Montag, 19. Dezember 2022

Sieg für den Fußball: Kein Wort mehr über Katar

Leidenschaft und Leidensfähigkeit: Mit Lionel Messi triumphierte in Katar ein Spieler, der der deutschen Sehnsucht nach "jung und wild" gerade nicht entspricht.

Die EU geht leer aus, der Titel nach Südamerika. Emmanuel Macron war eigens noch einmal nach Katar geflogen, "gereist", wie es im politischen Berlin heißen würde. Doch am Ende bleibt dem französischen Präsidenten nur die Gratulation an einen Sieger, der Lionel Messi heißt, Argentinien und: Fußball. Macron schaut etwas sauertöpfisch, er steht zwischen Katars Scheich und dem argentinischen Fußballpräsidenten. Die Enttäuschung ist groß nach einem Finale, wie es noch niemals eins gegeben hat. 2:0, 2:2, 3:2, 3:3, Elfmeterschießen.

Im Schatten des Turniers

Während die EU im Schatten des Ereignisses einen neuen Schub für die Inflation beschließt, ist am letzten Tag eines Turniers, das aus deutscher Sicht von Anfang an Empörung zu finden war und früh verlassen wurde, keine Rede mehr von dem, was die Schlagzeilen in Deutschland sechs Wochen lang bestimmt hatte. Schon seit die "Mannschaft" nach der Vorrunde nach Hause flog, "fuhr", wie es im politisch korrekten Berlin heißt, schwächelte das öffentliche Interesse an den Menschenrechtsverletzungen der Blutprinzen. 



Die Erwartung aber, dass von unmenschlichen Arbeitsbedingungen am Persischen Golf, von toten Bauarbeitern und bestochenen EU-Vizepräsidenten erst nach dem letzten Abpfiff nie mehr die Rede sein würde, trog. Schon die finalen 150 Minuten von Doha standen überraschenderweise vollkommen in Zeichen des sportlichen Kräftemessens. Als habe es die Bindendebatte, die Versuche, Zeichen zu setzen, und die Aufrufe zum Boykott des Fernsehturniers nie gegeben, spielten in der Auslaufkurve ausschließlich sportliche Aspekte eine Rolle. Messi oder Mbappé? Der argentinische Kollektivfußball oder die individuelle Klasse der Franzosen? Zweckmäßigkeit oder Leidenschaft? Strategie oder Gier?

Mit einer Niederlage gestartet

Es gewann das lebendige Moment, die Mannschaft, die wie die deutsche mit einer Niederlage gestartet war, sich danach aber mit großem Willen, Glück und einer unstillbaren Sehnsucht nach dem dritten Titel aus dem selbstgeschaufelten Loch gegraben hatte. Um Messi, den Fußballgott, der im Vergleich zum geschniegelten Ronaldo und zum gestriegelten Mbappé wie ein sächsischer Bauarbeiter wirkt, entstand eine Turniermannschaft, wie sie die Deutschen aus einer fernen Vergangenheit kennen. Immer wieder kehrten Argentinien ins Turnier zurück, immer wieder gelang es den Spielern, den nächsten Schritt zu machen. 

Schon gegen die Niederlande musste ein Elfmeterschießen her. Gegen Frankreich dann, in einem Spiel, in dem drei Führungen nicht zum Sieg gereicht hatten, schien es dann, als wüssten die Argentinier sicher, dass es auch diesmal reichen würde. Messi ging voran, traf und zwölf Minuten später verschwand der 35-Jährige unter einem Berg aus Mitspielern, die ihren Anführer herzten und drückten und gar nicht mehr aufhören wollten, den - mit Elfmeterschießen - dreifachen Torschützen des Endspiels zu küssen und zu streicheln.

Gescheiterte Enteignung

Es war spektakulär, es war dramatisch, es war einzigartig. Es war zudem die Stunde der Wiedergeburt des Fußballs als Sport, den die Fifa nicht zerstören kann, aber auch die vielen Feinde der Fifa nicht. Alle Versuche einer sämtliche Kanäle bespielenden Medienmacht, den Fußballfans ihre schönste Nebensache wegzunehmen, scheiterten an einem Spiel, das seine besten Momente hat, wenn es nur das sein darf: Ein Spiel. Von dem die Gemeinsinnsender, die sich mehr als 200 Millionen Gebührengeld an der Finanzierung des Turniers beteiligt hatten, abschließend noch mitteilen, es hätten "wegen der kritischen Berichte über die Menschenrechtslage" schon sehr viel weniger Menschen als sonst zugeschaut. Immerhin ein Erfolg.

Schlimmer noch als Frankreich im Finale gegen Argentinien scheiterten in diesen Wochen in Katar die Politisierung, die Aufladung mit Botschaften und der Versuch, den Sport als Waffe zu missbrauchen. Ein deutscher Versuch, allenfalls noch einer einiger Europäer, wie früher die Kolonialherren einzumarschieren und festzulegen, wie andere Kulturen zu leben haben. Die EU-Partner beließen es bei einem halbherzigen Anlauf. Die deutsche Vertretung aber macht ernst, bis es lächerlich wurde: Das Bild der zugehaltenen Millionärsmünder vor dem Anpfiff gegen Japan, es wird bleiben. Nie zuvor haben so viele Männern, denen jedes Mikrophon offensteht,mit einer so belanglosen Geste so offenkundig geheuchelt, dass die einen die Aktion als feigen Rückzieher aus Angst vor der Fifa, die anderen aber als Auftritt unbelehrbarer deutscher Moralapostel begriffen.

Gnädiges Vergessen

Zum Glück für den DFB, die "Mannschaft", die Innenministerin und die deutschen Medien aht sich bereits wieder gnädiges Vergessen über die Szene gelegt. Oliver Bierhoff war's, nur Oliver Bierhoff. Hansi Flick, der Fußballlehrer mit der Ausstrahlung eines Sparkassenbeamten, darf weitermachen und er wird nun aus den gleichen Zutaten ein Team mit demselben Esprit formen, das Deutschland bei der Heim-EM in anderthalb Jahren genauso zu verzücken verspricht wie die Vertretung Katars die arabischen Scheich und Emire beim Fifa World Cup 2022 verzauberte.


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wir haben nichts falsch gemacht. Für mein ewig sauertöpfisches Gesicht war diese WM aber Gift.

Rotfront!
Nancy

Carl Gustaf hat gesagt…

Ein wenig Fußballkultur kam auf, als die Scheichs und Emirs vereint den alten Stadion-Smashhit anstimmten: "Wenn wir wollen, kaufen wir euch auf ...". Und Infantino wippte seine Füsse im Takt mit.
Hamdullah, es ist endlich vorbei!

Die Anmerkung hat gesagt…

Der Deutsche, so er Schmierant ist, einfach erklärt.
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Skandal-WM in Katar

Endlich ist es vorbei

Die Mini-Kolumne zur WM von Christoph Scheuermann

Zum Glück ist sie vorbei, diese irrwitzige Weltmeisterschaft in der Wüste, die Milliardenshow von Gianni Infantino, diese peinliche PR-Nummer des Emirs von Katar, der Messi im Moment seines größten Glücks ein katarisches Gewand umhängte, um ein letztes »fuck you« in die Welt zu senden: Wir haben dieses ganze Zinnober hier gekauft, wir bestimmen, wie es zu Ende geht.

Ich habe mir die feiernden Spieler angesehen und bin dann nach draußen gegangen, auf den Weihnachtsmarkt ums Eck.

Ich wünsche mir, dass mit dieser WM auch der sehr deutsche Moral-Rigorismus endet, der alles besser weiß, andere Haltungen nicht duldet und sich in einem Boykott suhlt, der mindestens eine Dekade zu spät kommt. Hey, es ist bald Weihnachten, man darf sich etwas wünschen.

Als ich heimkam, lief im Ersten der Tatort, als wäre nichts geschehen. Und es war ausnahmsweise wunderbar.
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Erstaunlich, wie er den Nancys Binden-Skandal bei der WM völlig ausblendet.

Anonym hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Jodel hat gesagt…

Und alle Bewohner in Schland sind schon gespannt die ein Flitzebogen, welches tolle Zeichen unsere Mannschaft bei der Heim-EM in zwei Jahren setzen wird. Da bei uns arbeitstechnisch nur Angestellte der Parlamentsmitglieder ausgebeutet werden dürfen, wird es wohl ein
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Klimaschutz und irgendwas mit LTGBQXXX+++ werden. Vielleicht kann man das auch kombinieren. Das wäre der Jackpot.
Wer die Kapitänsbinde dann tragen wird, interessiert niemanden. Aber wie diese gestaltet sein wird, lässt eine ganze Nation ab jetzt zwei Jahre lang vibrieren. Werden sich unsere Spieler vielleicht zusätzlich auch noch niederknien oder komplett hinlegen? Halten sich beim dann alle die Augen zu um darauf hinzuweisen, dass in manchen Ländern Kurzsichtige diskriminiert werden? Fragen über Fragen. Es bleibt spannend im sportlichen Bereich in Deutschland.

Nur noch 545 mal schlafen, dann folgt die große Auflösung. Ich kann es kaum erwarten.