Donnerstag, 30. Juni 2022

Nato: Waffenbrüder vom Wertebasar

Der Traum jedes Jungen im Grundschulalter: Einmal Jetpilot an der Ostflanke.

Eben noch hirntot, auf einmal wieder springlebendig. "Es herrscht Aufbruchstimmung bei der Nato", freut sich die "Tagesschau", nachdem der "feierliche Gipfel" (Tagesschau) des Militärbündnisses in nur zwei Tagen mehr Lebenskraft zurückgewonnen hat als in den 20 Jahren zuvor. Neue Mitglieder, neue Truppen, neue Gebiete, die es zu verteidigen gelten wird. Eine neue Strategie noch dazu, die sagt, was Sache ist: Russland ist "die größte und unmittelbarste Bedrohung". China ein Rivale und Sicherheitsrisiko. Man muss aufpassen. Die Reihen schließen. Die Vorneverteidigung stärken und mehr Kampftruppen in die östlichen Bündnisgebiete verlegen, die als Pufferzone und Kampfgebiet gedacht sind, wenn der Russe die Reiche der Menschen wirklich angreift.

Der Zombie lebt

Der Zombie aus dem Kalten Krieg, er hat nach 30 Jahren existenzbedrohender Koexistenz mit den konkurrierenden Systemen der Russen und Chinesen wieder Feinde gefunden, aber neue Verbündete auch. So kompliziert ist deren Gewinnung und die Erteilung einer Zugangsgenehmigung, dass Schweden und Finnland ihre Eintrittskarte beim Vorstellungsgespräch beim türkischen Präsidenten Recep Erdogan, Herr der unverzichtbaren Südflanke der Nato und Beherrscher des Bosporus, mit Kurden zahlen mussten. Im Tausch gegen die Mitgliedschaft im Nordatlantik-Pakt bekommt die Türkei kurdische Staatsfeinde ausgeliefert. Die USA legen die längst versprochenen, aber bis heute nicht gelieferten F-16-Jagdbomber als Belohnung obendrauf.

So machen das "Partner" (Tagesschau), die dieselben Werte teilen und sich für den Krieg mit den gleichen Feinden wappnen. Die Türkei ist das einzige Nato-Land, das heute noch einen Fluchtkorridor für russische Oligarchen freihält und damit alle Sanktionsbemühungen von Nato, EU und demokratischer Weltgemeinschaft unterläuft. Erdogan weiß seit seinem Tauschgeschäft mit Deutschland, bei der Waffen für einen Journalisten bekam, dass er das kann. Er ist zu wichtig, als dass man ihm befehlen könnte. Angesichts der Lage darf niemand nicht zu stolz sein, vor ihm die Knie zu beugen. Um Waffenbrüder wie ihn zu gewinnen, lohnt auch ein Bummel über den Wertebasar.

Geschnitzt aus abendländischer Demokratieeiche

Wie der Ungar Viktor Orban und der Pole Jarosław Kaczyński ist Erdogan seit Kriegsbeginn auch medial zurück in Klub der Guten. Kein Sultan mehr, kein Machthaber, Alleinherrscher, Schlächter friedlicher Rojava, sondern einer von uns, geschnitzt dem Holz abendländischer Demokratieeiche. Ihm können Schweden und Finnland guten Gewissens ihre PKK-Aktivisten und Gülen-Anhänger anvertrauen, er wird Gerechtigkeit üben gegen jedermann, wenn sich die Waffenlieferungen nicht weiter verzögern oder sich die Waage des Kriegsglücks gen Moskau neigt.

Der Feind meines Feindes ist mein Freund, wie schon der frühere Nato-Chef Napoleon Bonaparte als Teil der strategischen Grundlagen seiner Militärstrategie festgelegt hatte. Gerade vor einem Krieg kommt es nicht auf Mundgeruch, Uniformmode und allgemeine Sympathie an, sondern auf die Zahl der Truppen, die einer stellen kann. Wie viele das für die gesamte Nato sind, weiß derzeit noch niemand zu sagen. Jens Stoltenberg, eben noch beinahe schon im Ruhestand, sprach von "weit über 300.000 Soldatinnen und Soldaten", die künftig ein Leben in "erhöhter Bereitschaft" führen sollen, um nach der "größten Neuaufstellung unserer kollektiven Verteidigung und Abschreckung seit dem Kalten Krieg" als "schnelle Eingreifgruppe an der Ostgrenze" die Mauer zu beschützen, die den Schengenraum abriegelt. Es heißt wieder "Wachsam sein, immerzu. Und das Herz ohne Ruh'".

Woher diese Soldaten kommen werden, bei denen es sich nicht um neueingestellte und neuausgebildete  Frauen und Männer in neuen Einheiten handelt, sondern um Kontingente der stehenden Heere der Mitgliedsstaaten, konnte Stoltenberg nicht erklären. "Wie bisher auch schon" müssten am Ende natürlich die Nato-Länder die Bataillone, Regimenter und Divisionen liefern - Deutschland als drittgrößter Nato-Staat hat 15.000 Mann und Frau versprochen, schicken die anderen 29 Partner inklusive solcher Zwergstaaten wie Island, Luxemburg und Estland ebenso viele Truppenteile, kommen sogar 450.000 Bewaffnete für die Ostflanke zusammen. 

Ein Riegel gegen den Russen

Ein Riegel, an dem sich der Russe zweifellos die Zähne ausbeißen muss. Trotz jahrelanger Vorbereitung seines Angriffes auf die Ukraine gelang es ihm dort nur, mit 150.000 Mann anzutreten, die selbst bei Söldner- und Territorialschutzverbänden zusammengekratzt worden waren. Im Verlauf von vier Monaten stieß diese russische Armee nirgendwo  weiter als höchstens 150 Kilometer in die Ukraine vor - angesichts eines Landes, dessen Ost-West-Ausdehnung nahezu 1.300 Kilometer beträgt, wird Putin noch wenigstens dreieinhalb Jahre weiterkämpfen müssen, um sich das gesamte Land zu unterwerfen.

Hält er das durch? Hält die Ukraine durch? Halten die Nato-Waffenbrüder wirklich so lange zusammen? Spanien, weit, weit weg von der Bedrohungslage, hat den westlichen Konsens gekündigt, Kiew mit Geld, guten Worten und leichten Waffen zu unterstützen, nicht aber mit schwerem Gerät. Zehn Leopard-2-Panzer boten die Iberer der Ukraine an, Deutschland, das keine Schwerenwaffen liefern will, ausgenommen Keinepanzer, die nur "in die Luft schießen" (Christine Lambrecht), müsste der Lieferung zustimmen, könnte aber nach einem Ja nicht mehr begründen, warum aus eigenen Beständen keine "Tierpanzer" (Annalena Baerbock) abgegeben werden können. 

Als "Signal der Geschlossenheit" (Spiegel) ist beim Nato-Gipfel nicht über das heikle Thema gesprochen worden, zumindest nicht öffentlich. Auch deutsche Journalisten hielten sich strikt an das alte Motto der US-Streitkräfte "Don't ask, don't tell". So kam es nicht zu Verwerfungen, sondern zu eben jener "Aufbruchstimmung", die sich immer dort besonders schnell einstellt, wo Totgesagte auferstehen, um länger zu leben.

Euro-Krise 2.0: Ein ganz anderes Niveau

Spanien, Frankreich und Deutschland und sogar die Euro-Zone als Ganzes, sie waren damals, als die Euro-Krise begann, zumindest noch in der Nähe der Schuldengrenze, auf die sich die EU-Staaten im Vertrag von Maastricht geeinigt hatten. "Der öffentliche Schuldenstand darf nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen", heißt es da bis heute, eine Vorgabe, die Staaten wie Griechenland und Italien seinerzeit nicht einmal unter Anrechnung eines hypothetischen Verkaufs von Inseln oder Lagunenstädten erreicht hätten.  

Eine amerikanische Krise

Mussten sie auch nicht, denn flugs eilten die anderen Partner zur Hilfe herbei. Milliarden flossen von irgendwo nach anderswo und gleich wieder zurück, die "amerikanische Krise" (Peer Steinbrück) war auf einmal eine der EU und noch viel schlimmer dazu. Steigt das Ausfallrisiko von Krediten, steigen auch die Zinsen, die als Ausfallversicherung verlangt werden. Je höher aber die Zinsen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die, die kein Geld haben, ihre Schulden nicht zurückzahlen.

Das wacklige Gebilde aus ehrlichen Teilnehmern, Bilanzfälschern, Tricksern, Täuschern und Eingehungsbetrügern wurde letztlich durch ein Kombinationsmedikament gerettet. Es sei von nun an egal, was alles kostet, verkündete Mario Draghi, damals Chef der Europäischen Zentralbank. Man werde alles, was an Rechnungen kommt, mit neuem Geld bezahlen, aber niemals mehr Zinsen. Wer nun kein Haus mehr baute, keine Insel kaufte oder sich wenigsten seinen Pool grub, hatte die neue Normalität nicht verstanden. Allen anderen streckten die "Länder des Nordens", die später als "die Sparsamen" mangelnden Solidarität verdächtigt wurden, die Hand entgegen und die ausstehenden Zahlungen auf Tage und Wochen nach dem Erreichen des kompletten Energieausstieges im Jahr 2050.

Der Wille zur Null

Der Wille zwang die Zinsen über ein ganzes Jahrzehnt auf Null. Leihen, zumal von sich selbst, machte wieder Spaß, die Kassen waren voll und jeder zusätzlich geschöpfte Euro fand schnell Verwendung. Hier ein Wohltat und dort eine Förderung, mal ging es gegen das Klima und mal um Gerechtigkeit, mal war den Armen zu helfen und mal den Unternehmen, mal Krankenhäusern, mal den bemitleidenswerten Streitkräften und manchmal auch sich selbst. Wer viel Geld zu vergeben hat, braucht viel Personal, viel Personal aber muss anständig untergebracht werden. 

Es ist ja auch immer gut gegangen. Die Staatsverschuldung der Länder der Euro-Zone entfernte sich so selbstbewusst, nachhaltig und wortlos immer weiter vom 60-Prozent-Ziel. Zehn Jahre nach geglückter Euro-Rettung steht nun Griechenland wieder dort, wo es war, als die ersten "Rettungspakete" (BWHF) nach "Stunden hektischer Krisendiplomatie" (FAZ) geschnürt worden waren. Zwölf Jahre und 278 Milliarden Euro später ein Teilerfolg, denn verglichen mit Italien, Spanien und Frankreich steht das Land heute wirklich besser da: 2010 lag die griechische Schuldenlast noch beim Dreichfachen von Frankreich und Spanien und beim Doppelten von Italien. Heute liegt Griechenland nur noch schlanke 30 Prozent vor Italien und 60 Prozent über Frankreich und Spanien.

Sparend zu höheren Schulden

Um rund ein Drittel ist die Schuldenlast der gesamten Euro-Zone seit den harten Sparpaketen, der Einführung von Haushaltsdisziplin und strengen Sparrunden gestiegen. Der Schuldenberg der Euro-Zone insgesamt kletterte von den 69,4 Prozent, nach EU-Kriterien ein Wimpernschlag über der Maastricht-Grenze,  auf nunmehr 93,4 Prozent des gemeinsamen Bruttoinlandsprodukts. Frankreich schleppt mittlerweile an einer Schuldenlast von 2,81 Billionen Euro, Italien liegt mit einer Staatsverschuldung von rund 2,68 Billionen dicht dahinter, Deutschland folgt mit 2,5 Billionen, allerdings war das vor den aktuellen Bemühungen, die Kriegslasten abzufedern. 

Für das viele, viele geborgte Geld musste niemand zahlen und wenn doch, dann fast nichts. Mit der anstehenden Zinswende aber wird es dabei nicht bleiben. Die FED in den USA hat ihren Zinssatz Anfang des Monats auf 1,75 Prozent erhöht, um die Inflation zu bekämpfen, die erst nicht kommen wollte und nun wie der Blubb aus der Ketchupflasche klatscht. Die EZB muss folgen, soll der Euro seine traurige Zehn-Jahres-Talfahrt nicht endlos fortsetzen und die Preise damit weiter in die Höhe treiben. 

Differenz von  400 Milliarden

Nun klingt der Unterschied zwischen einem halben Prozent Zinsen und anderthalb Prozent nicht so bemerkenswert. Doch die Euro-Krise 2.0 startet von einem ganz anderen Niveau ist die von 2009. Für Frankreich bedeuteten 0,5 oder 1,5 Prozent Zinsen, 14 Milliarden im Jahr zahlen zu müssen. Oder 42 Milliarden. In einer Wahlperiode macht das eine Differenz von 130 Milliarden Euro. In einem Griechenland-Rettungszyklus mehr als 400 Milliarden. 

Wobei 1,5 Prozent Zinsen bei acht Prozent Inflation sicherlich nicht allzu lange festgemauert werden können. Bei 3 Prozent Zinsen steigen die fälligen Zinszahlungen für Frankreich in einem Jahr schon auf 80 Milliarden, bei 5 Prozent auf 140 Milliarden. Italien und Spanien, aber auch Deutschland stehen ähnliche Zahlungsverpflichtungen bevor. Auf die gesamte Euro-Zone mit ihren 11,7 Billionen Verbindlichkeiten kommen bei einem Prozent Zinsen jährliche Zahlungen von 117 Milliarden Euro zu. Bei drei etwa 350 Milliarden. Und bei fünf schon stolze 500.

Angesichts von zuletzt bereits fehlenden 625 Milliarden Euro zum Ausgleich der Defizite der 19 Euro-Staatshaushalte ist das eine Summe, die selbst mit den besten Bürgen nicht aufzubringen wäre. 

Mittwoch, 29. Juni 2022

Verbrennerfrei zum großen Sprung: Europa schafft ihn ab

Nun also das Ende des Verbrennungsmotors: Die EU setzt ihre schöne Tradition fort, knallharte Festlegungen für Zeiten zu treffen, die möglichst fern in der Zukunft liegen.

Im März vor 22 Jahren war es die Lissabon-Strategie, mit der EU-Europa sich zum großen Sprung anschickte. Fester Wille, eiserne Beschlüsse und der Schulterschluss aller Mitgliedsstaaten würden die Europäische Union nun binnen von nur zehn Jahren zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt machen. So war es beschlossen, mit konkreten Vorhaben im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erneuerung, abzurechnen im Jahr 2010 und je nachdem, wie sehr Spitze der "Kontinent", als den die EU-Kommission die EU stets sieht, bei der  Nachhaltigkeit im globalen Maßstab schon sei, würde dann nachgeschärft und angespitzt, für noch mehr führende Innovation als Motor für Wirtschaftswachstum in einer strikten "Wissensgesellschaft" (EU-Kommission), die auf "soziale Kohäsion der Folgen von konsequentem Umweltschutz" setzt, wie es im Lissabon-Papier hieß.

Niemand hat mehr große Pläne

Abgerechnet konnte dann nie werden, denn ihren Zielen war die Gemeinschaft nicht einmal  soweit nahegekommen, dass in Sichtweite gewesen wären. Statt aber nun Trauer zu blasen und die Köpfe hängen zu lassen, nahm die neue EU-Kommission unter Manuel Barolo die blamable Pleite bei der Umsetzung der Pläne der Kommission von Romano Prodi als Chance. Aus der Lissabon-Strategie wurde nun der Großplan "Europa 2020" mit noch mehr und noch ehrgeizigeren Zielen für ein "intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum" und einer noch viel "besseren Koordinierung der nationalen und europäischen Wirtschaft" nebst "Erhöhung des Wirtschaftswachstums", "Modernisierung des Arbeitsmarktes" und einer "Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Verbrauch natürlicher Ressourcen".

War einer Bilanzkonferenz anno 2010 noch die leidige Finanzkrise glücklich dazwischengekommen, gelang es 2020, der Pandemie die Verantwortung dafür zuzuschieben, dass der Masterplan "Europa 2020" so still und leise von der Weltkarte der großen Strategien verschwand wie es sofort nach der Verkündung der Jahrhundertziele immer um ihn gewesen war. So viel anderes war indes schon für immer in Sack und Tüten gepackt worden: Deutschland hatte sich eine Schuldenbremse verordnet, die EU hatte beschlossen, die nächste Pandemie als "Gesundheitsunion" gemeinsam noch viel besser zu bestehen und die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte mit "Fit for 55" schließlich sogar einen Nachfolger für die gescheiterten beiden Strategieprogramme an.

Neues magisches Zieljahr: 2030

Diesmal ist das magische Zieljahr das Jahr 2030, diesmal geht es um eine "Trias von verschärften Klimazielen, marktorientierten Maßnahmen und ordnungsrechtlichen Vorschriften". Auch diesmal war das Medienecho auf die Aussicht, "ein Paket reformierter und neuer Richtlinien und Verordnungen" (von der Leyen) zu bekommen, dass nach dem Vorgängerpaket und seinen Erfolgen niemand fragte. Vergeben, vergessen, Schnee von gestern.

Von einem großen Sprung zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraumblabla, führender Innovation als Motor der Bedeutung des Wirtschaftswunders oder  dem intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstum einer noch viel besseren Koordinierung der der Erhöhung der Modernisierung des Abendmahls ist nun gleich am Anfang nicht mehr die Red. Stattdessen geht es um Rückbau, Einhegung und die Entwicklung von Überlebensstrategien und Überwinterungsfähigkeiten. EU-Europa hat sich - nachdem ein "Zank in der Ampel" (Morgenpost) eine gewisse Würze in die Verhandlungen gebracht hatte - auf "wichtige Teile des EU-Pakets zum Kampf gegen den Klimawandel" (RND) geeinigt. 

Aus dem Weg, Wirklichkeit

So steht dem "größten Klimaschutzpaket, das seit 15 Jahren in Europa geschmiedet wurde" (Robert Habeck) nun nichts mehr im Wege, abgesehen von der Wirklichkeit, der den wundervollen Strategien der EU immer wieder dazwischenkommt. Sollte im Jahr 2000 eine Zukunft mit "dauerhaftem Wirtschaftswachstum, mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt" (Wim Kok) herbeiregiert und reguliert werden, hatte "Europa 2020" lebenslangem Lernens zur Erhöhung des Wirtschaftswachstums, eine bessere gesellschaftliche Integration und die Förderung umweltfreundlicher Technologien versprochen. Nichts davon kam wie geplant, kein Ziel wurde erreicht, kein Plan umgesetzt. Und so zieht die EU Konsequenzen: Das nun ausgerufene Verbot von Autos mit Verbrennungsmotor ist auf das Jahr 2035 datiert, ausreichend weit weg, um in den nächsten drei Amtszeiten nicht akut zu werden, und ausreichend diplomatisch formuliert, dass auch jede andere Zukunft denkbar bleibt.

Kann sein, es kommt so. Kann sein, von ganz allein. Kann sein, es wird alles anders, dann aber erst so spät, dass es niemanden mehr brennender interessiert als das Scheitern von Lissabon und Europa 2020. Womöglich teilt der fest beschlossene Abschied vom Verbrennungsmotor eines Tages das Schicksal der Schuldenbremse, die kaum da war und schon wieder weg. Womöglich wartet eine so kurvenreiche Rein-Raus-Karriere auf ihn wie sie zuerst die deutschen Atommeiler erlebten und nun gerade die Kohlekraftwerke.Vielleicht fehlt dann, wenn er weg soll, nicht mehr das Öl, sondern der Strom. 

An den historischen Tag in Luxemburg, als "nach 16-stündigen Verhandlungen" (n-tv) beschlossen wurde, dass die CO₂-Emissionen neuer Pkw bis 2030 auf 55 Prozent und leichter Nutzfahrzeuge auf 50 Prozent gesunken sein und ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen werden, wird sich dann jedenfalls niemand mehr erinnern.

Die Signalfabrik der Welt: Zeichen setzen mit Symbolen

Bundessignal- und zeichenfabrik BSZF
In den großen Produktionshallen der Bundessignal- und Zeichenfabrik (BSZF) darf aus Geheimschutzgründen nicht fotografiert werden. Hier zumindest ein Blick in den zwei Kilometer langen unterirdischen Zugang zum Hauptgebäude.

Zurückbauen, auslaufen lassen, abdrehen, herunterfahren, aussteigen. Bei ihren gemeinsamen Treffen unter verschiedenen Namen und in jeweils leicht abweichender Zusammensetzung haben die Führer der freien Welt und ihre teils fragwürdigen Demokratien vorstehenden Gäste die Weichen gestellt auf zahllose neue Signale, die ein Zeichen setzen sollen für den Aufbruch in einer neue Welt. Anfangs noch hatte Bundeskanzler Olaf Scholz die Erwartungen an den G7-Gipfel gedämpft: Man könne dort keine Berge versetzen, betonte der Kanzler. Aber wenn schon keine Wunder, dann doch eben diese berühmten Zeichen.

Zentrum der Zeichen

Das geht immer, denn Deutschland ist nicht nur eine der führendsten Exportnationen und ehemaligen Serienweltmeister in der Warenausfuhr, sondern auch die Signalfabrik der Welt. Eine wenig bekannte Tatsache, die von Bundesregierungen gemeinhin auch nicht an die große Glocke gehängt wird. Staats- und Regierungschefs vereinnahmen gern selbst, was in den weiten Hallen und langen Fluren der Bundessignal- und Zeichenfabrik (BSZF) geliefert wird. Das sind mal Signale der Solidarität, mal welche der Geschlossenheit. Manchmal werden Zeichen gesetzt, die keine Zweifel an der Entschlossenheit lassen. Dann wieder erstrahlen Symbole in symbolischen Farben, um Gemeinsamkeit zu illuminieren und damit auch gleich klare Kante zu zeigen.

Hervorgegangen aus der 1848 gegründeten königlich-sächsischen Signalmunitionsfabrik Schlösser und Nachf., die schon König Friedrich August III. mit Tuchbändern, Fahnen und Tischornamenten belieferte, ist die heutige Bundessignal- und Zeichenfabrik eine der größten Produktionsstätten ihrer Art weltweit. Zwar verfügen auch Russland, China, die USA und Frankreich über entsprechende - zumeist ebenfalls staatliche - Unternehmen. Die aber produzieren überwiegend nationale Symbole, bunte Fähnchen, Winkelemente und Borten in Landesfarben. Virtuelle Freiheits-, Friedens- und Klimazeichen gelten in den zentral geführten Staaten als Nebenprodukte. Es sind dort die jeweiligen Präsidenten, die sich traditionell das Recht vorbehalten, Zeichen zu setzen und symbolisch tätig zu werden.

Von den Russen enteignet

Noch im Dritten Reich hatten auch Schlösser und Nachfahren mit Sitz in Sornzig-Ablass bei Mügeln in der Nähe von Ostrau bei Zschaitz-Ottewig eine ähnliche Funktion. Von den Russen nach dem Zweiten Weltkrieg wegen der Naziverbrechen enteignet, wurde der Betrieb 1949 volkseigen, zu diesem Zeitpunkt waren die verbliebenen Mitglieder der Familie Schlösser bereits in die späteren alten Bundesländer geflüchtet. Im Osten schlug die junge DDR den Traditionsbetrieb ihrem Dewag-Werbeimperium zu. Hier liegen auch die Wurzeln der Zusammenarbeit der heutigen BZSF mit der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin, die damals Stammbetrieb des Kombinates VEB Geschwätz war.

In jenen schweren Aufbaujahren unter Anleitung strammer kommunistischer Kader sortierte sich der VEB Signal- und Zeichenwaren neu. Weil der Materialmangel zum täglichen Brot 650 Mitarbeitenden, darunter mehr als 400 Frauen!, gehörte, wurde das Produktionsprofil sukzessive erneuert: Statt physischer Waren wie Fähnchen, Wimpel, Medaillen und Banner verlegte sich der im Volksmund nur VEB Signal genannte Großbetrieb mehr und mehr auf virtuelle Produkte, die bereits in den 60er und 70er Jahren weitgehend klimaneutral, nachhaltig und erneuerbar hergestellt wurden. 

Jeder Sack Mais

Plane mit, arbeite mit, regiere mit", "Jeder Sack Mais ein Schlag gegen den Klassenfeind", "Mein Arbeitsplatz – Mein Kampfplatz für den Frieden!" und "So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben!" sind Klassiker aus der einstigen Schlösserwerkstatt, die auch den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl überzeugten, der nach der Übernahme der DDR im Jahr 1990 auch nicht lange zögerte, den VEB Signal ins Unternehmensportfolio des Bundes einzugliedern.

Kaum bekannt, nur wenig gefördert und öffentlich meist unterschätzt, hat sich das nun als Bundessignal- und Zeichenfabrik zum Ministerium für Wahrheit in Berlin gehörende Unternehmen zur Herzkammer der weltweiten Signal- und Zeichenproduktion entwicklet. Obgleich im Vergleich mit den DDR-Zeiten auf nur noch 372 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesundgeschrumpft, produziert die BSZF nach Berechnungen des IWF und der Weltbank derzeit etwa 67 Prozent aller global verwendeten Signale und deutlichen Zeichen.  Für den Kampf gegen Russland hat die EU-Kommission sogar noch weit höhere Werte errechnet. Danach kommt die kleine Firma, die weiterhin in Sornzig-Ablass bei Mügeln in der Nähe von Ostrau bei Zschaitz-Ottewig sitzt, auf rund 86 Prozent aller Zeichen zu diesem Thema - auch dank der unzähligen angeschlossenen Sendeanstalten, die jedes kleine Signal und jedes schöne Symbolbild begeistert in die Wohnzimmer der Empfänger transportieren.

Großkampftage in der Signalfabrik

Tage wie die von G7-Gipfel, Nato-Gipfel und Umweltgipfel sind selbstverständlich immer Großkampftage für die BSZF. Jetzt gilt es, ein für allemal Zeichen gegenüber Autokratien wie China und Russland zu setzen, jetzt müssen die Bilder inszeniert werden, die auf jeden Fall bleiben. Der überdimensionale Strandkorb an der Ostsee, in dem Angela Merkel einst zwischen dem fröhlich lachenden George W. Bush und dem verlogen blickenden Wladimir Putin Platz nahm, um den Weltfrieden zu erhalten, stammte zwar aus einer Mecklenburger Strandkorbflechterei. Die Risszeichnungen für das zeichen, das vor 15 Jahren um die Welt ging und Mneschen aller Hautfarben begeisterte, stammte allerdings aus der BSZF.

Lange ist sie her, diese Zeit, die heute wie eine Idylle ohne Probleme wirkt. Mit naiven Zeichen wie dem des kumpelnden Trios im Korb ist heute kein Punkt mehr zu machen, der Kanzler selbst hatte schon vor Wochen wissen lassen, dass er nicht nur für Fototermine durch die Gegend reise. Es braucht vielmehr Signale, Zeichen müssen gesetzt und Grenzen gezogen werden, um die Probleme der Welt symbolisch anzugehen. Den G7-Gipfel konnte Olaf Scholz dank der hervorragenden Vorarbeit der BSZF nutzen, um Ausrufezeichen in den globalen Raum zu stellen: Ukraine, Inflation, Klima, Hunger, die drohende nächste Euro-Krise, die Abhängigkeit von Ölimporten und unmenschlichen Regimen, die die Menschenrechte höhnisch mit Füßen treten und ihre Nachbarstaaten mit Krieg überziehen, all das prangerten der Sozialdemokrat und seine Kollegen mutig und kompromisslosan.

Wachsende Verbreitung

Steigende Preise und verschärfte Hungersnöte, der Klimawandel, der den Krieg um die Aufmerksamkeit selbst in Deutschland zu verlieren droht, die Pandemie, die Ursula von der Leyen zwang, nach einem maskenlosen Auftritt beim G7-Gipfel für den Umweltgipfel der EU wieder zu einer FFP2-Maske zu greifen - durch die breite Sättigung der Landschaft mit Signalen für Dürre, Temperaturrekorde, steigende Preise, Lebensmittelknappheit, Hitze und die aggressiven Angriffe der Atommacht Russland werden Unsicherheit, Unzufriedenheit und Instabilität in den Bevölkerungen der Empfängerstaaten vermieden.

Es ist die Aufgabe der G7, dem mit mehr als mit einem lauen Statement zu begegnen. Deutliche Zeichen machen klar, dass sich gekümmert wird, mit neuen, schärferen Zielen, mit noch weitaus harscheren Sanktionen und betonter Einigkeit aller mit allen bei gleichzeitiger Diversität der Ansichten zu Fragen von allgemeinem Interesse. Die Bundessignal- und Zeichenfabrik jedenfalls macht ihrem Ruf in diesen Wochen der verstärkten Mobilisierung gegen das, was die alte Reiche der Menschen von außen bedroht, alle Ehre: Symbolisch stehen die G7-Staaten im Kampf gegen alle Krisen zusammen, im gemeinsamen Kampf gegen die sich verschärfende Lage der Weltwirtschaft streiten sie Schulter an Schulter, eine grüne Armee mit Heerführer in dunklen Anzügen, die sich symbolisch füt acht Milliarden Menschen sorgen und kümmern.

Dienstag, 28. Juni 2022

Vergleichskunde und Bedeutungsschwangerschaft: Als wie wie als

häzer häze propaganda
Er sprüht seinen Namen überall hin: Der Häzer gefällt sich in seiner Rolle als Verteidiger der Bundesregierung.

Der Vorwurf kam aus berufenem Munde, da hatte nicht nur irgendjemand aus tiefer Seelenpein heraus gesprochen, sondern ein bei den zuständigen Meinungsfreiheitsschutzbehörden einschlägig angezeigter, wenn auch noch nicht vorbestrafter Serientäter, der sich selbst den "Häzer" nennt.  Der aus der Anonymität des Internets heraus agierende Kommentarschreiber behauptet, als Teil einer großangelegten Initiative des Bundesministeriums zur Bekämpfung unerwünschter Ansichten auf auffällige Netzadressen angesetzt  worden zu sein. Wo er auftaucht, wächst bald kein Gras mehr, mit Jandl-Texten und unbewiesenen Behauptungen, verklausuliertem Lob für die Falschen und Ausbrüchen von Fäkalsprache sucht der selbsternannte Häzer nach Widerspruch, um bei seinem Arbeitgeber Hetze, Hass und Zweifel abrechnen zu können.

Im Kampf gegen die Kritik

Immer wieder läuft er auch bei PPQ ein, zuletzt, um eine harsche Kritik an der Halbherzigkeit, mit der Deutschland führende Spar-Politiker den landesweiten Dusch-Ausstieg vorantreiben, mit rücksichtslosen Unterstellungen anzugreifen. Was von von Menschen zu halten, "die deutsche Duschköpfe mit Talibanterror verbinden", unterstellte der ewige Kommentäter eine Notwendigkeit der psychologischen Untersuchung des sächsischen Klima- und Hautwissenschaftlers Herbert Haase. Der Leiter des Climate Watch-Institutes in Grimma hatte zuvor ein Plädoyer für den Waschlappen gehalten und damit dem vom Häzer hochverehrten Klimaminister Robert Habeck widersprochen, der aus immer noch für ausreichend im Kampf gegen  Putin hält, wenn alle ihre Duschzeit verkürzen.

Der Minister ein Taliban? Der Kritiker des Ministers ein Psycho? Wer sollte, wer muss weggesperrt werden? Vergleich oder Gleichsetzung? Aufeinestufestellen oder reine Einordnungshilfe? Falk Ebenhagen von der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin hat nach einer PPQ-Anfrage um eine wissenschaftliche Begutachtung der Frage auf ein weitverbreitetes Missverständnis hingewiesen. Der Hauptabteilungsleiter Hauptsatzverwaltung (HHV), in der der Vergangenheit unter anderem beteiligt an der Erfindung politischer Signalbegriffe wie "Rettungsschirm", "Energiewende", "Schulden-" und "Mietpreisbremse", "Stromautobahnen" oder "Wachstumspakt", aber auch "Klimageld" und "Sondervermögen", betont den  grundlegenden Unterschied zwischen Gleichsetzung und Vergleich, der leider vielen Menschen nicht bekannt sei. 

Die Liebe zum Pakt

Wir in der BWHF benutzen beispielsweise nie Gleichsetzungen", sagt er. Obwohl es in der Vergangenheit mit dem Hitler-Stalin-Pakt ein Bündnis gegeben habe, das nahelegen könnte, den Begriff "Pakt" allenfalls noch vorsichtigst zu verwenden, habe sich herausgestellt, dass Bürgerinnen und Bürger gern hörten, wenn Regierende Pakte schlössen. "Man gibt sich dann gern dem Eindruck hin, das schwören sich Menschen ein, Unheil von uns allen abzuwenden." Es entspreche auch dem politischen Auftrag der BWHF, Verbalmaterial zu liefern, das ungeachtet etwaiger historischer Belastungen Tröstung, Hilfe und Solidarität verspreche. "Es wäre zynisch, uns wegen Sonderkommandos, die es in der Geschichte ja auch schon gab, vorzuwerfen, wir benützten den Begriff ,Sonder', um mit dem neuen Wort Sondervermögen Schulden in Guthaben zu verwandeln."

Dem sei natürlich nicht so. Der Aufbau von Begriffen wie "Sondervermögen", "Klimageld" oder "Rettungspaket" und "Tankrabatt" folge einer semantischen Systematik, die ein Signalwort auf ein Trägerwort aufsetze, um tagesschaudeutlich begreifbar zu machen, dass sich gekümmert werde. Sprachwissenschaftlich erwiesen sei, dass sich die Wirkung kombinierter Begriffe dabei verstärke, zudem aber neutralisiere und teilweise aufhebe, so dass das auch als "Kombinat" bezeichnete neue Wort mehr und anderes aussage als die ursprünglich verwendeten Ausgangszeichenfolgen. Den "Dusch-Taliban" ordne er in eine ähnlich überzeugende Kategorie ein. 

Der Dusch-Taliban im Dating-Buch

Das ist kein Wort, das wir als BWHF zur Verwendung im Meinungskampf angeboten hätten, weil die Bedarfe der Ministerien und der Parteien im Augenblick in eine andere Richtung gehen." Doch in der Mechanik seines Aufbaus sei der vom Schriftsteller Oliver Stöwing im Buch "Die kuriosesten Dating-Desaster" erdachte "Dusch-Taliban" von vergleichbarem Format. "In der Vergleichskunde, die sich mit den Unterschieden zwischen ,als wie' und ,wie als' beschäftigt", klärt Falk Ebenhagen auf, "würden wir von einer Bedeutungsschwangerschaft sprechen." Dabei handele es sich um Fälle von spontaner Wortbildung aus einer Notwendigkeit heraus, gesellschaftliche Entwicklungen sprachlich abzubilden. "Wir hatten das beim Querdenker, bei der Putinflation und bei der Übergewinnsteuer, die wir als BWHF implementiert haben."

Dass die Dusch-Taliban wegen ihres sturen Festhaltens an einer energieverschlingenden früheren Kulturtugend in der Kritik stehen, halten Umweltverbände und auch erste Medien für durchaus angezeigt, dass ihre Kritiker aber durch Vorwürfe, sie stellten Duscher und Terrortaliban durch konzertierte Aktionen wie die des Häzers abgewertet werden, nimmt der duschkritischen Bewegung ihre moralische und klimapolitische Wucht. Statt die notwendige Waschlappen-Diskussion breit zu führen und im Ergebnis möglichst schnell wieder mit wirkmächtigen Vorbildvideos erzieherisch in die Volksmassen zu senden, ist es der Bundesregierung gelungen, ihre fragwürdige Strategie der Verteidigung des Duschens über den G7-Gipfel aufrechtzuerhalten.

G7-Gipfel: It's a man's world

g7-Gipfel a man's world
Sieben Mann und eine Mission: Wie 2015 am selben Ort versprach man sich mehr "gemeinsame Anstrengungen für den Klimaschutz".

Das Klima von Sieg zurück auf Platz, die Pandemie trotz des Vormarsches der Omikron-Subvariante BA.5 ignoriert, keine Masken, kein Abstand, dafür jede Menge einreihiger Anzüge. Der erfolgreiche G7-Gipfel im bayrischen Elmau ließ nach zwei Tagen erfolgreicher Verhandlungen keinen Zweifel daran, dass die Welt zurück ist in der Zeit vor globalen Lieferketten, vor dem Erfolgsmodell der internationalen Arbeitsteilung und der strengen Beachtung der Geschlechterfrage: Die sich da auf dem Familienfoto der world leader nebeneinander aufstellten, weiträumig bewacht von 18.000 Polizeibeamten, waren vom selben Schlag.

A man's world

Mann, weiß, alt, in dunklem Dunkelblau, maßgeschnitten, weißes Hemd, keine Krawatte. Der Kanadier Justin Trudeau zwinkerte aus einem lichtgrauen Anzug, der Japaner Fumio Kishida allein signalisierte ganz am Rande stehend ein Moment des Andersseins inmitten eines Klubs aus Abendländern im letzten Licht der sinkenden Sonne. Die Repräsentanten der EU, in den zurückliegenden Jahren immer fester Bestandteil der Bilder, die bei genauerer Betrachtung barocken Gemälden gleichen, durfte überhaupt nicht mehr zu Fototermin kommen. Und seit mit Angela Merkel die letzte Frau die Weltbühne verlassen hat, steht nun nicht einmal mehr eine mächtige Dame zumindest irgendwo außerhalb des internationalen Kraftzentrum, wohin die Kanzlerin zum Schluss geschoben worden war. Sondern es ist gar keine mehr zu sehen.

Die Welt, sie dreht sich zurück, sie wird, wie sie James Brown in seinem gleichnamigen Hit von 1966 beschrieben hat, zu einer "Man's World", einem Ort der Eingeschlechtlichkeit, die keine Diversität und keine Vielfalt kennt und nicht einmal die Geschlechterquote, mit der deutschen Großkonzernen vor dem Beginn der multiplen Krisen erlaubt wurde, ihre Aufsichtsgremien nach Herkunft und Geschlecht zu besetzen. Es ist eintönig, auch wenn es magisch wirkt, wie die sieben Männer - alle ohne Gebärmutter - es im Handumdrehen schafften, die Zahl der Soldaten für die Ostflanke der Nato in nur einer Nacht zu versiebenfachen, ohne einen einzigen Rekruten neu einkleiden, ausbilden und bewaffnen zu müssen.

Was täte eine Frauenrunde

Wäre das einer Frauenrunde auch eingefallen? Oder etwas gar noch  etwas anderes? Ältere G7-Beobachter haben selbstverständlich noch das ikonische Bild im Kopf, das zeigt, wie Angela Merkel den anderen Führern der freien Welt die aktuelle Lage erklärt. Die Arme auf den Tisch gestützt, die Züge entschlossen, den Oberkörper eindringlich nach vorn geneigt, wo ein widerstrebender amerikanischer Präsident sitzt, die Arme abwehrend verschränkt, Widerstand im Blick. Aber wehrlos gegen die Argumente der seinerzeit mächtigsten Frau der Welt.

Nord Stream 2 muss kommen. Zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Unterhalt und Ausrüstung der Armee sind zu viel. Der gleichzeitige Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern ohne ausreichende andere Versorgung ist vernünftig, klug abgewogen und sie wird Deutschland eines wunderschönen Tages zu einem Leuchtturm machen, der mit "wichtigen Signalen an die Marktakteure" (Umweltbundesamt) zeigt, wie sich ohne Kraftwerke und allein mit einer kleinen "Änderung in der Stromnetzentgeltverordnung" Verbraucher motivieren lassen, in Zeiten mit schwacher Stromnachfrage besonders viel Strom nachzufragen und in Zeiten ohne Strom darauf zu verzichten.

 So viele schöne Schlagzeilen

Trump, der wie ein trotziger Schüler vor Merkel saß, blieb skeptisch. Mit Nachfolger Joe Biden ist ein besseres Arbeiten: Beim Gipfel in Elmau vereinbarten die G7-Staaten einmal mehr mehr von den "gemeinsamen Anstrengungen für den Klimaschutz", die schon 2015 für viele schöne Schlagzeilen und eine optimistische Grundstimmung gesorgt hatten. Wie 2014 beim Treffen in Brüssel zeigte das der Welt, dass "ein gemeinsamer Wille ein starkes Instrument zur Förderung des Fortschritts sein kann", selbst wenn nur die Staats- und Regierungschefs der alten Kolonialmächte einig sind, die heute gerade mal noch zehn Prozent der Weltbevölkerung  regieren. 

Damals in Elmau setzten die sieben, die geblieben waren, nachdem der Russe Wladimir Putin nicht mehr kommen durfte, kurzerhand das "Ende des fossilen Zeitalters auf die globale Agenda" Heute sind alle einen Schritt weiter, Frankreich fährt die Kohlenmeiler wieder hoch,  Deutschland fährt sie nicht herunter, die USA versprechen, in Texas mehr Fracking-Gas zu verflüssigen, um Deutschland, dass aus Umweltschutzgründen nicht fracken darf, beim "einen sauberen und gerechten Übergang zur Klimaneutralität" zu helfen und "gleichzeitig die Energiesicherheit zu gewährleisten", wie es in einer gemeinsamen Erklärung mit den Partnerstaaten Argentinien, Indien, Indonesien, Senegal und Südafrika heißt.

Ein illustrer Kreis

Vor dem Hintergrund der neuen Lieferkettengesetze ist das ein illustrer Kreis. Argentinien ist gerade mal wieder so pleite, dass es nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung gern Deutschlands Probleme hätte. Indonesien verfolgt Homosexuelle, Indien boykottiert den Russland-Boykott des Westens, der Senegal verliert Flüchtlinge an Europa und Südafrika ist der drittgrößte Kohleexporteur der Welt. Was auf dem Gipfelfoto der Gipfel-Stammgäste fehlt, Buntheit, Diversität und auch mal eine abweichende Sicht auf die Welt, wie sie sein sollte, hier ist es zu erahnen.

Seit Angela Merkel 2017 verkündete, dass "die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, sind ein Stück vorbei" seien und die Europäer ihr Schicksal nun "wirklich in die eigenen Hände nehmen" müssten, ist viel geschehen. Seinerzeit bekräftigten die G7-Staaten noch das "Jahrhundertversprechen von Elmau" (SZ), ein "Ergebnis harter Verhandlungen", nachdem "Deutschland und Frankreich auf starke Worte zum Klimaschutz gedrungen" hatten. Sieben Jahre danach und mit einem neuen, noch ganz frischen CO2-Ausstoß-Rekord im Rücken bekräftigten sie nun ihre "Unterstützung für das bei der Klimakonferenz 2015 in Paris vereinbarte Ziel, die Erderwärmung unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu halten - und möglichst unter 1,5 Grad" und dazu "erneuerbare Energien  auszubauen und Kohle zunehmend weniger" nutzen zu wollen.


Montag, 27. Juni 2022

Endlich amtlich: Ukraine darf sich verteidigen

Klassenbrüder, Verbündete, Holz vom gleichen antikapitalistischen, antifaschistischen, globalisierungskritischen Baum - die deutsche Linke, als Linkspartei in die alte Uniform der SED geschlüpft, tat sich lange schwer mit einem klaren Haltung gegenüber dem russischen Aggressor in der Ukraine. Der Hauptfeind steht von links außen gesehen immer im Westen, dort, wo die Sonne der menschlichen Zivilisation untergeht. Im Osten aber leuchtet ein helles Licht, der postsozialistische Staatsimperialismus Moskauer Art und die chinesische Hightech-Diktatur waren in der Vorstellungswelt deutscher Sozialisten Alternativen zur privatkapitalistischen Wirtschaftsart, zu Konsumismus und Wolhstandsvermehrung in Pyramidengestalt:  Oben ganz wenige ganz viel, unten ganz viel nur wenig mehr.

Sprung in den Schatten

Bei ihrem Rettungsparteitag in Erfurt, Hauptstadt des letzten Bundeslandes, in dem die frühere DDR-Staatspartei dank eines scharfen Wendemanövers der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel noch etwas zu sagen hat, ist die vom Wählendenwillen zuletzt immer wieder schwer abgestrafte Linke nun entschlossen über ihren Schatten gesprungen worden. Man sei nicht nur gegen den russischen Angriffskrieg, sondern verurteile die im Zusammenhang damit begangenen Kriegsverbrechen  "auf das Schärfste". Und zugleich erkenne man nun auch "das Selbstverteidigungsrecht des ukrainischen Volkes" an.

Aussagen wie Donnerhall, denn wenn eine deutsche Kleinpartei mit 60.000 Mitglieder*innen, die zuletzt bei der Bundestagswahl sogar an der Fünfprozenthürde scheiterte, ihre Zustimmung dazu gibt, dass sich die überfallene Ukraine gegen die einmarschierenden Truppen aus Russland zur Wehr setzt., ist das beinahe mehr wert als das eben erst nachgeschobene Goldimportverbot der G7, die sieben deutschen Panzerhaubitzen für Kiew und die Einführung der Duschwaffe gegen Putin in ganz Deutschland.

Neue Register im Köcher

Die Linke hat aber noch mehr im Köcher. So sei sie der Ansicht, Putin müsse an der Verhandlungstisch gezwungen werden. Friedlich, versteht sich, denn "Aufrüstung schafft keinen Frieden". Dafür aber ein "Finanz- und Immobilienregister", im Kampf gegen den Kreml eine viel wirksamere Waffe als alle Raketen, Panzer und selbst als die 125 Doppelfernrohren, mit denen Deutschland den Verteidigern auch der westlichen Freiheit bisher geholfen hat. Listen konnten sie schon der alten DDR gut, wer Listen hat, der hat sie Macht und nur der kann sie nutzen.

Neben Protesten gegen die Aufrüstungspolitik der Bundesregierung, der auch dazu dient, zu verhindern, "dass Rüstungskonzerne noch reicher werden", stehen die endgültige Schaffung sozialer Gerechtigkeit, der Kampf gegen den Klimawandel und um die Unabhängigkeit von "fossilen Diktatoren" (Linkspartei) weiter auf dem Programm. Ein "klares Zeichen gegen Russlands Angriffskrieg", denn angesichts der Aussicht, nach CDU, SPD und Grünen mit der Linken auch noch die letzte Unterstützerpartei in Deutschland zu verlieren, wird der Kreml zweifellos umdenken müssen.

Ernüchternde Bilanz: Bilder einer traurigen Jugend

Jugendzimmer Nichtraucherjugend Klimaangst
In ein modernes Jugendzimmer gehören zwingend großformatige naive Bilder moderner Jugendlicher.

Backen ohne Zucker, Kochen ohne Salz, Heizen ohne Öl, Baden ohne Schaum, Sonnen ohne Sonne, Schnaps ohne Alkohol und Zigaretten ohne Rauch, Krieg ohne Kampf, Wohlstand ohne Leistung, Fleisch ohne Tier, Autos ohne Auspuff, keine Drogen ohne Beratung und kein Genuss ohne Reue: Deutschlands Jugend schwört langsam allem ab, was Mutter und Vater, Oma und Opa in ihren jungen Jahren an Exzessen ausgekostet haben. Zwar qualmt und dampft es überall, wo sie die nachwachsende Steuerzahlergeneration zusammenfindet, es klirren die kaputten Flaschen und es riecht unverkennbar nach Legalisierung, die nicht mehr auf die Zustimmung der Behörden wartet.  

Ernüchternde Bilanz

Doch zumindest in Umfragen zeigen sich Heranwachsende als die verantwortungsvollen Staatsbürger*I:/innen, die ihre Vorfahren nie waren: Wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung meldet, gaben im vergangenen Jahr nur noch zehn Prozent der 12- bis 17-Jährigen an, zumindest einmal pro Woche Alkohol zu trinken. Im Jahr 2004 hatten das noch mehr als doppelt so viele Jugendliche von sich behauptet. Auch der Zigarettenindustrie sterben die Kunden weg. Der Anteil der jugendlichen Raucherinnen und Raucher sank den neuen Statistiken zufolge seit 1997 von damals 28 auf nun nur noch sechs Prozent. 83 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen gaben sogar an, noch nie in ihrem Leben geraucht zu haben. Irgendwo dazwischen öffnet sich allerdings ein Raucher-Fenster: Der Anteil der Nikotinsüchtigen unter jungen Erwachsenen liegt seit 2014 stabil bei etwa 30 Prozent. 

Was aber tun die anderen zwei Drittel? Komasaufen, kurz vor der großen Eurokrise noch eines der zentralen Problemfelder, zog sich in den Jahren von Eurokrise, Klimakatastrophe, Pandemie, Lieferkettenabriss und Krieg zurück in die geschützten Berichterstattungbiotope der Krankenkassen. Illegales Glücksspiel wurde legal und ist seitdem mit Warnhinweisen versehen. Draußen im Grünen, wo sie sich treffen, um ihre Handys anzuschauen, sich neue Jugendworte auszudenken oder zu chillen, raucht nichts, es trinkt Wasser, fährt Fahrrad mit Helm und hört die Musik der Großeltern. Was für ein trauriges Schicksal, heute jung zu sein.

Aufstand der Popup-Zelte

Über eigene Musik, gar eigene Musikstile, verfügen Jüngere auch nicht: Auf den großen Festivals jubeln sie den Stars ihrer Eltern zu. Haben einstige Rebellen gegen das verhasste kapitalistische System wie die Toten Hosen, Udo Lindenberg, die Ärzte, die Rolling Stones, Green Day und The Offspring ihre formativen Jahre in Drogenrausch und Entgrenzung überlebt, füllen sie heute Stadien voller junger Menschen, deren Vorstellung von Unangepasstheit darin besteht, das für die Übernachtung auf dem Festival eigens angeschaffte Popup-Zelt bei der Abreise zurück ins zivile Leben unabgebaut zurückzulassen.

Der Sound einer Generation, die zumindest verbal auf alles verzichtet, was früheren Kohorten im gleichen Alter essentiell schien, um sich abzuheben von der Bürgerlichkeit der Alten, klingt aus den Gruften der 70er, 80er und 90er, die Boxen sind kleiner geworden, der Horizont ist enger. Das politische Lied zur Zeit ist ein Klagegesang, der "Ohne Benzin" heißt oder das Unvorstellbare beschwört "Dich im Flieger"! Fleisch essen. Einen neuen Oldie in einer Netflix-Serie entdecken. Der Abba-Film. Der Elvis-Film. Der Queen-Film. Das Land früher scheint wunderschön gewesen sein.

Elektroroller statt Mantamanta

Sie fahren Elektroroller und Lastenrad statt Motorrad oder Mantamanta. Sie studieren, sie lassen es ruhig angehen, sie müssen sich erst finden. Sie absolvieren ein soziales Jahr, engagieren sich bei Fridays for Future und Greenpeace und in der Seenotrettung. Sie kleben sich mit aus Erdöl hergestelltenauf Straßen fest und lassen nicht locker, bis sie ein "Machtwort" (Letzte Generation) des Kanzlernden erzwungen haben. Basta! So geht Demokratie im Ausnahmezustand. Sie haben ja noch so viele und so große Pläne. Vielleicht irgendwo in die Verwaltung gehen, vielleicht doch Kinder, wenn der Kanzler verbindlich verspricht, dass die nicht eines Tages mit "neuem Nordseeöl" (LG) aufwachsen müssen.

Keiner gibt Gas, niemand will Spaß. Was kommt, wird karg, doch ihnen wird es an nichts fehlen, auf das nicht heute sowieso schon verzichten, wenn sie offiziell gefragt werden. In der Pandemie mit ihren Bewegungsverboten wurden vielerorts Vorräte auf die Hüften gelegt, mancher hat sich aus gründen der Klimaangst eine Depression zugelegt, falls er nach dem Stand der Dinge gefragt werden sollte. Selfishness ist der letzte Schrei. Wie konnten die Alten, die ein vom größten Krieg aller Zeiten zerstörtes Land übernahmen, uns die Welt nur in einem Zustand hinterlassen, dass der Nachwuchs angesichts des überbordenden Wohlstandes heute keine andere Chance mehr hat, als sich entweder irgendwo auf eine Straße zu kleben oder seine Zukunft einzuklagen?

Kinderschweiß und blutige Baumwolle

Die Zeiger stehen auf Verzicht, auf Entsagung und second hand. Alte Musik, alte Klamotten, in Bangladesh und Myanmardemfrüherenburma aus Kinderschweiß und blutiger Baumwolle hergestellt in den Jahren, als das das Lieferkettengesetz noch nicht galt.   regelmäßige Alkoholkonsum bei Jugendlichen ist auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen gesunken, es herrscht Helmpflicht auf dem Rad und Badenudeln mahnen zu Rücksichtnahme und Abstandhalten.

Mens sana in corpore sano, man will den endgültigen Zusammenbruch ja schon gern noch miterleben. Bis dahin  trägt man Büßergewand aus zweiter Modeschöpfer-Hand als letzten Schrei, zeigt Kurven, weil sie einfach auch okay sind, und beklagt, dass der Staat auch da viel mehr machen müsse. Schließlich sollen alle eines Tages gesund sterben können. Gespielt wird dann "Fix You" von der 1996 gegründeten Band Coldplay. "When you try your best, but you don't succeed" heißt es da, und "when you get what you want, but not what you need", dann ist das gar nicht schlimm, denn jemand wird versuchen, das alles zu reparieren. Mit Sekundenkleber vermutlich.


Sonntag, 26. Juni 2022

Bidens Spickzettel: DU, der Führer der freien Welt

Nicht viel falschmachen: US-Präsident Joe Biden führt die freie Welt, indem er seine Anweisungen punktgenau abarbeitet.

Sie haben IHM alles ganz genau aufgeschrieben. Reinkommen, grüßen, hinsetzen, reden, fragen, danken, gehen. US-Präsident Joe Biden ist der derzeit mächtigste Mann der Erde und als Führer der freien Welt kann er das: Statt sich selbst aufwendig Gedanken darum zu machen, was er zuerst tun könnte, wenn er den Roosevelt-Raum im Weißen Haus betritt, hat er seine Leute dafür. 

DU Führer der freien Welt

DU sagst hallo zu denn Teilnehmern", hat der Stab des POTUS seinem Chef aufgeschrieben, womöglich sogar auf der legendären Führerschreibmaschine mit den übergroßen Buchstaben, denn das "DU" ist auf Bidens Ablaufzettel immer in Versalien gesetzt, damit der Präsident sich selbst angesprochen fühlen muss, obwohl er als Mann mit dem "Baseball" genannten größten Atomkoffer der Menschheit selbstverständlich alles recht hätte, auch jeden anderen meinen zu dürfen.

Biden kann, wenn er will. Und wenn er will, kann er seine Handreichung sogar falschherum halten, so dass vielleicht erstmals in der Geschichte des westlichen Bündnisses nicht nur alle anderen Staatenlenker aus G7, Nato und EU, sondern auch alle einfachen Bürgerinnen und Bürger vor ihren Heimcomputern und Tablets genau soviel wissen wie der amerikanische Präsident. "DU stellst Liz Shuler eine Frage", aber Achtung: "Liz ist nur zugeschaltet".

Auf der Jagd nach einem Unsichtbaren

Joe Biden vermeidet so, noch einmal einem Unsichtbaren die Hand zu schütteln. Und seine Wählerinnen und Wähler, aber auch die vielen Millionen Menschen im alten Europa.die sich von Onkel Joe nach seinem überstandenen Fahrradsturz eine Versöhnung aller Amerikaner wünschen würden, müssen nicht mehr dem Kopf schütteln über so viel Freundlichkeit in den grimmen Zeiten eines Krieges, in denen sich gerade in Deutschland viele frühere Friedensfreunde nach einem oberbefehlshabenden Kriegsherren sehnen. 

Es sollte jemand sein, der wie Helmut Schmidt vor 60 Jahren bei der großen Hamburger Sturmflut auf den Tisch haut, auf Recht und Gesetz pfeift und einfach tut, was zu tun ist, um den Krieg zu gewinnen, ohne lange zu fragen. Joe Biden ist genau dieser Mann,  wie die knappen Sätze seiner Agenda beweisen. Kein Gramm Fett zu viel, kein großes Herumgerede, keine Diplomatie oder Schmeichelei. Der Anweisungszettel für sein Treffen mit Medien und Gewerkschaftern zeigt den US-Präsidenten von seiner sympathischen Seite: Ein Mensch im Dienst eines Amtes, das mehr ist als die Summe seiner Zettel, Basebälle und blauen Maßanzüge.


Die Dusch-Taliban: Nicht nur sauber, sondern rein

Wer duscht, hilft dem Russen, Deutschland in Unmündigkeit zu halten. Nur ein Umstieg auf den guten alten Waschlappen führt zu spürbaren Einsparungen von Erdgas.

Die Lieferketten beschädigt, die Europäische Zentralbank paralysiert, Krieg im Osten und Uneinigkeit im Westen, Widerstand gegen harte und entschiedene Sanktionen sogar im Süden, obwohl die das einzige Mittel sind, mit dem die Demokratien der Welt den russischen Aggressor in die Knie zwingen können. Es kämen nun "drei, vier, vielleicht fünf Jahre der Knappheit" auf die Deutschen zu, hat Bundesfinanzminister Christian Lindner angekündigt, obwohl das Teile der Bevölkerung verunsichern könnte. Doch Transparenz und Offenheit, sie sind das letzte Mittel in Zeiten der Beschwernis, klare Worte und deutliche Botschaften müssen helfen, wo der Staat nicht mehr alle und jeden retten kann. Und schon gar nicht die, "die ein sehr hohes Einkommen haben", wie Sozialminister Hubertus Heil sehr deutlich gemacht hat.

Sparen in der Not

Es gilt, durchzuhalten, bis 2030 alle Ausstiegsziele bei der Energieerzeugung erreicht sind. Es gilt, zu sparen in der Not, denn da hat man Zeit, wie ein altes tschechisches Sprichwort empfiehlt. Bundesklimawirtschaftsminister Robert Habeck hat dazu vielerlei Anregungen gegeben: Gas, was heute nicht verbraucht wird, kann später zu noch höheren Preisen erworben werden. Wasser, das nicht vergossen wird, hilft gegen die Dürre. Ein neuer Margening-Rettungsschirm bekämpft mit 100 Milliarden die Inflation. Eine Absenkung der Mindesttemperatur in Wohnungen, überwacht und geregelt durch fernwartbare neue digitale Thermostate, würde vielen Menschen auch gerade im aktuellen Klimasommer helfen.

Doch nicht überall ist die Einsicht schon da, dass es einer kollektiven Anstrengung bedarf, an der Energiefront die Stellung zu halten. "Focus"-Gründer Helmut Markwort hat sich offen gegen die Regierungsappelle gestellt. Trotz der Mahnungen des "Aktualitätsphilosophen Robert Habeck" habe er ausgiebig geduscht, teilte Markwort mit. Er empfinde darüber auch keine Duschscham. In dieselbe Kerbe schlug Klaus Müller, als Chef der Bundesnetzagentur oberster Gasmangelverwalter und erste Gerichtsinstanz der kommenden Energietriage. Ob man tatsächlich sieben Mal die Woche duschen müsse, das sei eine Frage, die man sich im Ernstfall "noch einmal stellen müsse". 

Robert Habecks falscher Rat

 

Selbst Robert Habeck versagte beim Versuch, die Deutschen und ihre Gäste zur Sparsamkeit anzuhalten. Er habe in seinem Leben "noch nie fünf Minuten lang geduscht", offenbarte der beliebteste Politiker Deutschlands in einem Satz von typisch habeckscher Tiefe, der offen lässt, ob Habeck die Dauer aller Duschen seines Lebens gestoppt hat, Buch über sie führt oder sich an jede einzelne auch so genau erinnert. Oder ob "noch nie fünf Minuten geduscht" bedeutet, dass er zwar schon vier Minuten und 59 Sekunden und sechs, sieben und 70 Minuten unter der Dusche stand. Aber eben noch niemals genau fünf Minuten.

Für den sächsischen Energieausstiegsexperten Herbert Haase ist das aber auch gar nicht die Frage. Prinzipiell leiteten Robert Habeck, Klaus Müller aber auch die freiwilligen Fußsoldaten der Duschzeitverkürzungsdebatte "unsere Menschen in eine völlig falsche Richtung", so der Biophysiker, der am Climate Watch-Institut (CLW) forscht, das unter Kanzlerin Angela Merkel im Rahmen der Bundesbehördenansiedlungsoffensive zur Minderung von Härten im Osten in Grimma angesiedelt worden war. 

Ohne an künftige Generationen zu denken

Nicht nur in Deutschland, sondern in sämtlichen Hochzivilisationen des Abendlandes lasse sich ein großer Teil des täglichen Energieverbrauchs auf die Körperhygiene zurückführen, so Haase. Da werde gebadet, ohne an künftige Generationen zu denken, obwohl eine Badewanne 150 bis 180 Liter Wasser verschlinge. Oder werde wie von Robert Habeck und Klaus Müller behauptet, dass Duschen eine ökologisch und energetisch vorbildliche Alternative darstelle, weil dabei nur rund 15 Liter pro Minute in den Ausguß fließen.

Duschforscher Haase ist über solche grundfalschen Ratschläge enttäuscht, aber auch ein wenig empört, wie er betont. "Selbst wer beim Einseifen das Wasser abstellt und so angeblich weitere 30 Prozent einspart, verbraucht weiterhin 70 Prozent zu einem Zweck, den es nicht braucht", sagt er. Auch die Verwendung sogenannter sparsamerer Duschköpfe, das von Habeck propagierte kürzere Duschen oder Müllers Anregung, nicht mehr täglich zu duschen weist Herbert Haase entschieden zurück. "Die Dusche verbraucht, zusammen mit der Badewanne, in einem Haushalt das meiste Wasser", haben er und seine Kolleg*innen ausgerechnet, "hier konsequent zu sparen, bedeutet, diese energieverschlingende Praxis einzustellen, die nachweislich keinerlei Nutzen hat."

Duschsucht wie Drogensucht

Nicht nur, dass ein geduschter Mensch schnell wieder schmutzig werde, so dass er vergleichbar einem Drogensüchtigen das Bedürfnis entwickle, erneut zu duschen. "Egal ob beim Baden oder Duschen, jedes Mal werden durch das Wasser Bakterien von der Haut gespült", sagt Haase und verweist auf mehr als 10.000 Bakterienarten, die sich auf gesunder Haut tummeln. Jede Dusche tötet Millionen von ihnen, schwächt die menschliche Hautflora und öffnet die Tür für gefährliche Krankheitserreger. "Das ist ein hoher Preis, den Duscher bei hohen Gaspreisen zahlen."

Mit neutralisiertem Säurefilm auf der Haut und hohen Rechnungen für die verbrauchten Kontingente Russengas müssen auch Kurzduscher wie Robert Habeck rechnen. Dabei benötigt das größte Organ des menschlichen Körpers eine derartige äußere Reinigung eigentlich nicht. Herbert Haase, der auch Dermatologie und Osmose lehrt, verweist auf jahrtausendelange Erfahrungen: "Für eine gute Körperhygiene und eine geschmeidige Haut sorgt der Körper selbst". Um zivilisatorisch unerwünschte Gerüche zu vermeiden, reiche es aus, auf die bewährten Strategien früherer Generationen zurückzugreifen, die noch im Einklang mit der Natur gelebt hätten. "Damals wurden die Zonen mit der jeweils höchsten Dichte an Schweißdrüsen und Bakterien mit einem sogenannten Waschlappen ausgewischt." 

Klimakritische Zivilisationspraxis

Eine Zivilisationspraxis, die durch die aus den USA kommende Erfindung der Dusche verlorengegangen sei. "Dusch-Taliban", nennt Haase die Täglichduscher, die danach strebten, nicht nur moralisch sauber, sondern auch körperlich absolut rein durchs Leben zu gehen. "Viele Haushalte heute besitzen nicht einmal mehr Waschlappen, viele junge Menschen haben noch nie von ihnen gehört", klagt Haase. Dabei sei nachgewiesen, dass das Abwischen von Achselhöhlen, Händen, Füßen und des Intimbereiches mit einem wiederverwendbaren Lappen im Vergleich zum Duschen 14,7 Liter Wasser spare, das damit auch nicht teuer und auf Kosten des Klimas erwärmt werden müsse.

Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Gesellschaft für osmotische Dermatologie (GOD) ist könne er Befürchtungen beruhigen, dass es dadurch zu Langfristschäden komme. "Unter hygienischen Gesichtspunkten ist es völlig in Ordnung, sich überhaupt nicht extern zu reinigen", sagt Haase, "denn ein gesunder Körper erledigt das von selbst, wenn man ihm zwei, drei Monate Zeit zur Umstellung lässt." Nur die schwitzenden Körperstellen gezielt mit einem Waschlappen abzuwischen, sei aber ein guter Kompromiss, um Erdgas zu sparen.

Rückkehr zum Waschlappen gegen Putin

In der Auseinandersetzung mit Russland zähle jeder einzelne Waschlappen: "Durchschnittlich werden beim Duschen etwa zwölf bis 15 Liter Wasser pro Minute verbraucht, um das Wasser zu erwärmen, benötigt allein Deutschland 200 Milliarden Kilowattstunden Energie am Tag." Hier gelte es anzusetzen und einen Schlussstrich zu ziehen. "Nicht kürzer Duschen ist das Gebot der Stunde, sondern ein schneller Duschausstieg."

Samstag, 25. Juni 2022

Zitate zur Zeit: Energie als Waffe

Es muss nicht immer ein Rohr sein, das in die Luft schießt: Deutschland plante eigentlich, Energiewaffen anzuwenden.

Energie kann als Waffe dienen, man kann über Energie erpressbar werden, oder man kann versuchen, mehr Energie-Unabhängigkeit zu gewinnen, um politisch unabhängiger zu werden. 

Robert Habeck kündigt am 27. September 2016 an, wie künftige Kriege geführt werden sollen

Documenta-Skandal: So reagieren Bergbauern in Peru

Mehr Vorkontrolle, damit die künstlerische Freiheit grenzenlos bleiben kann: Bergbauern in Peru sind entsetzt über die Vorgänge in Kassel.

Ich gebe zu, dass wir das alles am Anfang nicht ernst genommen haben. bei uns hier ist die Spargelerntezeit gerade vorüber, das heißt, es geht für uns gleich beim Kaffee weiter. Natürlich wissen wir im Dorf alle, dass die Documenta Fifteen ihre Pforten geöffnet hat, Kassel, das ist hier bei uns in Chinchero ein Name mit großem Klang! 

Oft stehen wir abends nach getaner Arbeit vor unseren Hütten, wenn wir wieder einen Tag auf unseren kleinen Handtuchfeldern überlebt haben, kleinen Flächen von bis zu 300 Quadratmetern, die sich an Steilhängen entlang winden, mit einem Neigungswinkel, der so steil ist, dass man sich beim Ackern oder Ernten gegen den Berg neigen muss, um nicht die 3.500 Meter tief bis auf Meeresspiegelniveau zu stürzen. Ja, und dann sprechen wir darüber, was diese namhafte Schau wohl in diesem Jahr bieten wird. Mehr Gegenständliches? Verrückte Installationen?  

Spannend wie immer

Die Fifteen war ja schon vorher total spannend. Wie gewohnt eine alles andere als die sonst gewohnte Ausstellung unserer zeitgenössischen, habe ich zu meinem Nachbarn Josè gesagt. Er nickte, meinte aber, durch den ganzen Mut und die Ungewöhnlichkeit fehle der documenta diesmal auf den ersten Blick  die visuelle Anziehungskraft. Kaum große Ölschinken, dafür viele Kinderzeichnungen, keine phallischen Symbole, keine aufsehenerregenden Signale in Form tabuloser Tabuverstöße. Dass das große Kunstland Deutschland einen kleinen grünen Pavillon bereitgestellt hat, um echte Aborigine-Malerei zu zeigen, fanden wir im Dorf alle gut. Aktivismus, wie er aus urbanen Zentren der westlichen Welt kommt, ist ja auch für uns ein Vorbild, auch wenn die Kunst, die diesem Signalismus entspringt, mich oft an die Krakelei von Kindern erinnert.

Meine Frau Aleecia schimpft mich dann immer. Kunst komme nicht vom Substantiv "Können", sondern sei vielmehr ein Substantivabstraktum zum Verbum können mit der Bedeutung, etwas tun zu können, egal, wie gut man es beherrscht. Aleecia fand gleich, dass sich das Konzept der gemeinschaftlichen Teilhabe, wie es die Künstler vom Kollektiv Ruangrupa aus Indonesien vorleben, am eindrucksvollsten dort vermittelt, wo verschiedene Künstlergruppen gemeinsam mit emsigen Medienarbeitern, Nutzern sozialer Netzwerke und engagierten Politikerinnen ohne Abtrennung an einem Werkstück arbeiten.

Lumbung kannten wir gar nicht

Natürlich wissen wir hier in Peru, dass das grundlegende Prinzip der documenta fifteen 'Lumbung' heißt, eine Praxis aus dem schönen Indonesien, deren Name sich von dem einer Reisscheune ableitet, in die die Überschüsse einer Reisernte eines Dorfes gebracht werden, damit sich dort dann jeder nehmen kann, was er braucht. Das Dorf als uneigennützige Gemeinschaft, edle Wilde, die keinen Egoismus kennen. Das haben sich die Künstlernden so wunderbar ausgedacht, dass  selbst wir hier in Peru einen Moment lang daran geglaubt haben, dass es das wirklich geben könnte. Dabei haben wir hier selbst Erntehelfer, Landpächter, Landbesitzer und Landlose und natürlich wird die Ernte nicht einfach durch alle geteilt. Wo kämen wir denn da hin?

Dass das Motto "Make friends, not art", das diese Documenta so ungewöhnlich machen sollte wie ihre Vorgänger, aber nur Tarnung war für ein perfides Manöver, das Deutschlands Ruf in der ganzen Welt, sein Ansehen und sein Renommè so nachhaltig beschädigt, das hätten wir alle nicht gedacht. Ich nehme mich da nicht aus, ich sehe mich da vielmehr nahe bei Walter Steinmeier, der wohl auch überrascht und entsetzt zugleich war ob des ungeheuerlichen Skandals, der wahre Schockwellen um die Erde schickte. Von Kulturstaatsministerin Claudia Roth aber sind wir Bäuerinnen und Bauern hier im Dorf wirklich enttäuscht. So eine kluge Frau, die selbst schon in Filmen mitgespielt und eine Rockband als Managerin betreut hat! 

Warum denn keine Vorkontrolle?

Ich persönlich finde, dass sie sich durch ihren Umgang mit dem umstrittenen Werk auf der Documenta disqualifiziert hat. Dass es trotz aller Warnungen und Bitten keine Vorkontrolle der auszustellenden Bilder gab, können wir Peruaner nicht verstehen, und ich glaube, ich spreche da auch für unsere Nachbarn in den anderen südamerikanischen Ländern. Hätte man nicht Menschen, die sich mit der Decodierung solcher Machwerke auskennen, in die Ausstellungsplanung einbinden könne? Ja, müssen?

Natürlich findet eine Zensur nicht statt, das ist richtig und es ist auch gut, dass Kunst alles darf. Aber man darf nicht vergesse, was sich das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi, das ich selbst vorher nicht kannte, da geleistet hat, lässt eine Nähe der diesjährigen documenta zur Israel-Boykott- Bewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) nicht nur vermuten. So gut wir hier in Chinchero das Signal fanden, dass das selbstbezogene Künstlergenie ausgedient hat und jetzt die weltverbessernde Kraft von Kollektiven zum Tragen kommt, so konsterniert sind wir nun. Nicht nur Deutschland steht doch weltweit blamiert da, sondern auch gesellschaftliche Initiativen und soziale Projekte vor allem aus dem Globalen Süden.

Peru ist für Konsequenzen

Um personelle Konsequenzen führt aus unserer Sicht, und da spreche ich ausdrücklich auch für meine Nachbarn, die Familie und Leute aus dem Nachbardorf, kein Weg vorbei. Wer da nun wird gehen müssen, muss sich zeigen, es ist bestimmt nicht unsere Sache, das von hier aus zu bestimmen. Aber zumindest für Peru, soweit es mein Dorf betrifft, kann ich es nicht anders sagen: Deutschlands Ansehen in der Welt habe durch diesen Vorfall bereits Schaden genommen.da muss nun schnell gehandelt werden!