Donnerstag, 2. Dezember 2021

Brasilien: Vom Schreckgespenst zum Virenvorbild

Fakten stören bei Suche nach den Ursachen für Deutschlands desaströse Corona-Bilanz oft nur. So muss Brasiliens Impfbilanz derzeit als Vorbild herhalten.

270.000 Neuinfektionen mit dem Corona-Virus zählte Brasilien in der vorigen Woche der vierten Welle, eine Zahl, die die "Tagesschau" das böse Bolsonaro-Land plötzlich in einem ganz neuen Licht sehen sah. Brasilien als Vorbild, das den Kopf schüttelte über Deutschland. Über 90 Prozent der Menschen in Sao Paulo seien geimpft, so die "Tagesschau" unter der Überschrift "Brasilien lässt sich impfen". Vakzine von BioNTech, AstraZeneca und Sinovac aus China seien hierzulande begehrte Stoffe, anstatt wie in Deutschland häufig ungenutzt in Arztpraxen abzulaufen. An manchen Tagen würden in Brasilien sogar mehr als drei Millionen Dosen geimpft, lobte die quasiamtliche Hauptnachrichtensendung, flankiert von Berichten der quasiamtlichen Nachrichtenagentur DPA über ein "brasilianisches Impfwunder".

Das frei erfundene brasilianische Impfwunder

Dem nämlich sei zu verdanken, dass sich unter den 212 Millionen Brasilianern nur noch weniger als ein Viertel so viele Menschen anstecken, die sich im selben Zeitraum im weniger als halb so bevölkerungsreichen Deutschland neu infizieren. Impfen, impfen, impfen, so sehr helfe das, wie das brasilianische Beispiel so eindrucksvoll zeige.

Und es ist ja auch wirklich ein Wunder. Während die Impfquote in Deutschland derzeit bei 68,2 Prozent der Bevölkerung mit absolvierten zwei Impfungen festhängt, sind in Brasilien amtlichen Angaben zufolge wirklich bereits 60,2 Prozent der Bevölkerung "durchgeimpft" (Jens Spahn). Auch die Erstimpfung entfaltet am Zuckerhut beinahe wundersame Wirkungen: 76,4 Prozent der Brasilianer haben bisher nur eine Spritze erhalten, dennoch aber scheinen BioNTech, das in Deutschland und Europa auf dem Index stehende AstraZeneca und sogar das in der EU auch nach einem Jahr nicht zugelassene chinesische Sinovac hervorragend zu wirken. 

Sogar nicht zugelassene Impfstoffe wirken

Mag Deutschland Impfquote insgesamt auch viel höher sein, mögen in Brasilien traditionell viele Erstgeimpfte ihre Zweitimpfung traditionell gar nicht mehr mitnehmen und mag sogar die Boosterkampagne auf der sommerlichen Südhalbkugel gerade mal halb so gut ankommen wie im winterlichen Klimanorden, egal. Brasilien, nach deutschen Maßstäben bedauerlicherweise bis heute nur eine "unvollständige Demokratie", ist in der Stunde der Not aufgerückt vom Corona-Schreckensland, an dessen Spitze ein Mann der Schwefelpartei  die Wissenschaft leugnete und die Lunge der Welt verpestete, zum Beispielstaat, dessen Vorbild nachgeeifert werden muss.

Impfen, impfen, impfen ist die Botschaft, und ob die Argumente dafür schlüssig sind, darauf kommt es längst nicht mehr an. Dass Corona sich bei derzeit 22 Grad in Rio und 21 in Sao Paulo sicher eher verhält wie es das im im Juli und August sommerlichen Sylt, im sonnigen Freiburg oder an der immerhin tageweise mit Ferienwetter gesegneten Ostsee tat statt umzugehen wie bei fünf Grad plus im Erzgebirge, in Bautzen und Hildburghausen, wäre da als Tatsache nur hinderlich. Nach 19 Monaten Pandemie, in der sich eine ausschließlich Sonnenschein und Bürokratenmast gewohnte Politikerkaste ebenso wie ihre ausschließlich auf die Lösung von Luxusproblemen geeichte Staatsverwaltung  als unfähig erwies, einfachste Organisationsgrundlagen für die Gefahrenabwehr zu schaffen, muss ein Märchen herhalten, die Wahrheit zu verkünden.



7 Kommentare:

Der laute Karl hat gesagt…

Wie das Beispiel Brasilien eindrucksvoll belegt, dauert eine Coronawelle ohne staatliches Eingreifen 8 Wochen. In Deutschland dauert so eine Welle mit staatlichen Eingriffen nur 2 Monate. Da 2 nur etwa ein Viertel von 8 ist, zeigt das die Überlegenheit der deutschen Pandemiebekämpfung.

Jodel hat gesagt…

Das die Corona-Maßnahmen unserer gesegneten Regierung die weltbesten sind, Impferfolg hin, Inzidenz her, ist die felsenfeste Meinung unserer durchgeimpften Medien. Alles was vielleicht nicht ganz gepasst hat, wurde jetzt vom Bundesverfassungsgericht passend gemacht.

Wenn wir auch im zweiten Corona-Winter immer noch erstaunlich wenig über das Virus wissen und viele Daten auch geraten sein könnten, steht die oben erwähnte Erkenntnis bombenfest.
Diesem Narrativ haben sich alle Daten und vor allem die Wirklichkeit unterzuordnen.

Sieht man auch gerade wieder schön an der Omikron-Variante. Weltweit sieht man das momentan meist noch ganz entspannt. Nichts genaues weiß man noch nicht. Schau mer mal, dann seh mer schon. Bei uns bimmeln hingegen sämtliche Alarmglocken rauf und runter. So sieht der souveräne Umgang mit einer neuen Corona-Variante aus und nicht anders.

P.S. Was ist eigentlich aus den Varianten Epsilon bis Xi geworden? Ich habe nie etwas von denen gehört. Waren die auch brandgefährlich und supertödlich? Oder haben wir alle Buchstaben im griechischen Alphabet übersprungen bis wieder einer mit coolem Sound an der Reihe war?

Die Anmerkung hat gesagt…

@Jodel

>> P.S. Was ist eigentlich aus den Varianten Epsilon bis Xi geworden?

Isla McKetta, MFA | #DreamBigFightHard @islaisreading

This is not how I wanted to learn the Greek alphabet

ppq hat gesagt…

@karl: das ist eine rechnung, die diesem board wahrhaft würdig ist. gratulation! endlich jemand, der die vielfalt der mathematischen möglichkeiten im ppqschen sinne des 2 und 2 ist 22 erfasst hat

Die Anmerkung hat gesagt…

BILD ist jetzt schon bei den angehäuften Särgen angekommen, die sie als Teaserfoto für die Erweckung des deutschen Volkes brauchen.

https://www.bild.de/ratgeber/2021/ratgeber/corona-statistik-mehr-tote-bei-schlechter-impfquote-so-wirkt-sich-das-impfen-aus-78416464.bild.html

Anonym hat gesagt…

Man muss bei der Sargstory ziemlich weit nach unten scrollen:

Das relative Risiko von Geimpften, auf einer Intensivstation zu landen, sei erheblich niedriger. „Es deutet alles in die gleiche Richtung“, sagte der Wissenschaftler, auch wenn es nach Angaben des Wissenschaftlers keinen „knallharten kausalen Schluss“ gibt.

Ach gar.

Volker hat gesagt…

Bin ich froh, dass nach dem Abgang von Julian Reichelt die BILD in den Schoß des Systems zurückgefunden hat.