Schrödingers Geschirr: Alle Teller im Bild sind ganz, aber sie sind auch kaputt. |
Würden sie? Oder würden sie nicht? Ist die Not groß? Oder sehr groß? Oder noch nicht groß genug? Geht die Bundesregierung all in, auch wenn es Kritik von der grünen Basis gibt? Nur um einer deutlichen Bevölkerungsmehrheit, die mittlerweile für den Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke votiert, die Angst vor apokalyptischen Strompreisen in einem Winterohnegas zu nehmen?
Risiko atomare Vernichtung
Der zweite "Stresstest" (BWHF) ging gut aus. Trotz der mit jeder Sekunde längerer Laufzeit der deutschen Meiler steigenden Wahrscheinlichkeit einer atomaren Vernichtung weiter Teile des Landes stellte sich heraus, dass das Risiko beherrschbar ist. Nicht ganz so beherrschbar zwar wie bei den 56 französischen Kernkraftwerken, nicht ganz so minimal wie bei den beiden russischen Hochrisikoreaktoren in Tschechien und nicht ganz so winzig wie bei den anderen 50 KKW in Belgien, Finnland, Bulgarien, den Niederlanden, Rumänien, Ungarn und Schweden. Aber.
Frühzeitig hatte Klimawirtschaftsminister Robert Habeck klargestellt, dass er einen Weiterbetrieb ablehnt, egal, was der Stresstest ergibt. Doch die Lage verschärfte sich zuletzt stündlich, die Strompreisbremse muss erst noch konstruiert werden, danach folgt die Abstimmung mit der EU, der berühmte Trialog mit Kommission, mit EU-Parlament, EU-Rat und anschließend der nationale Alleingang. Es kann 2024 werden, ehe alles in trockenen Tüchern ist. Ob die Stromersparnis durch die Abschaltung der Außenwerbung bis dahin ausgleichen kann, was fehlt, ist unklar.
Sprung über den Schatten
Robert Habeck sprang also über seinen Schatten. Ein Schlusssprung, ohne die Füße zu heben, bei dem es auf offener Berliner Politbühne zu einer Quantenverschränkung kam. Der frühere Grünen-Chef verkündete eine klassische Ampel-Entscheidung: Es bleibt beim Atomausstieg und es bleibt auch beim gesetzliche festgeschriebenen Termin, es wird keine Verlängerung der Laufzeiten geben, keinen "Streckbetrieb", kein erneutes hochfahren, um der Strommangellage zu begegnen, die die deutschen Strompreise inzwischen auf das Zehnfache dessen getrieben haben, was Elektroenergie in der USA kostet.
Gleichzeitig aber nutzt der 53-jährige Lübecker ein Phänomen, das es so nur in der Quantenmechanik gibt. Dabei können zwei Zustände zugleich aktuell sein, beide lassen sich nur zusammen annehmen, obwohl sie gegensätzlich definiert sind. Der Physiker Erwin Schrödinger hat den erstaunlichen Effekt 1935 in einer Fabel beschrieben: Bei ihm befand sich eine Katze in einer Kiste, direkt neben einem zerfallsbereiten Atomkern, der unmittelbar mit seinem Zerfall Giftgas freisetzt, das die Katze umgehend tötet.
Atomkraft ohne Atomkraft
Die Kiste aber ist zu, blickdicht. In welchem der beiden möglichen Zustände - lebendig oder tot - sich die Katze befindet, ist unmöglich zu erfahren, so lange der Karton nicht geöffnet wird. Und bis dahin ist das süße Tier beides: Tot und lebendig, ein Wesen in einer kohärenten Überlagerung aus zwei einander auf den ersten Blick widersprechenden Zuständen. Obwohl es eine Mittelposition zwischen tot und lebendig nicht geben kann, ist sie hier Realität. Erst wenn eine Beobachtung durchgeführt wird, um sich von der Gesundheit der Katze zu überzeugen, nimmt sie einen von beiden möglichen Zuständen an.
Im politischen Geschäft ist der Umgang mit unklaren Zuständen eher die Regel als die Ausnahme. Die Physikerin Angela Merkel hatte sich diesen Umstand zunutze gemacht, als sie auf dem Höhepunkt des "Zustroms" (Merke) eine Lösung ausrief, die offene Grenzen mit geschlossenen Entscheidungsprozessen kombinierte. Nie umgesetzt, erschuf die "europäische Lösung" (Merkel) die bis heute längsten 14 Tage der Weltgeschichte: 3003 Tage bereits dauern sie an.
Einfach nicht hinschauen
Robert Habeck hat der Kanzlerin seinerzeit offenbar genau über die Schulter geschaut. Wenn es nur zwei Entscheidungsmöglichkeiten gibt, eine, die dir selbst und deiner Parteibasis nicht gefällt, und eine andere, die unabsehbare Risiken für eine zuletzt eher schnell als langsam abschaltende frühere Wirtschaftsnation heraufbeschwört, dann ist der Mittelweg, keine von beiden zu treffen, genau dein Ding. Man verschränkt die zwei hässlichen Quanten. Beschließt aber, erst später zu beobachten, welches welchen Zustand angenommen hat, wenn es zu denn doch zu "stundenhaften Mangelsituationen" (Habeck) kommt.
Endsieg über die Kernkraft oder Blackout? Klassenbester im Klimakampf trotz wiederhochgefahrener Braunkohledreckschleudern oder weitflächig atomar verstrahltes Land? Ursprünglich nur als relevant für mikroskopische Systeme vermutet, ist die Überlagerung zweier gegensätzlicher Zustände in jüngerer Zeit im politischen Experimentierfeld am echten Menschen zunehmend in Mode gekommen. Demonstrationen können nicht mehr nur gegen, sondern auch für, dabei aber doch gegen durchgeführt werden. Waffen werden geliefert, aber auch nicht, weil sie zuvor ringgetauscht werden. Man führt einen Energiekrieg mit den "härtesten Sanktionen aller Zeiten", der so klug designt worden ist, dass er nur den Gegner tritt und ihm schwer schadet. Zeigt sich aber glaubhaft überrascht, dass die Verschränkung über eine makroskopische Distanz auch im eigenen Systeme direkt nachgewiesen werden kann.
Ausstieg und auch nicht
Der Rest des deutschen Kernkraftwerkbestandes, mit einem Alter von 33 und 34 Jahren mit rund 20 Jahren weniger Betriebserfahrung als das belgische KKW Borssele, der Schweizer Reaktor Beznau und Finnlands sowjetischer Loviisa-Kernbrennofen, sind nun Teil einer "Einsatzreserve" (Habeck), die da ist, aber auch nicht, die Strom produzieren können würde, aber es nicht tut, die den Atomausstieg verkörpert, aber auch wieder nicht. Zwei der drei derzeit noch laufenden Atomfabriken werden am Ende ihrer Restlaufzeit einen Zustand annehmen, der im Vakuum fortgesetzter Realitätsverweigerung, kombiniert mit aufziehender Dunkelheit und kalten Duschen in einer sehr kurzen Zeitspanne zwischen Erzeugung und Erprobung zur Überlagerung führen kann.
An ist Aus und Aus ist An, die Not ist groß, aber nicht sehr, der Winter fern, doch Hilfe nah, die Preise hoch, aber die Bremse greift.
2 Kommentare:
Habeck sollte mal Baerbock fragen, wie man sich Handlungsspielraum verschafft. 'No matter what my German voters think' wäre auch bei den KKW der richtig Ansatz.
Solange jemand wie Robert Habeck damit durchkommt, dass der seinen von einem katastrophalen Blackout bedrohten Landsleuten verkauft, zwei Atomkraftwerke als schnell zuschaltbare Notfallreserve vorzuhalten, so lange geht es mit diesem Land weiter bergab. Ist denn die Schulbildung inzwischen so schlecht geworden, dass die Mehrheit wirklich glaubt ein Atomkraftwerk könnte man an- und ausknipsen wie einen Lichtschalter?
Sogar der Kraftwerksbetreiber, sonst eher ein Ausbund der Servilität, weißt unseren Energieobermacker öffentlich darauf hin, dass das nicht klappen wird. Und was macht Habeck? Er erklärt einfach dem Kraftwerksfuzzi, dass der keine Ahnung habe, was denn eine Notfallreserve überhaupt sei. Außerdem bleibe man doch im Gespräch. Chapeau, so macht man das. Das Land ist gerettet und Applaus von allen Seiten.
Statt mit Schimpf und Schande wegen staatsgefährdender Aktivitäten vom Hof gejagt zu werden, bleibt der Robert der Kanzler der Herzen und der beliebteste Politiker im Land.
Heute ist wieder so ein Tag an dem man einfach verzweifeln möchte. Heute haben wir wieder einen soliden Schritt nach vorn in Richtung Abgrund gemacht.
Wer kann, sollte seine Holzvorräte aufstocken oder sich so schnell wie möglich eine mobile Gasheizung, einschl. genügend Vorräten anschaffen. Jedem Gläubigen empfehle ich ein Kerzlein anzuzünden und ein Gebet zu sprechen, auf das wir einen milden und windreichen Winter bekommen um vom schlimmsten noch einmal verschont zu werden. Von unserem Staat ist hier keine Verbesserung der Lage mehr zu erwarten.
Für alle die glauben, es wird schon nicht so schlimm werden diesen Winter: Auch 2023 / 2024 ff. wird es Winter in diesem Land geben. Meint hier jemand, wir werden in einem Jahr bei der Energieversorgung deutlich besser dastehen als jetzt?
Davon, wie lange die Bevölkerung und unsere Wirtschaft Energiekosten auf diesem und weiter steigendem Niveau aushalten ohne zu kollabieren, selbst wenn der Blackout glücklicherweise nicht kommen sollte, haben wir noch gar nicht gesprochen. Wir gehen spannenden Zeiten entgegen.
Kommentar veröffentlichen