Sonntag, 14. November 2021

"Wie in der DDR": Vom Falschsein des Diktaturenvergleichs

Es fühlt sich schon wieder so an wie in der DDR" - das meint beispielsweise Medienspitzenmanager Mathias Döpfner, zumindest, solange er sich unbeobachtet fühlt. Auch andere bekannte Publizisten warnen vor einer neuen Diktatur, vor Verhältnisse wie in der DDR, zu der sie im Handumdrehen Parallelen ziehen. Die Meinungsfreiheit sei auch heute nicht gewährleistet, wer anders denke, müsse Konsequenzen fürchten, komme es raus, die Geheimdienste wollten wieder alles wissen, Kritik an Verbündeten sei verboten und Medienarbeiter seien gezwungen, in einem Chor mitzusingen, der das Loblied von Kanzlerin, Verfassungsgerichtsbarkeit, Klimastrategie und Coronaerfolg singe.

Die kruden Thesen von der DDR

Für PPQ.li haben die Faktenfinder Svenja Prantl und Hans Achtelbuscher die kruden Thesen von der angeblichen neuen DDR oder auch DDR 2.0 geprüft und Vorwürfe untersucht, Medien seien "Propaganda-Assistenten", im Bundestag verhindere eine "Nationale Front" die Besetzung aller Vizepräsidentenposten und der Wählerwille werde ebenso wenig umgesetzt wie höchste Verfassungsgerichtsurteile. Fest steht nun, dass es eine Kontinuität, wie sie von Döpfner in einer vermeintlich privaten SMS behauptet worden sein soll, nicht gibt. Vielmehr, so Achtelbuscher (60), der als Medienpsychologe bereits mehrere Bücher über mediale Behandlungsmuster, die "Tagesschau" und die „Kultur des Genug aus ökonomischer und Abonenntensicht“ geschrieben hat, handele es sich um ein kindheitsgeprägtes Erwartungsmuster.

Nachfolgend erklären der Forscher und die Faktenfinderin, wie solche Trugbilder entstehen und wie sie von interessierter Seite genutzt werden.  

Ruderte Döpfner zurück?

Hat Springer-Manager Mathias Döpfner die DDR 2.0 heraufbeschworen? oder war sie schon voher wieder da? Ruderte der mächtige Medienboss zurück, indem er sich auf Ironie berief - übrigens eine beliebte Strategie bei Rechtspopulisten? Oder gehörte auch das zur Provokation dazu? Nun, allgemein wird zur Verteidigung von Positionen, die die SED-Diktatur bagatellisieren, gern behauptet,  ein Vergleichen sei nicht gleichzusetzen mit einem Gleichsetzen. Der Unterschied der FDGO zur DDR-Diktatur liege eben darin, dass Vergleiche gezogen werden dürfen, selbst auf die Gefahr hin, dass sich Gleichheit zeige.

Aus medienwissenschaftlicher Sicht trifft das aber so nicht zu. Faktenfinder nutzen den DDR-Vergleich stets gern, um Unterschiede herauszuarbeiten, nicht um widerrechtliche Parallelen zu betonen. Das versucht nur, wer daran interessiert ist, mit Schmutz zu werfen. Denn bekanntlich bleibt immer etwas hängen, und sei es die Behauptung, wie damals bestehe das Regime auch heute aus einer kleinen Gruppe von Parteifunktionären, einer Art Politbüro, hinter denen ein Heer aus Blockparteifunktionären, Journalisten, TV-Moderatoren, Kirchenfunktionären, Künstlern, Lehrern, Professoren, Kabarettisten und anderen Engagierten stehe, das gemeinsam mit der Staats- und Parteiführung die Opposition bekämpfe.

Widerspruch des Medienforschers

Doch dieser Deutung der DDR als "neuer Bundesrepublik" muss aus medienpsychologischer Sicht deutlich widersprochen werden. Nirgendwo anders als in den deutschen Medien wird ernsthaft nach Parallelen gesucht, wird recherchiert, wo sich alte Muster wieder zeigen. Nach einer aktuellen Untersuchung gingen 26 Prozent der Kommentäter während der laufenden Umgangsexperimente mit dem Virus kritisch bis nachfragend auf aktuelle Maßnahmepakete ein. Das ist mehr als ein Viertel - zum Vergleich: So viele Zeitungen, Magazine, Fernsehnachrichten und Radiosendungen gab es in der real existierenden DDR gar nicht.

So groß sind die Unterschiede, so verschieden ist die Gegenwart verglichen mit der Alltags- und Herrschaftswirklichkeit in der SED-Diktatur. Vor allem die gegenwärtigen ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Lebensumstände sind ganz anders als im SED-Staat: So hatten Wahlen in der DDR eine völlig andere Funktion als heute. Damals ging es um die Bestätigung der Politik der herrschenden Partei und ihrer Verbündeten in der Nationalen Front, heute zeigt sich im Wechselspiel der einzelnen Koalitionen, wie aus einem Vizekanzler ein Kanzler und aus einer Oppositionspartei rasch ein Teil des Regierungsbündnisses werden könne.

Entscheidung über die Macht

Die Entscheidung über die Ausübung der Macht, sie wird nicht mehr durch eine Staatspartei getroffen und nie mehr zur Disposition gestellt, sondern durch mehrere staatstragende Parteien, die abwechselnd voneinander die Verantwortung zugeschrieben bekommen, warum die Dinge erneut nicht so laufen wie es versprochen worden war. Während Wahlen in der DDR der Mobilisierung zugunsten des SED-Staates dienten, resümiert Faktenkolumnistin Svenja Prantl, seien Kampagnen zur Wahlteilnahme heute Aufrufe zu zivilem Gehorsam und Kampf gegen rechts. Wer ihnen demonstrativ fernbleibe, müsse jedoch nicht mit drakonischen Strafmaßnahmen rechnen, nur damit, ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

Hans Achtelbuscher erklärt: "Bei allen Mängeln und Widersprüchen, die das Wahlsystem in der Bundesrepublik aufweisen mag, wer diesen deutlichen Unterschied nicht erkennen mag, muss sich fragen lassen, ob sie oder er letztlich nicht doch selbst ein Wahlsystem präferiert, dass dem des SED-Staates ähnlich wäre." Ähnlich sehe es mit der Staatsverwaltung und den Schutzorganen aus: Während die DDR-Stasi nicht an die Verfassung gebunden war, wird der Verfassungsschutz streng vom Bundestag überwacht, während er die Bevölkerung überwacht. Auch andere Geheimdienste müssen sich öffentlicher Kritik aussetzen und parlamentarischen Gremien gegenüber berichten.


Keine Kommentare: