Sonntag, 4. Dezember 2022

Lidl lohnt sich: Die Karl-Lauterbach-Revolution

Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln: Nur wo Bewegung ist, ist Leben.

Verschwunden aus den Talkshow, untergetaucht in den sozialen Medien, vom Seuchenstar zum Niemandsmann in nicht einmal einem Jahr, nicht mehr bejubelt und bestaunt, sondern bedauert als eine Politiker von Gestern, der es zwar einmal auf bewunderswerte Weise geschafft hat, sich den Mantel der Geschichte überzuwerfen und sich in ihn gehüllt den Lebenstraum vom Ministeramt zu erfüllen. Dem aber gleich anschließend der Machtinstinkt verlorenging, so dass er heute auf einem toten Pferd reitet, sich selbst anfeuernd durch immer schrilleres Kampfgeschrei, immer lautere Selbstversicherungen und immer teurere Propagandafeldzüge.  

Nach dem Peak Lauterbach

Karl Lauterbach war das Gesicht der Corona-Krise in Deutschland. Ein Jahr nach dem Höhepunkt seines Erfolges, von Medienforschern damals als "Peak Lauterbach" bezeichnet, wirkt der Mann, der sich selbst am liebsten "Professor" nennt, unstet, verunsichert und verzweifelt auf der Suche nach einem Thema, dessen öffentlichkeitswirksame Bearbeitung ihm die Herzen wieder so zufliegen lassen könnte wie er es am liebsten mag.

Das Metier aber, in dem sich der früher gern als "Ökonom" auftretende spätere Mediziner in Verantwortung begeben hat, ist schon in normalen Zeiten keines, in den Helden gedeihen und Gestalten zu historischen Figuren werden. Das Gesundheitswesen, zumal in Deutschland, gilt als Moloch, milliardenteuer und undurchschaubar, trotzdem immerhin halbwegs brauchbar, aber traditionell in der Krise. Nie reicht das Geld,  nie ist genug Personal da, die Infrastruktur gleicht dem Garten eines Rentnerpaares, in dem noch zu sehen ist, wie schön es mal war, aber eben auch, dass die Kraft nicht mehr reicht, alles zu halten. 

Zwischen Rückbau und Rettung der Reste

Seit der ersten großen Gesundheitsreform, damals noch in der alten Bonner Republik, läuft ein Wettrennen zwischen Zusammenbruch und Aufbauhilfe, zwischen Rückbau und Rettung der Reste. Auch Karl Lauterbach, der nicht nur früher Christdemokrat, sondern eben auch weniger "Arzt" (Lauterbach über Lauterbach) als vielmehr Ökonom war, hat schon sein Scherflein beigetragen zum Rückzug der Medizin aus der Fläche, durch  Verwandlung von Krankenhäusern in Profitcenter und die Durchsetzung des Primats der Ökonomie gegenüber dem "Überflüssigen" (Lauterbach). 

Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollten", klagte er vor drei Jahren, damals als Berater von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt beteiligt an der Einführung der sogenannten "Fallpauschalen" für Krankenhauspatienten. Ausreichend gesundgeschrumpft, so Lauterbach, "hätten wir anderen Kliniken genug Personal, geringere Kosten, bessere Qualität, und nicht so viel Überflüssiges" (im Original).

Der Angriff des Aufsichtsrats

Es war aber wie immer. Länder und Städte blockierten, der Mut der Reformer sank. Es kam zu einem Kompromiss, der viel "Überflüssiges" übrigließ. Kein großer Wurf, aber großes Glück für den ehemaligen Aufsichtsrat des börsennotierten Rhön-Klinikums, der heute als Minister unübersehbar davon profitiert, dass alles, was nicht konsequent richtig falsch gemacht, wird noch einmal gemacht werden muss, und diesmal dann ganz anders, nämlich richtig, als "Revolution", wie es Karl Lauterbach selbst nennt.

Weg also mit den Fallpauschalen, durch die "die Ökonomie jetzt oft vor der Medizin" stehe, wie der Minister messerscharf erkannt hat. Die erneute Krankenhausreform mache Schluss mit Fehlentwicklungen, im Grunde also wie alle ihre Vorgänger. Nur gelte nun eben "Gleicher Preis pro Fall bedeutet: Menge und billige Leistung machen Gewinn." 

Fallende Profitrate

Von Gesundheit ist nicht die Rede, denn das Vorbild für seine Art medizinischer Volksversorgung holt sich Karl Lauterbach in der freien Wirtschaft: "Wie bei LIDL", schreibt er, werde Deutschland künftig gesundgemacht - der Discounter verzeichnete zuletzt mit 3,25 Prozent eine knapp halb so hohe Umsatzrendite wie Lauterbachs früherer Arbeitgeber Rhön-Klinikum, der auf über sieben Prozent kam.

Eine gesunde Perspektive für Patienten, denn das von Karl Marx, einem der Säulenheiligen Lauterbachs, entdeckte Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate verspricht Heilung für alle Probleme: Die Ökonomisierung der menschlichen Gesundheit, sie erfolgt künftig zum Teil daheim, weil Krankenhauspatienten kostensparend zu Hause schlafen dürfen. Zudem übernehmen die Steuerzahler einen größeren Anteil der Krankenhauskosten, die die Krankenkassen nicht zahlen können, wollen oder dürfen, damit die Sozialbeiträge nicht noch weiter explodieren. Sicher ist, wie gut das wird, noch nicht sicher dagegen, worum es sich genau handelt: In der "Tagesschau" wird die Lauterbach-Revolution als "kleine Krankenhausreform" verniedlicht, obwohl sie doch vom Minister selbst als "Riesen-Krankenhausreform" angekündigt wurde.

Das letzte Wort, der Minister wird es selbst sprechen. Alles, was nicht konsequent gleich richtig falsch gemacht wurde, muss noch einmal gemacht werden, dann immer ganz anders. Denn nur wo Bewegung ist ist Leben, und nur wer lebt, darf hoffen, geliebt zu werden.



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