Er war für ein NPD-Verbot, für eine Sondersteuer auf Internetsuchdienste und für eine ganz neue Art Journalismus, der statt wörtlicher Zitate auf "berichtigende Auslegung" setzt: Immer dort, wo es galt, den vormundschaftlichen Staat durch eigenes Engagement zu unterstützen und zu stärken, war Heribert Prantl auf Ballhöhe, allzeit anspielbereit, ein Stürmer, dem die ehemals so geachtete Süddeutsche Zeitung ihre heute gebräuchlichen Beinamen "Prantl-Prawda" verdankt.
Prantl war in München "Meinungschef" in guten Zeiten. 2019 schied der studierte Jurist, gläubige Katholikal und Verfechter einer höheren Gerechtigkeit jenseits des geltenden Rechts aus der Chefredaktion der Süddeutschen aus. Damals in der guten Gewissheit, dass ist nicht mehr weit ist in ein Land, in dem jene höhere Gerechtigkeit immer ann angewendet werden wird, wenn etwas nicht so läuft, wie es ihm gefällt.
Passen musste es
Das war mal so, mal so. So kritisierte Prantl zwar das Meinungsfreiheitsschutzgesetz NetzDG, vorsichtshalber natürlich erst, nachdem es beschlossen war. Trotzdem, insistierte er, "entscheiden muss die Justiz" darüber, was unter Meinungsfreiheit fällt, nicht irgendein Konzern. Wobei Ausnahmen bei Bedarf erlaubt seien: Als die AfD-Politikerin Beatrix von Storch bei Twitter gesperrt wurde, hielt Prantl das keineswegs für bedenklich, sondern für "lehrsam für die AfD-Frontfrau", denn die begreife so vielleicht, "dass ein Bundestagsmandat nicht die Lizenz für Pöbelei und Volksverhetzung" sei.
Heribert Prantl stand, das lässt sich ohne Zweifel sagen, stets auf Seiten des Guten, er war gegen einen "Ausverkauf der Staatlichkeit", er lobte das EU-Parlament als "einziges direkt gewählte supranationale Institution der Welt" und er lobte das Bundesverfassungsgericht, als es die "binäre Geschlechtlichkeit" abschaffte, und er kritisierte es scharf, als es den "Staat Europa" (Prantl) gefährdete. Eine "Kraftspritze für Europa" dagegen erschien ihm die Zustimmung der Richter zum Euro-Rettungsfonds. Danach erst konnte Prantls Volksbewegung "Pulse of Europa" vor aller Medienaugen reüssieren und Preise einsammeln. Um alsbald still zu versterben.
Ungläubig, empört, zornig
In verrückten Zeiten aber kann der beste Kommentäter nicht in Ruhe leben, wenn ihn das Verfassungsgericht nicht lässt. Ausgerechnet das wegweisende Urteil der höchsten Richter, das den Weg frei machte zu Corona-Rettungsmaßnahmen über all "roten Linien" hinweg, hat den 68-Jährigen jetzt "ungläubig, empört, zornig" zurückgelassen. Das Urteil sei "dürftig, gefährlich, feige", stößt er ins Horn der Unkenrufer, , denn es stelle "das Grundgesetz unter Pandemie-Vorbehalt". So klingt sonst nur Sachsen, dort, wo es besonders dunkel ist.
Da ist etwas zerbrochen in einem Mann, der "das Bundesverfassungsgericht so schätzt, wie ich es tue, weil es sich große und größte Verdienste erworben hat". Und nun ein "Fremdscham-Gefühl" in sich spürt, weil "vom Geist der großen Richter in der Geschichte des Verfassungsgerichts" nichts mehr übrig sei. "Keine Checks, keine Balances." Das Durchwinken von allem, was sich Politiker im Zustand der Ratlosigkeit ausgedacht hatten, lässt den Federführer plötzlich fürchten, dass die Zeit vorbei ist, in der das Verfassungsgericht als letzte Korrekturinstanz auftrat, wenn sich Politiker zu viel herausnahmen. Die Corona-Beschlüsse markierten einen Wendepunkt in der Geschichte des Gerichts, glaubt der späte Prantl, denn seine Beschlüsse liefen einfach darauf hinaus, "dass Not kein Gebot kennt."
Unveräußerlich auf Widerruf
Für jemanden, der an das Grundgesetz glaubt und ebenso daran, dass es Rechte als unveräußerlich schütze, muss der Moment entsetzlich sein, in dem ihm aufgeht, dass vor dem Grundrecht auf Leben und Gesundheit alle "anderen Grundrechte beiseitespringen müssen, wenn der Staat auch nur behauptet, dass die Maßnahmen, die er verordnet, dem Lebensschutz dienen." Aus unveräußerlich wird bis zum Widerruf. Aus überstaatlichen Grundrechten, die natürliche, angeborene Rechte sind, die nicht eigens verliehen werden müssen, ja, gar nicht können, wird eine gewährte Gnade, die jederzeit entzogen und dann auch nirgendwo wieder eingeklagt werden kann.
Es ist ein sichtlich gebrochener Mann, der das in der Berliner Zeitung die "Sicherheit im Recht" schwinden sieht, der schimpft, dass in Karlsruhe ja eigentlich nicht das RKI, sondern das Verfassungsgericht residiere und dass dessen Pflicht nicht ein "Lobpreis der Grundrechte" sei, um sie anschließend "abzuschießen wie Tontauben" (Prantl). Sondern der Schutz der Verfassung auch vor denen, die einen Eid auf sie geschworen haben, der nun im ersten Moment einer furchtbaren Gefahr über Bord ging.
Nichts mehr mit Prüfung
Nichts mehr mit Prüfung, nichts mehr mit Abwägung, nichts mehr mit Sowohl-Alsauch. Dafür aber ein Freibrief, der der Politik das Gefühl des "anything goes" geben könnte. Was komme denn dann nach der Impfpflicht? "Wird womöglich das Nichtimpfen kriminalisiert? Wird das Nichtimpfen zur Straftat? Ist dann künftig einer, der sich nicht impfen lässt, ein Straftäter?" Das seien Befürchtungen, die er habe, sagt Heribert Prantl und er, der all die Jahre mitgeschabt hat am großen Gemeinschaftswerk der vier Gewalten, klingt ernüchtert und enttäuscht wie nie. Wenn ein Gesetz wie das Bundesnotbremsen-Gesetz den gewohnten Rechtsweg ausschließen könne, so dass nur das Verfassungsgericht in Karlsruhe als Klageinstanz bleibe, dieses eine Gericht aber "Verfassungsbeschwerden abwimmelt", dann "wird die Rechtsschutzgarantie zu einer bloß papierenen Garantie."
Das sitzt tief, das tut weh. So weh sogar, dass Heribert Prantl, stets ein großer Freund eines Europa, das wie "eine Art Notverordnungs-Demokratie" funktioniert, sogar ketzerische Zweifel daran anmeldet, ob ein Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte am Schlamassel wirklich etwas zu ändern vermag. "Versuchen kann man es, an einen Erfolg glaube ich nicht", sagt der Doyen des deutschen Haltungsjournalismus, dem Olaf Scholz' Versprechen, dass es für seine Regierung "keine roten Linien" geben werde, " nicht sehr beruhigend" klingt. "Die roten Linien, die es angeblich nicht mehr gibt, zieht das Grundgesetz. Das ist so und das bleibt so, auch wenn sogar das Bundesverfassungsgericht so tut, als sähe es sie nicht."
4 Kommentare:
Genosse Prantl:
Meine Großmutter hatte für solche Blindheit ein altes Sprichwort parat: „Wenn das Aug’ nicht sehen will, helfen weder Licht noch Brill’.“
Klug gesagt, man kann das gleich mal auf ihn selbst anwenden. Verantwortlich für all das Ungemach und Linienüberschreiten ist bei ihm 'das Gericht' und wahlweise 'Karlsruhe'. Mehr will sein Aug' nicht sehen. Das VerfG ist in seinem Aug' ein Monolith, eine losgelöste, nicht weiter differenzierbare Entität. Der Name Harbarth kommt ihm nicht über die Lippen, die Praxis der Auswahl der Richter durch den Parteienklüngel, nachzulesen bei Danisch, scheint ihm nicht bekannt oder irgendwie fragwürdig zu sein. Auch das Treffen der Kanzlerin mit Richtern ist ihm keine Erwähnung wert. Offensichtlich gibt es einen Haufen Linien, vor denen der alte Analytiker selbst im Ruhestand noch zurückschreckt.
Wer hätte das gedacht, dass ich einmal mit Heribert Prantl einer Meinung sein würde. Zumindest so halbwegs und leider Jahre zu spät. Wer noch vor ein paar Jahren so etwas wie "wehret den Anfängen" murmelte, war automatisch ein rechter Schwurbler, der an Verschwörungsmythen glaubt.
Mindestens, wenn nicht schlimmer.
Aber die Revolution frisst ihre Kinder. Immer. Nur ahnen das die Kinder vorher nie und helfen fleißig dabei mit, die Revolution in Gang zu bringen. Das muss wohl ein Fehler in unserem Genom sein. Seit Anbeginn der Zeiten sehen die Zertrümmerer auf die Verheerungen die sie selbst angerichtet haben und fragen sich, wie es nur so weit kommen konnte. Den Balken im eigenen Auge vermag die übergroße Mehrheit nie rechtzeitig zu erkennen, falls überhaupt jemals.
Aber die Revolution frisst ihre Kinder. Immer.“
Aber bis dahin ist es schön, dieses Hochgefühl der Überlegenheit über die Trotzkisten/Aristokraten/Juden/Kulaken/Kriegstreiber/COVIDioten/Rechten/Emanuel Goldstein (zutreffendes bitte unterstreichen).
Und außerdem, das war ja nur früher so, dass die Jakobiner die Jakobiner, die Bolschewisten die Bolschewisten ausgerottet haben. Beim nächsten Versuch wird alles besser.
Und wenn nicht, dann beim übernächsten.
Och, Heribert das Wuschelköpfchen ist noch nicht einmal des Ignorierens wert.
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