Samstag, 30. April 2022

Nancy Faeser: Feigheit unterm Regenbogen

Für die deutschen Innenministerin Nancy Faeser weiterhin unwürdig, der altüberkommenen Bundesflagge gleichgestellt zu werden: Die Regenbogenfahne.

Ein starkes Zeichen gegen den Krieg, gegen verweigerte Schwerewaffenlieferugen und die Uneinigkeit des Westens bei der Sicherung von gemeinsamen Einkaufskontingenten an Freiheitsgas in der arabischen Welt sollte sie sein, die die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser nach langem Drängen zivilgesellschaftlicher Gruppen erteilte Bundesgeneralerlaubnis zum Führen der Regenbogenflagge an Verwaltungsgebäuden. Beschränkt zwar noch auf bestimmte Feiertage, markierte die entsprechende Genehmigung doch eine echte Zeitenwende. Seit dem Inkrafttreten der durch den Bundespräsidenten am 7. Juni 1950 erlassenen „Anordnung über die deutschen Flaggen“ (FlaggAO) durften deutsche Bundesbehörden ausschließlich die Bundesdienstflagge hissen, bei sich bietenden Gelegenheiten ergänzt um die sogenannte Europaflagge, ein Amtssymbol, das nicht für die Mitgliedsstaaten der EU steht, sondern für alle behördlichen und parlamentarischen Institutionen der Europäischen Gemeinschaften übernommen.

Das dritte Rad am Wagen

Als dritte Flagge nun die Regenbogenfahne zu gestatten, unter der schon Thomas Müntzers elende Bauernhaufen in ihren verzweifelten Aufstand gegen Großkapital, kapitalistische Verwertungslogik und steigende Preise gezogen waren, zeugt vom Mut der Innenministerin, auch sehr alte Zöpfe abzuschneiden. Faeser, die den Kampf gegen den Nationalsozialismus, Skinheads und rechte Telegram-Gruppen in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit gerückt hat, lässt damit zu bestimmten Anlässen mehr Buntheit vor Bundesgebäuden zu. Damit macht die Sozialdemokratin Schluss mit einer "völlig überkommenen bisherige Praxis" (Faeser). Nun sei es endlich möglich, so das Ministerium, dass "die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen ein Ende hat".

Seit 1525 bereits gilt die Regenbogenflagge als ganz starkes Symbol der Hoffnung. Der radikalisierte Prediger Müntzer führte seinen bewaffneten Kampf unter den Farben des Tuschkastens: „Dran, dran, dieweil das Feuer heiss ist. Lasset euer Schwert nit kalt werden", forderte er seine Getreuen zur Solidarität mit allen, die immer noch Ausgrenzung erleben müssen. Seitdem wurde die ursprüngliche  Regenbogenflagge um weitere Farben ergänzt, um weitere Minderheiten zu berücksichtigen: Schwarz und Braun kamen zuletzt dazu, um die Diskriminierung der von diesen beiden Farbtönen repräsentierten Gruppen zu beenden. 

Feiger Faeser-Erlass

So schnell aber schließen auch die neuen Preußen nicht ab mit altbackenen Traditionen. Nach dem Faeser-Erlass, der die FlaggAO von 1950 ergänzt und erweitert, gilt als deutsche Regenbogenflagge die international bereits hinfällige Variante mit den nur sechs Farben, einem geradezu irrwitzig winzigen Ausschnitt als dem verfügbaren Spektrum von 16 Millionen Tönen. Begrenzt bleibt die Zeigemöglichkeit der selbst aus Sicht der subtraktiven Farbmischung ärmlichen Auswahlfahne zudem laut Ministerium auf einschlägige konkrete Termin wie den "Christopher Street Day" (CSD) oder  Veranstaltungen wie die "Pride Week", dann als sogenannte "Ausnahme an allgemeinen Beflaggungstagen". 

An den großen Beflaggungstagen darf die Flagge demnach ausdrücklich weiterhin nicht gleichberechtigt zur Bundesdienstflagge und der Europaflagge gesetzt werden. Ebenso muss der Bundespräsident an seinem Dienstfahrzeug auf einen zusätzlichen Regenbogen-Stander verzichten.

Gut gemeint, schlecht gemacht

Das gut gemeinte Zeichen aus der Berlin, dazu gedacht, auch ohne die Lieferung von schweren Waffen in die Ukraine deutlich zu machen, auf welcher Seite der neutrale Staat steht, verpufft damit nach Ansicht von Kritikern nahezu wirkungslos. Statt die Regenbogenflagge mit demselben Verfassungsrang auszustatten, auf den sich die Bundesflagge heute bereits berufen kann, habe Faeser eine Kann-Bestimmung erlassen, die die Beflaggung öffentlicher Gebäude mit der Regenbogenflagge in Kombination mit der Bundesflagge ins Gutdünken unterer Verwaltungen stelle.Ein Flickenteppich an Flaggen droht statt einer einheitlichen bunten Lösung.

Die Begründung, man müsse so handeln, "um die Akzeptanz staatlicher Symbole in der Bevölkerung zu erhalten", zeige nicht etwa wie Nacy Faeser behaupte "ein modernes und vielfältiges Land", sondern einen Staat, der sich weiterhin schwertue damit, alle Flaggen gleich zu behandeln und Diversität beim feierlichen Schmücken seiner Ämter und Institutionen zuzulassen.

Bundeswehr braucht mehr: Das Soldat:innen-Rätsel der Trümmertruppe

Zu wenige Frauen unter den Soldat:innen, das ist eines der großen Probleme der Bundeswehr..


Jetzt kommt alles auf den Tisch, schonungslos, fast schon grausam. Die SPD als Fünfte Kolonne der Russen, die Altkanzlerin als Handlangerin Putins, Gerhard Schröder ein Kriegsverbrecher. Und die Bundeswehr eine einzige Trümmertruppe, nicht nur "blank", wie es noch kurz vor dem Krieg hieß, sondern teuer und ein Geburtsort mysteriöser Zahlen.

So stellte sich nun heraus, dass nur ein Drittel der 30 Exemplare des noch keine zehn Jahre alten Transportflugzeugs A440M einsatzbereit sind und weniger als beim uralten Vorgängerflugzeug Transall am Ende noch in der Luft zu halten war. Von den 109 Kampfjets der Bundeswehr nur 42 im Ernstfall starten könnten und 200 der 350 Schützenpanzer Puma, über die die Reste des Heeres verfügen. Einsatzbereit seien, so rechnete Verteidigungsministerin Christine Lambrecht im Bundestag vor, nur 150.

Truppe in Trümmern

Eine ganze Menge sogar, verglichen mit dem Zustand der Kampfhubschrauber-Flotte. Von 51 Maschinen Typ "Tiger" sind im Augenblick neun flugfähig. Auch bei der Bundesmarine gelten weniger  30 Prozent der Kriegsschiffe als bedenkenlos einsetzbar. Noch schlimmer sieht es nach den Aussagen der Ministerin sogar bei Offizieren und Mannschaften aus. 

Nur knapp 12 Prozent der Soldat:innen sind Frauen", zitiert der Nachrichtensender Phoenix die prekäre Situation. Die Bundeswehr verfehlt damit nicht nur ihr eigenes Ziel, einer Frauenanteils im Truppendienst von 15 Prozent. Sondern mit 88 Prozent Soldat:innen, die keine Frauen sind, liegt der Anteil weiblicher Diensttuender offenbar auch immer noch weit unter dem in den Führungsetagen der DAX-Unternehmen.

Zu wenige Frauen unter den Soldat:innen

Viel zu wenig, wie auch Christine Lambrecht angeführt hat. Vielfalt ist Mehrwert, mehr Frauen unter den Soldat:innen erhöhen darüberhinaus aber augenscheinlich auch die Kampfkraft und sie senken zudem die Kosten, wie ein Blick nach Israel zeigt. In der IDF dienen gegenwärtig etwas mehr als 40 Prozent Frauen, der Großteil bei den Bodentruppen. Dennoch gelingt es den etwa 175.000 Offiziere und Mannschaften starken Israel Defense Forces, mit einem Jahresetat von nur knapp 20 Milliarden Euro ein ganzes Land zu Lande, zu Wasser und in der Luft zu verteidigen. 

Unter anderem unterhalten die israelischen Streitkräfte mit dieser Summe nur 20 Flugzeuge weniger als Deutschland, aber 100 Kampfflugzeuge mehr, 1.900 Panzer statt wie Deutschland 266, 8.000 statt 9.000 gepanzerter Fahrzeuge, 650 statt 120 mobiler Haubitzen, 300 statt 0 traditioneller Anhängergeschütze, 48 statt 38 Raketenwerfer und auf See mit 67 Kriegsschiffen nur 13 weniger als Deutschland, das sich seine kaum größeren und in der Praxis weit weniger kampfstarken Streitkräfte mehr als das Doppelte kosten lässt.

Mehr Frauen, mehr Panzer

Sind es die Männer, die die deutschen Verteidigungskosten seit Jahren nach oben treiben? Der höhere Frauenanteil unter den israelischen "Soldat:innen" (Phoenix) bei gleichzeitig besserer Materialausstattung, geringeren Kosten und höherer Kampfkraft legt es nahe. Für das halbe Geld könnte die Bundeswehr fast achtmal so viele fahrbereite Panzer haben, fünfmal so viele gepanzerte mobile Haubitzen und sogar ausreichend Munitionsvorräte, um im Ernstfall auch schießen zu können. Es hängt nur an den Frauen, die unter den Soldat:innen fehlen, denn Frauen sind Vielfalt und "Vielfalt ist Mehrwert", wie Christine Lambrecht inzwischen erkannt hat.

Freitag, 29. April 2022

Halbe Million pro Muschik: Ausstiegsprämie statt Aufrüstung

Der Think Tank Gesellschaft für Friedenswaffen (GFF) sitzt seit mehr als 40 Jahren am Malchiner Platz des Friedens.

Ansgar Heiko Lehmann sagt es von sich selbst. Er sei ein Friedensbewegter, behauptet der Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft für Friedenswaffen (GFF) in Malchin, der sich seit mehr als 40 Jahren um die Verbesserung der Beziehungen zwischen Menschen, Völkern und Staaten bemüht. Heute ist Lehmann 62 Jahre alt und er steht vor den Trümmern seiner Träume von einer Welt im ewigen Frieden, in der die Schafe bei den Lämmern liegen und die Wölfe überzeugt worden sind, sich wie Pudel zu verhalten. "Haben wir uns wirklich so geirrt", fragt er sich in diesen Tagen oft - und immer öfter kommt er zum Ergebnis, dass es so nicht gewesen sein kann.

Vernunft statt Knarren

Nur weil die ganze Welt jetzt im Krieg das Mittel sieht, das Frieden schafft, müssen wir wenigen verbliebenen Vernünftigen dem nicht folgen", betont Lehmann, ein großgewachsender, aber gebückt gehender Mann, der in einem früheren Leben Bäcker gelernt hatte, dann aber im Zuge der großen Nachrüstungsdiskussion in der alten Bundesrepublik in die Friedensbewegung abrutschte. Und schließlich dort blieb. "Ich habe mich zu Hause gefühlt unter den Menschen, wir glaubten ans gleiche Ziel und kannten alle unsere Verantwortung." Als die Mauer in Berlin fiel, der Osten zerbrach und die Sowjeunion kapitulierte, war sich Ansgar Lehmann kurz sicher, dass er am Ziel seines Lebens angekommen war. 

Immer neue Krisenherde

Dann aber seien all die anderen Krisenherde gekommen, Irak, Iran, Afghanstan, Sachsen. "Mir war irgendwann klar, dass wir weitermachen müssen." Bisher mit gutem Erfolg, wie Lehmann glaubte. Es habe doch Konsens geherrscht in der Gesellschaft, dass nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen dürfe, nie wieder Waffen in Krisengebiete geliefert werden dürften und Deutschlands Rolle in der Welt die eines Moderators sei. Deutsche Soldaten waren ausgebildet als Greenkeeper mit Pistolen, die Brunnen bohrten und von Franzosen geschützt werden mussten, wenn sie dorthin kamen, wo die Waffen sprachen.

Das hat doch gezeigt, wie weit wir schon gekommen waren. Lehmann ist stolz darauf gewesen - und nun umso entsetzter, wie der große Konsens, wie er es nennt, binnen Wochen zerbrach. Auf einmal werde nach Schwerenwaffen gerufen , auf einmal schäme sich Deutschland, keine gigantischen Munitionsvorräte zu besitzen, keine Flugzeugträger und Panzerarmeen. Dabei, so sehe er das, könne es nicht die Aufgabe des Staates, der zwei Weltkriege ausgelöst habe, sein, auch den dritten voranzutreiben. "Wir müssen schauen, dass wir mir pfiffigen Ideen dafür sorgen, dass der Krieg beendet wird."

Milliarden für russische Soldaten

Eine hat Lehmanns Think Tank bereits ausgearbeitet, ein smarter Plan, der Bei US-Präsident Joe Bidens Antrag ansetzt, im Kongress zusätzliche 33 Milliarden Dollar (rund 31 Milliarden Euro) zur Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland loszueisen. Biden plant damit eigentlich, 20,4 Milliarden Dollar davon für Militär- und Sicherheitshilfen auszugeben, als Waffen und Munition für den ukrainischen Kampf bei US-Unternehmen zu kaufen, wie er in einer Ansprache ankündigte. Das sei "nicht billig", räumte der US-Präsident ein, werde aber die US-Konjunktur stützen. "Vor Aggression zu kapitulieren, wäre teurer.""

Ansgar Lehmann dagegen ist anderer Meinung. Der Fehler liege in der Verengung der Frage auf Kämpfen oder Nichtkämpfen. "Doch wer 33 Milliarden Dollar lockermacht, sollte doch sehen, dass er mit dem vielen Geld auch etwas erreicht." Seine Gesellschaft für Friedenswaffen in Malchin hat ausgehend von den Finanzplänen der USA ausgerechnet, wie das ukrainische Volk bei der Verteidigung seines Landes besser und zudem weitaus friedlicher unterstützt werden könnte. "Wir wollen auch nicht tatenlos zusehen, wie die Russen ihre Gräueltaten und ihre Aggression in der Ukraine fortsetzen", betont Lehmann, "aber zwischen mitkämpfen, Waffen liefern und das alles dulden gibt es noch andere Wege."

Beseitigung der Bedrohung

Die GFF sieht den wirksamsten darin, das vorhandene Geld direkt in die Beseitigung der Bedrohung zu stecken. "33 Milliarden sind eine Menge Geld, das kann sehr überzeugend eingesetzt werden", versichert er. Aufgeteilt auf die etwa 120.000 bis 140.000 von Russland eingesetzten Soldaten ergeben das pro Kopf eine Summe von 250.000 bis 275.000 Dollar. Fänden sich Nato-Verbündete und EU-Partner bereit, die Summe in gleicher Höhe aufzustocken, könnte jeder einzelne russische Soldat mit einer Summe von 500.000 Dollar aus dem Kriegseinsatz herausgekauft werden. "Und das müssen wir nicht einmal, schon die Hälfte oder auch nur ein Drittel würde Putin die Fortsetzung seiner Aggression unmöglich machen."

In der von Korruption zerfressen Russlands Armee mit ihrer niedrigen Kampfmoral und den demotivierten Muschiks käme ein solches Angebot zweifellos hervorragend an, sagt Lehmann und verweist auf den Durchschnittslohn eines russischen Gefreiten in Höhe von nicht einmal 500 Euro. Die Ausstiegsprämie entspreche einem Lebensgehalt einfacher russischer Muschiks, das mache sie so unwiderstehlich. Und für den Westen günstiger als die Finanzierung jahrelangen Munitions- und Waffennachschub für einen Abnutzungskrieg, den Stand heute keine Seite gewinnen wird.

Wir sollten uns doch erinnern, dass Handel und Geschäft, Kaufen und Verkaufen die Grundlage des westlichen Wohlstandes bildet, nicht der Kampf um Stahlwerke und Hafenstädte." Positiv am Plan der GFF sei zudem, dass Verhandlungen mit Russland oder eine Zusage Putins nicht benötigt würden. "Jeder einzelne Soldat kann sich selbst entscheiden, geht er von der Fahne, bekommt er sofort seine Ausstiegsprämie von einer halben Million Dollar." 

Steuerfrei Abwerbeprämie

Steuerfrei, so schlägt die GFF vor, nachdem die von der deutschen Regierung beschlossenen Kriegshilfen an die Bevölkerung harsch kritisiert worden waren, weil die Hälfte der Auszahlung direkt zurück ans Finanzministerium geht. Für das "unwiderstehliche Angebot" (Lehmann) an der Ostflanke sieht der Friedensvordenker einen schnelleren Erfolg als beim Ausgleich der Energielasten in Deutschland. 120.000 Soldaten habe Putin noch im Einsatz, sagt er, nähmen nur 50.000 das Ausstiegsprämie an, blieben russische Panzer liegen, Flugzeuge stehen, Raketenwerfer wären unbemannt und die Versorgung der Soldaten breche endgültig zusammen. "Wird unser Plan morgen von USA, EU und Nato beschlossen und am Sonntag verkündet, rechne ich mit einem Ende der Kampfhandlungen noch in der nächsten Woche."

Gepardensprung nach Odessa: Magischer Kompromiss

B 52 über Bayern.

S
ich der Mehrheit entgegenstellen,  die Zustimmung verweigern zu Dingen, die mit dem eigenen Gewissen nicht vereinbar sind, und den Sturm aushalten, der danach unweigerlich losbraust. Es kann so einfach sein, zur Legende zu werden, wenn erst die Geschichtsschreiber ihr Urteil sprechen: Karl Liebknecht, der 1914 verweigerte, die Hand für die Kriegskredite zu heben, wurde dadurch zu einem vaterlandslosen Gesellen. 

Sein Genosse Helmut Schmidt, der 65 Jahre später am Nato-Doppelbeschluss zur Aufrüstung Deutschlands mit modernen amerikanischen Mittelstreckenwaffen festhielt, verwandelte sich hingegen in den Augen der friedensbewegten Bevölkerung in einen kalten Krieger, dem der nächste Waffengang mit den Russen nicht schnell genug kommen konnte.

Kommando Schwere Geburt

Viel später erst wurde Liebknecht zur Lichtgestalt. Viel später erst, er hatte sein Kanzleramt schon längst verloren, wurde der immer und überall qualmende Schlot Schmidt zu einer Ikone derer, die immer gewusst hatten, dass Russen nur durch knallhartes Stellunghalten zu beeindrucken sind.

Saskia Esken, in der Nachfolge der beiden großen Männer aktuelle deutsche Arbeiterführende, wusste allerdings lange nicht, wem sie nun in der momentanen Debatte besser hinterhermarschieren sollte. Vor einer Woche noch kritisierte die SPD-Chefin im ZDF die Ankündigung der CDU/CSU-Opposition, im Bundestag namentlich über die Lieferung sogenannter "Schwererwaffen" (Annalena Baerbock) abstimmen zu lassen, die auch Grüne und FDP schon länger forderten. Die Liebknecht-SPD hat nun zwar einen Kanzler, der seine Kredite im Bundestag nur noch verkünden muss. Aber sie hat auch einen russophilen Block, der mit der Angst vor einem Atomkrieg um Zurückhaltung wirbt.

Zusammenhalt in Krisenzeiten

Regierung und Opposition sollten in Krisenzeiten zusammenhalten" forderte Esken deshalb die Rückkehr ins Hinterzimmer, wo man sich sicherlich quasi immer auf quantenphysikalische Kompromisse einigen kann. Schulden machen ohne Schulden zu machen, das aber bis übers Dach, die Bürgerinnen und Bürger "kräftig entlasten", ohne dass es jemand anderen etwas kostet als die Beglückten selbst, oder gemeinsame europäische Lösungen finden, die sich dann jedes einzelne Land selbst ausdenkt, all das ist hinter den Kulissen kein Problem.

Nur muss man die malade Gegnerschaft von der Union, die dem Kanzleramt noch immer hinterhertrauert und den innenpolitischen Streit sucht als gäbe es nicht Wichtigeres, erst mal davon überzeugen, dass sich die wirklich ernsten Dinge nicht für demonstrative Debatten eignen, sondern von den entscheidenden Frauen und Männern hinter verschlossenen Türen zu entscheiden sind.

Gepardensprung nach Kiew

Es brauchte diesmal ein wahres Zirkuskunststück, um die Reihen fest zu schließen. Hauptdarsteller: Der Flakpanzer "Gepard", vor zehn Jahren bei der Bundeswehr aussortiert und eingemottet. Der Reifen für alle, die guten Willens sind, guten Willen zu zeigen: Das rostige Tier, kaum mehr munitioniert und ohnehin eigentlich nur für die Flugabwehr über dem Schlachtfeld geeignet, springt vor aller Augen nach Osten wie 1911 das  Kanonenboots "Panther" nach Agadir. 

Der Bock fällt um. Der US-Präsident nickt. Der Ukrainer gibt endlich Ruhe. Und Deutschland, "das Muster politischer Rückständigkeit bis zum heutigen Tage", wie Liebknecht noch schimpfte, widerlegt die These des Mannes vom linksrevolutionären Flügel der deutschen Sozialdemokratie, dass Deutschland "keinen Beruf zum Völkerbefreier" habe. 

Hintertür aus dem Hinterzimmer

Nicht ob und nicht wie, sondern wer es jetzt gewesen ist, diese Frage bestimmte die Debatte im Hohen Haus. Das Abstimmung forderte dann demonstrativ die "Lieferung benötigter Ausrüstung an die Ukraine fortzusetzen und wo möglich zu beschleunigen und dabei auch die Lieferung auf schwere Waffen und komplexe Systeme etwa im Rahmen des Ringtausches zu erweitern". Für alle, die in der vergangenen Woche steckengeblieben sind, wurde im Hinterzimmer die Hintertür eingebaut, dass all diese Hilfe nun aber nicht die nach letzten Erkenntnissen der Verteidigungsministerin kaum mehr vorhandenen "Fähigkeiten Deutschlands zur Bündnisverteidigung" gefährden dürfe. 

Eine Hilfebremse für die Not. "Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland findet das gut", hat Saskia Esken nach einer Befragung aller Bürgerinnen und Bürger im Land gestern Nachmittag noch festgestellt.

Donnerstag, 28. April 2022

Hahn zu: Der letzte Tropfen Öl

Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will: Gemeinsam mit Wladimir Putin treiben die Aktivsten der Letzten Generation den fossilen Ausstieg voran. Illustration: Kümram, Muschel-Radierung auf Ölpapier.

Es fiel alles auf einen Tag. Der Russe drehte den Partner in Polen und Bulgarien den Ölhahn zu, die Klimakämpfer der letzten Generation griffen in Deutschland ein. "Wir haben die Räder zum Fluss des Erdöls zugedreht", verkündete ein Sprecher der Aufstandsbewegung. Zwar seien die Absperrventile an den Leitungen aus dem Osten eigentlich nur für den Notfall gedacht, eine Havarie, ein russischer Raketenangriff, ein Erdbeben in Brandenburg. Doch alle Räder stehen still, wenn das Klimakind es will.  

Alle Räder stehen still

Und dessen radikalisierte Ränder gehen noch weiter. Seit Bundeskanzler Olaf Scholz und die Grünen-Spitze den Hungerstreikenden aus der Splittergruppe von Fridays for Future eine Audienz gewährten, sehen sich "Christian & Wolli" (LG) und ihre Kampfgefährten nicht nur in ihrer Diagnose bestätigt, dass die Welt "mitten in einem Klimanotfall" ihrem unmittelbar bevorstehenden Ende entgegentreibt, sondern als Beifahrer des Regierungsschiffes auch berufen, immer mal wieder in den Lenker zu greifen.

Eben noch irgendwo auf der Autobahn kleben und nun schon mit Wladimir Putin gemeinsam Tempo beim "Ausstieg aus den Fossilen" (Ricarda Lang). Schneller als die "Letzte Generation" hat noch keine revolutionäre Bewegung ihre großen Ziele gewechselt. Den Kriegsausbruch im  Februar begingen die Aktivistinnen und Aktivisten noch mit aufsehenerregenden Tomatenwurf-Aktionen im Rahmen ihrer Aktion "Essen retten", die ein deutsches "Essenretten-Gesetz" (BuERG) zum Dreh- und Angelpunkt der weltweiten  Klimawende bestimmte.

Essenretten am Ende

Acht Wochen später soll es nun eine "Lebenserklärung" von Klimawirtschaftsminister Robert Habeck sein, die die Welt vor dem Verbrennen rettet. Habeck soll darin versprechen, dass die Bundesregierung "FÜR statt GEGEN unser Überleben arbeitet" und bereit ist, nach Kernkraft und Kohle aus Öl und Gas sofort und ersatzlos aufzugeben. 

Wir haben noch zwei bis drei Jahre, in denen wir den fossilen Pfad der Vernichtung noch verlassen können", haben die Aufständischen beim Internationalen Klimakomitee gelesen. Unabhängig davon, dass dieser Zeitrum sich seit sieben Monaten nicht verändert hat und das allen früheren Erfahrungen zufolge auch niemals tun wird, drängt die Zeit. Schon im Jahr 2007 tickte die Klimauhr ohrenbetäubend. Der damalige IPCC-Vorsitzende Rajendra Pachauri, eine ausnehmend schmierige Figur mit einem Hang zu Fernreisen und regelmäßigem Krikett-Training, mahnt seinerzeit schon zur Eile: "Wir haben nur noch bis 2015 Zeit", appellierte er an die Welt. Danach sei es zu spät wie immer und immer wieder.

Zu spät wie immer

Frühe Warnungen, die verhallt sind, weil stets etwas anderes war. Flüchtlingszustrom 1.0, Euro-Rettung, Kampf gegen rechts, Bundesliga-Videoschiedsrichter und dann auch noch die Pandemie. Erst der völkerrechtswidrige Krieg im Osten, bis heute weder von Russland an die Ukraine noch von der Ukraine an Russland offiziell erklärt, wie es sich früher noch gehört hat, brachte Bewegung in die Problemlage, die bis dahin durch die regelmäßige Ausrufung immer neuer, immer ehrgeizigerer und immer ferner in der Zukunft liegende "Klimaziele", "Klimapläne" und "Klimapakete" gemanaged worden war.

Auf einmal ist Betrieb, auf einmal ist die Ankündigungsbühne voller Blumen und neben dem polnischen Ministerpräsidenten wirken Klimakrieger wie Edmund Schultz aus Braunschweig geradezu gemäßigt. Schon hat Robert Habeck persönlich den Ausstieg aus russischem Öl für "in wenigen Tagen" angekündigt, schon naht der Moment, indem Deutschland auf Freiheits- und Menschenrechtsenergie aus fröhlichem Fracking und Blutprinzenanbau umsteigt. 

Gleich, sofort und unverzüglich

Hahn zu, na, klar, aber gleichsofortunverzüglich. Weg mit dem lulligen Hang zur Heizerei, mit dem Rumgefahre im Land und der Herstellung aller möglichen Dinge aus allen möglichen chemischen Grundstoffen. In der Tradition der großen Kreidewanderung der Klimakinder im Jahr 2020 sind Edmund Schultz und die Seinen samt ihrer Sonnenblumentöpfe zu Fuß aus Braunschweig an die Killer-Pipelines gewandert, um den Klimasündern im Lande vor dem letzten Tropfen Öl zu bewahren, der das Klimafass zum Überlaufen bringen würde.

Ein Opfergang mit Gummisack und Aluleiter, mit Warnweste aus strapazierfähigem Polyester, dick bestrichen mit einer Schicht aus  hochveredelten chemischen Stoffen zur bimolekularen Fluoreszenzkomplementation, der mit Hilfe von aus China eingeflogenen Smartphones über ein komplexes Netz aus Stahlmasten mit Funkantennen voller seltener Erden aus Asien und rarer Edelmetalle aus Afrika in energieaufwendige Cloudspeicher am anderen Ende der Klimawelt übertragen wurde, auf dass er die Ausweglosigkeit der Situation  deutlich mache.

Rasant steigende Steuereinnahmen: Die Staatsbank gewinnt immer

Die Geldentwertung frisst an der Kaufkraft der Einkommen, der Staatshaushalt profitiert von jedem Cent, den die Preise steigen.


Entlastungen auf dem Papier, große Geschenkpakete für jedermann, den Reichen etwas weniger, den Armen etwas mehr, nur die Rennter*innen bekommen erst mal nichts, aber alle anderen ja auch nicht, denn bis es soweit ist, besteht noch Beratungs- und Beschlussbedarf. Vielleicht fällt die Benzinpreisbremse doch noch weg und das Klimageld kommt wieder nicht. Dann bliebe nur das Neun-Euro-Ticket, aber warum nicht, im Sommer lockt die Ferne und vielleicht fährt dann auch der irgendwohin, um irgendwo anders zu sein, der bisher noch vorhatte, daheim zu blieben und Klima für den nächsten Winter zu sparen.

Mit Entlastungsankündigungen hausieren

Unabhängig davon, wie freigiebig Vater Staat mit Entlastungsankündigungen hausieren geht, die denen helfen sollen, die seit zwei, drei, vier Monaten nicht mehr wissen, wie sie das Pendeln zum Arbeitsplatz und das warme Kinderzimmer bezahlen sollen, sind so wenigstens die Staatsfinanzen weiterhin schwer in Ordnung. Allein aus die Einnahmen aus der Umsatzsteuer, im Medienvolksmund mit Marx gern "Mehrwertsteuer" genannt, sind in den ersten drei Monaten des Jahres förmlich explodiert

2022 unter anderem im Zuge der hohen Inflation stark gestiegen. Nach Berechnungen der Linke-Fraktion im Bundestag nahmen Bund und Länder im ersten Quartal 73,6 Milliarden Euro ein, berichteten die Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montagsausgaben). Im Vergleich zum Vorjahresquartal lagen sie um 18,1 Prozent höher, ein Plus von sagenhaften 18,8 Milliarden Euro. Die der Fiskus im Unterschied zu den versprochenen höheren Renten und dem "Klimageld" (Lindner) aus dem "Energiepaket" nicht einmal versteuern muss.

Brutto für Netto

Das ist brutto für Netto, der Traum jedes Malochers. Im Staatssäckel, eher ein gigantischer Sack, macht das nun über 200 Milliarden im Quartal. Zu verdanken hat der Finanzminister das seinem konsequenten Kurs, zu nehmen, was zu kriegen ist, so lange es nur geht. Und sei es Geld, das sich allein dem russischen Angriff auf die Ukraine verdankt. 

Die Ampel steht auf Abkassieren: Allein beim Treibstoff summieren sich die monatlichen Mehreineinnahmen des Staates durch die mit jeder Preiserhöhung automatisch mitwachsende Umsatzsteuer auf hunderte Millionen Euro, dazu kommen die Auswirkungen derselben Effekts bei Nahrungsmitteln, Gütern, Bauleistungen und sonstigen waren. Die Geldentwertung ist für den Staatshaushalt ein Gottesgeschenk. Während die Bundesregierung einerseits Milliarden für dies und das und jedes aus dem Fenster wirft wie früher Millionen, um zu fördern, was sie eben noch abschaffen wollte, sieht der Haushalt aus wie frisch zusammengespart. Der Staat, er hat wieder einmal wie immer "gut gewirtschaftet" (Julia Klöckner), wer für die Kosten aufkommt ist klar: "Der Steuerzahler jedenfalls nicht!"

Nie versiegende Geldquellen

Es ist der Kunde, der Käufer und Verbraucher von allem, der sorgt für eine nie versiegende Geldquelle sorgt, aus der Staat als sein Freund und Geliebter trinkt, während die Preise explodieren. Es merkt ja niemand, der nicht wenigstens zweimal hinschaut, statt den Verbreitern von Verschwörungstheorien, Gesundbetern der Katastrophe und Märchenerzählern von der EZB sein Ohr zu leihen. Als "vorübergehend moderat über dem Zielwert" anmoderiert, inzwischen aber straff auf Kurz "Kontrollverlust" (Tagesschau). Im Finanzministerium darf gefeiert werden: Die Nullzinsen lassen den Wert der eigenen Schuldenlast sinken. Die steigenden Preise die eigenen Einnahmen klettern. Im Augenblick meldet die Staatsbank höhere Gewinnzahlen als Google, Amazon und Apple.

Mittwoch, 27. April 2022

Verfassungsbruch: Organisiertes Versprechen

Selbst dem Bundesverfassungsgericht ging das schließlich zu weit. Hatten die Karlsruher Richtenden, gerade in den letzten Jahren in einer durchgehenden Besetzung mit Personal, dessen Akten über den Tisch der früheren Kanzlerin gegangen waren, kaum je noch erkennen lassen, dass sie gewillt sind, dem Gesetzgeber ab und an Grenzen zu setzen, liefert nun ausgerechnet der Erste Senat unter seinem Vorsitzenden Stephan Harbarth den Beweis dafür, dass der Rechtsstaat weiterhin funktioniert. Wenigstens, wenn es um die Normenkontrolle über die Gesetzgebung einzelner Bundesländer geht.

Organisierter Verfassungsbruch

Die gelten direkt nach dem Bund, den Bundesministern, dem Bundespräsidenten und dem Parlament als erste Adressen für organisierten Verfassungsbruch. Niemand anders als Bund und Länder mussten häufiger vom Verfassungsgericht zurückgepfiffen werden, wenn ihre gesetzgeberische Fantasie über die vom Grundgesetz erlaubten Grenzen hinausschoss. Mal war der Bundestag zu groß, mal ging die Speicherung von Telekommunikationsdaten ohne Anlass zu weit. Sogar der nun wirklich von jedem Verdacht der mutwilligen Kritik an der Macht und den Mächtigen gefeite "Spiegel" lamentierte zeitweise über den "programmierten Verfassungsbruch". 

Es störte die Kreise der Verfassungsbrecher kaum. In Sachsen-Anhalt speicherte der Verfassungsschutz trotzdem selbst die Daten minderjähriger Sprayer, um später Auskunft geben zu können, wer bedenkenlos MDR-Mitarbeiter, Pförtner in der Staatskanzlei oder Würstchenbudengewerbetreibender werden darf. In Sachsen gilt bis heute, dass die Versammlungsfreiheit an bestimmten Orten für bestimmte Gruppen außer Kraft gesetzt werden kann. Und ganz Deutschland erlebte mit den Pandemieregeln einen bis heute nicht komplett beendeten Ausnahmezustand, der zustandekam, indem das Ordnungsrecht gegen die Grundrechte in Marsch gesetzt wurde.

Der gebrochene Stab

Völlig in Ordnung, wenn auch noch nicht ganz perfekt, urteilte Karlsruhe dazu. Über die Regelungen des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes dagegen brachen die höchsten Richter*Innen nun demonstrativ den Stab: Zu weitreichend die Befugnisse, zu viele Vorratsdaten abrufen, zu einfach die Handyortung, zu schlicht die Kontrollmechanismen, um Menschen vor langfristiger Observierung zu schützen. Und das, obwohl die Kläger drei Mitglieder der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA) waren, die im bayerischen Verfassungsschutzbericht als "linksextremistisch beeinflusste Organisation" eingestuft wird.

Gleich sieben Punkte bemängelt des Verfassungsgericht als verfassungswidrig, alle betreffen wesentliche Teile des bayerischen Gesetzes, das verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vollständig erfülle, dafür aber gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht, gegen den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der informationellen Selbstbestimmung, gegen die Integrität informationstechnischer Systeme,  gegen das Fernmeldegeheimnis und gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung verstoße. Andere Teile des Gesetzes wurden für verfassungswidrig erklärt, weil der Gesetzgeber Befugnisse so weit gefasst habe, "dass sie auch eine langandauernde Überwachung der Bewegungen der Betroffenen erlaubt", verdeckte Mitarbeiter ohne hinreichende Begründung eingesetzt werden dürften und keine "unabhängige Vorabkontrolle" von Maßnahmen vorgesehen sei.

Eine laute Ohrfeige

Viel lauter kann eine Ohrfeige nicht klatschen, viel gründlicher kann ein von einer Landesregierung verfassten und von einem demokratischen Parlament nach ausgiebiger Kontrolle durch Experten und mehreren Lesungen beschlossenes Gesetz nicht vor aller Augen zerfetzt werden. 

Markus Söder, der an Horst Seehofers Kabinettstisch saß, als das neue, weitreichende Verfassungsschutzgesetz beschlossen wurde, blieb nach dem Urteil aus Karlsruhe auch deutlich sichtbar in tiefer Deckung. Sein Innenminister Joachim Herrmann (CSU) musste antreten, die Schelte des Verfassungsgerichts zu relativieren. Hermann tat das, indem er Bayern zum Menetekel erklärte: "Ich kenne kein Gesetz, weder beim Bundesverfassungsschutz noch in den Ländern, das all den Anforderungen entspricht, die das Bundesverfassungsgericht heute formuliert hat", sagte er.

Bis alle überall alles geändert haben, bleiben die Befugnisse des Verfassungsschutzes in Bayern vorerst, wie sie sind, und die Grundrechte der Bayerinnen und Bayern insoweit ausgesetzt und eingeschränkt. Das Verfassungsgericht hat dem Landesparlament eine Frist bis zum Sommer kommenden Jahres gesetzt, um eine verfassungskonforme Rechtslage herzustellen. 

Fristen ohne Frist

Viel muss das nicht bedeuten, denn die erste Frist an den Bundesgesetzgeber, das Wahlrecht wieder in Übereinstimmung mit der Verfassung zu bringen, datiert aus dem Jahre 2008, der gesetzte Änderungstermin lag jeweils ebenso knapp hinter der Jahresgrenze. Und erst im vergangenen Jahr gelang es dann mit knapp zehnjähriger Verspätung, eine übergangsweise Neuregelung für einen halbwegs geordneten Wahlgang bei der letzten Bundestagswahl zu finden. Die ganz große Reform, die die Verfassungsrichter 2012 gefordert hatten, wackelt hingegen noch durch die eben erst neuberufene „Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit“.

Bitte noch gendern: Gepardinnen für die Ostflanke

Furchterregende Feuergeschwindigkeit, aber keine Munition: Auch Gepardinnen sollen gen Osten gehen.

Ein Land springt über den Schatten seiner Vergangenheit, kurzentschlossen und unter Verletzung der heiligen "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" sowie des Art. 2 III des Gemeinsamen Standpunkts 2008/944/GASP des Europäischen Rates vom 8.12.2008, nach dem die Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern verboten ist, die "die im Endbestimmungsland bewaffnete Konflikte auslösen bzw. verlängern würden oder bestehende Spannungen oder Konflikte verschärfen würden." 

Mangel an Gegnern

Deutschland erlaubt erstmals die Weitergabe von „Gepard“-Panzern, einer mobilen Geschützkategorie, die bis vor zehn Jahren von der Heeresflugabwehrtruppe der Bundeswehr betrieben wurde. Aus Kostengründen und wegen eines Mangels an Gegnern hatte die Weizsäcker-Kommission damals zuerst die Halbierung der Bestände empfohlen. Wenig später war der der einst 269 Panzer des Typs stillgelegt worden. Nun sollen die eingemotteten Modelle des Flugabwehrkanonenpanzer, einst auf Initiative des Amts Blank entwickelt, die Bundesregierung knapp vor einer drohenden Abstimmung im Bundestag aus ihrem Dilemma holen, sogenannte "Schwerewaffen" (Annalena Baerbock) liefern zu sollen und zu wollen, aber auch nicht zu wollen. 

Eine Minute Dauerfeuer

Der Gepard ist ausreichend alt und trotz seines schweren Gewichts von knapp 50 Tonnen nur mit vergleichsweise leichten 35-Millimeter-Geschützen ausgestattet, die eigentlich nur für die Bekämpfung von Luftzielen über dem Gefechtsfeld dienen. Es fehlt überdies an Munition, von der die fahrende Schrotflinte jede Menge verbraucht: Bis zu 1.100 Schuss verfeuert die Entwicklung aus den 60er Jahren pro Minute. Einem Medienbericht zufolge reichen Deutschlands Munitionsvorräte damit für genau 20 Minuten Dauerfeuer aus einem Panzer. Oder aber für eine knappe Minute zusammengefasstes Feuer der in Aussicht gestellten 30 bis 80 Fahrzeuge.

Es geht aber ja nicht um kriegsentscheidende Hilfe, es geht um einen "ganz wichtigen Beitrag"  (Christine Lambrecht) und vor allem um "ein Zeichen", ja, ein  "Signal" geradezu wie damals die 5.000 Schutzhelme eins waren. Mit deren Lieferung flankierte die Bundesregierung das erste Sanktionspaket, das "alles" überstieg "was jemals gegen eine große Wirtschaftsmacht an Strafmaßnahmen verhängt worden" (Capital) war, so dass Putin das Lachen" schnell vergehen sollte. Mit dem schweren Kriegsgerät leichter Bauart legt die Ampel nun nach: Die 50 zugesagten Gepard-Panzer würden die ukrainischen Streitkräfte stärken, lobte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. 

Offene Namensfrage

Letzte Hürde vor der Auslieferung ist nun noch die Namensfrage, die als wegweisend auch für künftige Hilfe durch Überlassung von außer Dienst gestellten Beständen an die Ukraine ist. Einer alten deutschen Tradition aus den Tages des letzten Kräftemessens mit Russland folgend tragen nahezu alle deutschen Kampffahrzeuge Tiernamen. Nach "Panther" und "Tiger" verteidigt derzeit der "Leopard" Deutschland zu Lande, flankiert von "Marder", "Puma", "Fennek", "Wolf" und eben "Gepard". Ein schöner Brauch, der jedoch nicht mehr in die Zeit passt: Immer sind es Männernamen, kein einziges Kampfgerät der Bundeswehr heißt "Füchsin", "Dachsin", "Wieselin" oder "Biberin".

Wie mehrere Quellen weiter berichten, wurde die Ausfuhr-Genehmigung für die Geparden bereits Ende vergangener Woche beim zuständigen Wirtschaftsministerium beantragt, als nicht unerhebliches Problem aber stellte sich dabei die nicht geschlechtergerechte Benennung der angedachten Schwerewaffenlieferung heraus. 

"Bitte noch gendern"

Vor dem Hintergrund von Deutschlands neuer feministischer Außenpolitik und der Paritätsleitlinien des intersektionellen Feministen Olaf Scholz gilt es im politischen Berlin als undenkbar, dass Deutschland der Ukraine mit ausschließlich männlichen Waffen unter die Arme greift. Militärexperten vermuten, dass derzeit zwischen Kanzleramt, Außenamt und Klimawirtschaftsministerium an einer unbürokratischen Lösung im Sinne des Spiegelschen "Bitte noch gendern" verhandelt wird. Als möglich gilt eine unbürokratische Umbenennung der Hälfte der Kampfpanzer*innen "Gepard" in "Gepardinnen" noch vor dem entscheidenden Showdown im Bundestag.

Dienstag, 26. April 2022

Musk des Bösen: Hassfigur der Guten

Erleichtert und empört: Dem einen sin' Uhl ist beim anderen eine Nachtigall.
 

Als Bertolt Brecht mitten im Zweiten Weltkrieg sein Gedicht über Elon Musk schrieb, fühlte er sich dazu von eine "japanisches Holzwerk" inspiriert. Die "Maske eines bösen Dämons, bemalt mit Goldlack", so Brecht, habe "geschwollene Stirnadern, andeutend, wie anstrengend es ist, böse zu sein". 80 Jahre später ist das Phänomen weiterhin zu sehen, wenn auch nicht beim Musk, dem stets eher clownesk wirkenden Südafrikaner, der wie mit kindlichem Übermut um die Welt poltert wie eine Figur aus einem Hollywood-Film. Er bohrt und er fliegt ins All, er hat sämtliche großen Autohersteller der Welt übertölpelt und in den Staub getreten. Und nun kauft er auch noch Twitter.

Eine Sünde aus deutscher Mediensicht

Eine unverzeihliche Sünde aus Sicht deutscher Medienarbeiter. Ein Tabubruch! Das Kurznachrichtenportal, seit seiner Gründung vor 16 Jahren zu dem Treffpunkt von beruflichen Meinungsgestaltern, politischen Selbstdarstellern und öffentlich-rechtlichen Gebührenzapfern geworden, war gerade erst an einem Entwicklungspunkt angekommen, an dem abweichende Ansichten, falsche Meinungen und die alternative Interpretation von Ereignissen und Zusammenhängen kaum mehr möglich war. 

Als "Hass" erst laut tönend bekämpft, dann schließlich mit Hilfe immer enger gezogener Hassmelde- und Verfolgungsgesetze verfolgt, war der Widerspruch die Gewalt der Vorkriegszeit. Dies oder jenes anders zu sehen, hieß stets, zu "leugnen". Leugnen aber war Trump, war Petry, Gauland und Orban; war eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Diese Art Untergang, sie verbreitete sich gerade bei Twitter, denn bei Twitter sitzen die Influencer, Einflüsterer und Verbreiter, die hier den Hass zapften für die aufgeregten Empörungsgeschichten der seriösen alten Medien. Über Twitter steckte Trump die Welt an. Über Twitter entschied Putin die amerikanischen Wahlen. Über Twitter gelang es dem deutschen Faschismus, wieder einen Fuß in die bürgerliche Tür zu bekommen.

Hochgejazzte Bedeutung

Die Bedeutung von Twitter, mit bis heute gerade mal 330 Millionen angemeldeten Nutzern weltweit eher Kaffeetischchen der Welt als große Tafel, wurde systematisch überhöht, denn nirgendwo war es leichter, Zitate zu finden, Konflikte zu inszenieren und für jede steile These, die in Umlauf gebraucht werden sollte, eine Quelle vorweisen zu können. Dank der 280-Zeichen-Plattform geriet ein Tweet, der 100 Widersprüche erntete, schon zum Anfang einer Hexenverbrennung. Ein "Dich müsste man umlegen" verwandelte sich in eine Morddrohung. Und "Ich glaube nicht, dass die Menschheit Corona überlebt" brachte die Verfasser*in über ein paar semantische Nebenstraßen unter Verdacht, Bill Gates für den einen Echsenmenschen zu halten. 

Obwohl 80 Prozent aller Deutschen noch niemals selbst irgendetwas auf Twitter gelesen haben geschweige denn dort etwas schreiben, war das Portal in aller Munde als geradezu mystischer Ort, von dem in Zeitungen und Zeitschriften und im Fernsehen tagtäglich die Rede war. Dort, so hieß es, geschehe überaus Bedeutsames. Prominente betrieben Marketing. Parteivorsitzende stellten klar. Hinterbänkler machten auf sich aufmerksam. Humoristen machten Witze.

Weite, weite Grenzen

Dass ausgerechnet Elon Musk Twitter kauft, ein nonkonformen Mega-Milliardär mit einem sehr undeutschen Faible für eine Meinungsfreiheit mit weiten, weiten Grenzen, ist für die Anhänger einer regulierten  Meinungsfreiheit mit klaren Grenzen für alles Sagbare eine Katastrophe. Ungeachtet der europäischen  Rechtslage, die es ihnen eigentlich nicht einmal erlauben würde, ein einziges Wort bei Twitter zu schreiben, hatten sie sich die große Pinnwand zuletzt zurechtgelegt, wie sie sie haben wollten. Was nicht passte, wurde wegzensiert. Wer nicht spurte, wurde gesperrt. 

"Z" wie Zensur regierte wie in den Leitmedien so auch auf der blauen Plattform. Die folgte nicht mehr den Vorstellungen der amerikanischen Gründerväter von freier Rede, sondern mehr und mehr denen der EU-Meinungsfreiheitsschutzbehörden, die seit Jahren beharrlich auf eine Welt zuarbeiten, in der Ansichten vor jeder Äußerung beim staatlichen Ansichtenzulassungsamt vorgelegt und lizensiert werden müssen.

Musks 41-Milliarden-Euro-Operation hat sie alle umgehend auf die Palme getrieben. Die sogenannten "Falschen" jubeln "Elon made twitter great again!". Jan Böhmermann, einer von den Richtigen, dagegen beißt in die Tischkante und verlangt nach einem staatlichen Eingreifen: "Kann Europa nicht einfach Twitter kaufen? Für eine Milliarde mehr?", fragt er ohne darzulegen, ob Russland in diesem Fall zu Europa gehört. Wichtig ist nur: "Twitter vergemeinschaften!" und bei der Gelegenheit auch gleich noch "Meta zerschlagen! Google unter öffentliche Kontrolle bringen!" Sozialismus jetzt! 

Auf dass alles, was der öffentlichen Meinungsäußerung dienen könnte so wird wie ARD und ZDF. Gemeinsinnssender wie in der DDR, eine Quelle, ein Fluss, eine Plattform, regiert von den selbstlosen Kriegern des Lichts, die ausgezogen sind, das Gute mit dem Schwert des selbstausgedachten Rechts gegen rechts zu verteidigen gegen jemanden wie Musk, der behauptet, "Redefreiheit ist das Fundament einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, wo die Zukunftsthemen der Menschheit diskutiert werden."

Wer zu spät kommt

Bezeichnend für den Zustand der Gesellschaft, dass Böhmermann jetzt mit seiner Kaufidee kommt, obwohl er doch seit dem Börsengang von Twitter vor neun Jahren Zeit gehabt hätte, Tag für Tag Aktien des Unternehmens zu kaufen und Gleichgesinnte dazu aufzufordern, es ihm nachzutun. Twitter war nicht immer 40 Milliarden Euro wert. Es waren zwischendurch auch mal nur knapp zehn Milliarden. Nichts, was sich nicht mit einer Jahresscheibe Rundfunkgebühren hätte finanzieren lassen.

Zu der Zeit aber wollte niemand. Nun aber will der Falsche. Dass es nach Jeff Bezos, der die lavede "Washington Post" vor dem Tod rettete, mit Elon Musk nun ein zweiter Multi-Milliardär ist, der sich mit Twitter ein Medium zulegt, mit dem er nicht lukrative Gewinnmöglichkeiten, sondern die Erwartung verknüpft, dass es irgendwie wichtig sei und er berufen, den Erhalt zu sichern, stößt dort, wo alte Familienclans, politische Parteien, undurchschaubare Genossenschaftsmodelle und vielfach verwobene Netzwerke über Medienmacht gebieten, auf energischen Widerspruch.  Für den "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" ist Elon Musk mit seiner Definition an eine Meinungsfreiheit, die auch das Gegenteil seiner eigenen Meinung schützt, ein "Troll", ein gefährlicher sogar.  

Alle schlechten Wünsche

Jemand, der ankündigt, die Türen für jedermann wieder zu öffnen für eine Rückkehr aus dem engen, stickigen Hinterzimmer der regulierten Auffassungen in den großen Saal des Allessagbaren, muss bekämpft werden, denn dass zu diesem Zweck "die Aktien eines privaten Unternehmens kauft" und im Schutz seines unermesslichen Reichtums verspricht, die freie Rede wieder garantieren zu wollen wie früher, ist keine Wohltätigkeit und kein Glücksfall, keine Caritas und keine Philantropie, obwohl er könnte für das Geld ja auch Inseln, Schlösser, Yachten, Frauen oder Raketen kaufen. Nein, es ist "Neo-Feudalismus" (Die Welt), es ist zu verurteilen, es ist ihm zu missgönnen und es ist natürlich zu wünschen, dass ihm das nun endlich das Genick bricht.

Der Euro, eine ganz besondere Erfolgsgeschichte

Ein Start nach Maß, einige stabile Schwankungen, aber schließlich ein Happy End mit Punktlandung: Der Euro löst sein Versprechen ein, stabil zu sein. Nur mit dem Schweizer Franken, norwegischen Kronen, Silber oder Gold darf man ihm nicht kommen.

Keinen Millimeter von einem einmal gegebenen Versprechen abweichen, das ist Grundlage erfolgreicher Politik. Die Einheit von Wort und Tat, sie schafft Vertrauen, Vertrauen aber ist die Basis von allem und jedem. Das wussten schon die Gründer der europäischen Einheitswährung: Als Helmut Kohl seinem französischen Amtskollegen Francois Mitterand das Ja-Wort gab - ihr stimmt der deutschen Einheit zu und wir der Abschaffung unserer Währung - gingen die beiden großen Staatsmänner fest entschlossen davon aus, dass das gemeinsame neue Geld alles sein würde, was die einzelnen nationalistischen Separatwährungen nie hatten sein können.

Stark und flexibel zugleich, ein Werkzeug, das neue Märkte öffnen und die Inflation deckeln, das Konversion befördern und Europa eines Tages zu einem einzigen Vaterland aller Euro-Zahler*Innen machen würde.

Der Endverbraucher freut sich

Das Ziel steht seitdem. Mussten auch hin und wieder Mitgliedsstaaten und Sparvermögen gerettet werden, mussten auch Landesbanken schließen und die EZB ihre Inflationsziele je nach Datenlage verbal flexibilisieren und sogar die Euro-Staaten ihre verfassungsmäßigen Schuldenbremsen lösen. Der Euro als Einheitswährung hielt in jedem einzelnen Augenblick seit seiner Einführung, was er versprochen hatte. Damals im Januar 2002, als die Ausgabe des Bargeldes an die "Endverbraucher" (Bundesfinanzministerium) begann, verkörperte ein Euro den Gegenwert von 1,06 US-Dollar.  

Seitdem wurde das Stabilitätsversprechen, das Kohl und Mitterand den Völkern des Kontinent gemacht hatten, auf eine welthistorisch einmalige Weise eingelöst: Ein Euro ist heute 1,08 Dollar wert. Eine Schwankung von nicht einmal zwei Prozent binnen zweier Jahrzehnte, entlang der großen Linien, die drei deutsche Kanzler*innen, vier US-Präsidenten und ungezählte französische Regierungschefs sowie EU-Kommissionsvorsitzende zeichneten.

Keine Spur von Inflation

Von der gerade in der aktuellen Situation vielbeklagten Inflation ist jedenfalls nichts zu sehen. Wie ein stählerner Koloss steht der Euro stolz in der weltweiten Währungslandschaft. Egal, ob die EZB als Inflationsziel "unter zwei Prozent", "unter, aber nahe zwei Prozent" oder "zwei Prozent, aber mit akzeptierten Abweichungen nach oben und unten" ausgab, der Geldwert des Euro-Zone blieb gemessen in Dollar stabil. Im Vergleich zum russischen Rubel und der türkischen Lira explodierte der Wert der Einheitswährung geradezu. 

Eine stolze und schöne Bilanz, die kaum gemindert wird durch einige wenige kleinere Einschränkungen. Zum Edelmetall Silber etwa verlor der Euro seit dem Tag seiner Geburt knappe 400 Prozent an Wert. Gab es eine Unze Silber 2002 noch  im Tausch für einen Fünf-Euro-Schein, braucht es mittlerweile fünf von ihnen, um eine Unze Silber zu kaufen. Eine Unze Gold kostete am Geburtstag des Euro zum Neujahrstag 2002 rund 250 Euro, so dass sich ein durchschnittlicher Lohn- oder Gehaltsempfänger monatlich ungefähr sechs Unzen Gold hätte zulegen können. Hätte er das mal gemacht, denn heute reicht ein durchschnittliches Netto-Monatseinkommen gerade mal noch für eine Unze Gold.

Nur noch verdünnte Silbermünzen

Die Durchschnittsgehälter in Deutschland stiegen um ein Viertel, umgerechnet rund 500 Euro. Der Preis der Edelmetalle aber auf ein Vielfaches. Und niemand hat es mitbekommen, schließlich kaufen nur die wenigsten jemals überhaupt Gold, Silber oder Platin.

Die Bundesregierung allerdings war früh im Bilde: Schon 2011 wurde die Materialmischung der traditionellen 10-Euro-Silbermünzen aus der Deutschen Münze erstmals verdünnt, weil die Anschaffung des in den Geldstücken enthaltenen Silbers teurer geworden war als der Verkauf zum Preis von zehn Euro einbrachte. Später folgte eine weitere Reform: Nun verwandelten sich die 10-Euro-Münzen in 20-Euro-Münzen, deren Silberanteil von etwa einer halben Unze bis zum Moment noch einen gewinnbringenden Verkauf zulässt.

Nur wie lange noch? Die Inflation, von der EZB mit gigantischen Geldgaben über Jahre geduldig herangezüchtet, ist kein reißendes Tier, sondern eine schleichende Krankheit. Ohne Kontakt zur Realität bleibt sie unsichtbar, sie frisst keine Vermögen in großen Bissen, sie knabbert sie langsam weg, ein geduldiger Esser, der weiß, dass er nur ja nicht gesehen werden darf. 

Der Euro würde kein Teuro sein

Bei Bäckerbrot und Kneipenbier, bei Mieten, den Kosten für den Bau eines Hauses oder dem Kauf eines Neuwagens der unteren Mittelklasse ist es schon lange schwer, nicht zu sehen, wie die Preise klettern und klettern. Brot kostete vor 20 Jahren 2,30 Euro, heute sind es 4,60. Das erste Bier, mit dem auf den stabilen Euro angestoßen wurde, der kein Teuro war und werden würde, wurde für 2,50 gezapft, heute kostet es 3,90 oder gar 4,50. Die Baukosten für ein Einfamilienhaus verdoppelten sich, Neuwagenpreise kletterten ähnlich stark.

Der Euro als solcher aber, zuletzt viel stärker "im Kampf gegen den Klimawandel engagiert" (Christine Lagarde), hat alle seine Versprechen eingelöst. 20 Jahre nach seinem Debüt ist er gemessen in anderen stabilen Papierwährungen stabil wie sie, verglichen mit notorischem Geldersatzgeld ein sicherer Hort zur Wertaufbewahrung und gehalten neben echte Hartwährungen ein trauriges Beispiel dafür, dass Geld allein nicht glücklich macht.

Montag, 25. April 2022

Abendland gerettet: Im Westen nichts Neues

Europa bleibt nach der Wahl in Frankreich ein Hort der Stabilität.

In der letzten Kurve vor dem Finale hatte sie sich hier und da die Maske der Biederfrau aufgesetzt. In der "Tagesschau" verwandelte eine Korrespondentin die bisher stets als "rechtsextrem" bezeichnete Marine Le Pen in einen "Rechtsradikale", der "Spiegel" verharmloste sie ebenso. in führenden Medienhäusern schrieben Kommentäter Erwägungen nieder, was alles anders werden würde, viel schlechter noch als bisher, wenn die Tochter des alten Schönhuber in den Élysée-Palast einziehe. Das politischer Berlin schwieg vorsichtshalber, erst kurz vor Toressschluss appellierte der schweigende Kanzler an die Franzosen, nicht all die Jahre an der Seite Deutschlands wegzuwerfen, sondern treu zu bleiben zu Europa und zur Möglichkeit, gemeinsam noch viel mehr erreichen zu können.

Ein Sieg der gemeinsamen Sache

An gemeinsamen Schulden, höhnte es zurück von den "Europa-Feinden" (Tagesspiegel), die einem Sieg über das Establishment noch nie so nahe gekommen waren. Mit Europa-Feind ist immer Feind der EU gemeint, Feind vor allem der EU, wie sie derzeit ist. Einer der besten Zirkustricks der Kommission in Brüssel war und ist noch stets diese Gleichsetzung: EU = Europa, Europa = EU-Kommission. Es kribbelte in den zurückliegenden Wochen, nichts Genaues wusste niemand, auch, weil die deutschen Medien ihre Auslandsberichterstattung im Grunde bereits seit Jahren auf die schlaglichtartige Erhellung oder aber Verdunklung fremder Sitten und ferner Gestade zurückgefahren haben.

Der Franzose als solcher gilt als unsicherer Kantonist. Würde er die Aussicht schlucken, mit Macron demnächst nur noch zwei Jahre früher in Rente gehen zu dürfen als die Deutschen? Hat man dafür zwei Weltkriege gewonnen? Oder würde er angesichts der Wahl zwischen zwei Kandidaten, von denen keiner das deutsche Vorbild eines umfassenden Atomausstieges bei gleichzeitiger Abschaltung aller anderen fossilen Energieerzeuger als seine Strategie anpries, gar nicht zu Wahl gehen? Und was war mit Russland, seit Napoleon eine Herzensangelegenheit der französischen Eliten, nun aber Feind. Welcher der beiden Kandidaten war denn nun weniger eng mit dem Kremlherrscher?

Untergang ohne Warnetiketten

Es fiel auf, dass die Untergangsfantasien ohne die großen Bilder blieben. Keine Le Pen, die den Erdball verschlingt. Kein Spiegel-Titel, auf dem die Maginot-Linie wieder bemannt wird und gegenüber der Weltwall aufmunitioniert. Deutschland lebte von der Hoffnung, dass es nicht so schlimm kommen würde, wie es schlimmstensfalls kommen könnte. Würde sie enttäuscht, könnte die freie Presse jederzeit nachlegen: Le Pen, die der Göttin Europa brutal grinsend den Kopf abschneidet. Le Pen als alles verzehrende Welle, die Brüssel und die vielen feinen Pläne vom Green Deal, von der Gesundheitsunion, von der gemeinsamen EU-Armee und ihren schicken neuen Hauptquartier aus Brüssel in die Nordsee spült.

Die Abwehrpläne können nun in der Schublade bleiben. Emmanuel Macron, in einer Zeit vor allem Ärger angetreten, Frankreich zu reformieren, wirtschaftlich auf Deutschlands Augenhöhe zu heben und damit Europa zu retten, schaffte es mit dem letzten Tropfen Russensprit vor dem sechsten Sanktionspaket noch einmal auf die Avenue des Marigny und dann rechtsab in die nach dem früheren deutschen Außenminister benannte Av. Gabriel. Ein Sieg für Europa, der das Abendland rettet, weil er den status quo bewahrt. Immer noch gilt Macron als jung, strahlend und gutaussehend, im Zweikampf mit Marine Le Pen kam ihm zweifellos seine Erfahrung im Umgang mit älteren Frauen zugute und der Umstand, dass Völker in Kriegszeiten lieber wählen, was schon  da ist, als etwas Neues auszuprobieren

"Langsam, schwach, ineffizient" 

Bisher lief es doch immerhin so lala. Die Gelbwesten, die Macron anfangs in seinen Reformbemühungen behindert hatten, sind verschwunden, ebenso auch die EU, die der französische Präsident vor Jahren als "langsam, schwach, ineffizient" (Macron) bezeichnet hatte. Nichts ist passiert seitdem, aber alles ist anders, wenn auch vielleicht nicht unbedingt besser. Aber während die Deutschen glauben, auf den Posten des EU-Frühstücksdirektors eine Deutsche gesetzt zu haben,  wissen die Franzosen, dass Ursula von der Leyen ihre Wahl war - und dass sie mit Christine Lagarde trotzdem auch aussuchen durften, wer die EZB durch Inflation, Euro-Wertverfall und Kontrollverlust führen soll, erhebt die grande nation über all die anderen europäischen Staaten, denen die EU so sehr Herzenssache ist, dass sie gar nicht mehr an ihr Portemonnaie denken.

Frankreich, die einzige Atommacht der EU, war nie mächtiger als unter Emmanuel Macron. Der 44-Jährige unterstützt den deutschen Kampf um wirtschaftliches und soziales Wohlergehen für alle acht Milliarden Erdenbürger stets lächelnd, fragt aber immer auch, was dabei für Frankreich herausspringt. Die deutsche Strategie, von hinten zu führen, durch Nachgeben und die lange Leine finanzieller und handelstechnischer Abhängigkeit wie es der Hades-Plan vorsieht, hat Emmanuel Macron nie verstanden. Warum zur Ecke ziehen, wenn man auch aufs Tor gehen kann? Wozu Kompromisse machen, wenn die nicht dazu führen, dass man am Ende seinen Willen bekommt?

Zwölf Jahre nach dem Beginn der Neuzeit, die geprägt ist von "Stunden hektischer Krisendiplomatie" in einem ewigen Endspiel um Euro, Europa, Klima und den Weltfrieden, steht Europas eiserner Kern, die Achse Berlin-Paris, nun wieder für Jahre wie eine feste Wand zwischen Demokratie und Barbarei, zwischen Abendland und Untergang, zwischen Putin und deutsch-französischer Partnerschaft. Knapp war's, aber glücklich. Nun kann alles so erfolgreich weitergehen wie bis hierher.

BFC Dynamo München: Triumph der Langeweile

Traurige Freude in schwarzen Trikots: Wie immer ist der FC Bayern München Deutscher Fußballmeister.

Die Farbe der Sieger-Shirts passte zur Feier, die nicht stattfand. Als der FC Bayern München am Wochenende zum zehnten Mal hintereinander deutscher Fußballmeister wurde, erinnerten die traurigen Triumphszenen danach eher an eine Beerdigung als an die überschäumende Freude, die für gewöhnlich in solchen außergewöhnlichen und seltenen Augenblicken zutage tritt.  

Doch für die Münchner Fußballer ist der Titel eben weder das eine noch das andere: Wer zehnmal in Folge Meister wird, der singt noch ein bisschen, der jubelt auch pflichtschuldigst, spielt trotz der hohen Preise demonstrativ mit Lebensmitteln und er fühlt sich zweifellos in seinem Selbstbild bestätigt, eben besser zu sein als alle anderen. In die Freude aber mischt sich auch Erleichterung, es wieder - im Hinterkopf: noch einmal - geschafft zu haben. Sich nicht selbst enttäuschen zu müssen. Dem Druck standgehalten zu haben, es wieder zu schaffen. 

Routine und Rituale

Alles ist nur noch Routine, ein Ritual ohne Euphorie. Serienmeister zu sein, heißt es immer blieben zu müssen, es gibt irgendwann kein Kann mehr, sondern nur noch ein Muss. Eine lähmende Situation nicht nur für die Angestellten des zum Siegen verfluchten ewigen Spitzenreiters, sondern auch für dessen gesamte Gegnerschaft. Die spielt immer um Platz 2, nur der nimmermüden Marketingmaschine des Berufsfußballs und seiner zahllosen Sendeanstalten ist zu verdanken, dass sich das langweilige Kräftemessen um die Goldene Ananas überhaupt noch irgendjemand anschaut.

Deutsche Grundschüler heute lernen schon unter derdem zweiten Kanzler*in, sie erleben die dritte Koalitionsfarbmischung in Berlin und sogar schon den dritten EU-Kommissionspräsidierenden. Apple hat acht Generationen seines iPhone herausgebracht, Tesla wurde vom belächelten Konstrukteur des Model S zum wertvollsten Automobilkonzern der Welt, Putin vom Garanten der deutschen Energieversorgung zum expansionslüsternen Kriegsherren und Angela Merkel von der angebeteten Frau, die alles vom Ende denkt, zu einer persona non grata, die falsch gemacht hat, was sich falsch machen ließ. 

Es kam eine Pandemie über die Welt, die SPD geriet unter Verdacht, mit dem Russen zu paktieren, ein US-Präsident, der mehr Rüstung forderte, wurde zum Hassprediger erklärt und der, der ihn im Kampg gegen rechts mutig so bezeichnet hatte, zum sinistren Moskauer Spinnennetzweber. Beim Fußball aber ist alles, wie es immer war. Bayern Meister, Bayern Meister, Bayern wieder Meister. Gegen die Bewegungen in der deutschen Fußballwelt wirkt selbst die Kontinentalverschiebung agil. Der Bayern-Dynamo treibt sich selbst an, ein perpetuum mobile, das zumindest nationale Titel sammelt, als habe er ein Abo abgeschlossen.

Wiederholung der Geschichte

In der deutschen Geschichte ist der Fall eines ewigen Meisters allerdings nicht beispiellos. Zwischen  1978 bis 1988 gelang es dem Berliner Fußballklub Dynamo, einem von der Sportvereinigung der für die innere Sicherheit der DDR zuständigen Organe unterhaltenen Verein, zehn Meisterschaften in Folge zu erringen. Den mächtigen Kräften hinter dem Klub waren dazu alle Mittel recht. Es wurde betrogen, gelogen, an allen Fäden gezogen, geschoben und mit Spielern gehandelt, bis - auf dem Höhepunkt Mitte der 80er Jahre - keine andere Mannschaft auch nur einen Stich sah gegen den Schiebermeister.

Nur international riss der BFC Dynamo nichts. In den großen Klubwettbewerben reichte es immer nur zu einem Kurzauftritt, dann flog die Macht von der Spree geschlagen nach Hause. Der FC Bayern München hat nun das Kunststück geschafft, die bis dahin einmalige Serie einzustellen: Von 2012 bis 2022 ließ der Klub aus München keine andere Mannschaft an sich vorbei. Die Meisterschaft zu gewinnen, ist heute für FC Bayern genau so Tagesgeschäft, wie es das für den BFC Dynamo war.

Zementierte Verhältnisse

Und wieder ist die Zementierung der Verhältnisse, das Festgebackene und Tiefgefrorene, ein Spiegelbild gesellschaftlicher Zustände. So wenig der nationale Erfolg sich auf die internationale Ebene betragen ließ - nur einmal und nur in der Pandemie-Ausnahmesaison 2019/2020 gelang es nach 2013 noch, den stets als Ziel ausgegebenen Titel in der Champions League zu gewinnen, so wenig lässt sich die Tristesse des ewigen Bayern-Triumphes von der gesellschaftlichen Tristesse der Merkel-Jahre trennen. 

Alles war, wie es ist, und es sollte und würde für immer so bleiben. Selbstverständlich drückte die Kanzlerin aus Hamburg dem größten Klub der Republik die Daumen. Und selbstverständlich nahm ihr dieses populistische Manöver niemand übel. Alle waren ja selbst bemüht, die Bayern gut zu finden. Das garantierte schließlich, selbst auf der Gewinnerseite zu stehen.

Alle wollen Gewinner sein

Immerhin ein Unterschied zum Berliner FC Dynamo, dem in seinen großen Tagen der Hass aller Menschen entgegenschlug, die in ihm ein Symbol für die Unerträglichkeit der DDR sahen, beschränkt sich die Ablehnung heute auf sanfte Popsongs und neidischen Respekt für die ausgestellte Arroganz der Bayern, die den BFC-Rekord von Mitte der 80er-Jahre mit 36 Spieltage ohne Niederlage schon zwischen 2012 und 2014 mit 56 Spielen ohne Pleite eingestellt hatten. Diesmal gibt es auch keine Gerüchte um Spielmanipulationen des Rekordmeisters, allenfalls Hinweise auf den geheimnisvollen "Bayern-Dusel", ein Phänomen, das nie vollständig aufgeklärt, aber statistisch nachgewiesen werden konnte. 

Erst müsste dieses "unverdiente Glück" schwinden, um die "versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zu zwingen", wie es Karl Marx analysiert hat. Verdankte der BFC Dynamo seine sportlichen Erfolge einer akribischen Jugendarbeit in Zeiten, als es die eigentlich noch nicht gab, ruhen die seines Nachfolgers als Rekordmeister auf einem System des foot drain: Die Mehrzahl der Leistungsträger des Meisterschafts-Jahrzehnts kamen nicht aus aus der eigenen Jugend der FC Bayern München Aktiengesellschaft, sondern von Einkäufen bei der Bundesliga-Konkurrenz und Vereinen auf der ganzen Welt.

Auch das ist Deutschland, wie es geworden ist: Mit russischer Energie, amerikanischem Internet, italienischer Küche, französischen Fußballern und chinesischen Fernsehgeräten.