen es nicht mehr, die richtig heißen Eisen anzupacken und den Menschen draußen im Lande reinen Wein darüber einzuschenken, dass die diesmal Reichen, die Rechten und die "Kritiker*innen des ÖRR" (Georg Restle) an ihrem Unglück schuld sind.

Ist Israel schuld?

Die Liegenschaften der staatseigenen Bahn gelten als besonders gefährlich.
Die Lage ist schwierig. Die großen Medienhäuser fragen sich angesichts zahlloser offener Fragen von großer Bedeutung besorgt, was den Täter angetrieben haben möge. Schlechte Kindheit. Die Politik der Zionisten. Die neue israelische Regierung, die auch der "Tagesschau" Angst macht? Polizei und Staatsanwaltschaft schielen nervös nach Süddeutschland, wo es vor nicht ganz zwei Monaten gelang, eine vergleichbare "Messerattacke" (®©BWHF) binnen Stunden medial beizusetzen. Gerade im Vergleich mit anderen Fällen, die Deutschland wochenlang in Atem hielten, ist das Bemühen um deutlich zu erkennen, sachlich zu bleiben und keine Grundsatdiskussion aufkommen zu lassen. Das mutmaßliche Verbrechen rangierte bereits im Augenblick der Entdeckung weit hinter Panzerpaket, Fiebersaftmangel und aktuellen Aufschwungversprechen im Kleingedruckten der Nachrichtensendungen, wie immer sorgfältig verpackt kurz vor Sport und Klimawetter.

Im Verantwortungsbereich eines Staatsunternehmens

Doch der neueste Einzelfall wirft auch wirklich unangenehme Fragen auf, die weit über Schleswig-Holstein hinaus für Diskussionsstoff sorgen. Erneut spielte sich das Geschehen im Verantwortungsbereich der ohnehin in der Kritik stehenden Deutschen Bahn ab. Erneut starben Menschen im unmittelbaren Verantwortungsbereich eines bundeseigenen Unternehmens. Und einmal mehr zeigte sich, dass das mehrfach angekündigte, beschlossene und verschärfte Messerverbot, vorangetrieben unter anderem vom neuen Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, keineswegs ausreicht, die Bevölkerung umfassend zu schützen.

Ganz im Gegenteil. Es scheint fast so, als würden Messerattackierende sämtliche Verbote und Einschränkungen bewusst ignorieren. Vor allem Bahnhöfe und Züge werden immer wieder Schauplatz schlimmer Gewaltverbrechen. Nach den Geschehnissen im Zug von Kiel Richtung Hamburg musste  der parteilose schleswig-holsteinische Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen nun sogar einräumen, dass es in Schleswig-Holstein noch nie einen derart schweren Übergriff in einem Eisenbahnzug gegeben habe.

Gefahrenzone Zugverkehr

Auch wenn die Hintergründe der aktuellen Ereignisse zum Glück noch "unklar" sind und weitgehend auch bleiben werden, wie es bei den Ermittlern heißt, deuten doch erste Hinweise darauf hin, dass der mutmaßliche Angreifer psychisch krank und geistig verwirrt sein könnte. Die Danachrichtenagentur DPA wurde wie stets aus Sicherheitskreisen informiert, dass wie immer auch dieser  Einzelfalljungemann nie zuvor als Extremist aufgefallen war. Ungeachtet dessen aber stellt sich die dringende Frage nach Konsequenzen. 

Was kann Bundesinnenministerin Nancy Faeser noch tun, ehe sie als Ministerpräsidentin nach Wiesbaden umzieht? Würden bewaffnete Zugstreifen helfen? Oder sollten die aus dem klimaschädlichen Flugverkehr bekannten Sicherheitsschleusen auf allen Bahnhöfen aufgestellt werden, um sogenannte "Bluttaten" (DPA) zu verhindern? Können zur Bemannung der neuen Bahnschleusen noch einmal ausreichend viele Fachhilfskräfte aus dem Ausland gewonnen werden? Oder lässt sich eine Wiederholung der Tragödie von Brokstedt nur gänzlich ausschließen, wenn die Bundesregierung zum äußersten Mittel greift und ein - zumindest vorübergehendes - Verkehrsverbot für die als besonders gefährlich geltenden Regionalzüge verhängt? 

Noch drückt sich das politische Berlin sichtlich um eine Antwort. Noch hegt die Innenministerin offenbar die Hoffnung, dass der bewährte Satz  "All unsere Gedanken sind bei den Opfern dieser furchtbaren Tat und ihren Familien" kombiniert mit einer Bemerkung, dass es sich bei Tat um eine "erschütternde Nachricht" handele, auch diesmal wieder ausreichen werde, bis zur nächsten medialen Großlage handlungsfrei davonzukommen. Für die ohnehin umstrittene Bahn, notorisch unpünktlich, unaufgeräumt, teuer und nun auch noch unsicher, sind das langfristig aber keine guten Nachrichten.