Dienstag, 2. August 2022

Neun-Euro-Inflation: Bahnbrechender Erfolg

Der 2001 im Alter von nur 57 Jahren verstorbene Maler-Berserker Einar Schleef malte bereits Ende 1968 diese verstörende Neun-Euro-Fantasie.

Selbst schuld, wer nicht mitgemacht! Einen knappen Monat vor dem Ende des 9-Euro-Tickets gilt die Gute-Laune-Fahrkarte als bahnbrechender Erfolg. Für nur 2,5 Milliarden Euro, bezahlt aus der durch inflationsbedingt explodierende Umsatzsteuer-Portokasse des Bundes, hat Deutschland sich ein Verkehrswunder geleistet. Mancher war dreimal auf Sylt, andere fuhren jedes Wochenende einfach mal so in eine Nachbarstadt - 21 Millionen Sparfahrkarten wurden verkauft, beinahe gelang es, die nötigen und unnötigen Verkehrsbewegungen der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger so wieder auf Vor-Pandemie-Niveau zu heben.  

56 Euro von jedem Steuerzahler

Bezuschusst wurde jede einzelne Fahrkarte rein rechnerisch mit 56 Euro aus dem Steueraufkommen der 21 Millionen noch Lohn- und Einkommenssteuer zahlenden Werktätigen und steuerpflichtigen Senioren. Weil das Ticket doch nicht ganz so gut ankam wie zuvor geplant, ist die Hälfte des Geldes noch im Topf. Wer jetzt nicht zugreift, um seinen Anteil wenigstens für den August noch abzugreifen, bleibt als Nettozahler zurück.

Denn eine Verlängerung wird es nicht geben, das hat Finanzminister Christian Lindner jetzt abschließend  klargemacht. Beim Gute-Laune-Ticket zahlten ja "auch diejenigen, die das Angebot selbst im ländlichen Raum gar nicht nutzen können", begründete FDP-Chef das Ende des Sommermärchens und die Rückkehr zur alten Normalität der ÖPNV-Republik mit ihren löchrigen Netzen, verspäteten Zügen und hohen Fahrscheinpreisen. Ab September ist alles wie früher, die alljährlich in der Urlaubszeit durchgezogene Preiserhöhung inklusive.

Ein Inflationsturbo 

Der Inflationsstatistik droht damit neues Ungemach. Half die Entlastung für die ausgesuchte kleine Gruppe der 21 Millionen 9-Euro-Fahrer in Juni, Juli und August noch, die Preissteigerungsrate künstlich zu drücken, wird die Rückkehr in die Vergangenheit das Gegenteil bewirken. In München wird sich der Fahrpreis für den öffentlichen Nahverkehr nahezu versechsfachen, in Hamburg ist eine Verelffachung absehbar. Bremen und Dresden steht eine Versechsfachung bevor, Köln eine Verzehnfachung, Nürnberger Busfahrer werden achtmal so viel wie im August bezahlen müssen und Bonner zehnmal so viel.

Was bisher durch die große Solidargemeinschaft finanziert wurde,  durch die Ausreichung als staatliche Spende aber ohne Einfluss auf die statistische Kaufkraftentwicklung blieb, wird zum Flammenrückstoß in einem spannenden Moment: Auch der Tankrabatt endet dann, zugleich startet der Bundeskanzler sein Zwei-Cent-Experiment, das es Energieversorgern erlaubt, ihre höheren Erdgas-Einkaufspreise "zu 90 Prozent" an die Endkunden weiterzugeben.

Ein Inflationsturbo, der Deutschlands Wohlstandsabbau in neue Höhen zu treiben verspricht. Während die Europäische Zentralbank gerade begonnen hat, wenigstens so zu tun, als würde und könnte sie die Geldentwertung stoppen, liefert das Ende des Gute-Laune-Tickets Zündstoff und Brennmaterial für weitere Rekorde. Die Rettung wird zur Bedrohung, die Entlastung zur Last.


10 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Einar Schleef war offensichtlich ein Freund grober Symbolik, genau wie ich einer bin, und in seinem beeindruckenden Werk schickt er Werktätige, kulturell hellwach als Kartoffeln dargestellt, für 9 Euro in den Gulag, wo sie vermutlich von ein von Schleef inszeniertes Theaterstück 7 Tage die Woche aufführen müssen.

ppq hat gesagt…

als künstlerkollektiv, das bei seinen frühen gehversuchen mit der malerrolle noch den eimer halten durfte, können wir bestätigen, dass es nie grob genug sein konnte. so empfindsam war er

Volker hat gesagt…

Und so sehen sie aus, wenn sie wieder rauskommen
(mit Referenz an die Halle-Menschen)

ppq hat gesagt…

wundervoll. kunst. genau so war es

Volker hat gesagt…

Uwe Pfeifer, "Feierabend", 1977 Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

Anonym hat gesagt…

Doch mit gebotener Schärfe hat er sie in Kontrast gesetzt zu den Deformationen, denen sie durch die Klassenbeziehungen im späten Kapitalismus unterworfen sind. Pfeifers (...) Tunnelbilder wären nicht denkbar ohne Völkers vor einem halben Jahrhundert gemalten 'Bahnhof', dem klassischen Werk proletarischer Sachlichkeit"

Nicht mehr viele Jahre, und die wenigen, die solchen Klassenkampfschund noch ausgraben, werden sich darüber biegen vor Lachen.

Die Anmerkung hat gesagt…

Saint-Lazare in Paris ist der Bahnhof der großen Maler

Von Volker Mehnert

Anonym hat gesagt…

die solchen Klassenkampfschund noch ausgraben, werden sich darüber biegen vor Lachen ..

Typische Charaktere unter typischen Umständen ... noch heute könnte ich reihern.

Die Anmerkung hat gesagt…

Hugh Grant

Andererseits ist ein nicht unerheblicher Teil dessen, was man so Kunst nennt, doch faktisch: Bullshit.

Anonym hat gesagt…

Andererseits ist ein nicht unerheblicher Teil dessen, was man so Kunst nennt, doch faktisch: Bullshit.

Des Kaisers neue Kleider. Wer den tiefen jeistijen Jehalt nicht begreift, ist ein primitiver Proll und wird benasegerümpft.