Gerhart Baum gilt als liberale Legende. Er selbst arbeitet daran, weiterhin in Talk Shows eingeladen zu werden. Zeichnung: Kümram, Faserstift auf elektronischem Tablet |
Er ist 90 Jahre alt, er hat seine politische Karriere seit Jahrzehnten beendet. Gerhart Baum, ein alter weißer Mann, der einer früheren Vorstellung von einem "Liberalen" Modell gesessen haben könnte, setzt sich allerdings immer noch ein für das, was er bis Mitte der 90er gemeinsam mit Werner Maihofer, Hans-Dietrich Genscher, Helmut Schmidt und Helmut Kohl an Demokratie aufgebaut hat im Land. Obwohl Baum Ostdeutscher ist, ein Makel von Geburt an, den niemand abstreifen kann, fühlt er sich doch im Anzug des Altbundesdeutschen am wohlsten.
Aus einer verachteten Minderheit
Baum, als FDP-Mitglied schon fast ein ganzes Leben lang Angehöriger einer von der Mehrheit verachteten Minderheit, streitet für sein Lebenswerk, ganz egal, ob er gegen den großen Lauschangriff oder die Vorratsdatenspeicherung vor das Bundesverfassungsgericht zieht, sich um Menschenrechte im Sudan kümmert oder Beirat der Friedrich-Naumann-Stiftung über wie Verwendung staatlicher Gelder für parteinahe Zwecke wacht. Oder bei "Anne Will" Platz nimmt, um, nun im Mantel des einstigen Bundesinnenministers, im Kreise anderer Hochdemokraten aktuelle Bedrohungslagen durch - beinahe - Gleichaltrige zu diskutieren.
Denn so schlimm war es noch nie, nicht einmal damals, als Baum für den "Spiegel" ein Gespräch mit dem wegen Bankraubs und Gefangenenbefreiung zu 14 Jahren Haft verurteilten RAF-Terroristen Horst Mahler führte. Auch nicht, als Gerhart Baum wenig später eigens noch eine "Kommission zur Erforschung der geistigen Ursachen des Terrorismus" einsetzte, weil er wissen wollte, wie die Frauen und Männer ticken, die im Namen von Fortschritt, Völkerbefreiung und Systemwechsel am Ende 34 Menschen ermordet haben werden, dreimaleinhalb mal mehr als ihre Nachfolger vom NSU.
Lange her und ganz vergessen
Zahlen, die eine klare Sprache sprechen. Und Gerhart Baum große Sorgen machen. "Sie wollen unsere Demokratie zerstören", hat er bei Anne Will mit Blick auf die renitenten Rentner um den Reussschen Prinzen Heinrich XIII gesagt. Nicht so sehr die kleine Gruppe der zwei Dutzend geriatrischen Kampfgenossen für das Fürstentum Reuss beunruhigen ihn. Die könne der Staat wohl in den Griff bekommen. Aber: "Das sind sie nicht alleine, da gibt es eine ganze Gemengelage, die wächst" hat Gerhart Baum als seine Einschätzung zur Lage der Nation über den Sender geschickt. Mögen sie auch nicht schießen wie damals die RAF, mögen sie keine Trainingslager in Arabien absolvieren und damit der Staatssicherheit der DDR keinen skrupellosen Geheimdienst hinter sich wissen.
Der Schrecken ist aus Gerhart Baums Sicht anderer Natur. "Da sind Leute, die gehen nicht mehr zur Wahl, die wählen die AfD, die halten unsere Demokratie für eine Diktatur, die freie Presse für eine Meinungsdiktatur, sie sind ausgewandert praktisch aus unserem demokratischen System, und deshalb sind sie wirklich gefährlich. weil sie etwas zerstören wollen, was uns ausmacht", fasst er zusammen, wo die Jacke brennt.
Mit unsichtbaren Flammen
Mit unsichtbaren Flammen, fast ohne Rauch. Ohne die größte Razzia seit der "Hitlerbier"-Aktion von 2013 hätte kaum jemand etwas vom Aufbau des Fürstentums Reuss mitbekommen. "Das ist das eigentlich Gefährliche", sagt Baum, "wir müssen auf alle diese Gruppen unser Blick richten." Die Nichtwähler. Die AfD-Wähler*innen. Und die, die irgendetwas für etwas halten, was es nicht ist. Viel Arbeit für Nancy Faeser, die auch zugegen ist, um die Sache mit der Beweislastumkehr für Gesinnungsverdächtige etwas glattzubügeln. war nie so gemeint. Kommt trotzdem, aber so, dass es genauso wirkt, aber nicht so aussieht.
Die Einigkeit im Streitgespräch, sie wirkt beruhigend. Neben Baum und Faeser ist mit Herbert Reul noch ein Innenminister da, neben ihm sitzt mit Janine Wissler von der Linken eine bekannte und bekennende Unterstützerin der vom Verfassungsschutz beobachteten trotzkistischen Gruppe Marx21 und gegenüber hat Florian Flade platzgenommen, kein Deckname wie Peter Panter, ein Investigativjournalist des WDR, der zeitgleich auch für die "medienkapitalistische Heuschrecke" (ARD-Framing-Manual) Südwestdeutsche Medien Holding tätig ist.
Freies Geleit für den Prinzen
Der Feind steht rechts, nur rechts. "Der Rechtsextremismus ist die größte Herausforderung, die wir haben", sagt Baum, der aus Erfahrung berichtet. "Die RAF ist gescheitert, sie hat das Volk nicht erreicht", analysiert er mit Blick auf den Unterschied zwischen damals vor 50 Jahren, als Professoren, Stunden und Arbeiter steckbrieflich gesuchte Mörder versteckten und Heinrich Böll "freies Geleit für Ulrike Meinhof" forderte. Könnte Uwe Tellkamp für den Prinzen? Oder Michel Houellebecq. Oder wenigstens Akif Pirinçci?
So schwer kann es nicht werden, denn nach seinen letzten Gesprächen mit ganz normalen Leuten draußen auf den Straßen von Köln und Berlin weiß Baum, dass es "hier es Leute gibt, die fangen an, das Volk zu erreichen". Prinz Heinrich, die Richterin. Der Kantinenkoch. Der Fallschirmjägerrentner. Tweed. Musterschlipse. Jagdschlösser. Heimatschutzkompanien. Schwerter und Luftgewehre. Das holt die Massen ab. "Das Bürgertum wird hier erreicht", ist die liberale Legende sich sicher: "Die Gefahr kommt aus der Mitte, die Gefahr kommt nicht von den Rändern, die Gefahr ist, dass die Mitte infiziert wird."
8 Kommentare:
Opa Gerhart ist geistig noch fit und verfolgt trotz seiner 90 Jahre jeden Tag aufmerksam die Tagesschau.
Deutschland ist wieder ganz vorne mit dabei, wenn es um die Zerstörung der internationalen Ordnung geht. ---
Mit dem sonstigen Text ja einverstanden - aber d i e s e n Satz hätte Gert Ewen Ungar sich wohin stecken, äh, schenken können.
@anonym2
Er hat ihn nunmal so geschrieben. Ich hätte ihn ja weglassen und kommentieren können, dahingehend, daß jemand, der sich seine Gaspipelines vor den Augen sprengen läßt und nur mit den Schultern zuckt, nie nund nimmer vorne mit dabei sein kann, sondern ergebnst hinnimmt, was die Vorderen machen.
@PPQ
>>weil er wissen wollte, wie die Frauen und Männer ticken, die im Namen von Fortschritt, Völkerbefreiung und Systemwechsel am Ende 34 Menschen ermordet haben werden, dreimaleinhalb mal mehr als ihre Nachfolger vom NSU.
Das gibt eien öffentliche rüge. Der NSU hat niemanden "ermordet haben werden", sondern die wurden Böhnhardt und Mundlos aus pragmatischen Gründen angedichtet. Zschäpe war zwar nciht dabei, hat aber gekocht und Stromrechnung und Miete bezahlt. Also hat sie mitgemordet, schlossen Götzl und Genossen in unnachahmlicher Juristenlogik.
Außerdem suchen sie immer noch die Humanspuren der Dreierbande an den 27 Tatorten, denn die haben sie schlilchtweg nicht gefunden. Bis heute nicht.
Der NSU ist die Lüge, auf die sich Abgeordnete, Exekutanten, Jurisprudenzler, Medien und Antifa geeinigt haben.
@anmerkung: es war jetzt nicht die zeit und gelegenheit, das fass aufzumachen. es reichte doch, darauf hinzuweisen, dass die RAF zwar deutliche häufiger, aber offenbar viel harmloser gemordet hat. mehr muss eigentlich niemand wissen
"Der Baum war schon immer ein falscher Fufziger!" - wollte ich schreiben, lasse es aber doch besser sein, denn es könnte ja "Haßrede" sein.
Also nochmal: ICH DISTANZIERE MICH VON OBIGEM SATZ!
@PPQ
Huch, diesen Aspekt des viel harmloseren Mordens durch die RAF hatte ich in meiner Schelte nicht bedacht.
Doch es gibt Trost.
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Die meisten RAF-Morde bleiben unaufgeklärt
Als wirklich aufgeklärt können nur zwei der aufsehenerregendsten Aktionen linksextremistischer Gewalttäter in der Bundesrepublik gelten: der Mord an Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto, verübt von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, und die Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, bei der vier Begleiter niedergemetzelt wurden.
"Als wirklich aufgeklärt können nur zwei der aufsehenerregendsten Aktionen linksextremistischer Gewalttäter in der Bundesrepublik gelten"
Und Siegfried Buback? Was is mit dem, was is mit dem?
Wollen Sie dem Verschwörungsgeraune, er wäre klammheimlich von Verena Becker, die im Dienste des BRD-Regimes stand, getötet worden, Platz geben? Sie, Sie! Ist doch alles aufgeklärt!
Und bloß nicht "Der zweite Tod meines Vaters" von Michael Buback, diesem umstrittenen Chemie-Professor lesen! (de.wikipedia.org/wiki/Michael_Buback)
Vielleicht auch noch „heute“?
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