Der Weihnachtsmann bringt der Union einen neuen Chef. |
Seinen vielleicht größten Auftritt hatte er im März 2021, als er in einer Talkshow in gewundenen Worten immer wieder bekundete, man wisse einfach nicht, was man tue. Niemand wisse das. Niemals. Helge Braun saß in einem Stuhl, der viel zu klein zu sein schien für seine wuchtige Figur, doch der Gießener Christdemokrat, ein Schwergewicht der deutschen Politik, schrumpfte im Verlauf der Sendung zu einem Krümel in der Sessellehne. Der Minenhund der Kanzlerin, in der Nachfolge des formatidentischen Peter Altmaier gewichtsgleich besetzt, wirkte überrollt, überfordert und enttäuscht von der Erkenntnis, dass seine unbestreitbaren Fähigkeiten nicht ausreichen, eine irrationale Politik dorthin zu erklären, wo die Menschen sie abholen kommen.
Der Kulissenschieber
Helge Braun war für einen Moment aus der Kulisse getreten, vor die Kanonen und in den Qualm eines zumindest simulierten Gefechts. Dort aber verließen den Kanzleramtsminister damals alle guten Geister. Der 49-Jährige, von fern erinnernd an die Zeichentrickfigur "Artur der Engel", im politischen Berlin aber meist "Pfarrer Braun" genannt, zog seine Konsequenzen: Er mied nun Fernsehauftritte, Talkshows, die TV-Demokratie, in der schrille Figuren wie Karl Lauterbach, Annalena Baerbock oder Melanie Brinkmann dominieren.
Braun regierte nun wieder aus dem Hinterzimmer. Verlässlich. Mit ruhiger Hand. Genauso, wie er als Deutschlands Digitalkoordinator seit 2018 dafür gesorgt hatte, dass Deutschland vom Bummelletzten der Internetgesellschaft zum weltweit beneideten Vorreiter geworden war. Im Gespensterkampf gegen us-amerikanische Algorithmen und den Missbrauch der privaten Meinungsmacht von Nutzern war Braun Dreh- und Angelpunkt. Es gehe darum, "gesellschaftlich ausgleichende Regelungen" für die Äußerung politischer Ansichten im Netz zu schaffen, stellte er klar, ein Stratege, der stets europäisch denkt, aber auch transatlantisch und christdemokratisch, fortschrittlich, divers und wertschätzend nachhaltig.
Der Einiger gegen die Spalter
Eine Kombination, die in der auseinanderbrechenden Nach-Merkel-Union selten zu finden ist. Im Kampf um die Nachfolge der Dauerkanzlerin meldeten bislang nur Spalter wie der ewige Friedrich Merz und sein Dauerwidersacher Norbert Röttgen Bereitschaft, als Retter aufzutreten. Beide Männer gelten als Spalter, Egomanen und Verlierertypen, sie sind alt, weiß und aus Nordrhein-Westfalen, beide haben bereits erfolglos versucht, Parteivorsitzender zu werden. Und beider Sieg im zweiten oder sogar dritten Anlauf wäre ein Aufbruchssignal wie Totenglocken.
Doch da ist ja noch Helge Braun. Verglichen mit Merz ist der Hesse mehr breit als hoch. Verglichen mit Röttgen, der mangels irgendwelcher Partei- oder sonstiger Funktionen stets als "Transatlantiker" vorgestellt wird wie in vergessener Vergangenheit namenlose Sängerinnen als "bekannt aus Funk und Fernsehen, ist er schweres Politkaliber. Braun, gelernter Mediziner und bis heute mit Doktortitel, sei Merkel, nur jünger und westlicher. Auch wie Laschet, nur mit größerem Gewicht, beklatschten die Gazetten die Erklärung des Kanzleramtsminister, ja, doch, nun ja, wirklich CDU-Vorsitzender werden zu wollen.
Kandidat der Merkel-Mitte
Zum Jagen getragen, will Braun sich von seiner Landespartei in Hessen nominieren lassen und als Vertreter der Merkel-Mitte ins Rennen gehen. Dem fehlte so einer noch, 31 Jahre Parteimitglied, vor 19 Jahren zum ersten Mal im Bundestag, seit drei Jahren Minister, kein Fotoradfahrer wie Altmaier, sondern jemand, der ehrlich genug ist, einzuräumen, dass Fahrradfahren ab 130 Kilogramm eine CO2-Bilanz hat, die weit verheerender ist als die einen Kurzstreckenfluges der EU-Kommissionspräsidentin, die einen Lastausgleich über schwungvolle Reden herstellt.
Helge Braun steht damit für einen kompletten Neuanfang, für eine ehrliche Politik, für einen Neustart der Union in der bescheidenen Tradition der Merkel-Ära, sachgerecht, europarechtskonform, mit niedrigem Zinsen und hohem Fortschrittsanspruch, im steten Bemühen um eine Reduzierung des Bundestages bei gleichzeitigem Ausbau des Kanzleramtes und des Burggrabens rund um das Höchste Haus. Der Kandidat der mittleren Mitte, er versprüht Lebensfreude und zugleich eine gewisse Vulnerabilität, er ist Westdeutscher, als Gießener, der im Schatten des Grenzübergangs aufwuchs, aber fast genauso ostdeutsch wie die aus Hamburg stammende Angela Merkel.
2 Kommentare:
Ein ?DU-Grander wurde gestern mit den Worten zitiert:
Das letzte, was die CDU jetzt braucht, ist ein Narkosearzt.
Die SPD hat mit den zwei unsichtbaren Vorsitzenden gut Erfahrung gemacht. Vielleicht möchte die CDU da anschließen.
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