Im angeblichen Istanbul-Krimi spielt der Deutsche Erol Sander einen Türken, seine Schweizer Kollegin Melanie Winiger verkörpert die Rechtsmedizinerin Derya Güzel. |
Das Buch zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“ erzählte Kindern von der Freundschaft eines Apachenjungen und eines weißen Buben, die Winnetou-Filme berichten von der Friedensfantasie eines sächsischen Literaten, die Band Lauwarm wollte mit Dreadlocks und Reggaerythmen zeigen, dass auch Musik in einer multikulturellen Welt keine Grenzen kennt.
Es hagelte Proteste, die Empörungswellen schlugen hoch, die Konsequenzen waren hart. Deutschland, das Land der Gefühlsindianer, muss künftig ohne den edelmütigen Apachenhäuptling Winnetou auskommen, sein Ost-Kollege Ulzana, ein Serbe im Muskelkleid eines amerikanischen native, wird eher über kurz als über lang folgen. Die ARD hat sich bereits entsprechend positioniert, das noch widerstrebende ZDF, eine Gründung der politischen Rechten, wird folgen müssen.
Kulturelle Abeignung
Damit aber ist die Arbeit der kulturellen Abeignung nicht getan. Der thüringische Völkerkundler Hajo Hamsmer, der am neuen Bundeszentrums für Verhöhnungsforschung interdisziplinär zu aktuellen Verhöhnungspraktiken in unterschiedlichen kulturellen, sozialen und regionalen Kontexten arbeitet, hat in einer Studie zum Aneignungsgehalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zahlreiche weitere Fälle von sogenanntem darstellenden Mimikri aufgeführt.
Angefangen beim Barcelona-Krimi über die als Serie angelegten Istanbul-Krimis bis zum Zweiteiler "Lost in Fuseta" einem angeblichen "Krimi aus Portugal", der aus Deutschland kommt, nahe zu komplett mit deutschen Schauspielern besetzt ist und in Kürze im Ersten Premiere feiern soll, deckt Hamsmer zahlreiche Fälle von Missbrauch fremder Kulturen auf.
Klischeebilder aus Deutschland
Das Strickmuster ist Hajo Hamsmer zufolge immer ähnlich dreist. "Deutsche Stars wie Clemens Schick, Erol Sander oder Jan Krauter werden in eine vermeintlich exotische Kulisse verpflanzt", beschreibt der Forscher. Dort sehen sie sich dann stellvertretend für die Zuschauer konfrontiert mit fremden Gebräuchen, seltsamen Ritualen und von beinahe durchweg deutsch sprechenden Einheimischen behinderten Ermittlungen.
Einzelfälle wie "Der Tod kommt nach Venedig", einem ARD-Film, in dem der Österreicher Rudy Ruggiero den "bequeme Commissario Santo" spielt, der alle Klischeebilder bedient, die ein deutsches Publikum vom EU- und Nato-Partner Italien hat, seien leider kein Einzelfall. Für eine vertiefende Falschdarstellung hätten hingegen über Jahrzehnte laufende Serien wie "Donna Leon" gesorgt, in denen der aus Herne stammende Joachim Król und der Cottbusser Uwe Kockisch nacheinander den betulichen Guido Brunetti spielten, den die gebürtige Amerikanerin Donna Leon sich ausgedacht hatte.
Vorurteile in die Fremde projiziert
Selbst Ausnahmen machen keine Ausnahme. Für Schweden als am heftigsten betroffenes Gebiet der kulturellen Ausbeutung durch öffentlich-rechtliche deutsche Sender bleiben oft nur Brosamen vom Produzententisch. Bei "Der Kommissar und das Meer", einer auf mittlerweile 29 Folgen angewachsenen Verfilmung von vier Büchern der schwedischen Autorin Mari Jungstedt, gibt Walter Sittler den Kommissar - der sich eigens zur Stärkung der Identifikationskraft der im ZDF laufenden Filme vom Schweden Anders Knutas in den aus Deutschland zugezogenen Robert Anders verwandeln musste. Drehbuchautoren, Regisseure und auch der Partner des titelgebenden Helden sind Deutsche.
Schweden, Isländer und Dänen wurden für ihren Beitrag zur gewünschten Skandinavien-Stimmung von der produzierenden ZDF-Tochter Network Movie mit Nebenrollen abgefunden. In "Kommissar Beck - die neuen Fälle" wurde der ursprüngliche Darsteller des Gerichtsmediziners Oljelund, der Schwede Peter Hüttner, für das deutsche Publikum sogar eigens durch den deutschen Schauspieler Ottfried Fischer ersetzt.
Ferne Gestade voller Gewalt
Ein festes Prinzip auch beim "Kroatien-Krimi" der ARD, der seit 2016 kulturelle Aneignung auf dem Balkan betreibt. Jasmin Gerat, Max Herbrechter, Sarah Bauerett und andere deutsche Mimen verkörpern hierdie "Marić", "Kovačić" und "Stević", die das heimische Fernsehvolk erwartet, wenn es vom Gemeinsinnfunk eingeladen wird, Erich Rackwitz "ferne Gestade" zu besuchen und fremden Völkern beim Morden zuzuschauen. Fernseh-Unterhaltung heißt das bei ARD und ZDF, wo die Praxis der kulturellen Aneignung längst industrielle Ausmaße angenommen hat.
Für den "Urbino-Krimi", der inzwischen aus dem Programm genommen wurde, standen Schweizer, Deutsche und Österreicher vor der Kamera, für den "Dänemark-Krimi" wurden Marlene Morreis, Nicki von Tempelhoff, Janek Rieke und Tim Bergmann in die "einstige Wikingerstadt Ribe" gebracht, um in "heidnischen Rauhnächte" eine Mordserie aufzuklären.
Kein Stopp, keine Entschuldigung
Negativen Rückmeldungen, wie sie beim Buch "Der junge Häuptling Winnetou" zum Stopp der Auslieferung führten, schenken die beiden Sender keine Beachtung. "Dass sie mit den Filmen die Gefühle anderer verletzen, spielt wohl keine Rolle", prangert Hajo Hamsmer an. Bisher, fasst der Filmforscher und Popkulturalist zusammen, habe es weder eine Erklärung dazu gegeben, wie sich die Aneignung ganz Europas mit den öffentlich-rechtlichen Werten vereinbare, noch eine Entschuldigung. "Dabei ist das Anliegen der Kritik berechtigt, kulturelle Aneignung sichtbar zu machen und den Kampf gegen ungleiche Machtverhältnisse in die Öffentlichkeit zu tragen."
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