Die Überschrift eines engagierten RND-Beitrages vom Januar, das Bild eines engagierten Bundesgesundheitsministers bei einem Spaziergang im Februar. |
Not kennt kein Gebot, auch kein Abstandsgebot. Ist die Gefahr erst richtig groß, eilt selbst der Bundesgesundheitsminister auf die Straße, um sich unter eine halbe Million besorgter Bürgerinnen und Bürger zu mischen, die dicht gedrängt im Zentrum der deutschen Hauptstadt stehen. Ein Zeichen wird gesetzt, ein Zeichen für den russischen Präsidenten, ein Zeichen aber auch für die bedrängten und beschossenen Ukrainer.
Der Freedom Day wie nebenher
Mag auch Corona sein und der Freedom Day anderer Nationen für Deutschland weiterhin undenkbar, weil die "deutsche Sonderstellung" (Karl Lauterbach) ein längeres Verweilen im Panzergraben der Pandemie unumgänglich macht. Für einen kurzen Augenblick macht die "größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg" (Angela Merkel) Pause. Und Platz für die "größte Bedrohung seit dem Zweiten Weltkrieg" (Fogh Rasmussen, Joseph Borrell): Was in der "Tagesschau" seit Kriegsausbruch im Sendeplan umgesetzt wird, schaffte es am Wochenende auch auf die Straßen Berlins.
Bei einer Friedensdemonstration im Zentrum der ehemals geteilten Stadt ist das neuartige Lungenvirus kein Thema, es gibt weder Ansteckungsgefahr noch die Möglichkeit, dass sich die Zusammenkunft zahlloser Menschen im Nachhinein als hotspot entpuppt, der die weiterhin ausbleibenden Erfolge der Anfang Dezember verkündeten Impfoffensive der Bundesregierung zunichte macht.
Dass Karl Lauterbach selbst vor die Tür getreten ist, spricht die Veranstaltung von jedem Virenverdacht frei. Galten die sogenannten "Spaziergänge" der eingeschworenen Feinde der öffentlichen Ordnung noch vor wenigen Wochen als "antidemokratische Kundgebungen", auf denen eine "radikale Minderheit Egoismus mit Freiheit verwechselt und ihre Ignoranz zu selbstständigem Denken verbrämt" wie das SPD-nahe Redaktionsnetzwerk Deutschland messerscharf analysierte, wird der Zug der Hunderttausende gegen Putin zum Ausdruck des berechtigten "Wunsches, ein gemeinsames Zeichen gegen den Krieg in der Ukraine zu setzen".
Nur 1.000 Infektionen mehr
Nur knapp acht Wochen liegen zwischen den beiden Analysen, acht Wochen und ein Anstieg der bundesweiten Inzidenz von 239 auf 1.240. Deutschland hat inzwischen die Führung in der weltweiten Ansteckungsrangliste übernommen, nirgendwo sonst auf dem Globus wurden in den zurückliegenden 28 Tagen mehr Ansteckungen gezählt, nicht einmal in den weitaus bevölkerungsreicheren USA und Russland, das über keine in der EU zugelassenen wirksamen und sicheren Impfstoffe verfügt.
Die Zeit aber, in der Bürgerinnen und Bürger um so konsequenter vor sogenannten Spaziergängern geschützt werden mussten, je höher die Infektionszahlen stiegen (RND), und das "nicht nur nur um ihrer selbst Willen", sie ist vorüber. Das große Ziel, den Kliniken Luft zu lassen, dass sie neben den Corona-Fällen noch Menschen mit Herzinfarkt und Krebserkrankungen versorgen können, die Aufgabe, Alte, Kranke und kleine Kinder vor Ansteckung zu bewahren und "den Weg raus aus der Pandemie solidarisch zu nehmen", wie es sich Umfragen zufolge eine große Mehrheit der Bevölkerung noch vor wenigen Tagen wünschte, sie alle sind im Pulverdampf an der Ostfront verweht worden.
Aufgabe der Sofafront
Nun gilt es nicht mehr, gegen die Spaziergänge auf der Straße daheim auf dem Sofa Front zu machen, die gefährliche Minderheit der Querdenker in ihrer Rücksichtslosigkeit, Intoleranz und teilweisen Gewaltbereitschaft zu enttarnen und ihr etwa durch eine Telegram-Verbot die Desinformationswaffen aus der Hand zu schlagen. Wie über Nacht hat sich der Bundeshetzkanal des Monats Januar zurückverwandelt in ein Instrument zivilgesellschaftlichen Widerstandes und man kann seine Meinung nun auch wieder kundtun, indem man sich gleichzeitig an vielen Orten versammelt - eine Verhaltensweise, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser eben noch als Axt am Pandemieplan der Bundesregierung gebrandmarkt hatte.