Sollen die nur zweifach Geimpften künftig aus dem normalen Leben der neuen Normalität ausgesperrt bleiben? |
Sie sind die wissenschaftlichen Berater der Kanzlerin, ein hochrangiges Gremium, das zwar einst Juden ausschloss, dabei aber so feinfühlig agierte, dass es seinen guten Ruf längst wiedergewonnen hat. Die Leopoldina, Akademie der Gelehrten, war einst nur ein Versuch der Bundespolitik, einen Fuß in die Länderkompetenz für Kultur und Wissenschaft zu stecken. Entpuppte sich aber im Verlauf der nationalen Lage von pandemischer Bedeutung als coronaler Glücksgriff: War etwas unklar, und was war das schon nicht, kam immer passend ein Papier der "Gelehrtenversammlung" (DPA) daher, das empfahl und forderte, dem man andererseits aber folgen konnte oder auch nicht.
Unverbindliche Lösungsvorschläge
Das große Plus der Leopoldina-Einwürfe war dabei stets deren Unverbindlichkeit auch für die Absender. Hörte das Corona-Kabinett auf die Vorschläge, war das großartig, unterstrich es doch, wie wichtig man sich nehmen darf. Jeder Vorschlag war zudem immer auch nur einer von vielen, denn mit dem Robert-Koch-Institut, der Stiko, dem Ethikrat und der Europäischen Impfstoffbehörde konnte die Bundespolitik je nach Bedarf stets auch auf Ratschläge hören, die anders lauteten.
Guter Rat war nie teuer, sondern unverbindlich. Sieben Mal meldete sich die Akademie im ersten Seuchenjahr vernehmlich zu Wort, eine "gewichtige Stimme in der Krise", wie die "Tagesschau lobte. Die Leopoldina empfahlt, die Krise nachhaltig zu überwinden, ein "krisensicheres Bildungssystem" aufzubauen, allmählich auch mal Öffnungen zu denken, wirksame Regeln für Herbst und Winter aufzustellen und die Feiertage und den Jahreswechsel für einen harten Lockdown zu nutzen. Eine Impfpflicht aber sei "auszuschließen", so urteilten die Akademiker gemeinsam mit dem Deutschen Ethikrat, als der Impfstoff nur rar und die Herdenimmunität Ziel aller Bemühungen war. "Der Ausgangspunkt ist die Selbstbestimmung: Eine allgemeine Impfpflicht ist daher auszuschließen."
Ausschließen und vorschlagen
Zeit vergeht, die Wirkung der Impfstoffe lässt nach, die Erinnerung an frühere fundamentale Positionspapier ebenso, in denen es geheißen hatte, Impfungen setzten eine "aufgeklärte, freiwillige Zustimmung voraus", was es naheliegenderweise ausschließe, rollende Impfkommandos durchs Land zu schicken, die jedem Verweigerer überfallartig eine Nadel in den Arm jagen, ohne lange zu fragen.
Je weniger oft sich die Leopoldina im zweiten Pandemiejahr zu Wort meldete - aus sieben Ad-Hoc-Papieren wurden deren schmale drei - desto schneller schwand die Hoffnung, dass Ethik auf Zwang verzichten könne, weil die Freiwilligkeit die ganze Arbeit verrichten würde. Im Schulterschluss mit der Stiko, dem Bundesalarmbeauftragten Karl Lauterbach und den höchsten Ethikern der Republik gelang es den 1.500 "Mitgliedern aus mehr als 30 Ländern" (Eigendarstellung Leopoldina), die aktuelle Ethik der zugespitzten Lage anzupassen. Not kennt kein Gebot, wer sich waschen will, wird nass und wer klug genug war, Politiker, Ethiker, Medienschaffender oder Forschender zu werden, kommt vielleicht noch eine Zeit lang um seine berufsgruppenbezogene Impfpflicht herum. Dauerhaft aber, erklärten die Wissenschaftsorganisationen in Berlin, ist eine Impfpflicht für bestimmte Berufe, wie Pflegerinnen und Lehrpersonal unabdingbar.
Hinfort mit dem Datenschutz
Hinfort auch mit dem Datenschutz, einem Relikt aus Zeiten, in denen das Bundesverfassungsgericht das Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" erfand, um zu verhindern, dass Menschen aufgrund eines "nachhaltigen Einschüchterungseffektes" (BVerfG) wegen "abweichenden Verhaltens" darauf verzichten, ihre Freiheitsrechte wahrzunehmen. "Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen", urteilten die höchsten Richter in jener längst vergangenen Zeit und sahen die Gefahr, dass der- und diejenigen damit ihre "Persönlichkeit nicht mehr frei entfalten" könnten.
Nun geht es ja aber nur um das Mitfahren im Bus, um den Zutritt zum eigenen Arbeitsplatz, um Kino, Theater und Konzert. Deshalb müsse jedermanns Selbstbestimmungsrecht über seine Daten zurückstehen hinter dem Interesse der Gesellschaft, die vierte Welle zu besiegen, so die Leopoldina, die dafür plädiert, dass es jedem Arbeitgebern erlaubt sein solle, Angestellte nach ihrem Impfstatus zu fragen. Gewitzte Gelehrtenethik;: Verboten ist das auch heute nicht, nur ist es eben noch erlaubt, keine Antwort zu geben. Was die Notstandsethik aus dem Elfenbeinturm will, ist eine Auskunftspflicht, die auch mit Sanktionen durchgesetzt werden kann.
Nicht festlegen, sondern nahelegen
Natürlich, die anfangs geradezu herabregnenden "Positionspapiere" der besten Forscherinnen und Forscher des Landes hatten stets vor allem medialen Charakter. Sie legten nichts fest, sie legten nur nahe. Masken ja, eine Impfpflicht nein, man korrigierte sich nie, sondern schrieb die eigenen Empfehlungen gelegentlich fort, wenn ein früherer Rat nicht mehr haltbar war. So lange eine Impfpflicht womöglich denkbar, aber nicht wünschenswert war, weil sie die Gräben in der Gesellschaft nur noch zu vertiefen drohte, versicherten Politik, Justiz und die Wissenschaftsgemeinschaft, dass es sie nicht geben werde. Allerdings kann auch in der Ethik nicht alles immer bleiben, wie es ist, so dass sich auch die Leoldina und die obersten Bundesethiker von früheren Positionen trennen müssen, ohne sie aufzugeben.
Weil die Corona-Pandemie "mit der vierten Welle wieder stark an Dynamik gewonnen" habe, so die Akademie aktuell, sei eine "Impfpflicht für besondere Berufsgruppen" nun ebenso nicht nur denkbar und ethisch vertretbar, sondern sogar genauso erforderlich wie die Auskunftspflicht zum Impfstatus und eine Ausweitung der 2G-Regel, wonach nur geimpfte oder genesene Menschen Zutritt zu Veranstaltungen bekommen. Die Logik der Notstandsethik ist gerade in diesem Punkt bestechend: Weil man von Geimpften und Genesenen sicher weiß, dass sie geimpft oder genesen sind, weiß man nicht im Geringsten, ob sie trotzdem infektiös sind. Von frisch Negativgetesteten dagegen steht nur fest, dass sie in diesem Moment definitiv niemanden anstecken können.
5 Kommentare:
Herles zur Seuche
Die Liste des Versagens und der Versager ist lang.
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Ich habe mir ja auch so einen Zettel zwecks Wiedervorlage hingelegt.
Der ist immer noch a weisses blattl papier (musicmatch).
Sie wie Deuschland nicht als erstes Land den Faschismus einführte, führte es nicht als erstes den Corona-Impfzwang ein. Erstmal die anderen machen lassen, schauen, wie es läuft, und dann mitmachen und noch einen draufsetzen.
Die Liste des Versagens und der Versager ist lang.
Nö. Nix Versagen, läuft alles wie geölt.
Woanders haben "wir" mutmaßlich versagt: Der CO2-Dreck war vor ~ 20 Jahren schon so gut wie abgestorben - als dieses langsam wieder hochgekocht wurde, hätte mit gebotener Schärfe dagegen angestunken werden müssen, und auch können. Nu is to late.
Der Süddeutsche Beobachte hat mal genau hingeschaut.
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Anne Will
Politikversagen von nationaler Tragweite
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Nö. Anne will als Versager ja, aber keinesfalls von nationaler Tragweite.
Sie wie Deuschland nicht als erstes Land den Faschismus einführte ...
Nun ja, Dollfuß hat zwar versucht, den Faschismus in Österreich einzuführen, aber die Nationalsozialisten haben ihm heimgeleuchtet.
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