Das demnächst mehr gemusst werden muss, ist das Heilsversprechen der großen Parteien. |
Sie liegen gut im Rennen, die sechs großen deutschen Parteien drei Wochen vor der Bundestagswahl, die wie immer wieder ein Schicksalswahl sein wird. Allen sechs etablierten Kräften dürfte der Sprung ins neue, mit knapp 1.000 Parlamentariern diesmal noch großartigere Parlament erneut gelingen - allenfalls die Linkspartei, seit Jahren auf dem Weg nach unten, könnte womöglich ein wenig zittern müssen. Als ahnten die Genossinnen und Genossen das, ist die pflichtanzeigende Vokabel das Wort, das im Wahlprogramm der mehrfach umbenannten SED am häufigsten vorkommt. Wer die Linke wählt, wird müssen müssen, das steht vorab schon fest, retten kann ihn nur noch der Umstand, dass es trotz Saskia Eskens Avancen auch diesmal nicht reicht für ein paar Plätze am Kabinettstisch.
Das große Muss
Müssen aber wollen auch alle anderen Wettbewerber, die einen mehr, die anderen etwas weniger. Bei der SPD, einem Auslaufmodell im Höhenflug, beflügelt durch den Respektsbotschafter Olaf Scholz, ist "Müssen" wie bei der Linken der Refrain im Wahlkampfschlager. Getreu der alten Devise, dass die frühere Arbeiterpartei dazu berufen sei, "das tägliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu regeln", weil Freiheit Menschen doch immer nur auf dumme Gedanken bringt, setzt die deutsche Sozialdemokratie bei ihren Versprechen für die Zeit nach der Regierungsübernahme entschieden auf die Durchsetzung des Notwendigen durch Müssen. Watt mutt, datt mutt, wie der Norddeutsche sagt - Aufgaben und Forderungen, die der Bevölkerung aus dem SPD-Wahlprogramm erwachsen werden, sind von einer Natur, deren Erfüllung sie sich wird nicht entziehen können.
Mitmachen beim Müssen
Bei Angela Merkel wie bei Heiko Maas, dem anderen Vordenker des obrigkeitlichen Staates, ist das Mitmachen beim Müssen Grundlage einer "regelbasierten Ordnung", die überall dort gilt, wo sie sich widerstandslos durchsetzen lässt. Müssen als verbalisierte Pflicht leitet sich nicht ganz zufällig ab vom althochdeutschen Verb phlegan, das "Aufsicht führen" und "anleiten" bedeutet und sich später in das neuhochdeutsche pflegen verwandelte, das "sorgen für" und "die Gewohnheit haben, etwas zu tun" meint. Die Pflicht, geboren aus dem Wort pliht, steht für eine ganze Parade an Mitmachenmüssen: Pflege, Teilnahme, Gemeinschaft, Dienst, Obliegenheit, Sitte - alles, dem niemand entkommen kann, wenn er Teil der Gemeinschaft bleiben will.
"Deutschland schaffen Menschen wollen" hatte es vor Monaten in Angela Merkels letzter großer Rede, geheißen "Deutschland muss wollen Frauen Menschen Zeit Arbeit schaffen", glaubte der mittlerweile vergessene Gottkanzler Martin Schulz.Von Müssen war damals noch weniger die Rede, aber das musste sich dringend ändern. In Zeiten wie diesen, die schwer sind wie nie und aus Sicht der Generation Zentralheizung nur immer noch schwerer werden können, müssen andere Saiten aufgezogen werden, Saiten aus Stahl, die schrill klingeln bei jedem Anschlag: Niemals seit dem Beginn des 19. Jahrhundert, als Deutschland auf einer Welle der Pflichterfüllung surfte, war Müssen so wichtig wie heute, niemals wurde das Versprechen, bald noch mehr zu müssen, als Muss empfunden, das mit offenen Armen begrüßt werden muss.
Abfall an den Rändern
Grüne und Liberale haben das verstanden, doch sie sparen deutlich mit Versprechen, was alles in Zukunft gemusst werden sollen wird. "Menschen", "mehr" und "sowie" auf der einen Seite, "Freie Demokraten", "sowie" und "EU" auf der anderen laufen dem Müssen in den Wahlprogrammen der beiden Mehrheitsbeschaffungsformationen den Rang ab - die Wahlumfragen zeigen allerdings, dass Wählerinnen und Wähler diese Knauserigkeit nicht goutieren. Nach einem kurzen Höhenflug sind die Grünen in der Gunst der Wählenden abgestürzt, die FDP hat es mangels ausreichend Mut zum Müssen niemals so hoch geschafft, sie dümpelt nahe den Niederungen, in denen sich die Schwefelpartei mit einer nahezu kompletten Müssen-Leugnungsstrategie eingerichtet hat.
Die Koinzidenz ist unübersehbar. In Zeiten, in denen Menschen geführt und angeleitet werden wollen, in denen die entschiedensten Rebellen gegen das System sich nichts sehnlicher wünschen als zu einer Audienz bei Hofe empfangen zu werden, und koste es sie auch das Leben, führt der Weg zur Macht über das Müssen. In die letzte Schlacht um den Schicksalsberg, den hochaufragenden Thermopylen vor dem großen Klimakrieg, gilt kein "wir haben vor" und kein "wir möchten", kein "wir würden" oder "wir würden uns wünschen", nicht einmal ein "wir werden" oder ein "wir würden" ist erlaubt. Wir müssen müssen und wer als Partei auf sich hält, der macht sich ehrlich und droht an, was er vorhat: Was in jedem Fall muss, muss.
Das Volk will müssen
Das Volk will es doch auch und wo es nicht will, wird es müssen. In der spätrömischen Dekadenz der hochentwickelten Vorgabegesellschaft, in der Gerichte über Wetterschutzmaßnahmen für eine Zeit jenseits der Lebenserwartung der Richter urteilen, erspart jedes Müssen mehr eine freie Entscheidung. Buridans Esel war das Wappentier einer Zeit unendlicher Möglichkeiten, in der das vom Althochdeutschen willio wie der Wille abgeleitete Wollen regierte.
Frei sein, high sein, Terror darf gern dabei sein, hieß es dazumals, ehe sich die Ansicht durchzusetzen wusste, dass das Leben einfacher ist, wenn man tut, was einem gesagt wird. Anschnallen. Mülltrennen. Zuhausebleiben. Wassersparen. Mitsternchensprechen. Die Sehnsucht danach, in einem Land zu leben, in dem einem andere zuverlässig sagen, was man zu tun und zu lassen hat, spiegelt sich in der Vollbedienung mit Müssens durch die Wahlprogramme. Hier wächst zusammen, was zusammengehört. Ein Muss.
7 Kommentare:
Gepriesen seien die Analysetools, da muss man den Schund nicht selber lesen.
Und wenn man es doch tut:
'Keine Rendite mit der Miete' (Parteiprogramm Linke)
Wir sind im Ar$ch.
Hip-Hop feiert den verschwenderischen Lifestyle. Kritik daran kommt nun aus den eigenen Reihen: Rap trage auch Verantwortung für die nächste Generation, findet Kontra K.
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Ähm, Rap ist Rap ist Rap. Der trägt sich durch Schallwellen durch die Lüfte. Mehr trägt er nicht. Auch kein Verantwortung. Oder kapier ich wieder mal nicht, warum Rapper so strulledoof sind?
Beruhigend, daß die nächste Generation doofer schon bereitsteht, wenn Bela B. mal nicht mehr ist, das Geschäft der Kulturschaffenden zu erledigen.
Oh bitte, warum wurde der lesenswerte Artikel nicht genannt.
https://www.spiegel.de/kultur/musik/kontra-k-ueber-markenhype-wir-rapper-haben-ziemlich-viel-verkackt-a-e73c3bcb-e98e-4326-bf9b-44e30b890499
Der Spiegel ist ein politisches Magazin und Kontra K ist ein Rapper.
(Gelächter, Tusch)
Was ist eigentlich 'Funk'? Dort weiß man es:
Nach einer Recherche des öffentlich-rechtlichen Digitalangebots Funk enthält fast die Hälfte der Rap-Hits der vergangenen fünf Jahre Markennamen.
Eure GEZ-Steuern bei der Arbeit.
>> Oh bitte, warum wurde der lesenswerte Artikel nicht genannt.
Da muß ja wohl ich gemeint sein. Erstens verlinke ich das Hamburger Furzmagazin aus ästhetischen Gründen nicht. Schon seit Jahren.
Zweitens bin ich bis zu genau der zitierten Stelle gekommen, konnte das mit letzter Kraft bei ppq abladen, dann bin ich eingeschlafen. Ob es lesenswert ist, das entzieht sich meiner Kenntnis.
kontra k? was soll das sein? fensterreiniger? entkalker?
Bernd wollte sich zunächst an der spon Debatte über verkackende Räpper beteiligen - hat dann aber eine Pizza bestellt und Heino gehört .
Wie glücklich sie in ihrer DPA-Kloake namens Spon sind. Sollen sie es bleiben.
Kontra K
jetzt hot auf dpa
aber nich so heiß
wie die Pizza
denn die hab ich da
und in die ich jetz beiß
Word!
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