Freitag, 5. November 2021

Das deutsche Delta: Es geht seinen Ganges

Indien (rechts) erwartet keine dritte Welle, Deutschland steckt in der 4.

Die älteren Teilnehmer erinnern sich noch recht genau an die Tage, als die letzte Hoffnung wich. Eben noch waren Helden ausgerufen worden, Helden, die alles gaben für alle, indem sie nichts taten. Und nun stand da auf einmal die Delta-Variante vor der Tür, vom Bundesangstbeauftragen als "Mutante" bezeichnet und in der "Tagesschau" mit dem Bild einer stachligen Seemine illustriert, die jeden Moment in die Luft zu gehen droht. Indien war das neue Italien, das neue Spanien, das neue London, New York und Paris.  

Aus der fernen Fremde

Tagelang wurde aus der fremden Ferne berichtet, von Orten, von denen nie die Rede ist, außer, dass eine Fähre kentert. Das Fernsehen zeigte Menschen, die sich in einem der schmutzigsten Flüsse der Erde waschen. Von verarmten Millionenheeren, die sich auf Busbahnhöfen gegenseitig anniesten und von Krankenhäusern, auf denen eigentlich so friedliebende Hindus einander die raren Beatmungsgeräte aus dem Rachen rissen.

Es war die Apokalypse, verursacht von der "indischen Mutante", die aus Gründen des Kampfes gegen den Rassismus von einem Tag auf den anderen in "Delta-Variante" umbenannt, aber damit nicht weniger gefährlich geworden war. Sie grassierte, sie übertraf die "früher als brasilianisch bekannte Gamma-Variante" (DPA). Und sie drohte, auch Deutschland ins Visier zu nehmen, wenn nicht schnell etwas getan würde.

Am Impfziel

Es wurde nicht, denn es wusste niemand was. Zwar kam nach Delta nichts mehr. Der Variantenreichtum der Pandemie endete mit dem vierten Buchstaben des griechischen Alphabets. Aber es war ja auch Sommer geworden, die Lage entspannt, das Impfziel der EU von 70 Prozent längst erreicht, wenn auch nicht überall und schon gar nicht dort, wo die reichen Länder Impfstoff horteten, als sei die Pandemie nicht erst besiegt, wenn alle Menschen überall geimpft sind.

Das indische Drama geriet aus dem Blick, es scherte wieder weniger, wenn hinten, weit, hinter der Türkei, ganze Völker starben.War es die "moderne Sauerstofferzeugungsanlage" (Bundeswehr), die von einem deutschen Flieger auf den Subkontinent gebracht und "unter widrigsten Bedingungen" aufgebaut worden war, die die Wende gebracht hatte? Oder war der "hohe Wissensstand der indischen Techniker" ausschlaggebend gewesen, die zusammen mit Ingenieuren "und sogar einen Doktor der Chemie" von deutschen Spezialisten in die Bedienung der komplexen Anlage eingewiesen worden waren? 

Das Verschwinden der Tragödie

Mit den deutschen Kameras jedenfalls verschwand auch die unabwendbare Tragödie. Und das nicht nur aus der "Tagesschau" und den angeschlossenen Abspielkanälen, sondern auch aus dem indischen Alltag. Schneller als selbst Karl Lauterbach "Alarm" rufen konnte, sanken die indischen Infektionszahlen. Zehn Monate nach dem Beginn des Heimspiels der besonders aggressiven Delta-Variante zählt Indien bei 16-fach größerer Bevölkerung nahezu dieselbe Anzahl an Neuinfizierten wie Deutschland: Um die 400.000 pro Woche erwischt Delta derzeit. Jeder 3.200. Inder steckt sich neu an. In Deutschland hingegen erwischt es im Moment jeden 200. Einwohner.

Ein Rätsel, denn die Impfquote in Indien liegt mit 53 Prozent deutlich unter der deutschen, zudem verwendet die größte Demokratie der Welt zweifelhafte Impfstoffe, die in der EU keine Zulassung haben oder aber wegen sehr, sehr, sehr seltener Nebenwirkungen nicht mehr verwendet werden. Dazu ist das Gesundheitswesen beider Länder überhaupt nicht vergleichbar, wie "Tagesschau" schon früh herausfand: "Wenn in Deutschland und Indien gleich viele Fälle pro hunderttausend Einwohner auftreten, sagen wir mal 150, dann treffen diese Infizierten in Deutschland auf die Infrastruktur und das Gesundheitssystem eines westlichen Industrielandes". In Indien aber sehe das ganz anders aus, denn Indien habe nur ein Viertel der Intensivbetten pro Einwohner im Vergleich zu Deutschland. 

Das indische Tuch

Was in Afrika inzwischen auch amtlich als "Corona-Wunder" (Der Spiegel) bezeichnet wird, es ist am originären Mutationsort der Delta-Variante in noch weit höherem Maße kein Thema für  Schlagzeilen. Mag sein, der Inder als solcher ist jünger, abgehärteter, das indische Maskentuch womöglich dichter, das Wetter besser oder die Delta-Variante daheim zahmer als bei Auftritten im Ausland. Bemerkenswerter aber als ist das deutsche Desinteresse an Erklärungsversuchen der Inder, die mittlerweile davon ausgehen, dass nahezu jeder Mensch im Lande ein gewisses Maß an Immunität gegen den Erreger aufgebaut habe. Immer noch stecken sich Menschen an, immer noch sterben auch Menschen an und mit Covid-19. Doch mit aktuell etwa 450 Toten am Tag holt sich Corona in Indien derzeit umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung sechsmal weniger Opfer als in Deutschland.


8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Deutungen bei Der Soiegel zum 'afrikanischen Covid Wunder' gehen kaum über das geistige Niveau anonymer Internetkommentare hinaus. Man berichtet, um den journalistischen Anschein zu wahren, traut sich aber nicht, zu 'hinterfragen', was ja bei anderen Themen in manischer Rekursion betrieben wird.
Auch über Schweden und Florida, wo man das afrikanische Modell bewusst und nicht aus purem Mangel erfolgreich anwendet, herrscht schweigen.

Die Anmerkung hat gesagt…

Politiker sind wirklich so doof, wie der gemeine Bürger am Bierausschank vor dem Bahnhof immer und immer wieder redet.
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Kretschmer: "Wir müssen dieses Land vor einem Lockdown schützen"
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Das heißt ja ins deutsche übersetzt: Wir müssen dieses Land vor Merkel, Spahn, Drosten, Wieler und Kretschmer schützen.

Wie macht man das. So wie Danisch.

Das war mir nicht bewusst, dass ich mit meinem Blog so opportunistisch, untertänig, obrigkeitshörig, mitläuferisch und konformistisch wirke.

Gut, daß ihm das mal jemand gesagt hat. Ich weiß, daß ich in dieser Welt nichts bewege, sondern der Systemstabilität zuträglich bin.

Anonym hat gesagt…

OT Danisch hat seine Zeit nicht mit dem Lesen von 'Der Untertan' vergeudet und muss es googeln, es sei ihm geneidet.

Wer dieses jämmerliche Satzgewurstel anderen zur Erleuchtung empfiehlt, ist rechtschaffen auf dem Stand seines alten Deutschlehrplans hängengelieben.

Anonym hat gesagt…

@Venusdelta

>mal wieder geifernd daran, Danisch kritisieren zu können

Ob Du das falsch verstanden haben könntest?

Ich bezweifle, dass Anmerkung auf der Seite von Twitteranten steht, die den Imperativ von lesen 'ließ' buchstabieren.

ppq hat gesagt…

@venusdelta: lass es einfach. ich lösche dich ja doch. und wirklich: mich kostet es einen einzigen tastendruck und dein ganzes mühevoll zusammengeklappertes gehasse ist weg

Kreuzweis hat gesagt…

(Ich schreibe zu Ehren und zum Trost von Venusdelta, der Trockenheitstraumatisierten ...)


Also, die "Delta-Variante" hängt auch mir schon sowas von zum Halse heraus!
Sehnsüchtig warte ich auf die nächste, noch ansteckendere, noch tödlichere, noch gruseligere Variante. Corona, enttäusche uns nicht!

Anonym hat gesagt…

re Untertan :meine "Deutschlehrerin" war eine völlig ungebildete Sozibolschewistin und Prolette ; immer wieder mussten wir Büßerliteratur von Brecht und Co. lesen - habe diese Bücher alle verbrannt

Anonym hat gesagt…

Heßling (Werner Peters) im Film (stark zusammengedampft zum Roman) zu Guste Daimchen: Ich kann mich noch erinnern, wie Sie als kleine Göre immer bei uns über'n Zaun geklettert sind. Meistens hatten Sie ja kein Höschen drunter ... Aber Herr Doktor! Ich bin verlobt!