Als hätte man es ahnen können nach dem Vorbereitungstreffen in Berlin, dem langen Schweigen und der Ankündigung des früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Stephan Harbarth, Grundrechte gegeneinander abwiegen zu wollen, bis notwendige Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, wie sie mit dem Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite verhängt worden waren, weit genug in der Vergangenheit liegen, um rückblickend sagen zu können: Ja, das durfte der Staat nicht nur, das musste die Politik so entscheiden. Es war zum Besten aller, also kein Grund zur Beschwerde.
Und das war gut so
Zwar griffen die angeordneten Kontaktbeschränkungen in das Familiengrundrecht und die Ehegestaltungsfreiheit, auch das unveräußerliche Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wurde eingeschränkt. Aber, so die Richter in Karlsruhe, alle diese bis zum Mai 2020 kaum vorstellbaren Grundrechtseingriffe waren nicht nur formell verfassungsgemäß, sondern sie verletzten nicht einmal die verfassungsrechtliche Gewährleistung individuellen Rechtsschutzes der Betroffenen und missachteten auch nicht "die aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung resultierenden Grenzen für die Handlungsformenwahl des Gesetzgebers".
Im Grunde genommen hatten die Mütter und Väter, so das BVerfG, das Grundgesetz für den Fall einer Pandemie wohlweislich von vornherein um die Möglichkeit herum geschrieben, mit Hilfe des Infektionsschutzgesetzes durch den Gesundheitsminister Verordnungen erlassen lassen zu können, um zu "verfassungsrechtlich legitimen Zwecken" (BVerfG) in verfassungsrechtliche garantierte Rechte eingreifen und sie bei Bedarf auch für aufgehoben erklären zu können.
Nur seine Pflicht
Der Gesetzgeber habe all das "in Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten" getan, eine Prüfung, ob er dafür "hinreichend tragfähige Grundlagen" gehabt habe - etwa für die Anweisung, das Haus nachts nicht mehr allein verlassen zu dürfen oder Verwandte nur noch einzeln besuchen zu können - habe ergeben, dass dem so gewesen sein müsse. Da der Bundestag, der die Pandemiegesetze verabschiedet hatte, ausweislich ihrer Begründung beabsichtigte, "insbesondere Leben und Gesundheit zu schützen", sei es ihm erlaubt gewesen, "effektive Maßnahmen zur Reduzierung von zwischenmenschlichen Kontakten" zu verhängen. Damit sei er nur seiner Pflicht nachgekommen, die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger über eine Vorsorge gegen Gesundheitsbeeinträchtigungen durch eine Überlastung des Gesundheitssystems zu schützen.
Als er damit begann, darauf gehen die Richterinnen und Richter nicht gesondert ein, galt der ganze Kampf der Republik einer Kontaktnachverfolgung, um die Inzidenzen unter 50 zu halten. Alles darüber drohte alles zu zerstören "was wir schon erreicht haben" (Jens Spahn). Alles darüber war damit auch nach Ansicht der Karlsruher Richter "im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, durch die gesetzliche Regelung den Gesetzeszweck zu erreichen", auch wenn es "Unklarheiten in der Bewertung von Tatsachen" gegeben habe. "Auf tragfähiger Grundlage beruht auch die Regelungstechnik, die Geltung der Kontaktbeschränkungen an das Überschreiten des Schwellenwerts einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 zu knüpfen", urteilt die Kammer an einem Tag, an dem die Inzidenz bei 462 liegt.
Vergebliche Angriffe
Damals aber, im Mai 2020, waren die jetzt von zahlreichen Klägern angegriffenen Kontaktbeschränkungen "als Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit sowie zur Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems auch im verfassungsrechtlichen Sinne erforderlich". Bei vierfach üblerer Lage, gemessen an den Indikatoren, die den Gesetzgeber seinerzeit veranlasste, einen Bundeslockdown auszurufen, ist das nicht mehr nötig.
Dabei wären Kontaktbeschränkungen nach dem Urteilsspruch nur verfassungswidrig, "wenn andere, in der Wirksamkeit den Kontaktbeschränkungen in ihrer konkreten Gestalt eindeutig gleiche, aber die betroffenen Grundrechte weniger stark einschränkende Mittel zur Verfügung" stünden, bei denen der Gesetzgeber annehmen könne, dass sie "gleich wirksam wie die angeordneten Kontaktbeschränkungen" seien. Auch für die Anweisungen zum Hausarrest, die Millionen daran hinderten, ihre Wohnungen zu verlassen, gilt dasselbe: Zwar gewähre das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG eine körperliche Bewegungsfreiheit, die vor staatlichen Eingriffen sicher sei." Diese Freizügkeit im Bundesgebiet, wie sie die Väter und Mütter des Grundgesetzes nannten, gewährleistet allerdings von vornherein nicht die Befugnis, sich unbegrenzt und überall hin bewegen zu können".
Vorsicht ist verfassungsmäßig
Der Staat habe nicht genau wissen können, was die Menschen täten, gingen sie aus dem Haus. Würden sie die Masken absetzen wie beim CDU-Parteitag? Würden sie den grundgesetzliche gebotenen Abstand vernachlässigen? Dass scharfe Kontrollen "aber zur Abend- und Nachtzeit und im privaten Rückzugsbereich nur eingeschränkt durchsetzbar" seien, so Karlsruhe, erlaube es dem Gesetzgeber, sich für einen Generalverdacht zu entscheiden und "solche Zusammenkünfte von vornherein über vergleichsweise einfach zu kontrollierende Ausgangsbeschränkungen zu reduzieren".