Klare Worte aus berufenem Munde: Wer hinschaut, hitlert mit. Die deutsche Mannschaft sollte schnell wieder nach Hause kommen. |
Das Land lag ihnen zu Füßen, damals, als Jürgen Klinsmann mit glitzerndem Blick antrat, den Staub von 100 Jahren deutschem Nationalfußball zu blasen. Der Klinsi und der Klose, der Schweini, der Poldi, die WM 2006, Deutschland einig Fahnenmeer. Es wurde die verlacht, die sich über den Rückfall in den Nationalismus mokierten, die in Fußballschuhen die neuen Trampelstiefel sahen, mit denen der DFB stellvertretend die Welt eroberte. Die Menschen hatten Spaß am Spiel. Die Mannschaft, damals noch offiziell als "Nationalmannschaft" geführt, machte Freude. stolz saß die Kanzlerin auf der Tribüne und klatschte die Patschhändchen zusammen. Keine Raute. Keine Flaute. Stimmung bis zur Kissenschlacht im Sommermärchen.
Sieben Dinger gegen Brasilien
Acht Jahre später folgte der Titel. Sieben Dinger gegen Brasilien. Schweinsteiger mit dem blutigen Kopfverband im Endspiel. Eine Generation krönte sich, die das Nationale mit dem Sportlichen versöhnt hatte. Nun war jeder Fan, jeder wollte zugeschaut haben, auch wenn es letztlich den Zahlen nach nur 25 von 82 Millionen gewesen waren. Mittlerweile aber wollen auch die nichts mehr wissen von einem Produkt, in das nicht der Weltverband Fifa, sondern der nationale Verband DFB die National-Auswahl verwandelt haben. Schon vor der letzten WM in Russland war eine Entfremdung unverkennbar.
Der sportliche Offenbarungseid dort, Produkt von sturer Nibelungentreue im DFB und verbandsinternen Größenwahns, den die Politik stets gefüttert und gepäppelt hatte, verstärkte den Effekt: Die Einschaltquoten bröckelten, die Laune sank, die frühe Heimreise erschien am Ende nur folgerichtig.
Besser wurde es nie
Besser ist es seitdem nicht geworden. Der neue Trainer ist der Assistent des alten, der Manager sein eigener Nachfolger, die Spieler sind immer noch hochtalentiert, aber keine Mannschaft. Wie Sprechpuppen tragen alle unter 30 ihre Texte vor. Als Individuen erkennbar erscheinen allenfalls die aus lauter Not zurückgeholten Reste der Pleiteelf vom Russlandfeldzug. Nicht mehr lustige Jungs, die respektlose Späße machen. Sondern Unternehmer, die an ihrer Karriere als kommende Fernsehexperten arbeiten: Am rechten Arm "Quatar Airways". Am linken "One Love". Dialektik.
Auch die konsequente Abwendung vom sportlichen Inhalt der eigentlichen Sportveranstaltung WM half bei der emotionalen Loslösung von der einstigen Herzenssache Fußball. Die "Einschaltquoten in der Heimat" (Spiegel) sind übel, zumindest gemessen am finanziellen Aufwand von 214 Millionen, ide ARD und ZDF für das recht bezahlt haben, aus Katar senden zu können. Und nur wenige deutsche Fans hatten Rückgrat genug, in das in zahllosen Dokumentationen als schieres Reich des Bösen beschriebene Gasgeberland des deutschen Klimawirtschaftsministers zu fliegen.
Die deutsche Werteharke
Das DFB-Team, von Deutschlands Medien und der deutschen Spitzenpolitik auserkoren, in Arabien zu zeigen, was eine deutsche Werteharke ist, versagte erst propagandistisch und dann auch noch auf dem Platz: Mit dem Herzen rutschte die One-Love-Binde in die Hose, der Mundzuhalten-Protest amüsierte bis hinter die Grenze der Lächerlichkeit. Die Haltung steht, schrieb der DFB, gewohnt stolz auf sich selbst. Die Abwehr stand nicht.
Das 1:2 gegen Japan enttarnte das Selbstbild der deutschen Fußballtruppe, die sich als Titelfavorit gesehen hatte. Und zeigte eine müde Meute trauriger Millionäre, die die Hymne singt, seit kritisiert wurde, dass sie nicht gezwungen wird. Und die Morgen aufhören würde, sie zu singen, wenn ARD, ZDF oder eine gerade regierende Partei es aus welchen gründen auch immer zwingend nahelegten.
Gesichtslos, charakterlos, schamlos
Gesichtslos, charakterlos, schamlos, so werden die Fußballer wahrgenommen, die dank der Finanzierung des gesamten Budenzaubers durch ARD und ZDF wie einst die zugedopten Telekom-Radfahrer das Privileg genießen,"unsere Mannschaft" zu sein. Die Kritiker der Elf werden aus demselben Topf bezahlt wie die Kicker selbst. Man ist Teil einer Mannschaft, egal, ob Kommentator, früherer Star oder Schiri-Experte. Wie stets hatte man sich auch diesmal zuvor stillschweigend verschworen, die Stimmung im Mannschaftslager als "so gut wie nie zuvor", den Teamgeist als historisch einmalig und die Bereitschaft, alles füreinander zu geben, als noch nie dagewesen zu beschreiben. Bis dann Japan kam. Zwei Tore schoss. Und die Pappmache-Fassade des Märchenschlosses binnen acht Minuten zusammenbrach.
Das Land versöhnen
Die WM-Stimmung wurde schon vor dem Beginn des Turniers in Katar mit aller Macht getrübt. nachdem überraschend bekannt geworden war, dass Katar die Suren des Koran für wichtiger hält als die Werte des Grundgesetzes, hob eine Woge an Verurteilungen, Verdammungen und Forderungen an. Man dürfe nicht. Und müsse doch. solle dann aber. Zeichen setzen. Daheim schlug der barsche Ton an.Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa, einer Wahrheitsfabrik ganz eigener Art, wollte die Hälfte aller Deutschen kein WM-Spiel anschauen. Erst der Kehrwert verrät, wie groß das Potential noch gewesen wäre, hätte die deutsche Elf begeisternden Fußball mit Herz und Erfolg gespielt: Noch nie in der Geschichte hatten überhaupt mehr als 30 Prozent der Deutschen bei Weltmeisterschaften vor dem Fernseher gesessen.
Nach den Forsa-Zahlen könnten es nun bis zu 58 Millionen werden - Menschen, bei denen die vielen Zeichen und Symbole nicht angekommen sind, die naturgemäß nie auf die Katarer zielten, sondern immer auf die Heimatfront. 58 Millionen, die "mithitlern", wie es der Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!-Autor Micky Beisenherz nennt, alle "#ZSMMN" (DFB) Verweigerer der Erkenntnis, dass die Auswahl an deutschen Millionären, die den fünften Titel hatten holen sollen, zwar als "Die Mannschaft", aber nicht als Mannschaft und schon gar nicht als Nationalmannschaft an den Persischen Golf aufgebrochen war.
Ein geschniegeltes Unterhaltungsangebot
Ein geschniegeltes Unterhaltungsangebot, das allein noch für sich selbst steht, glatt bis in die Blutbahn, mit den Fans verbunden allein durch das unaufgeklärte Missverständnis, dass ihnen die Treuesten der Treuen weiterhin die Treue halten und alle anderen vom Balkon zu klatschen bereit wären, sollte der Erfolg sich unter den skeptischen Blicken einstellen. Diese Mannschaft steht nach eigener Ansicht für etwas, nur weiß niemand mehr, für was.
War es vor 15 Jahren noch die Freude, wieder stolz auf etwas sein zu dürfen, das aus Deutschland kommt und später die Begeisterung darüber, nur mit einer billigen Fahne am Autofenster Teil von etwas Großem zu sein, drückte zuletzt nur noch die Last, den kurzbehosten Botschaftern deutscher Supermoral beim Doppelpass-Spiel mit Binden und Belehrungen zuschauen zu müssen. Zusammenhalt? Zusammenbruch. Die emotionale Distanz zwischen Verband, Mannschaft und Anhang ist groß wie der Grand Canyon, der Zusammenhang zwischen der Aufladung des Fußballs mit sportfremden Inhalten ließ die Bande zwischen den Artisten auf dem Rasen und Mithitlernden reißen.
Hochwertige Kapitänsbinde mit Klett
Zu viel Gewissensarbeit wäre zu tun, zu viel Schuld zu schleppen, für jeden, der unschuldig meint, es sei ja doch nur eine schöne Nebensache, dieses Fußballspielen und immmr spannen, zuzuschauen, wenn die Völker fern hinter der Türkei aufeinanderschlagen, wie Johann Wolfgang von Goethe seine Erfahrungen als Fußballfan geschildert hatte. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser trug beim Stadionbesuch ein Bändchen am Arm, Modell "hochwertige Kapitänsbinde mit Klett" zu 12,90 Euro. Viel Geld "in Zeiten knapper Kassen" (DPA) für manche, lässt sich damit doch ein kleines Häuschen für einen halben Tag beheizen.
Wenigstens die ersatzhalber aufgeführte Maulhalten-Geste vor dem ersten Auftritt war dann kostenlos, sie wurde aber trotzdem nicht zum WM-Trend. 90 Minuten noch gegen Spanien, umgerechnet 105 bei diesem Turnier. Dann ist es auch schon vorbei. Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin, werden sie im Flieger nach Hause singen, die Autoren eines ganz besonderen Kapitels deutscher Fußballgeschichte: Sure 4, Vers 173: Glaube allein reicht nicht aus.
8 Kommentare:
Es ist an dieser Stelle vielleicht nicht der richtige Kontext: https://twitter.com/James_Zabel/status/1596191499603283968
Aber: the opera ain't over till the fat lady sings
@Carl Gustaf
Die dralle Opernsängerin sagt u.a. auch folgenden Satz:
"Ich wollte schon immer Kinder haben, habe aber jetzt so große Angst, ein Kind in die Welt zu setzen."
Auf Grund der bei PPQ geltenden Bestimmungen für Kommentare höre ich an dieser Stelle auf.
Das war ein richtig guter Text, danke!
danke fürs lesen
>> dass die Auswahl an deutschen Millionären, die den fünften Titel hatten holen sollen, zwar als "Die Mannschaft", aber nicht als Mannschaft und schon gar nicht als Nationalmannschaft an den Persischen Golf aufgebrochen war.
Im Frontberichterstatterneudeutsch hieße es wohl: eine Söldnertruppe ohne Seele.
Ich muß diesen ausgezeichneten Text nochmal lesen, ich werde ihn ausdrucken und in Ruhe die geschliffene Analyse studieren. Ja, studieren! der Artikel verdient, Satz für Satz verstanden zu werden.
Ein Wort zu den vielgegackerten Binden, allerdings nicht von mir, sondern von einem, der die Träger von Binden als das einstuft, was sie sind: Jammerlappen, oder Jammerbinden?
Wer nicht tanzen kann mit Winden,
Wer sich wickeln muß mit Binden,
Angebunden, Krüppel-Greis,
Wer da gleicht den Heuchel-Hänsen,
Ehren-Tölpeln, Tugend-Gänsen,
Fort aus unsrem Paradeis!
Aus Nietzsche: An den Mistral
Mickey Beisenherz? Klingt wie Shlomo Wajntraub oder Chaim Charndrang.
Super Text!
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