Die Zeit rast, sie fliegt dahin. Und die quicke Ricarda Lang schafft es dennoch, so sogar noch zu überholen. Noch Ende Juli hatte die Grünenchefin "kein Stromproblem", nun hat sie eines, das leicht zu lösen ist. Nach der wegweisenden Entscheidung der Bundesregierung, die drei letzten deutschen Kernkraftwerke nicht weiterlaufen zu lassen, hat die ausgebildete eine andere, überraschend einfache Lösung für die von Robert Habeck vorausgesagten "stundenhaften Mangelsituationen" vorgeschlagen: "Lastabwurf", das Anschalten von Stromverbrauchern von Amts wegen.
Statt Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg
Statt endloser und fruchtloser Strategiedebatten um einen Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem vor 20 Jahren mit dem "Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität" beschlossenen ersten Atomausstieg zu führen, die das Land nur weiter spalten, plädiert Lang für einen entschlossenen Schritt, der operativ anwendbar und sofort hilfreich wäre. "Großverbraucher kontrolliert und temporär abschalteen, um die
Netzsicherheit aufrecht zu erhalten", hatten die Netzbetreiber im Stresstestbericht empfohlen. Nur 24 Stunden später macht Ricarda Lang es offiziell.
Kommt es als Folge von falsch gestellten Weichen, zu großer Abhängigkeit von Russland, einem absurden Strommarktdesign oder wegen der geordneten Abschaltung der Kernkraftwerke zu Engpässen im Stromnetz, greifen automatische Lastabwurfroutinen: Um Stromausfälle mit geringer oder keiner Vorwarnzeit zu verhindern, werden Großverbraucher oder prekär versorgte Regionen mit geringer oder keiner Vorwarnzeit aus dem Netz geworfen, um das gefährdete Gesamtsystem zu stabilisieren.
Nicht neu, aber mutig
Langs Idee ist nicht neu. Lastabwürfe gehören zur Netzpflegeroutine. Sobald die Netzfrequenz über ein bestimmtes Limit hinaus abfällt oder Unterspannung oder Überlastung drohen, wird aus den Leitzentralen Last aus dem Netz genommen, um die Stabilität wiederherzustellen. Versorgen haben dazu eigens spezielle Verträge mit Großkunden, die für ihre Bereitschaft zum Blackout an Normalversorgungstagen mit günstigerem Strom bezahlt werden. So umfassend, wie die Grünen-Vorsitzende es plant, ist das letzte Mittel zur Verteidigung der Stromversorgung jedoch noch nie angewendet worden.
Der grüne Plan Energiesicherheit sieht vor, möglicherweise in Kürze fehlende zehn Terawatt Energie durch Abschaltungen zu ersetzen. Das Prinzip ist ähnlich wie bei den Entlastungen, die erfolgreich durch Entlastungsversprechen ersetzt werden konnte. Die Zeit rennt, sie schießt raketenschnell vorbei. Oben auf der Welle surft Ricarda Lang und weiß: Die EEG-Abgabe von gestern kann morgen schon eine EEG-Abgabe sein. Die Gasumlage sich in einen Umsatzsteuerrabatt verwandeln. Die Strompreisbremse sich als Gaspedal entpuppen. Was eben noch "Entlastung" versprach, wird zum "Lastabwurf".
Wer führen will, muss beweglich sein und er muss die Widerstrebenden mitnehmen. Gerade das kann Lang: Kaum hatte sie den Übergang zum Turbomanagement eines Bundeslastabwurfs öffentlich gemacht, meldeten sich die ersten Freiwilligen.
Brexit von JP Morgan
Der von London aus geleitete Stahlkonzern Arcelor-Mittal erklärte sich bereit, die Produktion an zwei deutschen Standorten einzustellen. Der Toilettenpapierhersteller Hakle meldete Insolvenz an. Der Schuhhändler Görtz folgte kurze Zeit später. Die US-Bank JP Morgan kündigte an, ihre Geschäfte aus Deutschland nach Großbritannien zu verlegen, um womöglich den ganzen Winter anhaltenden "stundenhaften Mangelsituationen" aus dem Weg zu gehen. Zahlreiche Biomärkte hatten zuvor schon ihren Verzicht auf weitere Teilnahme am Wirtschaftsleben bekanntgegeben. Bäckereien folgten, Gaststätten und Friseure.
Eine breite, solidarische Bewegung, vielfältig, bunt und divers. Von Einzelhändler bis zur Schwerindustrie, vom jungen Startup aus der Ökonische bis zur Traditionsfirma Görtz, die seit ihrer Gründung im Jahr 1875 allerlei erlebt hat - Langs Aufruf zum Lastabwurf kam weitaus besser an als die Initiatorin selbst hatte hoffen können.
Deutschland schaltet sich ab
Deutschland schaltet sich ab. Auf dem Weg zur Grundlastabschaffung, die als altes Denken entschiedenen Schritten auf dem Weg der Grünen Physik mit ihren Grundlasthühnern und speichernden schlauen Netzen nur im Wege steht, haben Vordenker des Energieausstieges schon vor Jahren detailliert angedacht, wie sich "die Struktur unserer Elektrizitätsversorgung relativ schnell und komplett ändern" (Volker Quaschning) wird. Der Grundlastbedarf gehe erst "auf etwa die Hälfte" zurück, so der Fahrplan. Dann werden die Grundlastkraftwerke abgeschaltet und es wird nach Verfügbarkeit versorgt, wo noch muss.
Dass durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die Sanktionspakete, die so geschnitten sind, "dass wir maximale Wirkung in Russland erreichen, ohne uns selbst zu sehr zu schaden" (Ursula von der Leyen), nun alle so schnell geht, hatte niemand zu träumen gewagt. Umso schöner, dass es nun so unkompliziert klappt: "Dass bestimmte Branchen erstmal aufhören, zu produzieren", erklärt Wirtschaftsminister Robert Habeck dazu, sei ja "keine Insolvenz". Sie hörten einfach nur auf, zu verkaufen - ein Lastabwurf in schwerer Zeit, so wichtig gerade heute.
Unwerte Energieverbraucher abzuwerfen, ist der einfachste und nachhaltigste Weg zu einem sicheren Energieausstieg mit Blick auf die Pariser Klimaziele. Hier muss nicht investiert werden, hier drohen keine Folgekosten, keine neuen fatalen Abhängigkeiten von China, Katar oder anderen perspektivischen Feindstaaten.
4 Kommentare:
Ein Lastenabwurf über dem Bundeskanzleramt kann schnell eine Energiewede
Upps... Wer tippt den da noch mit ?
Energiewende einleiten.
Beim Lastabwurf sollten Städte und Bundesländer nach Grünen-Stimmanteil gestaffelt abgeschaltet werden.
Deutschland wirft sich ab
Vielleicht sollte ich mir eine Ausnahme von meiner TV-Abstinenzregel gönnen: Regierungsinkompetenz kollidiert mit Maischbergers Framinggrenzen - köstlich aus der 1+1 = wie es mir gefällt-Ecke - vorgestern 3, gestern -4, heute 22, morgen ...
Historische Notiz: Eine Babylonische Sprachverwirrung ist nicht zwingend auf verschiedene Fremdsprachen angewiesen, das geht auch sehr gut innerhalb einer Sprache.
Grüsse
kosh
PS: Man tut was man kann und man kann was man tut.
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