Zeichen zu setzen gilt als höchste Regierungskunst. Alles kann dabei gegen alles helfen, aber nur semiotisch, wie Symboltrainerin Frauke Hahnwech erklärt. |
Unter Eingeweihten gilt Deutschland schon lange nicht nur eine der führendsten Exportnationen, Ex-Serienweltmeister in der Warenausfuhr und aktueller Stromweltrekordler, sondern auch die Signalfabrik der Welt. Von hier kommen die meisten Zeichen, die gesetzt und Signale, die ausgesandt werden und auch symbolische Gesten werden in der EU-Führungsnation ganz anders betrachtet, seit Angela Merkel mit der sogenannten "Kanzlerinnenraute" eine Tür öffnete zu Bereichen der politischen Kommunikation, in der der Schein das Bewusstsein bestimmt.
Die Gebärdendolmetscherin und Gestentrainerin Frauke Hahnwech ist ausgewiesene Expertin für Körpersprache und Körpersprachfehler, sie gilt als eine der führenden Koryphäen ihres Faches, hat bereits für die Uno, die WHO, das IPPC und Martin Schulz gearbeitet und ihre Expertise vor allem zu unterhaltenden politischen Botschaften eingebracht, die sich im gedruckten Wort häufig unter Adjektivattacken und hinter zusammengesetzten Subversiven versteckt. PPQ hat mit Hahnwech über das Zeichensetzen als neue deutsche Tugend gesprochen.
PPQ: Frau Hahnwech, Sie forschen und beraten ja unter anderem zu Körpersprache, moralischer Zeichensetzung und den kulturellen Unterschieden der Kulturen bei der visuellen Kommunikation über sogenannte Signale. Was haben wir darunter zu verstehen?
Hahnwech: Zeichen setzen heißt zunächst einmal, etwas Bedeutsames wollen, ohne etwas zu tun. Dabei versucht der Zeichensetzer aber in der Regel, in einer so ungewöhnlichen Weise zu kommunizieren, dass sein Zeichen von möglichst vielen Menschen so wahrgenommen wird als sei es eine Tat. Das ist nicht so einfach, aber unsere zeichenimprägnierte Zeit erlaubt es, aus einer Vielzahl an Sinn- und Zeichensystemen auszusuchen, wie ich welche gesellschaftliche Ordnung, welche Regeln und Werte und Macht ich wie rüberbringe möchte. Ich habe dafür einmal den Begriff der Signalosphäre geprägt. Darunter verstehen wir Körpersprachler einen signalgesättigten Raum, in dem sämtliche Zeichensysteme, die eine Gesellschaft nutzt oder hervorbringt, zusammenwirken. Es gibt darunter zentrale hegemoniale, aber auch periphere Zeichensysteme: Farben, einzelne Buchstaben, Symbole wie der durchgestrichene Kreis, das Stoppschild. Zwischen all diesen verschiedenen Symbol- und Zeichensystemen besteht ein ständiger Transfer, so dass die verschiedenen Zeichen und Codes vermehrt miteinander kombiniert und in der politischen Zeichensprache ineinander übersetzt werden können.
PPQ: Was heißt das dann aber genau, ein Zeichen setzen? Welche Zeichen sind hier gemeint?
Hahnwech: Zeichen setzen heißt, in der Semiosphäre operieren, geltende Zeichensysteme zu verändern, miteinander zu kombinieren und neue Zeichen und Sinnsysteme daraus zu kreieren, um die eigenen Ansichten, Absichten und Einsichten aufmerksamkeitsgewinnbringend an die Frau und den Mann da draußen im Lande zu bringen. Denken Sie nur an den symbolhaft inszenierten Protestmarsch der Staatsführer gegen den Terror in Paris. Das war virtuos, wie das gebrauchte Symbole wie der Eifelturm, das Unterhaken, das Friedenszeichen gegen den Vietnamkrieg und der sinnleere Slogan "Je suis Charlie" miteinander verklebt wurden, um Tatkraft und Geschlossenheit zu simulieren.
PPQ: All diese Zeichen haben ja eine Bedeutung, sie sind aber auch mit viel Symbolik aufgeladen, so dass der Empfänger oft kaum weiß, was ihm die visuelle Kommunikation mitteilen will. "Je suis Charly", wer spricht schon so gut Französisch?
Hahnwech: Verstehen ist nicht das Ziel, ganz im Gegenteil. Würde man das wollen, spräche man Klartext. Dann müssten die Rezipienten die Codes nicht mühsam identifizieren und interpretieren. Aber in der Zeichensetzung und der Signalproduktion geht es nicht um die Rolle der Bedeutung, wenn wir zur Semiose kommen, wie wir in der Fachwelt den jeweiligen Übersetzungsprozess nennen. Im Deutungshorizont einer Zeichensetzung sollen Emotionen ausgelöst werden. Der Empfänger soll sich bestenfalls mit dem Sender verbunden fühlen, ohne selbst zu wissen, weshalb. Denken Sie an den Slogan "Je suis Paris", der ist nicht nur unsinnig, sondern geradezu absurd, weil natürlich niemand von uns Paris ist, haha, selbst die Pariser sind es nicht, selbst nicht die Pariser Einwohner*innen. Aber wenn wir entsprechend hartnäckig behaupten, das sei der moralische passende Satz zur Reaktion auf ein ungeheuerliches Ereignis, dann schaffen wir ein Vorwissen, das den Bürgernden sachlich wie emotional in den Kontext unserer geplanten semiosischen Absicht einbezieht.
PPQ: Wenn wir uns die Methoden der politischen Zeichensetzung genauer anschauen, sehen wir, dass außer einem Signal, das von Gipfeln und Konferenzen ausgeht, meist nicht viel passiert. Ersetzen Signale denn Handlungen vollständig?
Hahnwech: In der Kommunikation von Spitzenpolitikern sicherlich. Dort ist jede kommunikative Handlung nach innen gerichtet, im Sinne einer Selbstvergewisserung der eigene Identität, der eigenen Handlungsfähigkeit. Ich setze Zeichen, also bin ich. Wie aussagekräftig und gehaltvoll diese Zeichen sind, ist nebensächlich, da ja ohnehin am nächsten der nächste Zeichensatz fällig wird. Mal geht es dann darum, Solidarisierungszeichen mit der Ukraine zu setzen, mal wird Abscheu über dieses oder jenes und dann wieder Empörung über etwas anderes ausgesendet, weil man es nicht ändern kann. Das Zeichensetzen übernimmt dann die Funktion eines Ablassventils. Die massenhafte Verbreitung von Zeichen ist dann ja die einzige Möglichkeit, anderen zu signalisieren, dass Empörung und Mitgefühl, Zorn, Trauer und Entschlossenheit jetzt zum Ausdruck gebracht werden müssen, wenn man sie schon nicht in Handlungen umsetzen kann. Das verbindet und stabilisiert in Zeiten der Angst und Bedrohung. Denn die Zeichen sind da, sie sind ihr eigener Deutungshorizont, sie verdichten unsere gemeinsamen Ansichten, legen die Hauptmeinung fest und drängen zur Bereitschaft, sich dort anzuschließen und das auch so zu empfinden.
PPQ: Welche Handlungen werden dadurch möglicherweise ersetzt? Oder können sie auch Ausdruck politischen Handelns sein?
Hahnwech: Solche Zeichen ersetzen durchweg alles und nichts, weil sie ja nicht anstelle politischen Handelns stehen, sondern selbst das politische Handeln sind. Sie bilden in Momenten der Handlungsunföähigkeit eine Art kollektives Sicherheitsnetz, das den Menschen das Gefühl gibt, ijn einem Boot zu sitzen, dessen Kapitän genau weiß, wohin er steuern muss. Verschiedenste Menschengruppen werden durch gesetzte Zeichen miteinander verbunden, sie erhalten dadurch eine neue Bedeutung, weil jeder sie anders missverstehen kann. Das kann man als politisches Handeln betrachten, wenn man Politik im Sinne der antiken Polis versteht, das heißt als ein vorausberechnendes, innerhalb einer Gesellschaft auf ein bestimmtes Ziel gerichtetes Verhalten. Wenn das sich aller paar Monate abrupt ändert, kann das setzen von Zeichen schon Haltungen sichtbar, die man gerade richtig finden muss. Zeichen geben Orientierung, aber man muss auch sagen, je wirksamer sie werden, desto schwieriger wird es, zwischen Wirklichkeit und Darstellung von Wirklichkeit zu unterscheiden.
PPQ: Das bedeutet, dass wir heute vor allem in unserer alltäglichen aber auch in der politischen Kommunikation so sehr an Zeichen glauben, dass Realität dahinter verschwinden kann?
Hahnwech: Nein, nicht kann. Sie soll! Seit der von den Bildwissenschaften geprägte Begriff der ikonischen Wende uns eine Beschreibung der Wirklichkeit in Zeichen erlaubt, ist es das Ziel jeder Zeichensetzung, das Potential, die Macht, die Funktion und Wirkungsweise eines Signals, eines Symbols, eines Zeichens bis zum Wirkverlust auszureizen. Dass gesetzte Zeichen Macht über Menschen gewinnen, obwohl sie nur eine reine Vorstellung sind, ist eine Erkenntnis, die sich politische Kommunikation zu eigen gemacht hat. Medien etwa springen heute auf jede Ankündigung, ein Zeichen setzen zu wollen, begeistert an, so dass das Setzen von Zeichen sehr viel effektiver wirkt als lange Erklärungen oder gar notwendige Handlungen. beim Empfänger verdichten sich die gesetzten Zeichen letztlich zu einem Gesamteindruck, dass er von Kompetenz und Fachverstand regiert wird, der immer das richtige Zeichen zur rechten setzt. Und darum geht ja dabei.
1 Kommentar:
semi...was.?
Bernd hatte was anderes gelesen
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