Donnerstag, 29. Dezember 2022

Explosion des Hasses: Zurückschneiden des Meinungswildwuches

Es ist besonders Hass aus einer Ecke, der das Bundesblogampelamt beunruhigt und die Politik nach scharfen Regulierungsmaßnahmen für Meinungswildwuchs rufen lässt.


Erst Ende Oktober hatte der aus Afrika stammende Milliardär Elon Musk das soziale Netzwerk Twitter übernommen, jetzt schon spüren die zuständigen Experten beim Bundesamt für Justiz, dem Bundesblogampelamt im mecklenburgischen Warin (BBAA) und bei BKA und MAD einen sprunghaften Anstieg der Beschwerden über Youtube, Facebook, Twitter, Instagram und Tiktok. "Wie eine Welle", schildert Herrnfried Hegenzecht vom BBAA, seien die von Musk befeuerten Beschwerden auf Grundlage des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) zuletzt "sprunghaft" angestiegen. "Unsere Meinungsfreiheitsschützer kommen kaum noch mit der Bearbeitung und Weiterleitung an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden nach."

Der Hass explodiert

Auch das Bundesamt für Justiz, 2007 als Zentralstelle Registeraufgaben und zur Bearbeitung von Aufgaben im Rahmen des internationalen Rechtsverkehrs gegründet, zuletzt aber mangels behördlicher Alternativen mit der Verfolgung von virtuellen Ordnungswidrigkeiten betraut, berichtet von einer apokalyptischen Explosion des Hasses. Man verzeichne mit Stand von Dezember jetzt schon einen Eingang von 1.513 Beschwerden über Hetze, Hass und Terrorpropaganda nach den Regularien des NetzDG. Eine Verfünffachung im Vergleich zum Vorjahr, als nur 319 Beschwerden zu mutmaßlich rechtswidrigen oder zweifelhaften Inhalten beim Bundesamt eingegangen waren.

Die Lage ist angespannt, die Situation bedrohlich. Die 67 Millionen deutschen Internetnutzer begeben sich mit jedem Klick und jedem Blick in den sozialen Netzwerken auf eine gefährliche Reise in ein Land, das  seit dem Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes nur immer bedrohlicher geworden ist. Jeder 44.000 deutsche Internetbesucher musste sich im zurückliegenden Jahr wegen Hetze, Hass und Zweifel, die ihm im Netz begegneten, an die zuständige Aufsichtsbehörde wenden. Noch nie zuvor war die Situation derart außer Kontrolle, schwappten die Wogen von fake news, rechter Satire und verfassungsschutzrelevanter Delegitimierung staatlicher Organe so hoch wie heute.

Sorgenkind Musk

Besonders Twitter gilt sei der Übernahme durch Elon Musk als Sorgenkind: Obwohl das NetzDG Internetplattformen in Deutschland zu einem sogenannten "härteren Vorgehen gegen Hass, Hetze und Terrorpropaganda" zwingt, gibt sich der neue Eigentümer unbeeindruckt sogar von der Ankündigung der EU-Kommission, den Zugang zu Twitter von ganz EU-Europa aus zu sperren, wenn Musk nicht gegen "Hass und Lügen" vorgehe, wie EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in einem Ultimatum an den Unternehmer formulierte. Eine Antwort bekam er nicht, auch eine Vorladung durch die EU, sich vor den europäischen Institutionen zu rechtfertigen, beantwortete Musk nicht. Er traf sich stattdessen demonstrativ mit dem Franzosen Emmanuel Macron. Auch ein von der EU angekündigtes "weiteres Treffen noch vor Weihnachten" (Breton) ließ er ausfallen.

Angesichts der Hasswelle, die die gestiegene Zahl der Beschwerden zu mutmaßlich rechtswidrigen Inhalten zeigt, bleibt kaum eine Alternative, als das kleinste der sozialen Netzwerke mit nur wenigen deutschen Nutzer*innen, Nutzenden und Nutzern unter direkte Aufsicht der Kommission zu stellen, wie es der frühere Attac-Lobbyist und heutige grüne Staatssekretär Sven Giegold gefordert hat. Nur so könne die EU "mit eigenem Personal und starken Befugnissen für fairen Wettbewerb" sorgen. Ohne abweichende Meinungen und meldepflichtige Ansichten wäre das augenblicklich bestehende "Risiko für Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit" Giegold) durch ein wild wucherndes Meinungsgestrüpp beseitigt.

Enges Monitoring wird immer wichtiger

Die mehr als 1.500 Beschwerden nach NetzDG allein in Deutschland - mehr als vier täglich über das gesamte zurückliegende Jahr - bestätigen Giegolds These, dass nur "enges Monitoring und energische Durchsetzung der geltenden Regeln" in der Lage sein werden, die Meinungsfreiheit umfassend wiederherzustellen und sie zugleich auf ein neues Level zu heben. Herrnfried Hegenzecht vom BBAA sieht in den mehrfach nachgeschärften Regularien zum Meinungsfreiheitsschutz, wie sie mittlerweile in Deutschland gelten, trotz der beunruhigenden Zahlen zum Hass einen positiven Indikator. "Das NetzDG funktioniert und wird angewandt, auch wenn die erhöhten Zahlen auf den ersten Blick unerfreulich erscheinen", sagt er. Es gelte nun, scharf nachzuwaschen, damit die Hasswelle nicht noch weiter hochschwappt und das Gemeinwesen vor gänzlich unlösbare Aufgaben stellt.


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